Anno 1705
§ 79

[211] Auch bei dem Herrn Inspector Neumann hatte sich die Sonne und ehemalige Gunst und Zuneigung gewendet, die er in großem Maße, da ich noch ein Gymnasiaste war, gegen mich gehabt hatte. Er hatte sich allzu leicht durch das Vorurteil anderer einnehmen lassen, daß ich unus ex illis, und einer aus denselben wäre, vielleicht weil er es gewünscht hatte, daß ich es sein möchte. Da ich kaum ein und das anderemal geprediget hatte, so fieng ein Gerüchte an zu circuliren: ich wäre ein anderer [zweiter] Neumann, ja ich überträfe ihn noch; denn Herr Neumann wäre bei seinem arguten Stylo [geistreichen Stil] gar zu gelinde, und greife das lasterhafte Leben der Menschen nicht genug an, weswegen ihn auch seine ehemalige Collegen vorlängst einen Zucker-Prediger genennet hätten. Dies mochte vor seine Ohren gekommen sein, und dadurch das Feuer seines Zornes wider mich sein angezündet worden. Denn wie mir hernach ein vornehmer Rat erzählete, so kunte er keinen leiden, der ihm nachahmte, oder ihm nachahmen wollte, und am allerwenigsten den, von welchem so gar die Leute das Urteil fälleten, daß er ihm in Predigten nahe käme; sondern druckte ihn auf alle ersinnliche Weise. Er, und Prof. Krantz kunten auch keinen leiden, der gelehrter, als sie beide, war; dannenhero sie sich allemal stark widersetzten, so[211] oft man einen ins Ministerium, oder ins Gymnasium vociren [berufen] wollte, der sie an Erudition zu übertreffen schiene. Man war einstens so gar gesonnen, den jetzigen Herr Hof-Rat Wolff, der damals als Magister legens hier in Leipzig wegen seiner Mathesi [Mathematik] schon in Ansehen stund, zum Professore ins Gymnasium Elisabethanum zu vociren, welche Vocation er gerne würde angenommen haben; aber der Herr Inspector und Herr Krantz arbeiteten mit Händen und Füßen, daß er es nicht würde. Der Herr von Burgsdorff, der selbst ein guter Mathematicus war, stach im Consess [Sitzung] bei dem Concilio Scholastico [Schulversammlung], als solches gehalten wurde, dem Herr Inspector den Schwer [Geschwür] auf, und sagte: Er wüßte wohl, was die Ursache sein würde, warum man sich seiner Vocation so opponire; er wolle es mit wenigen [kurz] sagen: Der Herr Wolff sei gar zu gelehrt. Was sonst der Herr Inspector im Consess wider die Wahl des Herrn Hof-Rats Wolffes dazumal mag eingewendet haben, kann ich leicht erachten aus dem, was er mit mir redete, als ich ihm in diesem 1705ten Jahre das erstemal meine Aufwartung machte. Er kam im Discurse mit mir unter andern auch auf Herr Wolffen, der dazumal, wie gedacht, noch zu Leipzig war, zu reden. Um Gottes willen, fieng er an, was macht doch der Mensch draußen? Er ist ja ein purer Spinoziste. Er hat mit mir zu correspondiren angefangen, und, da wir einmal mit einander auf den Spinozam zu reden gekommen, so will er ihn mit aller Gewalt excusiren: er soll kein Atheist sein, sondern überall recht haben, oder zu entschuldigen sein.

Mich aber wollte der Herr Inspector in demselben Jahre zum Stengeristen machen, sobald er mich das erstemal predigen gehöret hatte, weil ich etwan gesaget, daß die vielfältigen Wiederholungen der Buße der rückfälligen Sünder, die sich die Welt-Kinder wohl etliche hundertmal im Leben zu tun einbildeten, und die unzähligen Veränderungen des ganzen Herzens moraliter unmöglich wären. Zwar war seine Zukunft [Eintreten] in das Zimmer, in welchem er mir nach gehaltener Predigt in seinem Hause Audienz gab, noch ziemlich sanftmütig. Was er wegen Wiederholung der Buße gedachte, geschahe alles nur in Freundlichkeit, und gleichsam aus alter Liebe mich zu warnen, daß ich mich in folgenden Predigten in acht nehmen sollte. Aber die andere war desto schrecklicher, bei welcher ich mein Abschieds-Compliment aus Breslau machen wollte. Mein Applausus war nach der Zeit immer größer, und folgentlich mochte auch sein Neid stärker,[212] und der Ofen seines Zorns siebenmal heißer geworden sein. Er sahe aus, wie mein ärgster Feind, da er ins Zimmer hinein kam, in welches man mich geführet hatte. Ich redete, ich complimentirte, ich flatirte [schmeichelte]; er aber grunsete, murmelte, und wußte nicht, wie er sich ouverture zu seinem Vorhaben machen sollte: recht so, wie jenes Weib, welches Gäste bekam, die Anfangs sagten, sie hätten schon gessen, und darnach doch endlich, da sie zum Essen genötiget worden, erbärmlich zufraßen etc. Just so machte er es mit mir. Der Herr hat sich schrecklich prostituiret [bloßgestellt], brach er endlich heraus, er hat Dinge geprediget, daß einem beide Ohren gellen möchten: er hätte es uns sagen sollen, daß er ein Terministe sei. Ich kunte nicht zum Reden kommen, sondern hielt gedultig das erste Feuer aus, wie die Schweden bei Bindschoff; darnach aber avancirte ich, faßte einen Mut, und gieng ihm gladio oris [mit dem Schwerte der Rede, Offb. 2,16] zu Leibe. Ich sagte ihm, was könnte ich davor, daß hier unter den Candidaten, und denen, die seine Postträger würden, solche Ignoranten wären, und den Terminum Gratiæ cum termino Salutis humanæ confundirten [den letztmöglichen Termin für die Gnade mit dem letztmöglichen Termin für das menschliche Glück verwechselten]: ich hätte in der Kirchen zu St. Maria Magdalena nicht den Terminum Gratiæ [den letztmöglichen Termin für die Gnade], sondern felicitatis humanaæ defendiret [für das menschliche Glück verteidigt], und eben das geprediget, was Herr D. Neumann in Wittenberg in der Disputation de Mensura peccatorum impleta vorgetragen. So sollte ich solche Teufeleien weglassen, versetzte er, die nicht jedermann verstünde. Und das war der letzte Schlag von diesem grausamen Ungewitter. Denn nachdem ich geantwortet und repliciret, daß man dergleichen einem Candidaten nicht verargen könnte: man käme ja von der Universität nach Hause, daß man sich recommendiren und zeigen wollte, daß man etwas gelernet; so klärte sich der Himmel seines Antlitzes mit mähligem wieder auf.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 211-213.
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