die Unterhaltung.

[308] Sie muß in der deutschen Gesellschaft wohl eine noch größere Rolle spielen, als in der anderer Länder, da wir für den Genuß irgend eines Vergnügens kein anderes Wort haben. Der Engländer »enjoys himself«, der Franzose »s'amuse«; wir, ob es sich nun um ein Gastmahl, einen Ball oder eine Landpartie handelt, wir »unterhalten uns« gut oder schlecht.

In der That bildet das Gespräch die beste Würze einer geselligen Vereinigung, oder sollte sie doch bilden. Der Feinschmecker mag eine Gesellschaft der gastronomischen Genüsse halber besuchen, die Modedame, um ihre neue[308] Toilette zu zeigen; der gebildete Mensch aber verlangt in erster Linie, sich mit seinesgleichen über gemeinsame Interessen auszusprechen.

Indessen ist es etwas anderes, ob der Herr Professor in seiner Studierstube mit seinem Kollegen eine Unterredung hat, das junge Mädchen mit ihrer Freundin »ein Schwätzchen« hält, oder ob beide in Gesellschaft sich treffen und unterhalten. Die Unterhaltung ist, wie alles, was nicht direkt der Natur, sondern der Kultur entspringt, eine Kunst; sprechen kann jeder, der nicht stumm ist; aber wie?, was? und wann? man sprechen soll, das sind Fragen, deren Beantwortung erst das gute Sprechen oder die Kunst der Unterhaltung ausmacht.

Wie also sollen wir sprechen?

Vor allen Dingen richtig. Unsere liebe, schöne deutsche Sprache leidet unter dem Umstand, daß sie in den verschiedenen Gegenden unseres Vaterlandes sehr verschieden behandelt wird, und zwar nicht nur hinsichtlich der Aussprache, sondern auch des Ausdrucks. Die gute Gesellschaft aber kennt nur eine Sprache: das gute, reine Deutsch. Der Dialekt wird ja geduldet: wir lassen den Hannoveraner und Braunschweiger »s–tehen« und »s–tammeln«, den Schwaben »schtehen« und »schtammeln«, und den Mitteldeutschen einfach »stehn« und »stammeln«; aber wenn der Berliner »mich« etwas sagen, der Kölner mir »der Dom« zeigen will, oder der Sachse mir seine Verwunderung mit einem: »ich bitte Ihnen« ausdrückt, so habe ich ein Recht, dagegen, als eine Verunglimpfung der Sprache, zu protestieren. »Sprich, wie dir der Schnabel gewachsen ist«, sagt man wohl; wenn der Schnabel aber nun schief gewachsen ist, resp. der Mensch falsch sprechen gelernt hat, so soll er versuchen, ihn gerade zu biegen, ehe er besagten Schnabel aufthut.[309]

Und neben dem richtig Sprechen soll man sich auch das rein Sprechen angelegen sein lassen. Wir Deutschen haben von jeher eine Passion für Fremdwörter, besonders für französische Ausdrücke gehabt, und auch nach 1871 ist es, trotz Stephan und Kollegen, nicht gelungen, unsere Sprache ganz davon zu reinigen. Manche Benennungen nun haben sich so eingebürgert, daß wir sie getrost beibehalten mögen. Statt des »Friseurs« und »Raseurs« einen, »Haarkünstler«, einen »Bartscherer« zu verlangen, oder statt eines »Beefsteaks« ein »auf englische Art gebratenes Stück Ochsentummer«; »Sauce« und »Saucière« in »Brühe« und »Brühnäpfchen« zu verwandeln, beim Banquier die »Abschnitte« statt der »Koupons« einzulösen, seinen Brief in einen, »Umschlag« statt in das »Kouvert« zu stecken, und sich einen Roman aus der »Bücherei« statt aus der »Bibliothek« zu holen, der uns eine angenehme »Lesung« statt »Lektüre« gewährt, – das sind Verdeutschungen, die affektiert – ich bitte um Entschuldigung! – die gekünstelt klingen und deshalb besser fortbleiben. Dagegen ist es unnötig sich zu »echauffieren«, zu »ennuyieren«, zu »mokieren« und zu »chaperonnieren«; man braucht auch keine, »dekolletierten Taillen«, keine »Bracelets« oder »Colliers« zu tragen, und die »Passion« für, »Nippes« auf stilvollen »Verticos« hübsch »arrangiert« können wir ebenfalls nicht gutheißen. Für alles das und hundert andere derartige Ausdrücke liefert unsere deutsche Sprache passenden Ersatz.

Schlimmer aber noch als der Gebrauch der Fremdwörter ist der Mißbrauch, das heißt die falsche Anwendung derselben. Es ist merkwürdig, wie viele Menschen eine Leidenschaft für Fremdwörter haben, ohne die betreffenden fremden Sprachen zu kennen, wodurch sie sich die entsetzlichsten Verwechslungen zu schulden kommen lassen. Das weibliche Geschlecht besonders, das ja meist von der griechischen[310] und lateinischen Sprache, welche die Mehrzahl der gebräuchlichen Fremdwörter liefern, nur eine sehr blasse Ahnung hat, zeigt diese Vorliebe; es denkt, das klinge gelehrt oder vornehm. Statt dessen klingt es einfach lächerlich, wenn eine Dame einem Künstler sagt: es sei so interessant gewesen, daß er die Musikstücke in »nekrologischer« (statt chronologischer) Reihenfolge gespielt habe; wenn eine andere fragt, unter welchem »Synonym« (statt Pseudonym) jener Schriftsteller schreibe? oder die, »Entomologie« (statt Etymologie) eines Wortes zu wissen wünscht. Zuweilen wird auch nur in der Aussprache gesündigt: das »Roastbeef« macht man zum »Roßböff« (ich hielt es als Kind immer für eine Zusammensetzung von Pferd und Ochse!); eine Dame will auf dem Bahnhof lange auf dem »Baron« (Perron!) gestanden haben, eine andere erzählt, daß kein Herr die Gesellschaft ohne »chapeau klapp« besuchen dürfe. Solche Fehler klingen natürlich höchst lächerlich und lassen uns an der Bildung dessen, der sie begeht, ernstlich zweifeln.

Auch der Ton, mit dem man spricht, ist nicht gleichgültig. Mit Recht macht man uns Deutschen den Vorwurf, zu laut zu sprechen; die Franzosen, die Engländer sprechen weit leiser, und ich meine, wir dürften unsere Lungen auch etwas mehr schonen, unsere Nerven würden mit dabei gewinnen. Natürlich aber dürfen wir auch nicht so leise sprechen, daß die Deutlichkeit darunter leidet, oder der Zuhörer zu angestrengtem Lauschen gezwungen wird. Daß Flüstern, ins Ohr Sprechen allen Regeln des Anstandes zuwider ist, ebenso wie lautes über den Tisch hinüber Rufen, ist wohl jedermann bekannt.

Ferner sollen wir nie jemand, der mit uns redet, unterbrechen. Es ist eine häßliche aber leider ziemlich häufige Unart, den Leuten ins Wort zu fallen, und sie[311] wird auch nicht durch den Beisatz: »vergessen Sie Ihre Rede nicht«, entschuldigt. Höchst taktlos ist es auch, sich in die Unterhaltung dritter Personen zu mischen. Meine beiden Visavis oder Nachbarn (d.h. Nachbarn auf einer Seite, nicht links und rechts, denn von diesen wäre es sehr unhöflich, über mich hin zusammen sprechen zu wollen!) unterhalten sich über einen Gegenstand, der mich interessiert; ich werfe eine Bemerkung dazwischen: sie werden sehr verwundert aufblicken und berechtigt sein, meine Bildung in Frage zu stellen. Kann ich aber eine Frage, die andere in einem Gespräch aufwerfen, beantworten, oder einen Irrtum berichtigen, so thue ich das, indem ich um Entschuldigung bitte, daß ich mich in die Unterhaltung mische. –

Wissen wir nun, wie wir sprechen sollen, so stellt sich uns die zweite Frage: was sollen wir sprechen? dar.

Sie ist leichter negativ, als positiv zu beantworten. Hören wir ein wenig den Gesprächen in einer Gesellichast zu, so finden wir manches, das als abschreckendes Beispiel dienen kann. Jener Professor setzt den Zusammenhang eines deutschen mit einem griechischen Wort auseinander, das er bis in die Geheimnisse des Sanskrit hinein verfolgt. Seine Zuhörer sehen gelangweilt aus, einer hat sich bereits fortgeschlichen, ein anderer gähnt mit abgewandtem Kopfe; aber der Professor bleibt bei seinem Gegenstand, der ihn augenscheinlich lebhaft interessiert. Welche Anmaßung! denken wir; der Herr sollte seine gelehrten Vorträge doch für sein Kolleg versparen!

Dort jene ältliche Dame stellt eine Art Verhör mit ihrer Nachbarin an. Was für eine Geborene ihre Mutter ist? hatte sie nicht eine Tante beerbt oder wird sie noch beerben? Der Papa hat sein Haus verkauft; wie viel hat er wohl dafür bekommen? Und die Verlobung ihrer Cousine ist zurückgegangen, wer war daran schuld, sie oder der[312] Bräutigam? ... Das junge Mädchen antwortet ängstlich, einsilbig, es ist ihr peinlich, so ausgefragt zu werden, aber sie wagt nicht, die Antwort zu verweigern. Eine ältere Person würde sich wahrscheinlich erheben und den »Großinquisitor« mit seiner Neugier allein lassen.

Andere wieder begehen die Taktlosigkeit, in Gesellschaften mit den Gästen von Geschäftssachen zu sprechen. Der nimmt den Arzt beiseite und fragt ihn um seine Ansicht über irgend einen Krankheitsfall; jener erzählt einem Advokaten seinen Prozeß, und ein dritter gar fragt einen Kaufmann nach dem Preis einer Ware. Alle solche Fragen sind in Gesellschaften unzulässig; die Gäste stehen als solche auf dem Fuße der Gleichheit und wollen nicht an ihren Beruf, sei er ein hoher oder geringer, erinnert sein.

Am schlimmsten aber geht es in jener Ecke zu, wo einige Damen – junge und alte – die Köpfe zusammenstecken. Eine Skandalgeschichte wird da erzählt, und wehe den Personen, die darin verwickelt sind: ihr Ruf geht nicht unbefleckt aus der Attaque hervor! Dies ist die schlimmste Art der Unterhaltung, die da getrieben wird: der Klatsch! Gegenstand: irgend eine Schwäche, ein Fehler, ein Unglück der lieben Nebenmenschen, die dabei gar nicht als, »liebe« oder mit Liebe behandelt werden, sondern die man unter die Lupe der Mißgunst, der böswilligen Neugier stellt und mit jenem unbarmherzigen Mordinstrument: der scharfen Zunge, seciert. Ost ist es auch nur das Verlangen, etwas Interessantes zu erzählen, was den Klatsch hervorruft, oft nur Schwäche und Aengstlichkeit, welche die eine oder andere Zuhörerin verhindert, gegen diese Unsitte zu protestieren; immer aber ist und bleibt es eine Unsitte, ja vielleicht die schlimmste Unsitte, welche der Gesellschaft anhaftet, und sie sollte aus der »guten« Gesellschaft energisch verbannt werden.

Denn wer klatscht, ist weder gut noch selbst gebildet.[313] Er sucht einen Menschen in der Achtung anderer herabzusetzen: folglich ist er herzlos; er verbreitet einen von jenem begangenen Fehler, eine erlittene Niederlage: folglich ist er schadenfroh; er greift einen Abwesenden an, der sich nicht verteidigen kann: folglich ist er hinterlistig, feige! Wahrlich, wer die Geselligkeit in solcher Weise mißbraucht, sollte von ihr ausgewiesen werden; nur fürchten wir, wäre die Zahl derer nicht klein, an welchen diese Ausweisung vollzogen werden müßte!

Gelinder als der »Klatsch«, aber doch auch mit menschenfeindlicher Absicht, tritt der Spott auf. Jemand verspotten, sich über jemand lustig machen, gehört zu den beliebtesten Vergnügen vieler Personen, und zwar meist solcher, die an Geist keinen Mangel leiden. Jene vorhin gerügten und unbestreitbar lächerlichen Sprachfehler rufen ein Lächeln auf vielen Lippen hervor; aber der gutherzige Mensch wird es unterdrücken, während der spottlustige seinen Nachbar auf die »köstliche Dummheit« aufmerksam macht. Die wahre Bildung, welche ja die des Herzens mit in sich schließt, wird nie die Unbildung anderer zum Gegenstand ihres Vergnügens machen, sondern eher dem durch Stellung oder Erziehung weniger Begünstigten zu Hilfe kommen. Der Mensch, dem kein Gegenstand und keine Person heilig ist, wenn er einen Witz darüber machen kann, hat vielleicht im Augenblick die Lacher auf seiner Seite; aber später heißt es doch: er ging zu weit, wollte sich nur zeigen; und der bessere Teil der Gesellschaft wird ihn von vornherein tadeln.

Die Unterhaltung, wie sie sein soll, verträgt also keine Vorträge, keine indiskreten oder taktlosen Fragen, und besonders keinen Klatsch und Spott! Ebenso verpönt sind alle persönlichen Bemerkungen, und zwar die schmeichelhaften nicht minder, als die unangenehmen. Um jemand sagen zu dürfen: »wie wohl sehen Sie aus! welch' hübsche Toilette[314] Sie gemacht haben!« dazu muß man auf sehr vertrautem, eigentlich auf dem »du«-Fuße mit ihm stehen. Wer sich durch Komplimente beliebt zu machen sucht, bekundet einen geringen Bildungsgrad und setzt bei dem andern einen gleichen voraus, – nebst einer großen Portion Eitelkeit.

Willst du für einen liebenswürdigen Gesellschafter gelten, so sprich überhaupt nicht zu viel; die Kunst zu schweigen, gut zuzuhören, wird oft höher geschätzt, als die zu reden. In taktvoller Weise einen Gegenstand aufs Tapet bringen, der den andern interessiert, ihn zum Reden darüber anregen, durch Bemerkungen, Fragen unsere Aufmerksamkeit bekunden – das ist im allgemeinen die beste Art, jemand zu unterhalten. Natürlich darf ein solch' längeres Zwiegespräch nicht in einem kleinen Kreise stattfinden, wo eine allgemeine Unterhaltung am Platz wäre; da muß man versuchen, alle ins Gespräch zu ziehen, und solche Themata vermeiden, an denen nicht alle teilnehmen können. Die Wirte besonders haben darauf zu achten; sie werden sich nicht oft einem solchen Zwiegespräch hingeben dürfen, vielmehr nachhelfen, wo das Gespräch stockt, diejenigen hineinziehen, welche stumm dabei sitzen. Durch die Wahl der Gäste, durch die Plätze, welche sie ihnen anweisen, können sie einigermaßen auch für ihre Unterhaltung sorgen; erst dann wenn auch diese, das geistige Menü, ein schmackhaftes, gutes ist, werden die Gäste die Gesellschaft befriedigt verlassen.


Nächst der Unterhaltung sind es


Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 308-315.
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