Anno 1695
§ 28

[73] Gleichwohl hielt mich die Sünde, dem ohngeachtet, noch immer fest und hart gebunden, und konnte nicht so bald alles völlig vollziehen, wie ich mir vorgenommen hatte. Ich betete demnach heftiger; und, da ich nicht so bald erhöret wurde, als ich, und wie ich wünschte, so nahm ich so gar zu einem Gelübde meine Zuflucht. Wird mich Gott, sprach ich einst, von den Übertretungen erlösen, die mein Herze quälen, so will ich Zeit meines Lebens einen Tag in der Wochen vom Morgen bis auf den Abend fasten, und solch Fasten zu einer Gelegenheit, Mittel und Subsidio memoriæ [Gedächtnisstütze] machen, um an solche Wohltat Gottes zu gedenken, und ihm dafür zu danken; und, so ich einst Alters wegen, oder wegen anderer Ursachen davon sollte gehindert werden, doch etwas Gewisses an solchem Tage tun, oder unterlassen, damit ich Anlaß haben möchte, mich der großen Güte, und Gnade zu erinnern, so mir Gott erzeiget. Ja ich gieng noch weiter, und richtete das Gelübde noch schärfer ein; indem ich auch so gar schon alsdann einen Tag die Woche gelobte, da ich noch in der Knechtschaft, und unter der Herrschaft der Sünden steckte, um an solchem Tage, und insonderheit in der Stunde, wenn andere Leute essen würden, Gott zu[73] bitten, daß er mich von allen Banden der Sünden möchte frei machen, deren große Beschwerlichkeit ich schon bei [seit etwa] 5 Jahren her zu fühlen angefangen. Ich schob die Sache nicht länger auf, sondern machte den Anfang am Sonnabend vor Invocavit [1. Fastensonntag] zu einem Werke, das ich noch heutiges Tages beobachte; obwohl anjetzo statt der gänzlichen Unterlassung des Essens etwas anders erwählet habe, solcher großen Wohltat, die mir Gott damals erzeiget, Andenken zu erhalten, und Gott dafür zu loben und zu preisen. Der unvermutete und erwünschte Effect dieses Gelübdes und Wunsches ist eines von den curieusesten Avanturen [seltsamsten Vorkommnissen] meines Lebens, worüber ich jederzeit erstaunet bin. Denn alsdenn fieng dasjenige an durch Gottes Gnade möglich zu werden, welches ich schier vor unmöglich gehalten. Die Sünden ließen nach, und blieben außen, die ich schon lange, und viel tausend Meilen weit von mir weggewünschet hatte. So oft ich fastete, wurde auch das Gemüte heiter: die Seele ward nüchtern, und kam denselben Tag gleichsam zu sich selber. Ich hatte noch nicht erfahren, daß ein Mensch, so da fastet, zum Beten, und göttlichen Betrachtungen, und Übungen, ja zu den göttlichen Würkungen Gottes in der Seele, zur Freude in Gott, zur Liebe zu Gott, zum Sehnen und Verlangen nach Gott, so ungemein geschickt sei. O wie reichlich habe ich in den ersten 9, oder 10 Wochen Gottes Gnade und Liebe, und noch dazu mit so großer Süßigkeit geschmecket, daß auch die, so des Abends um mich gewesen, und mit mir gegessen, meine heitere, freudigere, und ungewöhnliche Gestalt [Aussehen] im Gesichte wahrgenommen. Ich reflectirte über den Nutzen des Fastens so stark schon dazumal, daß ich auch in Compagnien zu tadeln anfieng, daß wir Lutheraner nach Luthero das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, und, da wir nur das verdienstliche, und abergläubische Fasten hätten verwerfen sollen, wir nun überhaupt auf alles Fasten nur laulich, und kaltsinnig drängen, und solches beinahe, insonderheit in Buß-Tagen, zum allgemeinen Gelächter werden lassen.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 73-74.
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