Seine letzten Zeilen.

[30] Wohlgeborner Herr!


Nehmen und betrachten sie mich als einen reuevollen begnadigten Sünder, wenn Sie diese meine letzten Zeilen lesen. O Er hat mich ganz als sein Kind angenommen, der göttliche, allliebende und liebevolle Erlöser. Er erhalte Sie, Ihre liebe Schwester und alle die Ihrigen noch lange bei guter Gesundheit für das Wohl der Menschheit.

Nun ist meine Bitte noch diese für den guten christlichen Menschenfreund, der mir so treulich und liebevoll meine Lage, so viel als er konnte, erleichtert hat. Dieser, Namens P ...., der in meiner Stube liegt, den Sie schon einigemal beschenkt haben; bitte, bitte, ihn zu bedenken.

Grüßen Sie meinen Bruder!

Dort, mein lieber Seelen-Retter! sehen wir uns wieder.

A. Busch.

Charité,

den 6ten Juni 1829.


* * *


Das war sein Letztes und am folgenden Morgen starb er. Man weiß keine Aeußerungen mehr von ihm, er lag immer stille da, und auf einmal flog schnell sein Geist davon, in die Hände dessen, der ihn aus lauter Gnade, wie einen Brand aus dem Feuer, gerettet, und mit seiner heiligen Liebe erfüllt hat. Jeder, der da gelesen hat, muß bekennen: wahrhaftig, hier, wo die Sünde mächtig war, ist die Gnade noch viel mächtiger geworden. Wahrhaftig, wird ein Anderer sagen: dem wurde viel vergeben, darum liebte er so viel. Jeder muß da anbeten, loben und preisen unsern Erbarmer, durch dessen Gnade aus einem Straßen-Jungen, aus einem Verbrecher und Uebelthäter, der sein Leben unter den schlechtesten, abgefeimtesten Menschen, in Zuchthäusern zugebracht hat, ein solch brünstig liebender[30] und erleuchteter Christ geworden ist. Wie wenig Hülfsmittel standen ihm zu Gebot! wie allein und verlassen war er größtentheils! Ja welches Hindernisse, Aergernisse, Widersprüche und Anfechtungen, die theils aus allen seinen Umgebungen, theils aus seiner früheren Lebensart hervor gingen, hatte er zu überwinden. Wie selten wurde ihm ein christlicher Umgang und Zuspruch zu Theil: und doch wie voll ist sein Herz, wie überströmt sein Mund, wie gesalbt seine Feder, wie dankbar, wie demüthig, wie herzlich sein ganzes Wesen.

Nun lieber Leser! denk an Dich, und vergleiche Dich und Deine Lage mit ihm und mit seiner Lage. Was hat Gott schon an Dir gethan? Welche Gnaden, welche Gelegenheiten, welche Hülfsmittel, welche Aufforderungen, welche Gaben hat Er schon an dich gewandt? Gewiß tausendmal mehr als Er diesem brennenden Busch zu Theil werden ließ. Ein kleines Fünklein, das ihm nahe kam, hat ihn gleich so entzündet, und zu einer auflodernden und hell leuchtenden Flamme gemacht und so erhalten, bis an sein Ende. Wo ist das Feuer Deiner Liebe? Wo die Früchte der Gnaden und Gaben, die Gott Dir mitgetheilt hat? Wie hart, wie beschwerlich hatte es sein äußerer und innerer Mensch, fast immer in Zuchthäusern unter Züchtlingen und Verbrechern, und die letzten Jahre ununterbrochen im Krankenhause, meistens unter Gott lästernden, ruchlosen Menschen zu leben. Und doch welche Kindlichkeit, Zufriedenheit Freudigkeit, Dankbarkeit, welch ein liebliches Licht der Gnade strahlt aus allein seinen Aeußerungen! Es sage ja keiner mehr: In meiner Lage, in meinen Umgebungen kann ich nicht besser werden. Du könntest wohl, aber du willst nicht. Konnte es dieser, warum du nicht? Deine Lage und Umgebung ist gewiß tausendmal besser. Und wäre sie tausendmal schlechter, so ist doch bei Gott kein Ding unmöglich: Gott kann an dir noch viel mehr thun, als Er an diesem lieblich-brennenden und leuchtenden Busch gethan hat. Er war ein stachlicher verderblicher Dornbusch, und was hat der Herr und sein Geist aus ihm gemacht! und unter welchen Umständen, in welcher Lage! an welchen Orten! Sollte Er an dir und aus dir nichts machen können? Da Er dich in eine viel bessere und günstigere Lage versetzt, und dir viel mehr Mittel und Gelegenheit zum Guten verschafft hat? Geh hin, du kalte, laue, träge Seele, du erloschene Kohle, und wärme dich an diesem glühenden Busch; aus welchem der Herr zu dir spricht und dich auffordert, Ihm dein ganzes Herz auch so kindlich hinzugeben, auch so zuversichtlich auf deinen Heiland zu vertrauen, Vergebung und Gnade von Ihm zu nehmen, und in immer neuer Liebe mit Ihm und in Ihm zu wandeln.

Man muß bei diesem Busch bekennen: es ist noch immer Gottes Weise, zu erwählen, was da nichts ist, auf daß Er zu Schanden mache, was etwas ist, zu erwählen, was thöricht, schwach und verachtet ist vor der Welt, Straßen-Jungen, Zuchthäusler, Herumtreiber, Diebe und Verbrecher, auf daß Er zu Schanden mache die Weisen, die Gebildeten, die Starken und alles, was hoch und gepriesen ist vor der Welt, auf daß sich vor ihm kein Fleisch rühme. 1 Cor. 1, 26–29. Der liebe Busch hat in seiner Jugend wenig[31] oder gar nichts Gutes gesehen und gehört, da er sich nur auf den Gassen umhergetrieben hat. Nur daran erinnerte er sich noch, daß ihm seine Mutter, die in ihrer Art fromm war, öfter zum Gebet ermahnte, ihn auch Gebetformeln lehrte, die er auch manchmal gesprochen hat, aber das eigentliche, wahre Gebet kannte er doch gar nicht. Wie es hernach mit ihm ward, da er in den Dienst trat, hat er aufrichtig erzählt, daß keine Spur des Guten an ihm wahrzunehmen war. Und doch hat ihn Gott erwählt, einen brennenden, glühenden, sanft und lieblich-leuchtenden Busch aus ihm zu machen, an dem sich nun durch seine Briefe, die ihm die lichthelleste und wärmste Liebe eingegeben hat, viele wärmen und spiegeln, und etwa ihr erloschenes Licht wieder anstecken können.


Auch ist an ihm wieder die alte Wahrheit neu geworden: daß Gott durch viele Trübsal ins Reich Gottes führt, und den Glauben, wie das Gold im Feuer prüft und bewährt, oder durch heiße Leiden vollendet alle die, welche Er berufen hat zu seinem himmlischen Reiche und zu seiner ewigen Seligkeit. Er ist es aber auch, der Kraft giebt den Müden und Stärke genug den Unvermögenden, daß sie auffliegen mit Flügeln, wie die Ädler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden. Jes. 40, 29.


Ihm sey alle Ehre und Lob und Preis, Anbetung und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen![32]

Quelle:
Busch, Heinrich Adolph: Selbstbekenntnisse eines begnadigten Verbrechers. Berlin 1830, S. 30-33.
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