Anno 1692
§ 16

[52] Den Frühling darauf war ich noch mit dem Register über des Edmundi Castelli Lexico Heptaglotto, und mit dem Zettul-Legen, deren etliche tausend waren, beschäftiget. Denn weil mein Hospes als ein großer Linguiste den Alcoran [Koran] herauszugeben gesonnen war, auch aus seinem Namen Andreas Acolut[52] per Anagramma heraus kam: tu edas Alcoran [du sollst den Koran herausgeben]; so war das eines von seinen größten Neben-Werken, daß er schier täglich über solcher Version [Übersetzung] arbeitete, zu solchem Endzweck aber das obgedachte Lexicon brauchen mußte, welches aber, wie bekannt, keinen Indicem und Register hat; sich also genötiget befand, mich die Kunst zu lehren, über ein großes Werk auf eine leichte Methode ein accurates Register zu verfertigen. Seiner Frauen Bruder, die er geheiratet, und der 14 Jahr alt, und also zwei Jahr jünger, als ich war, mußte mir darinnen helfen. Ich weiß nicht mehr, woher es kam, daß wir über dem Zettul-legen uneins worden; die Erbitterung ward so stark, daß ich denselben auch noch des Abends vor dem ersten Pfingst-Feiertage bei dem Schlafen-gehen aus Zorn bei dem Kopfe bekam, und mich an ihm rächen wollte. Nun wir waren alle beide noch Jungen. Jungen von solchen Jahren können ja wohl uneines werden, und zu Händeln kommen, und einander bei den Köpfen kriegen. Die Sünde ist doch nicht Himmel-schreiend. Hätte der Prediger eine Karbatsche [Peitsche] genommen, und uns beide gut abgeschmieret [durchgeprügelt], so wäre es verdienter Lohn und Strafe genug, ja ein zulängliches Mittel gewesen, uns zu bessern, und zu machen, daß wir es gerne ein andermal würden haben bleiben lassen. Aber das tat er nicht. Das tat er: er kam am heiligen Tage in der Vesper auf die Kanzel; und, weil er wohl wußte, daß meine Brüder und Schwestern zum Teil in der Kirchen wären, so predigte er so scharf wider mich, daß die ganze Gemeinde darüber bestürzt wurde. Er sagte: Nicht der Heilige Geist, sondern der böse Geist habe am heiligen Abend in seinem Hause gewütet, und sein Werk in einem Menschen gehabt, dem er bisher alle Wohltaten erzeiget, der ihm aber gar schlechten Dank dafür erwiesen; und was andere Dinge mehr waren, die er angeführet. Daran war es noch nicht genug, sondern nach der Predigt ließ er meine Schwester, die mich zu ihm ins Haus gebracht, zu sich in die Sakristei, und nach den Feiertagen den Bruder, der in der Stadt dienete, zu sich kommen, und machte ihnen von meiner verteufelten Bosheit einen solchen Abriß, daß sie meineten, sie müßten des Todes sein. Da ich darauf den dritten Feiertag zu meinen Eltern nach Hause kam, sie zu besuchen, so war das ganze Haus, und alles mit solcher Furcht, Zorn, Jammer, Angst, Zagen, und Verzweifelung angefüllt, daß ich nicht anders meinte, sie würden mich vor Zorn töten. Ich kann mich nicht besinnen, daß ich mein Tage meine Eltern und Geschwister so zornig[53] gesehen, als sie damals gegen mich waren. Die harten Worte, so sie gegen mich ausgestoßen, die bösen Wünsche, und Prophezeiungen, welche sie mir machten, haben eine lange Zeit hernach meine Seele aufs höchste bekümmert, indem ich lauter Fluch und Unsegen vor mein zukünftiges Leben in der Welt deshalben von Gott befürchtete. Meine Mutter wußte sich endlich am ersten noch zu fassen, und ein wenig wieder zu besänftigen auf Zureden und Vorstellung einer Nachbarin. Ihr werdet euch doch um des Dinges willen nicht zu Tode ängstigen, sprach dieselbe, ist denn nun das so eine große Sache, wenn sich Jungen mit einander schlagen: mein Junge schmeißt sich [schlägt sich] um ein leichtes mit den andern auf der Gasse herum, so oft ihm einer zu nahe kommt; ich wäre töricht, wenn ich erst ein solch Lärm darum anfangen sollte. Muß denn der Prediger alle Dinge auf die Kanzel bringen? kann er nicht zu Hause unter seinem Gesinde selbst Richter sein, und sie strafen, wenn sie was Böses tun? Zuvor hat er euren Sohn nicht genug loben können, sondern ihn bis in den Himmel erhoben, und nun will er ihn um solcher Lappalien willen auf einmal zur Höllen verdammen. So ein gutes Herz, und so viel andere Tugenden dieser sonst große Linguiste hatte und besaß, so war doch dieses einer seiner Fehler, daß er leicht zum Zorn zu bewegen, und im Zorne gleich auf allzu harte Strafe dessen bedacht war, der ihn beleidiget; wie er denn auch mit den zwei andern Predigern, die neben ihm in der Kirche dieneten, in ärgerlichem Streit lebete; wiewohl, so viel ich die Sache damals erkennen und einsehen konnte, seine beide Collegen, die beiden Nimptsche, Vater, und Sohn, daran die meiste Ursache waren, und die größte Verantwortung hatten.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 52-54.
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