Anno 1704
§ 55

[134] Der Georgii Tag [23. April] fiel dazumal in die Messe, oder wohl gar in die Zahl-Woche. Ich sehnte mich, daß die Messe bald möchte ein Ende haben. Das Lärmen, und Wemmern der Leute zu solcher Zeit ist einem Melancholico und Angefochtenen höchst zuwider. Wo ich speisete, kunte man kaum sitzen vor der Menge der Meß-Leute, und es wurde mir oft so angst, und so heiß um den Kopf, daß es nicht viel fehlte, daß ich nicht zu schreien anfieng. Denn gleichwie ein Studirender nicht wohl meditiren kann, wenn Leute, welche lärmen, reden und turniren [toben], ihm den Kopf voll machen: also ist es nicht Wunder, wenn angefochtene Menschen, die mit Sünde, Tod und Hölle ringen, gleich den Melancholicis, gerne alles um sich ruhig[134] und stille haben wollen. Denn sie haben gar zu viel zu meditiren, und zu sorgen, wie sie ihre Dinge mit Gott ausmachen, und ihres Jammers los werden wollen. Bei den Sterbenden habe ich dergleichen auch wahrgenommen; und mag manchem da wohl ein schlechter Gefallen geschehen, wenn ihm der Prediger eine Stunde lang vor prediget, und den ohnedem schon matten Kopf noch müder macht, so daß ein gutes, und moderates [maßvolles] Gespräche alsdenn leicht mehr ausrichten dürfte. Aus Begierde die Grillen zu vertreiben, wenn ich meine damals so ängstliche Gedanken also nennen darf, gieng ich zur Rector-Wahl. D. Bohn, der Professor Medicinæ, war ein scharfer [scharfsinniger], und beredter Mann, und von großer Autorität. Als er dem vorigen Rectori zu Niederlegung seines Rectorats gratulirte, und seinen Consens, ut Secessus Nationum fieret, gab, hielt er eine bewegliche [bewegende] Rede, und ermahnte die Nationen, daß sie ein taugliches Subjectum, und kein Kind zum Rectore erwählen wollten, applicirte [zog ... heran] noch dazu die Worte der Schrift: Wehe dem Lande, dessen Fürst ein Kind ist [Pred. 10,16]. Ich wußte nicht, was das zu sagen hätte, worüber auch viel andere erstauneten, wurde es aber gar bald durch die drauf erfolgte Wahl gelehret. Ich kam in die erste Wahl; und so sehr ich mich sperrete wegen meines kränklichen Zustandes, den ich vorschützte, so mußte ich doch drein willigen. Nach meinem Erachten hatte der Professor Medicinæ nicht Ursache durch seine scharfe Rede derjenigen Wahl, die er leicht vorher sahe, sich zu widersetzen; denn sie fiel auf den höchst berühmten Doctorem Theologiæ, Gottfried Olearium, der in Wahrheit kein Kind mehr, sondern ein Mann von 33 Jahren war, in welchem Jahre Lutherus die Reformation anfieng, und die größten Helden auf Erden schon große Dinge getan haben, und zu welcher Zeit auch Gelehrte schon ihre Erudition, und Klugheit vielfältigmal zur Genüge gezeiget haben. Ich sahe nicht nur, sondern ich wußte vorher apodictice [sicher], wen die Wahl treffen würde, welches die andern nur glaubten. Und dieses, so bald ich mit andern hinauf kam, und wir zu unserm Vorhaben schreiten sollten. Rate, wie das zugegangen. Denn das unterstehe ich mich nicht dir allhier zu sagen, ob es wohl eben niemanden nachteilig sein könnte; mündlich könnte ich dir den artigen Zufall erzählen, der mir damals begegnete. Niemand schien weniger mit dieser Wahl zufrieden zu sein, als der damalige Herr Superintendens, Herr D. Ittig; denn bei dem damaligen Terministischen Streit mit Herr D. Rechenbergen beschuldigte[135] er diesen der Falschheit und der Verstellung, indem er versprochen, ihm das Votum zu geben, welches er doch hernach dem jüngern Doctori Oleario gegeben hätte; und hingegen führte der Herr D. Rechenberg dieses, als eine Haupt-Ursache des Hasses und Eifers an, den der Herr D. Ittig in Schriften, und in der damaligen Controvers wider ihn spüren ließe.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 134-136.
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