Anno 1683
§ 7

[25] Doch Kinder sind in solchen Jahren nicht nur der fürchterlichen und ängstlichen, sondern auch vieler freudigen Eindruckungen fähig, welche der Geist Gottes, den sie in der Taufe empfangen, durch Gottes Wort, durch Gebet und geistliche Lieder in ihren Herzen verursachet. So viel sie auch an ihrem Orte öfters schon Schmerzen, Krankheiten, Angst, Anfechtungen, und Leid haben: so werden sie auch in solchen frühen Jahren schon reichlich getröstet durch Christum. Das wiederfuhr auch mir. In eben diesem 6sten oder 7den Jahre meines Alters wurde ich einst in der Nacht mit erschrecklichen Träumen geängstiget. Da waren grausame Tiere, die mich zerreißen, abscheuliche Männer, die mich umbringen wollten, und andere entsetzliche Larven[25] [Gespenster] und Bilder mehr, mit denen ich fast die ganze Nacht gequälet wurde, dessen ich mich noch auf eine dunkele Weise, und nur wie im Traume erinnere, wie es dann auch nur ein Traum war. In dieser Not und Angst fieng ich an zu beten, und indem ich betete, kam es mir vor, als ob jemand die bekannten Worte aus dem Buß-Liede mit beweglicher Stimme sänge: Gott hat in seiner Hute alle, die er hat er weckt, erkauft durch Christi Blute, am Kreuze hoch ausgestreckt; welches mich damals in meiner Seele auf die kräftigste Weise gestärket und erquicket. Es sind diese Worte damals so tief in den innersten Grund meines Herzens gedrungen, daß sie noch bis auf diese Stunde ihre erste, und Seelen-stärkende Kraft behalten. Und wenn in meinem Leben zuweilen die Anfechtungen die höchste Staffel erreichet haben, und in solcher Not Gottes Tröstungen eben so groß, als zuvor die Angst gewesen, und Gott die Freude des Heiligen Geistes Strom-weise in mein Herze ausgegossen, so habe ich um ein leichtes unter andern Worten, die ich, oder Gottes Geist durch mich meiner Seelen zugeredet, auch voll lebendiger Zuversicht und Hoffnung der Seligkeit ausgerufen: Gott hat in seiner Hute alle, die er hat erweckt etc.

Eben dergleichen, und zwar noch in einem höhern Maße ist mir im 19. Jahre meines Alters mit den Worten begegnet, so aus dem bekannten Sterbe-Liede, Ich habe meine Sache Gott heimgestellt, genommen: Meinen lieben Gott von Angesicht, werde ich anschauen, dran zweifle ich nicht; dessen ich besser unten mit mehrerm gedenken will. Ob ich schon dazumal, was das erstere Lied anbetrifft, nur im 6sten Jahre meines Alters ohngefähr war; so waren mir nicht nur aus diesem langen Liede schon einige Verse bekannt, sondern ich konnte auch schon als ein Knabe ganze geistliche Lieder auswendig. Denn das muß ich meinen Eltern zum Ruhme nachsagen, daß sie Gottes Wort reichlich unter uns wohnen ließen, und mit täglichem Beten und Singen unser Haus einer Kirchen ähnlich machten. Wir sungen des Morgens, ehe wir in die Arbeit giengen, des Mittags nach Tische, insonderheit des Sonntags, des Abends, ehe wir zu Bette giengen; am allermeisten des Winters, wenn die Abende lang sind. Ich mußte auch des Abends, so bald ich fertig [gewandt] lesen kunte, meinen Eltern und Geschwistern aus der Bibel, oder aus einem andern geistlichen Buche, v.g. aus einem Martyr-Buche oder auch wohl aus einem historischen Buche etwas vorlesen. Hatte ich in die Schule etwas auswendig zu lernen, oder zu schreiben, so lasen meine ältern Brüder, wenn der Berufs-Arbeit[26] nicht viel war, in Arnds wahren Christentume, Lüttkemanns Vorschmack göttlicher Güte, oder in andern Büchern, den andern, so arbeiteten, zur Erbauung, ehe sie schlafen giengen, etwas vor. Wenn wir auch nicht stets alle beisammen, sondern die Mutter, und ich nur allein zu Hause waren, so sang sie bei aller ihrer Arbeit und häuslichen Verrichtungen: v.g. bei dem Kochen, bei Fütterung des Viehes; und war sonderlich des Abends bei Beschickung [Versorgung] des Viehes ihr Leib-Lied: Ich danke dir Gott von Herzen, daß du an diesem Tag; und wenn sie auf die Worte kam: Noch meinem Vieh was schade, es sei groß oder klein, und ich solches mit anhörte, gedachte ich an meine Tauben, und schloß solche nach meiner damaligen Einfalt ins Lied mit ein; denn der Marder hatte mir einst ein Paar vortreffliche Drommel-Tauben samt den Jungen gefressen. Ich bin noch bis diese Stunde diesem Liede gewogen, ohne Zweifel wegen des tiefen Eindrucks, den es in der Jugend bei mir gemachet.


Anno 1685

Diese löbliche Weise meiner Eltern und Haus-Gottesdienst bewegte einst ein katholisches Weib eines Soldaten, der bei uns 14 Tage im Quartier lag, daß sie sich zu unserer Religion wendete. Ich wünschete, daß alle Eltern dergleichen täten, und ihre Kinder auch schon bei ihren zarten Jahren, und so bald sie an himmlischen und göttlichen Dingen einen Geschmack zu bekommen fähig sind, zum Beten und Singen, und zur Kirchen und Schulen anführten; wie man denn in diesem Stücke meiner so wenig schonete, so daß ich auch so gar im Winter, wenn es auch Keulen [Kugeln] geschneiet hätte, in die Kirche, Schule, und in die Catechismus-Examina gehen mußte. Es ist nicht zu sagen, wie viel Gutes dadurch in die Herzen der Kinder geleget, was vor angenehme und liebliche Empfindungen himmlischer Dinge ihnen beigebracht, und was der Glaube, Liebe und Freude zu Gott in solchen zarten Seelen vor tiefe Wurzeln schlage; so daß sie weder Welt, noch Teufel hernach in ihrem Leben ganz wieder tilgen und ausreißen kann. Und sollten dergleichen Kinder, wenn sie groß werden, auch auf eine Zeit lang von der Welt verführet, und elende Sklaven der Sünde werden; die Gnade des Heilgen Geistes, so ihnen durch solche Auferziehung ein weich Herze gemacht, wird die Sünde nicht lange bei ihnen walten und herrschen lassen. Der Geist Gottes darf sie nur erinnern alles dessen, was sie in der Jugend gehöret, gelesen, geschmecket[27] und gefühlet, so werden sie gar bald der Sünden überdrüssig werden, nach der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes [Röm. 8,21], welche sie ihrer Süßigkeit nach auch schon in der Jugend bei ihrer ersten Gottseligkeit nicht wenig empfunden, seufzen, und gar leicht, als verirrte Schafe zu ihrem Hirten Christo Jesu wieder bekehret werden [Matth. 18,12 f.]. Ich geschweige des Vergnügens, so Gott ihnen in ihrer Seele macht, nachdem sie wieder zu Christo bekehret worden, oder wenn sie gar ihren ersten Gnaden-Stand sorgfältig bewahret, und von der Welt und Sünde nicht geschändet worden. Denn es ist doch auf Erden keine größere Erquickung, die mehr nach dem Herzen greift, und keine Freude größer, empfindlicher [stärker] und lieblicher, als die, welche auf Gott, und himmlische Dinge gerichtet ist, und aus dem Genuß derselben entstehet. Ich habe alles auf der Welt gekostet und erfahren: Ehre, Reichtum, Wollust [Freude]; und, so ja ein anderer weit mehr als ich empfunden, so kann ich leicht aus dem wenigen, was mir zu Teil worden, auf das vollkommene Maß des Genusses der Güter dieser Welt [1. Joh. 3,17] durch Hülfe der Imagination und Einbildungs-Kraft einen Schluß machen. Ich würde aber wider meine eigene Erfahrung und Gewissen reden, wo ich die irdische Freude der himmlischen gleich schätzen wollte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 25-28.
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