Anno 1704
§ 57

[139] Doch meine Plagen waren damit noch nicht alle, sondern es war noch die Spitze, und der höchste Grad der Anfechtung zurücke. Nun folgten auf die mörderischen, und unflätigen Gedanken die Gottes-lästerlichen Gedanken. Es fand sich im Herzen wie ein heimlicher Grimm gegen Gott, daß ich selbst nicht wußte, ob es mein Ernst wäre, oder nicht. Ein kleiner Trost, der dabei noch übrig blieb, war, daß ich mich darüber entsetzte,[139] und wünschte, daß dieser Grimm mit allen lästerlichen Gedanken wieder vergehen möchte. Doch, das geschah nicht bald, sondern es währte wohl bis 3 Wochen, daß mir öfters wider meinen Willen unversehens einfiel: Verflucht ist etc. so daß ich alles verfluchte, und verwünschte. Ich mag das Objectum dieser innerlichen Action nicht ausdrücken, um niemanden damit zu erschrecken, oder einem Schwachen einen Anstoß zu setzen. Die Imagination stellte mir diese Gedanken so lebhaftig in meiner Seelen vor, daß ich mir oft den Mund mit der Hand zuhalten mußte, damit mich das lebendige Bild nicht verleitete, die Lästerung auszusprechen. O eine große Pein vor meine Seele, wer kann solche mit Worten ausdrucken! Weil ich vielmal gehört, daß dieses die Verdammten in der Hölle einstens tun würden; so fieng ich an mich schrecklich zu fürchten, daß dieses nicht Vorboten der völligen Verzweifelung, und der ewigen Höllen-Pein sein möchten. Die Theologi reden hier, und da in ihren Schriften zwar auch von Gottes-lästerlichen Gedanken; aber wie ich angemerket, so gedenken sie nur insgemein einer niedrigen Staffel derselben, da etwan manchmal bei einem gläubigen Christen die Gedanken aufsteigen: Gott handelt wohl mit dir zu scharf und zu strenge, er muß wohl deine Not und Gebet nicht sehen noch hören: sollte denn Christus wahrhaftig wahrer Gott, wie der Vater, sein; und dergleichen Gedanken mehr, welche ihm gewisse Wahrheiten von Gott, seinem Wesen und Eigenschaften verdächtig machen wollen. Das ist aber alles noch leidlich, und wie nichts zu achten, gegen den hohen Grad, den ich dazumal von dergleichen Gedanken empfunden. Es kamen die Pfingst-Feiertage herzu. In Feiertagen, und um dieselben, sind die Anfechtungen insgemein am stärksten, weil die ordentlichen Berufs-Werke, nicht wie sonst, das Gemüte auf etwas anders lenken, sondern der Mensch an mehr geistliche Dinge zu gedenken veranlasset wird, so die Seele angehen; und auch wohl, weil der Teufel zu solcher Zeit mehr als sonst trachtet, solchen Christen ihre Freuden-Tage in Trauer-Tage zu verwandeln. Ich bereitete mich dazu, so gut ich konnte. Die Frühlings- und große Sonnen-Wärmbde vermehrte die Hitze meines Hauptes. Ich lief in der Angst nach Klein- und Groß-Zschocher, in Hoffnung, den obgedachten Wittich auszuforschen, oder zu erfragen, wo er hingekommen: ob er sich würklich ersäuft, oder ob er noch am Leben wäre. Denn es plagte mich schrecklich, daß ich den armen Menschen etwan durch meine Strenge zu einem solchem Tode sollte veranlasset haben; konnte aber von demselben keine[140] Nachricht einziehen, indem niemand von ihm etwas wissen wollte.

Ich geriet zur selbigen Zeit über mystische Bücher; (denn ohne die deutsche Theologie, welche ich, wie oben gemeldet, Anno 1699 jemanden lateinisch übersetzet, hatte ich noch keine andere, so viel ich mich besinne, gelesen) ich fand einigen Trost darinnen, weil sie gar sonderlich auf die Verleugnung aller Dinge, und auch so gar des göttlichen Trostes zur Stunde der Anfechtung dringen; daß ich aber hätte sollen auf die ewige Seligkeit renunciren [verzichten], und bereitwillig werden können, ewig verdammt zu sein, wenn es Gott haben wollte, das war eine zu hoch getriebene Lehre, die ich weder damals, noch nach der Zeit jemals meiner Seelen beibringen mögen. Ich merkte aber doch so viel, daß, wenn es möglich gewesen wäre, daß ich zu dem bereitwillig hätte sein können, wozu Ruysbroch und andere Mystici höchst bereitwillig sollen gewesen sein, wo sie vielleicht nicht etwan ihr eigen Herze betrogen, meines Erachtens bei mir bald alle Furcht, Angst, und Bangigkeit würde verschwunden sein, als welche die Höllen-Pein zum Objecto und zum Vorwurf [Thema] hatte. Die Andacht in den Feiertagen und in den Gottes-Häusern würde noch gut genug gewesen sein, wenn nur nicht gewisse vermaledeiete Gedanken, die vom Geiste Gottes mir einfielen, und die unfehlbar vom unsaubern Geiste herrührten, dieselbe geschwächet hätten. Nach den Feiertagen, weil ich kein Collegium [Kurs] bis Trinitatis wieder anfieng, und in der Angst herum lief, wußte ich kaum, wo ich vor Jammer und Seelen-Not bleiben sollte. Wenn die Angst, und das Herz-Drücken am größten, so fiel mir zuweilen wider meinen Willen schnell ein: Je, wenn du nur schon in der Höllen wärest, so wüßtest du doch, wie viel es wäre, was du jetzt noch zu fürchten hast; welches derjenige Einfall ist, der unter allen andern meiner Seelen am wehesten getan hat. Freitag, oder Donnerstag vor Trinitatis, ehe ich einschlief, kriegte ich einen lebendigen Eindruck vom höllischen Feuer, dessen ich mich nicht erwehren konnte. Es schiene, als ob ich nichts als lauter Feuer um mich sähe; und, da es mir vorkam, als ob nun die Glut um und um, und über mich zusammen schlagen wollte, so fieng ich an zu schreien: O Jesu hilf mir, nun ist es Helfens-Zeit. In dem Augenblick aber fiel ich in den tiefsten Schlaf, und ich nahm es, da ich wieder erwachte, vor eine handgreifliche Hülfe Gottes und Merkmal an, daß mich Gott noch nicht ganz verworfen hätte. Inzwischen ließ ich nicht ab, Gott inbrünstig im Gebet, obwohl[141] mit beklemmtem und hartem Herzen, anzurufen, und nach meiner Erlösung zu seufzen. Ach mein Gott, sprach ich oft, wenn wird doch der Knabe kommen, und mir sein Stäbelein reichen, und mir aus der tiefen Grube helfen, aus welcher ich keinen Ausgang finden kann. Denn vor den Feiertagen träumete mir einstens zur Nacht, als ob ich in einer tiefen Grube steckte, und nicht die geringste Möglichkeit sähe, heraus zu kommen. In der Angst arbeitete ich, und kletterte bald hier, bald dahin, aber alles Bemühen war vergebens. Indem deuchte mich, als ob auf der Gruben, und am Rande ein kleiner schöner Knabe stünde, der mir ein Stäblein reichte, unter dem Scheine, als ob er mir damit heraus helfen wollte. Ach du armes Kind, fieng ich an, mit diesem Stäblein wirst du mich nicht heraus ziehen; ich würde dich eher zu mir herunter reißen. Er sagte aber: ich sollte mich nur anhalten, es würde schon angehen. Kaum hatte ich das Äußerste seines Stabes angerühret, und gefasset, so wußte ich nicht, wie mir geschahe; denn in dem Augenblicke befand ich mich außer der Gruben oben bei dem Knaben.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 139-142.
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