Vorwort.

Ich begreife vollständig, wenn man beim Anblick dieser Blätter sich fragt, wie ich dazu komme, meine »Erinnerungen« zu schreiben und der Öffentlichkeit zu übergeben. Mein Name wurde zwar in den Berliner Zeitungen der Jahre 1848 und 1849 häufig genannt, ich stand dort kurze Zeit im Vordergrunde der großen Bewegung, aus welcher schließlich nach gewaltigen Kämpfen Neu-Deutschland hervorgehen sollte, ich war namentlich einer der Gründer und Leiter der damals entstandenen, jetzt mächtig auftretenden Arbeiterpartei. Ich gehöre jedoch in Deutschland schon lange zu den Verschollenen, sogar Vergessenen. Weshalb aus dem Grabe wiedererstehen? Wesentlich nur aus dem Grunde, weil man jetzt die Geschichte des Jahres 1848 zu schreiben beginnt, weil andere mich ausgegraben, meine damalige Tätigkeit darstellen und beurteilen und dabei Wahres mit Falschem vermengen. Ein sozialdemokratischer Schriftsteller hat mich sogar zum Helden eines in Arbeiterblättern erschienenen Romans gemacht. Es werden alljährlich zum 18. März Erinnerungsblätter an das Jahr 1848 ausgegeben, in denen mit Vorliebe von mir in jenem Jahre gehaltene Reden oder Zeitungsartikel neu abgedruckt werden. Ich habe keinen Grund, den Inhalt jener Reden und Artikel jetzt zu verleugnen, ich könnte sie sogar heute noch unterzeichnen, obgleich ich in dem seither abgelaufenen halben Jahrhundert in mancher Beziehung ein anderer geworden bin. Das damals Gesprochene und Geschriebene ist mir das Zeugnis einer unverkennbaren Einheit in meiner Gesamtentwicklung.

Es ist nicht eigenes Interesse, das mich dazu führt, richtig zu stellen, was in unrichtiger Kenntnis der Verhältnisse und in völliger Unkenntnis meiner Person da und dort in neuester Zeit von mir gesagt und auch gefabelt worden ist. – Was liegt an einem einzelnen, an einer kleinen Schraube in dem großen, geheimnisvollen Schiffe, welches der Menschheit Geschicke durch aller Zeiten Ozeane trägt? – Ich schreibe vielmehr, um etwas Licht zu verbreiten über Menschen und Dinge, die ich in jenen Bewegungsjahren genau kennen[5] gelernt, um einem bescheidenen Beitrag zu liefern zur Geschichte des Werdens einer neuen Zeit, und damit auch die Legendenbildung, die schon in voller Tätigkeit ist, einigermaßen zu stören, wenn es auch unmöglich ist, sie ganz zu verhindern.

So weit es sich machen ließ, habe ich für meine Darstellung die Form leichter Unterhaltung gewählt. Es schien mir diese Form dem Zwecke am besten zu entsprechen, den ich im Auge hatte. Ich habe in diesen Aufzeichnungen das nur berücksichtigt, was Beziehungen zum öffentlichen Leben, zu den Kulturzuständen der Zeit hat, von der ich spreche. Meine ausführliche Biographie zu geben, dazu fehlt mir die Berechtigung.

Basel, im Januar 1898. B.

Quelle:
Born, Stephan: Erinnerungen eines Achtundvierzigers. Berlin, Bonn 1978, S. 5-6.
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