Anno 1693
§ 22

[63] In diesem Sommer starb meine Schwester in den Sechs-Wochen, welche auch eine Kohl-Gärtnerin, und die älteste und vernünftigste unter meinen Schwestern war. Sie machte sich zu zeitig aus der Wochen-Stube vor den Ofen, um zu kochen, und fiel darauf in eine hitzige Krankheit, in welcher sie schrecklich phantasirte. Ihr Delirium war zuweilen so groß, daß sie darauf bestand, die Paten hätten ihrem Kinde den Teufel im Paten-Gelde[63] mit eingebunden, und wünschte, daß es nur nicht leben bleiben möchte. Wenn die Paroxysmi [Anfälle] nachließen, war sie gar vernünftig, und bereitete sich auf den Tod, den sie auch vor ganz gewiß hielt. Sie redete aber doch allerhand seltsame Dinge mit unter, auch wenn sie sich in leidlichem Zustande befand. Ein oder zweimal beklagte sie sich über mich abwesend, daß, da sie mich jederzeit so sehr geliebet, und mir so viel Gutes erzeiget, ich ihr nicht einmal den letzten Liebes-Dienst erweisen, und mit ihr zu Grabe gehen wollte. Meinen Schwestern, und meiner Mutter kam dieses seltsam vor, und suchten es ihr auszureden. Ich selbst lachte darüber, indem ich zur Zeit keine Ursache fand, die mich hätte davon abhalten sollen. Aber was geschah? den Tag, ehe sie begraben wurde, redete der Schulze mit meinem Vater, und sagte ihm: er sollte mich ja nicht mit zu Grabe gehen lassen; Ich müßte hinter dem Sarge gehen, und unter den Leidtragenden sein, und wäre doch noch nicht von der katholischen Obrigkeit los gemacht. Daferne mich nun der Erz-Priester in Studenten-Mantel sehen sollte, würde er ohnfehlbar wollen wissen, was mein Tun wäre, ob ich ein Handwerks-Pursche, oder ein Studiosus wäre. Erführe er, daß ich studirte, so wäre zu befürchten, daß sie mich zu den Jesuitern in die Schule zu gehen nötigten; oder es würde doch mit der Losmachung einmal härter halten, und solche mehr Geld kosten. Mein Vater befand diese Ursache vor wichtig, und meine Brüder auch; ich durfte also nicht mit zum Begräbnis gehen. Also hatte meine Schwester auf ihrem Sterbe-Bette geweissaget, und zukünftige zufällige Dinge vorher gewußt: schier nach der Lehre des ehemaligen [verstorbenen] Herrn D. Rüdigers, der den Menschen alsdenn den größten und meisten Verstand zuschrieb, wenn sie dessen am wenigsten haben; indem er nach seiner Begierde, die er hatte, alles natürlich, und alle außerordentliche Würkungen Gottes zweifelhaftig zu machen, vorgab, daß die im Verstande verrückten, oder mit dem Tode ringende Leute zum Diviniren [Ahnen], und Vaticiniren [Weissagen] am geschicktesten wären.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 63-64.
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