Anno 1692
§ 18

[58] Wenn der Mensch sündiget, so bindet er sich selbst eine Rute auf seinen eigenen Rücken, und ist nicht leicht eine Plage, noch Not, die er sich nicht, wenn man es recht untersuchet, durch Missetaten, und Laster zuziehet, welche der weise Gott durch ein natürliches Band auf das genaueste mit dem Unglück, so drauf folget, verknüpfet, so daß das Unglück nicht außen bleibet, es komme wenn, wo, und wie es wolle. Noch einmal auf den vorigen Prediger zu kommen, so hatte derselbe unter andern eine Magd, die mir nicht ungeneigt war, und die, weil sie mannbar, gerne von verliebten Sachen mit mir redete. Ich war auch ein Jüngling von 161/2 Jahren, und hörte solche Dinge nur allzu gerne mit an, und aus Liebe ihr zu gefallen, und ihre Ohren jückend zu machen, erzählte ich ihr eben, was ich von der zukünftigen Magd, so ins Haus kommen sollte, da und dort gehöret hatte. Wäre dieser Umstand nicht gewesen, so würde ich allen den Verdrüßlichkeiten, so mir in dem damaligen Jahre Not genug machten, und eine recht gute Züchtigung vor meine Geilheit und Leichtsinnigkeit waren, entgangen sein. Es verursachte aber auch diese Avanture [Vorkommnis], daß ich ein halbes Jahr länger, und bis auf Ostern in secundo Ordine [in der Sekunda] bleiben mußte, welches vor meinem Hochmut eine bittere Arznei war. Wie aber eines des andern Ursache gewesen, mag ich, weil es etwas Geringes, nicht erst erzählen; doch war es nicht bloß der Hochmut, sondern auch zugleich eine gute redliche Begierde in primum Ordinem gesetzet zu werden. Ich hatte einen Commilitonen bei mir schon bei drei Jahren her gehabt, der mir mehr zum Bösen als zum Guten Gelegenheit gab, und dessen ich gerne los gewesen wäre. Ich hatte zweimal die größte Hoffnung, von ihm wegzukommen: einmal, da es drauf stund, daß ich aus Tertio in Secundum, und jetzt, da ich aus Secundo in Primum Ordinem sollte transferiret [versetzt] werden. Beidemal wußte[58] ich, daß dieser Commilito wegen Alter, und schlechter Profectuum [Fortschritte] noch würde sitzen bleiben. Ich freuete mich schon darauf, ich bat Gott darum inbrünstig, ich dankte Gott schon zum voraus, weil ich glaubte, daß es ganz gewiß geschehen würde; und doch mußte es beide mal sich so wunderlich schicken, daß es zu meinem großen Schaden nicht geschahe. Gott! welche eine große Sache ist es, in der Jugend so inbrünstig beten, daß uns Gott von böser Gesellschaft erlösen wolle, und welche eine betrübte Sache, ja welche eine Versuchung ist es nicht, in solchem Falle nicht erhöret werden, wo die Erhörung so billig, und so leichte zu sein scheinet! wo bleibt denn da Gottes Verheißung: Er ruft mich an in der Not, so will ich ihm aushelfen? [Ps. 81,8] Soll denn der Teufel bei seinem Fügen und Dirigiren glücklicher sein, und eher reussiren, als unser Gott? So denkt alsdann unsere Vernunft, die bei solchen Fällen immer gerne an Gottes specieller Providenz [Vorsehung] zu zweifeln anfangen will.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 58-59.
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