Anno 1701
§ 47

[110] Mit diesen zweien Informaturen konnte ich auf dieses Jahr zufrieden sein; absonderlich, da mein Stipendium aus Breslau mir nunmehro ausgezahlet, auch über dies das Stipendium Ridelianum von hiesigem Leipziger Rate mir auf zwei Jahre assigniret [zugesprochen] wurde. Aber wie es mit den Gemütern beschaffen, wo die Furcht der Haupt-Affect ist, sie fürchten, wo nichts zu fürchten ist, und denken immer, ihr Geld werde nicht zulangen; so war es auch mit mir. So viel gütige Vorsorge, und Führungen Gottes ich auch schon in meinem Leben erfahren; Dennoch, so oft mein Beutel leer wurde, so ward mein Herz von Angst und Mißtrauen voll; wiewohl ich ein besseres Auskommen nicht aus Geld-Geiz, sondern aus Eruditions[Bildungs]-Geiz begehrte, um im Stande zu sein Bücher zu kaufen, und noch mehr Collegia passiva [Kurse] nach Wunsch zu halten [zu besuchen]. Diese unzeitige Furcht und Kleinmütigkeit hat mich im Leben oft zu recht niederträchtigen [kleinmütigen] Entschlüßungen veranlasset, so daß ich beinahe solche Dinge erwählet, so meinem Stande schimpflich, und præjudicirlich [nachteilig] würden gewesen sein, wenn mich Gott nicht immer noch davon abgehalten hätte; wiewohl ich allemal, ehe ich obgesieget, und das Sicherste, und Beste erwählet, in ein rechtes Angst- und Schweiß-Bad geführet worden. Der Tisch kam mich dieses Jahr auf 40 Rtlr., die Stube auf 15 Rtlr. Um in diesem Stücke eine Menage [Einsparung] zu treffen, und solch Geld zu ersparen, so fehlte es nicht viel, ich hätte beinahe diesen Sommer bei einem Edelmann, so hier studirte, eine Famulatur [Dienerstelle] angenommen,[110] und war doch Magister habilitatus. Ich versprach mich [sagte zu], und hatte alle Sorge und Not, daß ich mich wieder von ihm los wickelte. Gegen Michael [29. Sept.] geriet ich auf einen andern närrischen Anschlag [Plan], zu dem ebenfalls das Mißtrauen mich verleitete. Ich wollte auf das Paulinum ziehen, wo mich die Wohnung nur 7 Fl. kostete. Ich tat es, und bezog eine kleine Stube auf dem finstern Tabulat [Gang mit Bretterboden], zu dessen Ende damals die Secrete [Aborte] waren. Es war mir aber unmöglich, länger, als eine Nacht, daselbst zu bleiben. Es war mir nicht anders, als ob ich im Secret oder heimlichen Gemache selber schliefe: ich kunte vor Gestank nicht einschlafen, und es fiel mir Klippel [Klöppel]-dicke, wie man zu reden pflegt, in den Hals, gleich als ob ich davon ersticken wollte. Was ich vor Angst und Streit mit mir selber dieselbe ganze Nacht gehabt, was ich des Morgens tun, ob ich bleiben, oder nicht bleiben wollte, ist nicht mit Worten auszudrücken. Gott sei Dank, der mich des Morgens frühe zum Entschluß kommen ließ, Kraft dessen ich meine vorige Wohnung wiederum bezoh [bezog], und gegenwärtige im schwarzen Brete anschlug.

Doch war ich zu einer Zeit, nach Art der Melancholicorum, allzusehr verzagt; so war ich zu einer andern Zeit, so oft das Geblüte dünner, und die Nerven stärker, und die Säfte besser circulirten, desto kühner, und verwegener. Solche Leute, wie ich, haben bald zu wenig, bald zu viel Herze, und können zwischen Furcht und Zorn, Kleinmut und Hochmut selten lange in der Mittel-Straße bleiben. Ich informirte [unterrichtete] diesen Sommer A. 1701 zwar im Französischen und Italienischen, wie ich die ersten zwei Jahr getan hatte, auch so gar im Englischen; da ich aber noch nicht so fertig, sonderlich was das Französische und Italienische anbelanget, parliren kunte, als ich gerne wünschte, so fiel ich auf einen Anschlag [Plan], einen Sprach-Meister, oder sonst jemanden, der dieser Sprache mächtig, auf meine Stube zu nehmen, und ihm solche frei zu geben, damit ich Gelegenheit hätte bloß im Parliren mit demselben mich zu exerciren. Meine Stube war dazumal im Kramer-Hause, und samt der [Schlaf-]Kammer groß genug, daß deren zwei darauf wohnen kunten. Was geschah? Ich traf einen Sprach-Meister an, und las ihn, so zu reden, auf der Gasse auf. Ich fand ihn bei Herr Wetzeln, der mit gebundenen Büchern handelte, und auf der Grimmischen Straße, am Paulino seine Bude hatte, stehende, und discurirende. Ich ließ mich in ein Gespräch mit ihm ein, und bot ihm freie Stube an, ohne etwas anders als die Freiheit[111] mit ihm zu parliren, von ihm zu verlangen, so oft er zu Hause wäre. Wir wurden mit einander gleich eins; denn deutsch kunte er ohnedem noch wenig, oder nichts. Er war ein geborner Schottländer, und hatte mit seinem Vater, weil derselbe des Jacobi Partei gehalten, flüchtig werden, und sich nach Frankreich retiriren müssen. Zu Paris hatte er studiret, und auch in Spanien auf der Universität Alcala de Henares. Wie er Italienisch gelernet, kann ich mich nicht mehr besinnen; denn er parlirte seine 4,5 Sprachen, und gab in denselben Lection, verdiente auch dabei viel Geld, indem er bis 6 Stunden des Tages besetzet hatte, und wegen seines lustigen Humeurs [Charakters] gar angenehm war. Die Aristotelische Philosophie hatte er wohl inne, und hatte in Paris Magister werden sollen, war aber, wie er vorgab, im Zorn davon gelaufen, als ihm einer bei der Promotion vorgezogen worden. Er hieß Olearius, oder, wie er sich nach der englischen Aussprache nennen ließ, Olerius. Der Anfang war gut. Ich fand an ihm, was ich gesucht hatte. Er war ein animal disputax [disputierendes Lebewesen]; und, wenn er des Abends zu dem Gastwirt kam, wo ich speisete, mich abzuholen, so kunte man mit ihm Lateinisch, Italienisch, Französisch und Englisch reden, wie man wollte. Vorm Schlafengehen, wenn wir nach Hause kamen, und des Morgens, ehe er noch ausgieng, hatte ich insonderheit die Gelegenheit mich dieses Vorteils zu bedienen.

Allein die Herrlichkeit währte nicht lange. Denn er ward mir unter der Hand, und ehe ich mich es versahe, zu einem Branntewein-Säufer, hatte um ein leichtes einen Rausch von Rossolis, welches er täglich in Menge soff, und was das übelste war, so wollte er es nicht Wort haben, sondern fieng mit denen auf das grimmigste an zu zanken, die ihn damit aufziehen wollten. Einstens kam er halb trunken des Abends zu uns ins Wirts-Haus; und, da ihn auch der Wirt mit dem Rossolis zu vexiren [frotzeln] anfieng, vor dem er es bisher verborgen hatte, und nicht anders meinte, ich hätte seinen Fehler, und Gebrechen dem Hospiti [Wirt] entdecket; so fieng er, nachdem wir nach Hause kommen waren, auf die bitterste Art mit mir an zu expostuliren [sich beschweren]. Wir kamen hart an einander: ich mochte ihm gute, oder harte Worte, als Herr der Stube, geben, so war er doch so wenig zu besänftigen, daß er auch Mine machte, als ob er zum Degen greifen wollte, den er noch nicht von sich geleget hatte. Endlich fieng er schnell an zu schweigen, und nicht ein Wort mehr zu sagen, gieng tiefsinnig in der Stube herum, und legte sich endlich, ohne mir gute Nacht zu geben, zu Bette. Ich[112] hatte sein vindicatifes und rachgieriges Gemüte schon ziemlich bei anderer Gelegenheit kennen gelernet, und wußte wohl, daß solchen Avanturiers nicht viel zu trauen. Weil mir die Sache sehr verdächtig vorkam, so nahm ich etwan eine halbe Stunde darnach, ehe ich mich auch niederlegte, meinen, und seinen Degen, die wir in einen gewissen Winkel ordentlich [gewöhnlich] zu legen pflegten, und versteckte sie auf dem Simmes hinter die Bücher, so leise, daß er in der [Schlaf-]Kammer nicht merken kunte, was ich machte. Nachdem ich mich niedergeleget, nahm ich wahr, daß er noch nicht schliefe. Ich aber fieng an zu simuliren, und tat, als ob ich in den tiefsten Schlaf gefallen wäre. Etwan eine Viertel-Stunde war es, daß ich mich also verstellet hatte; siehe, so stund mein sauberer Pursche auf, schliech ganz sachte gegen die Kammer-Türe zu, die wir des Sommers offen ließen. Weil es mitten im Sommer, und unsere Stube im dritten Stocke gegen Abend lag, so schimmerte der Tag die ganze Nacht durch. Ich schnarchte immer fort, machte aber dabei ein Auge auf, um zu sehen, ob er etwan die Bein-Kleider angezogen. Denn weil er auf mein Bette zukam, und stille stund, ohne Zweifel zu sehen, ob ich feste schliefe, so fürchtete ich, daß er mir nicht etwan mit einem Messer einen Stich versetzte. Aber nein. Er gieng in die Stube. Da war nun keine Zeit zu verweilen. Ich tat beide Augen auf, und sahe, so viel als ich sehen kunte, was er da machen wollte. Er gieng überall herum, suchte in allen Winkeln, hinter dem Ofen, hinter dem Tische. Ich kunte leicht merken, was er suchte, und dachte: Hier ist nicht Zeit lange zu warten, und zuzusehen; Sprang also aus dem Bette heraus, und fuhr ihn mit der größten Furie an: Kerl was suchst du, sprach ich, ich glaube der Teufel reitet dich, daß du den Degen suchst, und willst mich umbringen. So wenig Herz ich sonst in der Jugend gehabt, wenn ich mich mit jemanden schmeißen [raufen], oder an jemanden die Hand legen sollen, so fehlte es mir jetzt weder an Leibes- noch an Gemüts-Stärke. Ich schlug ihn mit der geballten Faust in die Augen, und wohin ich kommen kunte, und stieß ihn endlich im Grimm zur Kammer hinein, daß ich nicht anders meinte, er würde den Hals brechen. Ich brachte die Nacht ohne Schlaf zu, des Morgens aber mußte er von Stund an aus dem Hause, und von meiner Stube, und drohete ihm, daß ich wider ihn bei dem Concilio denunciren wollte, wo er nicht gienge. Er hat mir nach der Zeit selbst gestanden, daß er willens gewesen mich umzubringen, und viel Freude bezeiget, daß solches nicht geschehen.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 110-113.
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