Anno 1690
§ 13

[48] Es wurde mir beschwerlich stets des Tages zweimal in die Stadt ins Gymnasium zu gehen, indem das Teil der Vorstadt, wo meine Eltern wohnten, so weit von der Stadt, als hier [in Leipzig] der große Kohl-Garten, entfernet war. Bei bösem Wetter, insonderheit im Herbst und Winter, mußte ich, wie leicht zu erachten, viel ausstehen, und wurden auch Kleider und Schuhe sehr ruiniret. Dannenhero entschlossen sich meine Eltern mich in die Stadt zu jemanden zu tun, daß ich wenigstens nicht alle Abende nach Hause zu kommen genötiget wäre. Ich kam also zu einem Braumeister, der unter dem Olauischen Schwiebogen bei einem Brannntewein-Brenner und Distilirer im Hinter-Hause wohnte, und der mir eine Kammer einräumete. Denn, weil er Kinder hatte, und ich wohl schreiben und fertig rechnen kunte, so nahm er mich willig auf, tat mir auch viel Güte, damit ich seine Kinder wohl informiren [unterrichten] sollte, ob ich wohl selbst noch ein Knabe, und im 15. Jahre meines Alters war. War ich nun in meines Vaters Hause wegen der Mährgen [erfundenen[48] Geschichten], welche die alten Weiber, und andere Leute den Kindern erzählen, ein furchtsames Tier gewesen, so daß, wenn meine Eltern und Schwestern auf dem Felde waren, und ich das Haus hüten mußte, ich nicht das Herze hatte in der Stube alleine zu bleiben, wenn man mir auch groß Geld gegeben hätte, und lieber im Hofe Kälte, und Frost ausstand, als daß ich in die warme Stube gegangen wäre, auch jede fremde Katze, wenn ich sie nur mauzen hörte, schon aus Aberglauben vor eine Hexe hielt, und deswegen zitterte und bebete: so war ich es in der Stadt bei fremden Leuten noch in einem höhern Grade, absonderlich in dem ersten Jahre. Ich mußte des Abends, wenn ich von Tische kam, in obgedachtem Hause über den finstern Hof gehen, und des Abends ohne Licht schlafen gehen: ich mußte in einer Kammer alleine schlafen, auch schlief niemand in der Nähe um mich. Das war eine schreckliche Prüfung und Übung vor einen Menschen, der auch wegen seines Temperamentes, und von Natur schon zur Furcht geneigt war. Hat die Furcht schon nicht die Götter, so hat sie doch wohl die Gespenster, und den Teufel manchmal auch in diejenigen Örter der Welt gebracht, wo er doch noch nicht zu finden gewesen. Zum wenigsten mußte ein groß Maß derselben wohl bei mir Ursache sein, daß ich fürchtete, wo nichts zu fürchten war, und mehr sahe und hörte, als zu sehen und zu hören war. Und dieses um so viel eher, weil die Leute bei denen ich wohnte, und deren Stube ich mit zu genießen hatte, mit so viel Aberglauben, und törichten Meinungen von Hexereien, und Gespenstern angefüllet waren, als ich mit sechs-füßigen Tieren [Läusen], die als getreue Gefährten mit mir auch in die Stadt gezogen waren.

Sie sagten mir, im Hofe zur linken Seite hinter dem Gange wäre es nicht richtig; es müßte ein Schatz da begraben liegen; denn man höre es in der Nacht manchmal Geld zählen, und sprühe auch zuweilen mit Feuer. Ich sahe und hörete gar bald diese Dinge auch; und ich glaube, ich würde noch mehr gesehen und gehöret haben, wenn sie mir nur noch mehr gesaget hätten. Ich kam einst um 11 Uhr erst nach Hause, so daß die Branntewein-Gäste schon hinweg, und es im Hause ganz finster war. Da sahe ich in Wahrheit, oder doch meine Furcht und Einbildung, daß es Feuer im Winkel sprühete, so daß ich blaß, und halb tot kaum wußte, wie ich die Treppe hinauf kommen sollte. Mit dem Geld-Klitschen [Klimpern] in der Nacht war es was Curieuses, welches ich ganz klar, und deutlich mehr als einmal gehöret, und, so oft ich es gehöret, mich so tief unter das Bette gestecket,[49] so tief als ich kunte. Einst fiel auch etwas in meiner Kammer, und zwar so stark, daß ich meinte, ich fiele selbst mit samt der Kammer ein, und auch mein Wirt, der unter mir schlief, des Morgens darnach fragte. Es war aber in der Kammer nicht das geringste, was gefallen wäre, oder etwan hätte fallen können, wahrzunehmen. Denselben Winter führte man das heimliche Gemach aus [leerte man die Abortgrube], welches eben in dem verdächtigen Winkel, wo es spokte, anzutreffen; und da gieng die Rede im ganzen Hause, daß die Schinder-Knechte [Gehilfen des Scharfrichters], so dabei mit Ausschöpfen beschäftiget waren, von Gespenstern nicht wenig wären incommodiret worden. Ich habe einst nach der Zeit, nämlich An. 1693 bei diesem Brauer eine Nacht geherberget, weil ich in die Vorstadt nicht heimgehen wollte, sondern mich mit Willen in der Stadt verschließen lassen; und ich kann beteuren, daß, ob ich gleich in solchem Jahre schon 93 mal mehr Herze hatte, als vor diesem, ich es dennoch fast die ganze Nacht im Hofe Geld zählen hören. Ich habe mich im Bette aufgericht, und recht mit Fleiß zugehöret, und drauf Achtung gegeben; denn schlafen kunte ich nicht, weil ich bis in die Nacht mit dem jetzigen Edlen Herrn von Adlerstein, der damals mein Schul-Kamerad war, in der Karte gespielet, und mir die Karten-Blätter, und die Figuren stets noch vor Augen schwebten, welches auch eine Sache, so von meiner starken Imagination und Phantasie zeugen kann.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 48-50.
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