Anno 1728
§ 145

[361] Da die Verhörung ein Ende genommen, war ich von allen Kräften Leibes und Gemütes erschöpfet, und hätte nun ein wenig ausruhen, und mich wieder erholen sollen; allein da verfiel ich in eine neue Sorge und Kummer, die mir beinahe vollends den Rest gegeben hätte. Denn die, welche wider mich im Consistorio denunciret, hatten auch, wie mir der Herr Stifts-Rat sagte, allerhand odieuse Dinge, so mein Leben und Aufführung anbetrafen, eingegeben: und ich weiß nicht, wer mich beredete, oder wer sich verlauten lassen, daß dieselben Punkte auch nun sollten erst vorgenommen werden, und daß derselben so viel wären, daß, wenn alle genau sollten erörtert werden, eine Zeit von drei Jahren erfordert würde, welches, wie ich erachte, er von den Lehr-Punkten, deren so eine große Menge war, wohl wird verstanden haben. Da ich nun bisher zu keiner rechten Ruhe noch Schlafe gelangen können, und nun glaubte, daß ich von neuem daran, und mich quälen, und martern lassen müßte; so war vollends kein Mut, Herz und Leben mehr bei mir. Ich war mir zwar keiner solchen Sünden bewußt, um welcher willen ich hätte mit Recht können vom Amte removiret werden, obwohl vor Gott nicht ganz unschuldig war; ich wußte aber doch wohl, was Inquisition vor eine Sache sei, und was vor Zeit damit zugebracht werde. Ich sahe auch diejenigen, von denen ich glaubte, daß sie mich haßten, nach meiner törichten Einbildung vor viel ärger an, als sie waren; und ich trauete ihnen zu, daß sie wegen ihres Affectes capable wären, mit mir die Komödie zu spielen, die man einst mit Athanasio spielte, und Personen wider mich zu dingen, die mich verbotenes Umganges, so ich mit ihnen gehabt, und verbotener Liebe, so ich mit ihnen gepfleget, anklagten; insonderheit da ich hörte, daß man alle meine unschuldige Dinge in große Fehler verwandelt hatte. Das Karten-Spiel etwan mit einem, oder zwei bekannten Freunden aufs höchste, (denn mein Umgang hat sich niemals weit erstreckt,) ward mir höchst übel ausgeleget. Wenn die Prediger hiesiges Ortes außer der Stadt aufs Land fahren, oder gehen, so haben sie vor langer[361] Zeit her die Gewohnheit, daß sie den ordentlichen Priester-Habit ablegen, und im Stock, oder im Mantel gehen, und fahren. Allezeit fahren litte mein Einkommen nicht; da ich aber zu Fuße im blauen Mantel öfters Gesundheits wegen aufs Land gieng, so wurde das, als eine Sache angesehen, so wider den Wohlstand stritte, ja man machte daraus noch viel geheimere, und übele Deutungen.

Weil ich mit mähligem zu Jahren kam, und doch immer schwächlich war, hatte ich in meine Heimat nach Hause geschrieben, man sollte mir doch jemanden aus meiner Freundschaft herausschicken, daß ich in der Fremde nicht ganz einsam wäre. Was geschicht? Es kommt ein weitläuftiger Anverwandter von Breslau hieher nach Leipzig. Ich bin froh, wie ich höre, daß er Willens ist sich hier zu setzen, und Bürger zu werden, oder ein Gut auf dem Lande zu pachten, oder zu kaufen, und dabei bürgerliche Nahrung [Gewerbe] zu treiben. Ich bin ihm dazu behülflich, strecke ihm auch etwas Geld vor, daß er ein Bauer-Gütgen, weil er auf dem Lande war erzogen worden, und das Acker-Wesen wohl verstund, an sich kaufen kunte. Ich hatte eine rechte Freude, daß ich nun nicht immer bald auf dieses, bald auf jenes Dorf Gesundheits halber spazieren gehen, oder fahren durfte, sondern nur bei einem Ort allein es bewenden lassen könnte; gleich den andern Predigern, die ihre Gärten, oder Güter haben, und auf dieselben zu gehen und zu fahren pflegen. Und siehe, auch dieser mein Spazier-Gang war mit schrecklichem Argwohn beleget worden. Der selige Herr Stifts-Rat, da ich über meine Leibes-Schwachheit klagte, und ihm zu Hause vor der Verhörung aufwartete, höhnte mich damit recht, vorgebende, wenn ich da und dort hingehen sollte, fehlte mir es an Leibes-Kräften nicht, und setzte noch recht ängstlich hinzu: Ach man höret Dinge, daß einem die Ohren gellen möchten. Hieraus konnte ich nun mehr als zu viel abnehmen, auf was vor Gedanken man die Leute müsse gebracht haben, und auch merken, was wider mein Leben müßte sein eingegeben worden. Ich wußte zu Hause kaum mein Herze zu stillen, daß ich nicht wider Gott im Himmel murrete, da meine Kränkungen durch sein Verhängnis auf den höchsten Grad getrieben wurden. Gott hatte mich in der Jugend durch oben [S. 208f., 268] beschriebenen unglücklichen Fall zu einem elenden Menschen werden lassen, daß ich mein Lebtag an kein Heiraten gedenken dürfen; und nun sollte ich noch in den Verdacht der Hurerei und des Ehebruchs geraten. Das kam mir recht vor, als wie mit jenem, der sieben[362] Jahr nicht in die Kirche gekommen, und auf beiden Füßen gelähmet war, daß er nicht gehen kunte, und dem man Schuld gab, als ob er in der Kirchen Diebstahl begangen hätte.

Ich glaubte nun also, ich könnte unmöglich lebendig bleiben, wo noch eine neue Inquisition wider mich vorgenommen, und ich im Fall noch einen Juristen anzunehmen, und Geld dran zu wenden, sollte genötiget werden. Ich fieng also an, sehr geneigt zu werden zu resigniren; denn ich dachte: besser, du bleibest beim Leben, und kannst noch Bücher schreiben, oder sonsten der Kirchen, und dem Nächsten dienen, als daß du dich mutwillig ums Leben bringen sollst. Ich hatte auch schon eine Probe gesehen, wie eine solche neue Untersuchung mich vollends zu Tode mergeln könnte. Denn als bei dem letzten Verhör die Materie vom Concubinatu aufs Tapet kam, wo ich aus Versehen nicht deutlich genug geschrieben, so daß man mir beimessen wollte, als ob ich vorgegeben, daß derselbe von Christo im Neuen Testamente nicht wäre aufgehoben worden; welches aber nimmermehr aus den Worten zu erweisen; und einer aus den Assessoribus so gar kein Bedenken trug mich zu fragen: ob ich bisher etwan auch in demselben gelebet hätte, und als ich darauf mit nein antwortete, hinzusetzte: Wir wollen denn sehen: so fiel es mir vor Zorn und Schrecken in alle Glieder des Leibes, daß ich kaum den morgenden Tag zu erleben gedachte. Weil ich nun in der Meinung vollends gestärket wurde, der ich bisher nur schwächlich beigepflichtet, daß man mich noch länger aufhalten, und noch eine neue Inquisition wider mich anstellen wollen, so brachte ich die ersten Tage nach der Verhörung in lauter Sorge und Angst zu. Der Herr Geheimde Rat Seebach, dem ich nach der Zahl-Woche aufwartete, versicherte mich zwar, man wollte mir diesmal noch raushelfen, und mich beim Amte lassen; allein mein Herze gieng doch heimlich dahin, eher zu resigniren, als mich vom neuen quälen zu lassen, weil vielleicht der Geheimde Rat von diesen letzten Punkten nichts wüßte.

Doch da mein Vorsatz zu resigniren nur noch schwach, so glaub ich, ich hätte ihn doch nicht vollzogen, wenn ich nicht am XXI. Sonntage nach Trinitatis in der Vesper den Worten des Herrn Licentiat Gaudlitzens, der vor dem Altar in der Peters-Kirche absung, mehr, als dem Herrn Geheimden Rat Seebach geglaubet hätte. Denn dieser Herr Gaudlitz, der ohnedem stets bezeuget hatte mein bester Freund zu sein, und damals Substitute in der Niclas-Kirche war, versicherte mich, daß er aus dessen, und dessen Munde gehöret, daß alles schon so zugeschnitten[363] wäre, daß ich removiret würde, ich möchte auch tun, oder anfangen, was ich wollte. Ich gieng also den folgenden Tag mit lauter Gedanken um, was ich tun oder nicht tun wollte; Es war mir betrübt, daß, da ich vor Zeiten die größten Männer der Stadt zu meinen Gönnern gehabt, jetzt schier nicht ein einziger mehr zu sein schien, der nicht gerne meiner los wäre, so gerne man auch sonsten meine Predigten gehöret. Ja, was noch mehr mich betrübte, so sagte mir der selige Herr Stifts-Rat in seinem Hause unter die Augen, daß meine Predigten nicht mehr so gut, und schöne wären als vor Zeiten, und ich nicht mehr den ehemaligen Fleiß darauf wendete: und das glaube nicht nur er, sondern auch andere mehr. Ich aber statuirte das völlige Widerspiel. Meine letzten Predigten in letzten Jahren meines Amts habe ich viel accurater gemacht, als in er sten Jahren, bin auch mit mehr Leibes- und Gemüts-Stärke darzu ausgerüstet gewesen. Auch in den letzten Jahren, wer von fremden Ankommenden mich hörete, hatte alle die Liebe und Hochachtung vor mich, welche die Herren Leipziger anfangs hatten. Noch in der letzten Neu-Jahrs-Messe 1728 mußte ich einem Vornehmen bei Hofe meine Predigt abgeschrieben communiciren. Herr Hilscher aus Dresden, ließ mich das letzte Jahr unbekannter Weise ersuchen, ich möchte doch meinen unvergleichlichen Jahr-Gang von der Mittelstraße des Glaubens zwischen Aberglauben, und Unglauben im Druck heraus geben, welchen Jahr-Gang ich aber nicht zu Ende gebracht habe.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 361-364.
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