I.
Mein Aufenthalt in Heidelberg, Aschaffenburg und Darmstadt.

»Gehen Sie nicht nach Heidelberg!« hatte der berühmte Arzt Koreff zu mir gesagt. »Heidelberg ist ein Zugnest und ein Klatschnest.« Diese Worte hatten gar keinen Eindruck auf mich gemacht, ich kannte diese Schattenseite in Koreff's Charakter. Wenn er übler Laune war, zog er auf alles los, was ihm unter die Hände kam. Ich ging nach Heidelberg. Ich hätte es nicht thun sollen, denn gerade ich paßte gar nicht dorthin. Ich war nach Jean Paul's Ausdruck in einem Briefe an mich nur aus einer großen Stadt in eine größere gezogen, nämlich von Berlin nach Paris. Nun war ich in eine recht kleine gekommen, die damals unbeschreiblich kleinstädtisch war, wiewol große Männer darin lebten und wirkten. Dennoch hatte einer der dortigen Professoren geäußert: Solchen Frauen, wie Amalie von Helvig, sollte man die Thore zusperren. Zu meiner großen Freude hatte ich diese dort angetroffen. Mehr noch that mir die Anwesenheit von Schiller's Witwe und Kindern wohl. Jene sagte unter anderm: in Heidelbergs Gegend könne ein wundes[3] Herz genesen. Sie errieth diese Wunden und berührte sie leise wie Maienhauch. Wir wohnten in demselben Gasthof und sahen uns oft. Sulpice und Melchior Boisserée mit ihrem Freunde Bertram suchten mich am Morgen nach meiner Ankunft auf. Karoline Rudolphi hatte ich für Pflicht gehalten, noch denselben Abend zu besuchen. Ich fand sie kränkelnd. Ihre Reise nach der Schweiz war ihr Tod. Sie, die Sechzigerin, war mit einem zwanzigjährigen Herzen dort gewesen. Die übermenschlichen Anstrengungen beim Bergsteigen zerstörten sie. Sie kam leidend zurück. Doch es hat etwas Schönes, wenn der Mensch für etwas Schönes stirbt. Ihre blühende Erziehungsanstalt gedieh fort unter der Leitung der Hofräthin Dapping und deren damals erst aufblühenden Tochter.

Am Tage nach meiner Ankunft fiel mir beim Umhergehen mit meinen Kindern ein großes alterthümliches Gebäude auf, welches die Stadt wie eine Krone schmückte. Vermöge meiner lyrischen Unbefangenheit war mir von Heidelbergs Schloß noch nichts bekannt geworden. Wir waren oben, ohne zu wissen wie, wir stiegen von Entzückung zu Entzückung. Im Schloßhof bemerkten wir einen jungen Mann auf einem Malergerüst. Er bemerkte uns nicht, bis mein kleiner Max unvermuthet zu ihm hinaufstieg und ihm zurief: »Monsieur, qu'est-ce que tu fais là?« Der Künstler wendete sich um, durch die Laute in seiner Sprache froh überrascht. Ihn funkelten ein paar himmelblaue Augen an, die größer schienen als der ganze Knabe; die blühende Schönheit des Kindes war ganz durchschimmert von Geist und Anmuth. Der Fremde schloß es in seine Arme und küßte sich satt. Die Bekanntschaft wurde nun bald angeknüpft, der Fremde erfuhr von mir, ich von ihm, was wir bedurften, um sie[4] fortzusetzen. Er war ein französischer Emigrant, Sohn eines Grafen und Gutsbesitzers aus der Champagne. Heidelbergs Reize hatten ihn hier gefesselt; er wollte von hier nicht scheiden, ohne sie in Bildern noch einmal geschaffen zu haben. Ueber dies Streben vergaß er die Schrecknisse der Revolution, die Trauer um den Königsstamm und die Zustände seines Heimatlandes. Heidelberg wurde ihm Heimat, Geliebte, Andachttempel, Paradies. Er konnte die Fülle seiner Schönheit nicht ertragen, ohne sie wieder auszuströmen, sie wollte ihm die Brust zersprengen. Durch den Zauber der Phantasie lebte ihm, blühte ihm in den prangendsten Farben alles, was er schwarz auf weiß dem Papiere gab. Jede seiner Zeichnungen war ein Daguerreotyp von Menschenhand, die Sonne konnte es nicht treuer und zierlicher ausarbeiten. Graf von Gramberg sowie die übrige Welt kannten damals die Lichtbilder nicht, aber wenn diese auch erfunden gewesen wären, glaube ich nicht, daß er der Sonne überlassen hätte, diese Bilder hervorzubringen, und er selbst hätte das gestalten wollen, was ihn so himmlisch entzückte.

Schloß und Garten zu Heidelberg waren damals reizender als jetzt. Ludwig Tieck behauptet, sie seien vor sechzig Jahren noch herrlicher gewesen, ehe Menschenhand daran gepfuscht. Gewaltige Baumgruppen, denen sich die Schärfe des Beils nie genaht, dicht und malerisch von Epheu umstrickt, breiteten ihren Schatten über den besonnten Rasen hin, den glühende Rosen schmückten, krönten die Häupter der Felsenhöhen und warfen ihren rosigen Blütenschnee über die schmalen Stege, die unregelmäßig und reizend durch die Wildniß des Waldes führten. Vereint mit dem Säuseln der Wipfel wogte der Neckar durch die Felsenzacken seines steinichten Bettes,[5] auf denen einzelne Waldblumen prangten, die dem Andrang der Wellen trotzten, lächelnd wie eine schlaue geliebte Schönheit dem rauhen Sinne des Mannes entgegensteht. In diesen Räumen hemmten oft riesenhafte Bäume, umstrickender Epheu, bemooste Felsstücke des Wanderers Fuß, gleichsam um ihn mit sanftem Zwang zum Verweilen zu bewegen, weil diese Stelle so schön sei, weil hier die Quellen lieblicher rauschten, die Durchblicke nach der Gegend und nach dem Schlosse die Gegend anmuthiger umzauberten. Die Ruine war wie mit einem Netze von breitblätterigem Epheu überzogen, wie aus Epheu erbaut. Die beiden Kurfürsten blickten nur schüchtern aus der Epheurankenumgebung von ihren Nischen herunter.

Der Oberforstrath Gatterer, ein wackerer, vielthätiger Mann, jagte die Phantasie aus ihrem Heiligthume fort, ebnete die Pfade, ließ unzählige Bäume weghauen, zerstörte den ganzen Zauber, der hier gewaltet hatte und der unersetzlich ist. Weg war nun die Harmonie der Anschauung und des Eindrucks unter dem Flickwerk des Modernen auf dem alten Prachtgewande der frühern Tage. In meinen Gedichten steht ein ganzer Lobgesang auf Gatterer's That, weil ich es nicht besser verstand und weil auch zu jener Zeit, wo ich Heidelberg zuerst erblickte, manche seiner prächtigsten Reize noch ungestört waren. Der Schloßgarten war der botanische Garten, wo Schelver früh morgens um Uhr die Studenten hinführte und sie belehrte. Der Neckar hatte noch sein Felsenbett, diese Aeolsharfe von Wellen durchrauscht, dies Labyrinth, durch welches nur die kundigsten Schiffer ihre Nachen lenken konnten.

Vor vielen Jahren war es dem edeln Karl Friedrich vorgestellt worden, daß man den Neckar schiffbar machen[6] müßte. Die Gründe waren alle sehr praktisch. Karl Friedrich willigte ein. Nun kamen aber die alten greisen Schiffer zum Markgrafen und stellten ihm vor, wie durch so viel Jahrhunderte hindurch die heidelberger Schiffer den Ruhm behauptet haben, den Reisenden und den Handelsmann gefahrlos durch die Klippen hindurch nach seinem Ziele zu führen und wie nun alle Schätze der Erfahrung, welche ihre Altvordern durch so manches Jahrhundert hindurch gesammelt und erprobt, weggeschleudert würden, wenn man die Felsen sprengte und den Neckar schiffbar machte. Karl Friedrich's Herz schlug für sein Volk. Er gab den Bittenden seine fürstliche Hand und verhieß Gewährung. Im Jahre 1811 fand ich den Neckar noch mit seinem Perlenscheine und seinen Hymnen, doch als ich manches Jahr später wieder nach Heidelberg kam, floß er flach und leise durch sein breites Bett, wie ein anderer Fluß oder wie ein Poet, der ein Zollbeamter geworden und keine Verse mehr macht. Auch die Felsen an seinem rechten Ufer waren ein großes Stück weit weggesprengt worden und auf dem gewonnenen Raume standen nun ärmliche Häuser, moderhaft feucht, wo die Armuth mit allen ihren Schrecknissen thronte. Auch Klein-Heidelberg auf der Höhe des ehemaligen Burgweges war zahlreicher als früherhin bewohnt von einem schmuzigen Volke, da es ehemals zwar ein Sitz der Armuth, aber nicht des scheußlichen Elends war. Aus dem Burggarten waren die schönen seltenen Pflanzen und Blüten, die Gatterer und Schelver dorthin verbreitet, weggerissen und statt der Felsenwölbung, in deren schattiger Nähe Sitze und Tische für Gäste standen, fand ich dort nun Restaurationen in unschönen Häusern, Tabagien und zweimal in der Woche eine greuliche Musik und ein gemischtes Publikum; statt[7] des reizenden Wegs, der durch Kornfelder, Weinbau und Obstbäume nach dem Klingelthor führt und dessen liebliche Krümmungen in Anmuth prangten, geht es nun durch die schnurgerade Leopoldstraße nach der großen breiten Chaussée hin, die nach Manheim führt.

Noch ein Werk der Zerstörung war damals im Anbeginn, ich weiß nicht, wie weit es gediehen. Karl Theodor hatte nahe dem Ausgange der Plöckstraße eine große Pflanzung errichten lassen, in deren Umfang eine schöne Quelle, von Ruhebänken umgeben, sprudelte. Sie bestand aus den seltensten Bäumen entfernter Zonen, die mit ungeheuern Kosten hergebracht und sorglich gehegt worden waren. Hier fand der Lustwandelnde Schatten, Kühlung und Düfte, die Kinder der Vorstadt hatten hier ihren friedlich gefahrlosen Tummelplatz, denn Reiter und Wagen durften nicht hinein. Die Pfründner des nahen Spitals ergingen sich gern unter den riesigen Bäumen.

Ein junger Dichter, Friedrich Müller von der Werra, kam eines Tags schmerzerfüllt zu mir und klagte über Meuchelmord an Bäumen, las mir auch eine kleine Schrift darüber; diese hatte er an ein Journal geschickt, welches sie ruhig liegen ließ; ich weiß nicht, ob sie seitdem irgendwo aufgenommen und ob noch ein Baum von jenen Prachtexemplaren des Arboretum grünt. Die Sache verhielt sich folgendermaßen: diese Baumpflanzung oder vielmehr dieser Lustwald stand aus verschiedenen Gründen, die nicht hierher gehören, zwei Bürgern im Wege; man durfte sie nicht weghauen lassen, wollte aber die Vertiefung, in welcher die Anpflanzung wuchs, mit der Leopoldstraße und der Plöck nivelliren. Man erlangte die Erlaubniß, diese Ebnung durch Ausfüllung von Erde, Steinen und Schutt zu[8] bewirken. Die Baumstämme wurden zu diesem Zweck umschüttet, viele derselben, die sehr tief in der Niederung standen, mußten es beinahe bis an den Wipfel werden. Man weiß, daß selbst die Wurzeln der Bäume einen leichten Boden bedürfen, sonst faulen und verdumpfen sie. Nach allen Voraussetzungen der Sachkundigen mußte die schöne kostbare Pflanzung früher oder später aussterben.

Ich halte nicht Blumen für schmerzenlos aus dem bloßen Grunde, weil sie nicht schreien können; es ist auch in mir manchmal der Zweifel aufgestiegen, ob sie nicht Augen haben sollten, denn was hätten sie begangen, um die schöne Natur um sie her nicht zu sehen? Die alten Völker hatten heilige Waldungen, heilige Bäume; den neuern ist weniges mehr heilig. Mir aber geht ein Schmerz durch die Seele, wenn ich Bäume verstümmeln sehe. Ich glaube mich auch nicht zu irren, wenn ich hier bemerke, daß es häufigere Erdbeben gibt und daß sich diese mehr über den ganzen Erdboden verbreiten, als vor der Ausrottung vieler Wälder, welche ehedem die Art verschonte.

Ich mußte eine Wohnung haben. Man wies mir eine im Burgweg bei der Kirchenräthin Ehrhard an und zwar im untern Stock, etwas dumpf und unbequem, dazu im Verhältniß sehr theuer. Als ich eintrat, sie zu besehen, traf ich zwei Herren, die sie eben verlassen wollten. Der eine, ein sehr junger Mann mit feinen Zügen, ausdrucksvollem Gesicht und funkelnden schwarzen Augen, der andere nicht mehr zu fern den dreißiger Jahren, nicht schön, aber mit sinnigem Blick und geistvollem Lächeln. Ein kleines aufgeschlagenes Buch zog meine Aufmerksamkeit an, es war betitelt: »Beatus und dreizehn Gedichte.« Ich fing sogleich an zu lesen, als[9] wäre ich zu Hause und hätte nichts anderes zu thun. Als ich einige Seiten herunter hatte, fing ich meiner Gewohnheit nach an laut zu denken, fragte: »Wer muß dies Buch geschrieben haben? Es ist nicht Ludwig, nicht Novalis, nicht Jean Paul, doch es spielt in den Farben dieser Meister.« Ich wollte mehr sagen, aber der ältere der jungen Männer unterbrach mich, sagend: »Es ist von mir, ich heiße Karl Thorbecke.« Da er meine Verlegenheit bemerkte, setzte er rasch hinzu: »Hier mein Freund heißt Leopold von Gerlach.« Bei diesen Worten fühlte ich eine süße Glut sich über meine Wangen gießen. »Ein Verwandter Adelheid's von Bassewitz?« rief ich aus. »O Gott, wie geht es der herrlichen Frau?« Ich erfuhr in wenigen, doch bezeichnenden Worten, daß sie glücklich, Mutter von fünf schönen Kindern sei, rastlos im wohlthätigen Wirken, heldenmüthig wie ein Mann beim Leidensbett verwundeter Krieger, sanft und zart wie ein Weib, wo es Pflege und Hülfe gilt. Ich begriff damals noch wenig, was es auf sich habe, Verwundete zu pflegen, doch die Barmherzigkeit meiner geliebten Adelheid that mir wohl. Ich hatte sie in allem Glanz der Schönheit, des Geistes, der Anmuth gekannt; nun strahlte mir ihr Bild beleuchtet von oben herab. Ich dachte an die Bergpredigt im Evangelium. Ich erstaunte nicht ob dem, was ich von ihr hörte, denn stets hatte mir ihre äußere Lieblichkeit als Pfand ihrer Seelenschönheit gegolten.

Meine neue Wohnung bezog ich mit dem angenehmen Gefühl, daß befreundete Geister dort gehaust. Es kam mir vor, als sei ich nicht in der Fremde. Der schöne Herbst begünstigte Ausflüge. Die beiden Freunde pflegten mich zu begleiten. Noch hatte ich wenig Bekanntschaften gemacht. Kirchenrath Schwarz, Paulus,[10] Schelver, die alten Freunde Boisserée und Bertram erheiterten zuweilen unsere stillen Abende. Meine preußischen Landsleute, Graf Paul von Haugwitz, Karl von Raumer, von Lamprecht u.a., alle geistvoll, ernst und wacker, suchten den Gram zu stillen, den ich nicht verhehlen konnte, wenn ich ihm gleich keine Worte gab. Meine freundliche Hausfrau hatte mich zuweilen in Thränen überrascht. Die Gäste erfuhren es von ihr, daß ich mich still und unaufhörlich härmte. Schwer war mein Schicksal. Blutarm war ich nach Deutschland gekommen. Ich war gewohnt, fleißig zu arbeiten, um durch den Ertrag die Haushaltung emporhalten zu helfen, denn Chézy bezog nur eine geringe Besoldung und seine Mutter war mit einem kleinen Vermögen, 1200 Francs Pension, Holz und freier Wohnung als Witwe geblieben. Seit 1798 war der Preis der Lebensmittel gestiegen, doch nicht die Einkünfte der Witwe. Ich mit monatlich 90 Gulden blieb dennoch getrosten Muthes, verließ mich auf Gott und meinen Fleiß. Mein Harm galt den Qualen eines ganz zertretenen Herzens. Nach und nach kam Trost von außen, doch der konnte mir nicht genügen. Ich habe auch mit Unrecht hier Trost genannt, was nur Zerstreuung war, was Wunden kühlte, aber nicht heilte. Lange Zeit hindurch beschäftigte mich wohlthuend das Studium der Gemäldesammlung der Boisserée'schen Galerie, ich lebte darin und wurde dort heimisch. Bertram ließ es sich sehr angelegen sein, mich in der altdeutschen und niederländischen Kunstgeschichte zu unterrichten und mir die Schönheiten der vorzüglichsten Gemälde dieser Sammlung einleuchtend zu machen. Meine Freunde Olivier hatten mir schon in Paris, als das berühmte Altarblatt von Danzig dort anlangte, tiefe und lichte Blicke in die Schönheiten der[11] alterthümlichen Kunstwerke erschlossen. Nun war ich an der Quelle und im Brennpunkt dieser Schätze, die vor dem Aufblühen der berühmtesten Meister der italienischen Schule entstanden waren und in herrlicher Färbung prangten, als man noch mit Eiweiß malte.

Ich schrieb über die damals noch wenig bekannte Sammlung, schickte mein Manuscript an La Motte Fouqué für seine »Musen«. Diese fanden kein großes Publikum. An ein Honorar war nicht zu denken. Einladungen in Almanache oder Zeitschriften einzuschicken, gelangten mir nicht zu. Artikel über Paris waren nicht zu schreiben, da ich nicht mehr dort war. Ich hatte nichts als die Poesie. Meine Lieder blieben in meinem Schreibtische. So blieb mir nichts übrig, als mich sehr einzuschränken, denn meine ersten Einnahmen von meinem Jahrgehalt aus Paris gingen für nothwendige Anschaffungen von Winterkleidung und Holz darauf. Auch für Reisekosten hatte ich noch Nachzahlungen zu machen und ein zehntägiger Aufenthalt im Gasthof war hoch gekommen, obwol wir die Speisen fast unberührt hinunterschickten. An der Gasttafel hatte ich als junge einzelne Frau mit Kindern nicht sitzen wollen. Der Gedanke wäre mir unerträglich gewesen, auf Chézy zu lasten; er erfuhr nicht, wie es mir ging. Aber den jugendlichen Muth können Geldsorgen wol trüben, doch nicht niederbeugen. Ich war arm geboren, arm aufgezogen und werde arm sterben. Ich glaube, die göttliche Vorsehung läßt aus weisen Absichten die Armuth Begleiterin des Dichterlebens sein. Sie ist eine unbekannte Sonne, bei deren umwölktem, aber kräftigem Strahl Gemüth und Geist sich reicher entwickeln. Jeder Kampf befeuert die Seele. Der Tatar läßt seinem Sohne seine Mahlzeit von einem hohen Baume herunterschießen. So thut[12] die Vorsehung mit dem Dichter und jeder Sieg über die Noth hat seine eigenthümliche Süßigkeit. Nur das Errungene erfreut eine thatkräftige Natur. Wenn ich sehe, daß ein Dichter, reich und vornehm geboren, herrliche Lieder singt, so denke ich mir jedesmal, wie so strahlender würde er noch sein, wenn er arm gewesen wäre. Viele der Mächtigen und Reichen auf Erden scheinen dieselbe Ansicht zu haben, denn wenige von ihnen helfen dem Dichter auf, wenn er darbt. Das Gold verhärtet die Gemüther, die Noth schärft die Thatkraft. Wäre unsere Zeit nicht die jammervollste und zugleich die üppigste, die es jemals gab, würden die Massen nicht aufgestachelt durch die Noth und zugleich durch die Begierde, Reichthümer zu erwerben, um mit zu genießen, wo der Reiche schwelgt, so würde der Mensch nicht so sinnreich sein, wie er's geworden ist. Es würde keine Dampfkraft, keine Eisenbahn geben, keine Electricität würde die Briefe beflügeln, keine Sphäre der menschlichen Wirksamkeit würde durch Mittel, die der Allmacht des Schöpfers abgelauscht scheinen, das scheinbar Unmögliche zur Wahrheit stempeln. Heinrich IV. steckte seinen Bauern Sonntags ein Huhn in den Topf. Seine Nachfolger nahmen die Eier dieser Hühner weg, sonst würden die Franzosen nicht geworden sein, was sie sind. Behaglichkeit ist eine Feindin des Geistes; doch ist auch die Noth eine Mutter der Verbrechen, besonders in unserer Zeit, und ich glaube, es dürfte die Stunde geschlagen haben, wo es Pflicht wäre, die hinsinkenden, darbenden Massen aus dem Schlamme des Elends herauszuziehen.

Im schönen badischen Lande war unter Karl Friedrich's musterhafter Regierung keine Volksnoth sichtbar. Wenn man am Sonntage lustwandelte oder über öffentliche Plätze der Städte ging, sah man die Landleute[13] stattlich geschmückt mit heitern Blicken in friedlichen Gruppen stehen. Jetzt, seit 20 Jahren, ist der Plüsch, der Manchester, das Rehleder, der Schmuck echter goldener Tressen u.s.w. verschwunden. Man sieht unscheinbare Kittel, schlechte Hüte und trübe Mienen. Auch ist aus den Kleidungen beider Geschlechter jede Spur einer Volkstracht verschwunden. Warum? Geht auf das Land, in jeder Hütte wird man es euch sagen; geht in die Behausungen der Großen und Reichen und fragt, ob deutscher Kunstfleiß sie ausschmückt, obgleich die trefflichsten Producte in den Ausstellungen von London und Paris aus Deutschland gekommen und obgleich man in den Werkstätten aller Länder und in allen Gattungen von Arbeiten in großer Zahl Deutsche thätig findet. O guter, deutscher Mann, nie wirst du Hammer werden, ewig Ambos sein, und doch bist du so tapfer als brav und treu. In der Wahl der Beamten für Landgemeinden wäre es wünschenswerth, ja nothwendig, daß eine strenge Auswahl getroffen würde. Es ist öfters der Fall, daß die auswärtigen Beamten die Eingeborenen verderben. Ich könnte hiervon viel Beispiele anführen, viel Gründe dafür aufstellen, doch ein Wink ist genügend.

Kehren wir zum schönen Heidelberg zurück, das in jener Zeit in mancher Hinsicht noch im Werden war. Berühmte Professoren besetzten die Lehrstühle. Studirende aus allen Klassen füllten die Hörsäle. Der Professor Zachariä kam mit seiner liebenswürdigen Frau aus Norddeutschland und unternahm ganz still, aber kräftig ein löbliches Werk, bei dessen raschem Gelingen es sich von neuem bestätigte, daß die frische Jugend empfänglich für Lehre und Beispiel ist, wenn sie fühlt, daß beide aus Liebe hervorgehen. Die Jugend ist das Aufblühen und die Reife der Kindheit. Die Umwandlung der[14] Blüte zur Frucht kann nicht vorsichtig genug überwacht werden. Ein kindisch gebliebener Jüngling ist ein lästiges, oft ein gefährliches Mitglied der Gesellschaft. Charakterlosigkeit und Uebermuth sind schädlicher als die Bosheit selbst. Der Jüngling, der aus den Gymnasien, oft aus dem Heimatsorte und dem älterlichen Hause auf den fremden Boden gelangt, wo er entweder die Bahn des Fleißes und der Sitte, oder die Zügellosigkeit einer unverstandenen Freiheit ergreift, ein anderer Hercules am Scheidewege, nur daß er keine herculische Kraft besitzt, kann nur allzu leicht zu Grunde gehen. Hofrath Zachariä war zweiter Vater für die jungen Studenten. Sein Haus stand ohne Ausnahme allen offen. Die Unwürdigen sonderten sich von selbst aus, die Bildungsfähigen und natürlich die Gebildeten blieben. Er zog sie nach und nach in die achtungswürdigsten und freundlichsten Familienkreise der Stadt. Er zog die Scheidewand weg, welche vor seiner Ankunft den Studenten vom Einwohner trennte und dem Ausgezeichnetsten im Wege stand wie dem Rohesten. Ehedem konnte kein achtbares Mädchen unbeschimpft über die Gasse gehen oder sich auf den Spaziergängen sehen lassen. Halstücher und Shawls wurden jungen Damen weggerissen, unanständige Reden und Scherze ihnen entgegengerufen, mitunter fiel auch wol der Gänsemarsch vor. Solche Unschicklichkeiten gingen allerdings nur vor, wenn rohe Studenten recht betrunken waren, aber das waren sie nicht selten. Die Gebildeten billigten dies Verfahren nicht und schlossen sich davon aus. Als ich nach Heidelberg kam, war schon die Ruhe auf Gassen und Spaziergängen wiederhergestellt. Ein großer Ruf war dem Professor Zachariä schon vor seiner Ankunft vorausgegangen. Er stand als Lehrer und Mensch auf bedeutender[15] Höhe und die ersten unter den Professoren, die sich viele Jahre lang vergebens abgemüht hatten, dem Unfug zu steuern, fühlten neuen Muth durch das Herannahen eines solchen Bundesgenossen. Auch hatte Amalie von Helvig, die auf großartigem Fuße in Heidelberg lebte, und die Brüder Boisserée dahin gewirkt, die widerstrebenden Elemente zu versöhnen, indem sie ausgezeichnete Jünglinge in ihre Kreise zogen. Dies geschah indeß nur ausnahmsweise. Zachariä hingegen bestrebte sich nur für das Allgemeine und erreichte sein Ziel. Dieser Erfolg war in jeder Hinsicht ersprießlich für Heidelberg. Zwar gab es unter den damaligen Musensöhnen eine Fraction, die nicht aus Verderbtheit und Roheit, sondern aus falscher Scham oder gar aus Frauenhaß, aber keineswegs aus Widerwillen gegen Köchinnen dem alten Schlendrian fröhnten und echte Burschen bleiben wollten. Man sah sie selbst 50 oder 30, auch wohl 10 über die Chaussee hinwegrasen, hörte sie wol auch ein abgeschmacktes Bier- oder Weinlied brummen, aber sie fielen niemand mehr an. Es würde merkwürdig sein, ihre Namen gewußt zu haben, um zu erfahren, was die folgende Zeit aus ihnen gemacht hat.

Uebrigens hatte Heidelberg mehrere Jahre vor meiner Ankunft auch einen Glanzpunkt gehabt. Achim von Arnim, Brentano, auch mehrere sehr interessante Familien bildeten dort einen schönen poetischen Kreis; dieser zerstiebte in die Lüfte, weil seine Mitglieder sich nach verschiedenen Richtungen hin zerstreuten. Aber ein Duft der Poesie und zarter Geselligkeit blieb hier und da zurück, wie da wo Rosen gestanden.

Zu jener Zeit lebte auch die Familie Horstig, und das würdige Oberhaupt derselben, Consistorialrath und Erzieher des vortrefflichen Fürsten Georg von Bückeburg,[16] wohnte in Heidelberg. Horstig hatte von seiner Laufbahn früh scheiden müssen, weil eine Hirnzerrüttung ihn im frühen Mannesalter unfähig machte, darin zu beharren. Rastlose Geistesanstrengungen und ein zu weiches Herz mochten schuld an seinem Zustand sein, der, Dank sei es seiner vortrefflichen Gattin, bei ihrer sinnreichen Pflege nicht lange dauerte. Heldenmüthig widerstand sie der Roheit und dem Unverstand derjenigen, die ihn durch allerhand scharfe Mittel heilen wollten. Im Sinne des Wortes heilte ihn die edle Frau durch Liebe. Durch die Erfahrungen meines Lebens bin ich in Stand gesetzt worden, zu behaupten und zu beweisen, daß schöne Liebe allein die Gewalt hat, Geisteskrankheiten zu heilen. Dr. Pienitz in Pirna, dem viele Curen dieser Art gelungen sind, nahm mit Erfolg den Magnetismus zu Hülfe. Nicht alle Kranken, für welche seine Hülfe gesucht wurde, hatten Gattinnen, Mutter, Schwester, heldenmüthig und liebevoll wie eine Horstig, und nicht alle Irrenanstalten besitzen einen Pienitz, noch Krankenwärter wie derjenige war, den ihm die göttliche Vorsehung zum Beistand erkoren. Er hieß, wenn ich mich recht erinnere, Schilling. Sein Eifer war der eines rettenden Engels. Er sann Tag und Nacht über die Art und Weise, seine Pfleglinge zu behandeln. Er nahm sich ihren Zustand so zu Herzen, daß er nach mehrern Jahren sich in Gefahr befand, selbst zu erkranken und um Urlaub bitten mußte, sich zu erholen. Ich glaube, er hat seine segenbringenden Functionen wieder aufnehmen können.

Consistorialrath Horstig, vollkommen genesen, Vater einer zahlreichen Nachkommenschaft, in den Zeitblättern thätig, fand sich in seiner Lage sehr beengt, wiewol ihm sein Zögling, Fürst Georg von Bückeburg, einen Gnadengehalt[17] von hundert Karolinen ausgesetzt hatte. Fürst Emich Leiningen, einer der geistvollsten Söhne des Throns, die jemals gewaltet, lernte Horstig kennen und schätzen. Er ließ ihn zu sich rufen und äußerte, wie tief es ihn schmerze, nicht in der Lage zu sein, ihm ein Los zu bereiten, welches seinem Verdienste entspräche. Es sei ihm jedoch ein Mittel eingefallen, ihm eine sorglosere Zukunft zu bereiten. Er habe sich aus wichtigen Gründen entschlossen, mehrere seiner Domänen zu verkaufen; unter diesen sei eine in der Nachbarschaft seiner Residenz, Amorbach, ganz geeignet, Horstig und seiner Familie einen reizenden Aufenthalt zu gewähren. Bei der Versteigerung der Domänen möchte sich Horstig zum Fürsten begeben und auf diese Besitzung bis zu 2000 Fl. bieten, für diese wolle sie ihm der Fürst überlassen. Er würde sie ihm so gern verehren, allein das stünde nicht in seiner Gewalt; Schloß Mildenburg, welches Götz von Berlichingen mit der eisernen Faust einmal besessen, das in der Schönheit seiner Lage wenige seinesgleichen hat, hieß diese Besitzung. Der Kaufpreis war nicht der fünfte Theil seines Werthes und des Fürsten Antrag edel. Allein wo sollte Horstig, der trotz seines angestrengten Fleißes vermögenslos war, auf einmal in kurzer Zeit 2000 Fl. hernehmen? Er wendete sich, aber vergebens an alle, deren Vertrauen er zu besitzen glaubte, aber man kannte ihn vermögenslos und er war kein Charlatan. Auch mußte die Sache insgeheim betrieben werden.

Der Tag der Versteigerung rückte heran. Horstig war trostlos. Alle, an die er sich gewendet hatte, mochten das Schloß Mildenburg für ein spanisches Luftschloß halten. Es war noch eine Nacht zwischen der Versteigerung,[18] als Horstig trauernd in einer dunkeln Kammer seiner ärmlichen Wohnung einen schweren Brief mit dem Postzeichen »Bückeburg« erhielt. Er öffnete ihn ahnungslos, mit zerschlagenem Herzen. Sein junger Zögling hatte ihn ungefähr in folgenden Ausdrücken geschrieben: »Mein verehrter, sehr geliebter Freund! Der beiliegende Wechsel von 2000 Fl. trifft hoffentlich noch zu rechter Zeit ein, um einen gerechten Wunsch zu erfüllen. Die Veranlassung zu dieser Sendung gab folgender Brief Ihres Sohnes Georg, meines Pathen, an seinen kleinen Freund, den Ihnen wohlbekannten ›Schusterbuben‹, den mir Georg als Beilage zu einem Briefe an mich zur Bestellung zusandte. Ich sende Ihnen beide Stücke.« Der Brief von Georg an den Fürsten, den ich gleichfalls aus dem Gedächtnis herschreibe, lautete ungefähr folgendermaßen:


»Herr Fürst, mein lieber Pathe! Du mußt uns geschwind 2000 Fl. schicken, denn mein Vater braucht sie nothwendig. Er will ein schönes Schloß kaufen, welches wol 10,000 Fl. werth ist. Es ist das Schloß Mildenburg, welches die aufrührerischen Bauern damals niedergebrannt haben, und wo der gute Reitersknecht Georg, den der Götz so lieb hatte, umkam. Ich habe keine Zeit, es dir zu beschreiben, aber es ist sehr schön, und der Brief muß auf der Stelle auf die Post. Lebe wohl, mein geliebter Pathe. Schicke uns geschwind die 2000 Fl., und bestelle mir auch den Brief hier an meinen guten Freund, den Schusterbuben, mit welchem ich immer auf dem Schloßplatze spielte.

Ich verbleibe Dein Georg Horstig.«


Gleich nach Empfang dieses Briefes reiste Horstig die Nacht hindurch zu Fürst Leiningen und erstand die Domäne[19] Mildenburg. Sie war noch bewohnbar. Ein schöner römischer Thurm, in welchem das Burgverließ befindlich, stand im Hof. Er ist hoffentlich nicht abgetragen. Ein Jude wollte ihn um 500 Fl. kaufen. Horstig ging in den Kauf nicht ein. Das hat mich immer von ihm gefreut. Ich erfuhr diese anmuthige Geschichte in Heidelberg. Man sagte mir auch noch, daß Fürst Georg von Bückeburg die Interessen der 2000 Fl. seines Darlehns von Horstig's Pension abzog. Ich habe Grund zu glauben, daß er sie ihm späterhin ganz geschenkt. Ich werde auf die Beschreibung dieses reizenden Sitzes und der Lebensweise seiner Bewohner zurückkommen.

Graf Paul von Haugwitz wurde mir einer der liebsten unserer preußischen Landsleute. Sein Ernst, seine Geradheit, sein Geist, seine Herzensgüte bildeten ein harmonisches Ganze, das mein Gefühl für ihn erweckte, in welchem sich Bewunderung und Liebe vereinigten. Oefters als jetzt sah man in jenen Tagen Jünglinge, die es sich zur Ehre machten, die Tugend zu ehren und zu lieben, denen Heuchelei so fern lag als Unsitte. Es ist jetzt anders! Viele schämen sich ihrer guten Regungen. Den Frauen ist das große Werk der Wiederkehr der Männer und Jünglinge zu allem Guten vorbehalten. Die Aufgabe ihres Lebens ist schwieriger und belohnender als je.

Mir war in jenen umwölkten Tagen die Poesie, was dem einsamen Wanderer auf Waldeswegen das Säuseln der Wipfel, das Seufzen der Nachtigall! Selten ist eine Gegend so wie die von Heidelberg geeignet, den innern Menschen harmonisch zu beleben, die Schlacken der Erde von ihm zu scheiden! In seinem ganzen Umfang genoß ich auf den Höhen der Waldungen, im Schos der Thale,[20] welcher die Blumen vor dem Hauch des Nordwinds schirmte, dies unnennbare Glück. Meine Kinder empfanden es mit mir, ohne andere Anregung als die ihres eigenen Gemüths. Nicht ohne Schauder lauschte ich abends den gewaltigen Klängen, die der Nordwind auf den Wipfeln des Odenwaldes wie auf einer Aeolsharfe sang. Es schien mir die ewige Klage der Geister der Liebe über das Weh der Menschheit! Die Sterne funkelten drein wie Augen, in denen Thränen stehen! In den Pausen des Sturms wurden die Lieder der tausendstimmigen Neckarwellen vernehmbar, die nun schon solange schweigen. Von der entzückenden Höhe des Wegs zum Wolfsbrunnen war der Wellenklang großartiger und milder zugleich. Diese Worte sollen nur die geistigen Reize Heidelbergs unverkümmert, wie sie damals waren, bezeichnen. Es hat seit der Zeit viel Veränderungen erlitten. Wer es aber früher nicht kannte, wird nichts vermissen. Wer nicht auf dem Wolfsbrunnen das ländliche Häuschen besucht, an dessen Wand ein breiter Herd von Rasenstücken luftig loderte, ein Kessel brodelte, stets bereit die Forellen aufzunehmen, die noch ahnungslos im Bache tanzten, – wer dann mit dem Fischermädchen an den Weiher ging, und sich aus dem Netz, das sich in einer Minute füllte, die schönsten Fische aussuchte, sie dann am ländlichen Tisch unter riesigen Bäumen genoß, der kann sich freilich nicht mit Behagen in die jetzige Bewirthung finden! Doch sind es meist nur die Söhne und Enkel der ehemaligen Besucher des Wolfsbrunnens, die man hier antrifft, und tiefer hin im Walde walten noch die frühern Zauber der Gegend. Leopold von Gerlach und Thorbecke klagten mir noch, daß die Verwaltung eine herrliche weitumschattende Linde, das Lieblingsziel des unsterblichen Opitz auf seinen einsamen Wanderungen,[21] ausrotten lassen. Sie stand, wenn ich nicht irre, unweit vom Wolfsbrunnen. »Ach der Mensch vertilgt so gern, zumal wenn er seinem dunkeln Leben durch nichts anderes Bedeutung zu geben weiß!« Nichtige Menschen vertilgen und zerstören, ein Surrogat fürs Schaffen! Ein Künstler hätte die Linde gemalt. Ein Beamter läßt sie niederhauen! Gott, wie entzückend waren unsere Gänge nach dem Wolfsbrunnen! Josephine Satorius, eine ganz idyllische Natur, und die liebenswürdige Baronin von Vambold, geb. von Gaugreben, zwei wahre Nachtigallen, begleiteten uns zuweilen mit Gesang. Auch meine Lieder tönten durch dies anmuthige Gefilde. Ein junger Componist aus Danzig, Namens Berger, hatte manches Lied Amalie von Helvig's, manches von mir, mit seelenvollen Tönen begabt. Ich meine immer: »Ein Lied ohne Musik sei ein Körper ohne Seele!« Es wäre vielleicht richtiger gesagt: »Eine Seele ohne Körper!« Doch ich vergesse, daß Felix Mendelssohn sogut wie die Nachtigall Lieder ohne Worte gedichtet.

Frau von Helvig führte uns oft in einen der vielen Gärten, die damals um Heidelbergs Fuß her grünten, zu einer dicken Milch, theils nach Schlierbach, theils nach Neuenheim. Wir waren meist 30–40 Personen, von denen ich einige nennen muß, sowol als Erinnerungslabe, als weil einige der Geschichte angehören: das Dreiblatt, beide Boisserée und Bertram, der Orientalist Professor Wilkie mit seiner Gattin, Tochter des großen Künstlers Tischbein, der Kirchenrath Daub, Hofrath Creuzer, Professor Negele, Schwiegersohn des hochberühmten Arztes May, und selbst ausgezeichneter Arzt, die Brüder Joseph und Eberhard von Groote, der Verfasser des Werks: »Faust's Versöhnung mit dem Leben«;[22] der Componist Jakob Berger, die wunderschöne junge Witwe Bolongaro Crevenna mit ihren Freundinnen, die verwitwete Frau Thirry, die Amerikanerin Frau Heuser, die Witwe des berühmten Arztes Hofrath Dr. Seckel, die Hofräthin Dapping mit ihrer liebenswürdigen Tochter unauslöschlichen Andenkens, der früher erwähnte Hofrath Zachariä und seine Gattin. Diese waren mir die liebenswerthesten aus diesem Kreise, der sich in der Folge der Zeit noch vergrößerte. Von den später Hinzugekommenen, die ihn nur wenige Tage verschönten, muß ich vor allen Friedrich Schlosser, einen Verwandten Goethe's, dessen Gattin, geb. Dufay, und deren Reisegefährten, den Freiherrn Guaita, das Madonnenbild an seiner Seite, Melina Baronin von Guaita, die jüngste Schwester Bettina's von Arnim, geb. Brentano, nennen. Diese edle Frau hatte ich schon in Paris als ein noch vierzehnjähriges Wesen kennen lernen, deren aufblühende Schönheit mich unaussprechlich rührte. Ich fand sie bei der Frau André, der Gattin eines vortrefflichen deutschen Mannes, der in jener Zeit des Mistrauens und Argwohns bei Napoleon verdächtig geworden war, und lange den Tempelthurm bewohnen mußte. Die junge Brentano besuchte ihre Freundin André, um sie aufzuheitern und zu trösten. Ich fand die Familie André in Offenbach wieder.

Die Kreise der Frau von Helvig waren heiter bewegt, anmuthig belebt. Sie las gern meine neuen Gedichte vor, und erhob sie durch ihren schönen Vortrag, so auch ihre eigenen. Ich lernte dort viel. Eines Abends las ich meine Schrift über »Boisserée's Gemäldesammlung«; diesen Abend war Welcker mit seiner Gattin zugegen. Mir ahnte nicht, wo und wie ich ihn späterhin wieder antreffen würde. Die Zeit schien so glatt und so still wie eine stehende Flut, die tief in ihrem Schos[23] Strudel und Klippen verbirgt, indeß die ruhige Oberfläche den Himmel spiegelt. Die holde Schwester der Frau von Helvig, Luise von Cloch, war eine der anmuthigsten Zierden, sie war die Lieblichkeit, die lieblich vergeistigt, Auge und Herz erfreut. Auch ihr Wesen war ein Lied ohne Worte. Ihr Blick, ihr Lächeln sagten von ihrem tiefen und richtigen Gefühl für Natur und Poesie. Die unvergeßliche Markgräfin von Baden erfreute jenen Sommer Heidelberg mit ihrem Besuch. In ihrer Begleitung war Prinz Gustav, ihr damals dreizehnjähriger Enkel, Sohn ihrer Tochter, der Königin Friederike von Schweden. Mir wurde gesagt, daß er, der Throngeborene, sorgfältig für das Privatleben erzogen würde. Unter der Begleitung der Frau Markgräfin befand sich auch Frau Amalie von Helvig, zwiefach berechtigt als Weimaranerin und Gattin des hochverdienten schwedischen Generals von Helvig, dessen Abstammung als Sohn eines Tischlers ich hier erwähne, weil es allemal rühmlicher ist ein Dynast als der Abkömmling eines Dynasten zu sein, wenn nicht eigenes Verdienst den edeln Namen begleitet. General von Helvig war ehrwürdig durch seine Kenntnisse und Leistungen, nicht minder durch seine schöne Treue für das schwedische Königshaus, und durch seine Standhaftigkeit in den Prüfungen, die er deshalb bestanden.

Ich hatte Frau von Helvig nie so schön gesehen als an jenem Abend, wo die schmerzverklärten Blicke ihrer großen blauen Augen entzückender als jemals strahlten. Dem sterblichen Auge war die Lorberkrone um ihr edles Haupt her unsichtbar, aber das Seelenauge empfand ihn und fühlte warm ihre Thränen darauf beben. Ihre Gesichtszüge waren antik, sie glich der verstorbenen Henriette Herz, an deren Sterbelager Friedrich Wilhelm IV. sinnend[24] weilte, deren Bild nach Graff vor einer Biographie von ihr so wenig ihr Selbst zurückspiegelt als jene Schrift ihren Geist und ihr Leben. O nähme doch niemand, der eine edle Dahingeschiedene preist, die Backen voll, die Aeolsharfe ist keine Posaune!

Zu den Erwartungen, die damals Heidelberg bewegten, gehörte die von Goethe's Besuch bei Boisserée. Auch der General von Helvig sollte kommen, doch er wurde gefangen genommen, und seine Gemahlin eilte nach Mainz, um Gerechtigkeit für ihn zu erwirken. Bange Ahnungen bewegten die Gemüther ihrer Freunde; sie waren nicht grundlos, denn die edle Frau hatte schwere Kämpfe zu bestehen. Sie kehrte zurück ihrem Gemahl zur Seite, doch mit schwankender Gesundheit und gebeugtem Gemüth.

Zu jener Zeit hatte mich Freund Horstig zu dringend bestürmt, ihn auf seiner Mildenburg zu besuchen, daß ich beschloß, dorthin zu gehen. Ich glaubte schon in 14 Tagen zurück zu sein, es kam alles anders, wie so oft im Leben. Ein leichter Hauch weht unsere Kartenhäuser um!

Ich bewilligte den Bitten Schlosser's und Guaita's einen dreitägigen Aufenthalt in Frankfurt a M. Georg Brentano lud mich sogleich zum Abend nach meiner Ankunft in seinen Garten ein, wo ich Guaita und Schlosser antraf. Am Vormittag hatte mich Friedrich Schlosser in den Dom, auf den Römer und in die Bibliothek geführt. Am andern Tage wurde die Umgebung durchrollt, vom Blühen der Sommerpracht, vom Reifen der Früchte hoch geschmückt. Die ganze Gegend heiter und zierdevoll, wie eine blühende Jungfrau! Heidelbergs Lächeln unter Thränen schneidet ins Herz, wie das eines[25] Mädchens, die um den Geliebten trauert! Mir ist ein Ruisdael lieber als ein Claude Lorrain.

Am Abend des dritten Tags hörte ich den »Don Juan«, doch viel vernehmlicher noch das Klappern mit den Logenthüren. Die frankfurter Freunde empfahlen mir über Aschaffenburg zu gehen, wo Karl von Dalberg weilte, die Gemäldegalerie merkwürdige Stücke besaß und die Bibliothek viel Schönes aufzeigte. Friedrich Schlosser gab mir ein Briefchen an Professor Windischmann. Der Freihof wurde mir zum Absteigen empfohlen. Ich war dort sehr zufrieden. Noch neigte sich der Tag nicht als ich ankam. Die Gegend war schon damals sehr anmuthig, vielleicht hat sie noch gewonnen. Sie scheint ein Garten im großen Maßstab zu sein.

Ich eilte zu Windischmann. Von einer Menge schöner Kinder umgeben, an der Seite seiner Gattin und Schwägerin, empfing er mich mit herziger Höflichkeit, und lud mich zugleich zum Nachtessen ein. Meine Kinder tummelten sich mit den seinigen herum. Die älteste Tochter, schon die rechte Hand der jungen Mutter, machte sich viel um mich zu schaffen. Zum Nachtessen fand sich ein junger Gelehrter, Namens Merkel, ein. Ich sollte am Morgen mit Professor Merkel und Windischmann die Bibliothek sehen. Zum Nachmittag hatte mich der Fürst Primas beschieden, um mir die Gemäldegalerie zu zeigen. Der Abend sollte wieder Windischmann gehören. Ich gab mich ganz der Lust hin, »jung zu sein und schon einen Namen wie eine duftende Rose an der Brust zu tragen!« Berauschend drangen die neuen Eindrücke aller Gegenstände auf mich ein und umhüllten mir die Vergangenheit mit einem wohlthätigen Schleier. Der Morgen auf der Bibliothek entschwand auf Flügeln.

Professor Windischmann, dem ich so manches zu danken[26] habe, machte mich auch mit einem Werke von Cornelius bekannt und verschaffte mir das Glück, die erste zu sein, die einige liebevolle Worte über den großen Meister zum Druck beförderte. Windischmann zeigte mir die Originalzeichnungen zum »Faust« von Cornelius, der sie ihm mitgetheilt hatte. Meine Ueberraschung war unaussprechlich: seit ich Rafael kannte, hatte ich nichts so Entzückendes gesehen. Diese Glut, welche die Seele durchdringt und fortreißt und dabei von der süßesten Anmuth beseelt ist, diese Klarheit der Darstellung, diese Reinheit der Form, diese Innigkeit des Gefühls, diese Natürlichkeit und Unmittelbarkeit: kurz alles was Rafael zum Rafael mach, macht auch Cornelius zum Cornenelius. Wer hätte sich vorstellen können, daß man Goethe's »Faust« jemals im Bilde wieder lesen könnte! Ich weiß nicht, was ich 1811 darüber schrieb, ich erinnere mich nur, daß meine Worte gefielen, den jungen Meister selbst erfreut haben.

Einen schönen Abend bereitete mir Antoinette von Dalberg durch die Bekanntschaft mit der Fürstin Dalberg, einer Tochter des Dogen von Venedig, der schönen, geistvollen Pelina, die etwas leidend und in wehmuthvoller Stimmung mit ihrem Gemahl, dem Fürsten Dalberg, der eine Würde in Paris bekleidete, eine Reise nach Deutschland gemacht hatte und Karl von Dalberg besuchte. Sie trauerte noch um ein jüngst verlorenes Söhnchen. Der Schmerz über seinen Verlust hatte sich bei ihr gewaltsam erneuert, weil sie bei der Taufe des Königs von Rom das Becken getragen hatte, und beim Anblick des schönen, lieben Kindes Napoleon an ihr kürzlich verblichenes Kind im Grabe dachte. Auch ich hatte erst kürzlich einen dritten Sohn verloren! Der unverkennbare Schmerz der hohen jungen Mutter ergriff[27] mich gewaltig, und ich hatte große Mühe Fassung zu gewinnen. Denn ich hatte die Fürstin erheitern wollen, und das war in solcher Stimmung schwer; dennoch gelang es mir. Ich las sehr schöne Sachen von Chézy vor; auch in seinen Schriften aus persischen Dichtungen übersetzt athmet Schmerz.

Im ersten Saal der Galerie, wo ich sogleich eingeführt wurde, meine Kleinen an der Hand, erfreute mich der Anblick großer Gemälde von Hans Holbein und Albrecht Dürer. Eine bleiche, gespenstische Matrone vom jüngern Holbein in Lebensgröße, war lange der Gegenstand meiner Betrachtung, eine majestätische Gestalt mit edeln Zügen, wie reich mußte ihr Lenz geprangt haben! Welche Thränen hatten diese Wangen gefurcht, die einst die schönste Rose beschämten? Doch Geist und Liebe hatten das Leid besiegt und Anmuth blühte noch auf den Purpurlippen. »Es ist eigen, daß der Jugend der Anblick des Alters immer fabelhaft erscheint; sei es in der Abbildung, sei es in der Wahrheit!« Der Weg dahin dünkt unermeßlich lang, als könne er nie zurückgelegt werden!

Der Mauritius von Dürer, eine Heldengestalt mit Feueraugen und sanft geschwollenen Lippen, ist in einem großartigen Stil mit ruhigen, weichen Farbentönen dargestellt. Sein St.-Erasmus flößte mir Entsetzen ein. Erfreulich war das Bild des Kurfürsten von Brandenburg und manche andere Zierde des schön beleuchteten Saals. Von Martin Schön, diesem sinnigen, tief gefühlvollen Meister, hatte ich selbst bei Boisserée nichts gesehen; hier traf ich vier Gemälde von ihm auf blauem Grund dicht mit goldenen Sternen besäet. Der Fürst trat ein, ein hoher Greis, aus dessen Augen Geist und Güte blickten, wehmüthig fast, doch zugleich[28] von Freimüthigkeit und Milde zeugend. Er führte mich im Schloß umher und schien sich meiner Freude über die Kunstwerke zu freuen. Ein lieblicher kleiner Rafael zog mich am meisten an; ich äußerte den Wunsch, ihn mir in Wasserfarben zu copiren. Der Großherzog zog einen Schlüssel aus seiner Tasche, den er mir lächelnd reichte. »Ich muß bald verreisen«, sagte er, »hier können sie nun zu jeder Stunde hinein.« Ich dankte, gerührt von seiner Huld. Napoleon's wohlgetroffenes Bild in einer Sonnenglorie blickte mich von einem Porzellantisch an. Ich liebte damals den Kaiser nicht. Herr von Dalberg seufzte, als ich ihm dies zu bemerken gab. »Nun«, sagte er, »wir müssen sehen, wohin er uns führt! Jetzt müssen Sie auch meine Wohnung in Augenschein nehmen!« fügte er hinzu. Er führte mich in sein Arbeitszimmer. Dort saß eifrig beschäftigt sein geheimer Cabinetssecretär Urbanus Müller, der mich und die Kleinen mit wohlwollenden Blicken empfing. »Hier ist meine Seele und meine Hand!« rief der Fürst. »Ich bin kein Heinrich IV.! Doch ich habe einen Freund wie Sully. Ich arbeite 10 Stunden des Tags«, fuhr er fort. – »Und warum so lange?« fragte ich ihn. – »Weil mir ein französischer Nachfolger bestimmt ist, Prinz Eugen von Leuchtenberg! Er wird mein Land auf französischen Fuß setzen, da muß ich alle Verhältnisse und Einrichtungen recht feststellen, das Los meiner Beamten sichern, sonst könnten die Guten, Getreuen und Befähigten weggeschickt werden und andere an ihre Stelle kommen! Wenn Eugen die Maschine schon im Gang findet, wird er meine Einrichtungen beibehalten.« Ich ahnte, daß Karl von Dalberg's Arbeit eine vergebliche sei, doch ich schwieg und beschränkte mich ihn herzlich zu bitten, sich für sein Land und seine Freunde zu schonen! Indem wir eifrig sprachen,[29] entwand mein Max die Brille seinen Händen. Lächelnd sagte der gütige Fürst: »Warte, Kleiner, dies Pfand muß ich auslösen!« Er griff nach einer Pappschachtel, die offen auf dem Schreibtisch stand, und reichte sie dem Kinde dar. Max griff aufs Gerathewohl hinein, und zog ein paar mit Perlen besetzte Armbänder heraus, die er mir sogleich überreichte, indem er mich herzlich küßte. Dann entließ uns der Fürst. Und vom Geheimrath Müller geleitet, stiegen wir in den Wagen, der uns zu Windischmann's Wohnung brachte. Wir fanden dort den Professor Merkel. Ich mußte einige Dichtungen hersagen, und die Freudenwogen des Tags wallten hoch auf, bis uns die Ruhe umfing. Wenige Tage darauf ließ mich der Fürst zum Abendessen einladen und stellte mir seine Gäste vor. Von allen Anwesenden beschädigte sich Karl von Dalberg's alter Freund, der Minister Freiherr Röden von Stade, am eifrigsten mit mir. Dies war ein vielgeprüfter, edler Mann, voll Geist und Glut! Bei den Aeußerungen seines Wohlwollens ging mir das Herz auf. »Sie finden den Fürst Primas huldreich, liebenswürdig gegen seine Gäste!« äußerte die Frau von Röden gegen mich. »O hätten Sie ihn in Regensburg gekannt, als er dort Coadjutor war, so heiter und herzig habe ich niemand mehr gekannt! Jetzt fühlt man, welch ein Druck auf seinem Herzen lastet! Nur die Fülle seiner Güte, nur das Bedürfniß, alles, was ihn umgibt, zu erfreuen und seinen Lieben seine Qualen zu verbergen, macht ihn noch so heiter scheinen, bis er's endlich wird und bleibt, bis er allein ist. Da fallen ihn die Nattern des Undanks mit ihren Bissen an, denn er hat beinahe soviel Undankbare gemacht als Glückliche. Da nagen sein Herz die Sorgen um sein Land, um Deutschlands Zukunft« –. »Wir sind alle Seiltänzer!« rief er[30] einmal aus und schüttelte sich vor Schmerz. Vor seiner Abreise führte mich noch der Fürst Primas zu Friedrich und Antoinette, seinen Geschwistern. Herzergreifend war der Anblick dieser zarten, gebrechlichen Gestalten, aus deren Blicken die innigste Geschwisterliebe leuchtete, und die in zwei Gestalten nur ein Wesen schienen.

Fritz von Dalberg war im hohen Grade musikalisch; die Musik offenbarte die Kraft und Zartheit seines Gemüths. Die Schwägerin des Fürst Primas, aus dem Geschlecht der Greifenklau, war wacker und liebenswürdig. Als einige der geistvollsten Frauen dieses Hofkreises galten: die Gräfin von Waldpott-Bassenheim, die Freifrau von Vambold-Umstatt, geb. Gräfin von Stadion, und die Baronin von Virth. Von den Geistesarmen schweige ich wie billig. Bald hätte ich vergessen der geistvollen, liebenswürdigen Henriette von Raden zu erwähnen. Sie vertrauerte ihre schöne Jugend um ihren Bräutigam, Wilhelm von Seckendorf, den der Tod ihr entrissen, als Poesie und Liebe ihn mit duftenden Kränzen schmückten. Unter den Hofcavalieren war Graf Waldpott von Bassenheim der unterhaltendste, er funkelte von Geist, Witz und Laune. Seine junge Gemahlin hatte die schönsten Schultern am Hof. Drei Domherren, von welchen Graf von Hatzfeld der geistvollste war, bleiben noch zu erwähnen. Als sie Napoleon vorgestellt wurden, maß er sie mit einem seltsamen Blicke, lächelte ironisch, sagte: »Voilà donc le chapitre de Mayence!« und drehte sich weg.

So hatte mich denn das Schicksal gleichsam an das Sterbelager der Aristokratie geführt; denn man lese nur den Gothaischen Taschenkalender, so wird man sehen, daß sie nur noch ein Scheinleben hat. Sie ist ein Zahn, von dem der Nerv weggebrannt ist, wenn er auch noch[31] wie eine Perle glänzt! Meine Nachbarinnen in Aschaffenburg erzählten mir oft von den alten Zeiten und vom kurfürstlichen Hofe in Mainz. Er war ein würdiges Seitenstück des Regenten Philipp von Orleans. Das Laster hatte damals die Maske weggeworfen, es bindet sie nun wieder vor!

Graf von Benzel-Sternau, mit seiner liebenswerthen Gemahlin und seinem hoffnungsvollen Knaben, kam nach Aschaffenburg, um dort zu leben. Man kennt seine Schrift: »Das goldene Vließ.« Ich war unvermögend sie zu lesen, weil ich sie nicht verstand. Doch sein Gespräch war sehr anziehend und lehrreich für mich. Die Gräfin war eine Erscheinung von seltenem Werth, lieblich und harmonisch gebildet. Graf Benzel-Sternau besaß unter anderm ein kostbares Gemälde von Leonardo da Vinci, auf dem sieben Gestalten sichtbar waren und das die junge Herodias mit dem Haupte St.-Johannes des Täufers darstellte. Ich möchte es das herrlichste Bild des unsterblichen Meisters nennen.

Einen hohen Genuß gewährte mir die reichhaltige Gemäldegalerie des Freiherrn von Gruben. Einer der geistreichsten und gefühlvollsten Männer jener Zeit! Er hatte einen Rafael, der unter dem Namen der Madonna von der Eiche bekannt ist. Denselben Gegenstand hatte ich im Louvre, doch anders behandelt, angetroffen. Das Bild in der Gruben'schen Galerie, gleichfalls in Lebensgröße, war unendlich schöner, inniger und großartiger behandelt, prangender und wärmer in der Farbe. Sowie mir Gruben die Flügelthüren öffnen ließ, die es verbargen, rief ich auf einmal aus: »Himmel, ein Rafael!« – »Ein Rafael?« fragte Gruben. Ich versetzte: »Ja, ein Rafael! Und er muß ihn nicht lange vor seinem Tode gemalt haben.« Gruben schüttelte den Kopf[32] wie Einer, der eben einen Schatz findet und zweifelt, ob die Juwelen echt sind. »Ach, wenn es ein Rafael wäre!« seufzte er, »wie glücklich würde ich sein. Doch ich wage nicht es zu glauben.« Mehrere Monate darauf, als ich in Mildenburg war, empfing ich einen Brief vom Baron Gruben, den ich sehr sorgfältig aufgehoben, aber in meinem jetzigen Zustande nicht herausfinden kann. Er meldete mir, daß er das Gemälde wegen besserer Bewahrung aus der Kiste habe heben lassen, und da habe er auf der Kehrseite eine italienische Inschrift gefunden, welche besagte, daß Rafael dies Gemälde für den Kardinal Bembo gemalt. Die Jahreszahl war die von Rafael's Tode. So hatte ich denn ganz richtig gesehen. Als ich 1831 in München die Galerie wieder zu sehen wünschte, fand ich den Freiherrn von Gruben nicht mehr am Leben. Sein Sohn gab mir auf meine Frage nach dem göttlichen Meisterwerk zur Antwort, daß er es mir nicht zeigen könnte; wollte mir aber nichts Näheres sagen. Auch hatte ich niemand von unsern gemeinschaftlichen Bekannten bei Grubens angetroffen.

Die Freundschaft des Großherzogs bewährte sich mehr und mehr. Er verstand mich ganz und widerstand hämischen Einflüsterungen und den Umtrieben seines Hofmarschalls, der mich nicht leiden konnte. Ich meinestheils habe seitdem oft bereut, daß ich mich an diesem Hofe mitunter taktlos betrug. Ich machte ein Spottgedicht, welches, wie man glaubte, sich auf den Oberhofmeister bezöge, und erbitterte ihn und seinen Anhang dadurch. Bei diesem befanden sich zwei junge Damen, davon die eine ihm unverkennbare Zeichen des Wohlwollens gegeben hatte, welches ein öffentliches Geheimniß war. Diese Damen waren gegen mich aufgebracht, weil ich bei Tafel, wo sie meine Freunde, die Familie[33] Horstig, verspotteten, entrüstet ausrief: »Es ist zu bedauern, wenn würdige Menschen in ihrer Unbefangenheit solche Blößen geben, daß Personen, die nicht werth sind, ihnen die Schuhriemen aufzulösen, über sie herfallen können!« Die Wirkung dieses Ausdrucks erräth sich leicht. Ich hätte es gemäßigter sagen können und würde meinen Zweck besser erreicht haben, allein ich war noch nie bei Hofe gewesen. Der Hofmarschall suchte nun jeden ersinnlichen Anlaß zu erhaschen, um seine zärtliche Freundin zu rächen. Früher hatte ich keine Klage über ihn gehabt. Die Schwestern, welche ich nicht näher bezeichnen will, waren mit einer edeln Freundin des Großherzogs nahe verwandt; er suchte standhaft ihnen fern zu bleiben und kannte sie zu gut, als daß sie mir bei ihm hätten schaden können. Doch übten sie Einfluß auf den Troß der Höflinge, der dem Hofmarschall unterthäniger war als dem Gebieter.

Einmal bei Tafel, wo der Hofmarschall neben mir saß und bemerkte, daß ich Wachteln für junge Hühner ansah, rief er dies wie eine Neuigkeit dem Großherzog zu, der mir gegenübersaß. Die Miene des Großherzogs bezeigte die Misbilligung dieser Unschicklichkeit, und einer der Hofcavaliere rief dem Hofmarschall zu: »Wer kann es der Frau von Chézy verdenken, wenn sie ein Thier für das andere ansieht!« Diese Worte erregten ein Lachen, weil allen mein Gedicht, das alle kannten, dabei einfiel. Selbst Karl von Dalberg lächelte Um mich selbst dafür zu strafen, daß ich es gemacht, will ich es hersetzen, soweit ich es noch im Gedächtniß habe.


Die Nachtigall; eine Fabel nach dem Persischen.

An einem schönen Frühlingstag

In Wonne die Schöpfung versunken lag.[34]

Der Himmel ließ von lichten Aun

Die schönste Zier der Blumen thaun.

Und Duft und Klang, Gesang und Lust

Erfüllten selig jede Brust.

Der Esel nur stand fühllos da,

Schrie frisch drauf los sein y aia.

Denn ob die ganze Schöpfung blüht,

Der Esel nur die Krippe sieht,

Und ob die Flur voll Rosen steht,

Der Esel nur nach Disteln geht.


Hier verläßt mich mein Gedächtniß. Meine Gedichtsammlung ist mir abhanden gekommen. Das Gedicht sagte am Schluß:


Die Biene nicht nur Honig saugt,

Versucht auch, daß ihr Stachel taugt.


Und ich hatte es aus keiner andern Ursache drucken lassen, als um zu zeigen, daß es im Grunde harmlos war, und keine Persönlichkeiten enthielt. Karl von Dalberg nahm es nicht übel. Er sprach nie mit mir davon, doch ich hatte erfahren, daß er Bedauern darüber geäußert habe.

Als Napoleon mit Marie Luise nach Aschaffenburg kam, trug mir der Großherzog auf, ein Lied zu dichten, welches als Prolog im Theater gesprochen werden sollte. Es lag auch ein Prachtexemplar auf der Brüstung der kaiserlichen Loge. Doch Napoleon hielt sich nur einige Stunden beim Großherzog auf. Er war vormittags angekommen, hatte ein Bad genommen, einige Kirchen besehen, gefrühstückt und war weiter gereist. In den Kirchen hatte er Freude darüber bezeugt, daß sie mit Sitzen angefüllt waren, und gefragt, ob denn in Deutschland keine Stühle für die Gemeinde von den Anwesenden bezahlt würden? Auf die verneinende Antwort hat er ausgerufen: »Das ist brav. Diese scandalöse Stuhlvermiethung in Paris wird abgeschafft, sobald ich wieder[35] hinkomme!« O, er hatte bei seiner Wiederkehr an andere Dinge zu denken! Und die Stühle der Vermietherinnen kommen wahrscheinlich noch heute vor. Dieser störende Unfug ist eingerissen, seit die in der Schreckenszeit ausgeraubten und verschlossenen Kirchen von ihren Bänken entblößt waren und sich wieder mit Gläubigen füllten. Da wurden für einiges Geld Stühle gebracht. Es hieß im Anfang immer, man würde die frühern Sitze wiederherstellen, allein die Stuhlvermietherinnen bestanden auf ihr neues Recht, das sie sich angemaßt hatten. Die Kirchenverwaltung bezog einen Pacht für die Stühle; und die Restauration, die so manches wiederherstellte, ließ es dabei.

Geheimrath Müller, der treue, gütige Freund, der stets darauf bedacht war, uns Freude zu bereiten, forderte mich auf, im Rheingau die Weinlese mitzumachen. Er adressirte uns an eine sehr theure Freundin, die Oberamtmannswitwe Hertling in Geisenheim, eine sehr liebenswürdige Frau, die uns auf das herzlichste aufnahm. Damals wohnte noch keine Adelheid von Stolterfoth in der Mitte eines Blumenparadieses. Aber Geisenheim war ein wonniges Fleckchen der Erde! Ich dichtete dort mein bekanntes Rheinlied, von welchem ich aus Rücksicht auf Chézy's Verhältnisse den Schluß weglassen mußte, als meine Sammlung herauskam. Der Herbst war einer der schönsten, die es jemals gab. Die Weinlese ging am 13. October an. Meine zwei Lockenköpfe mit ihren griechischen Röckchen und Bauschärmeln, mit Körbchen am Arm und einer Winzerschere bewaffnet, waren unermüdet und flink bei der Arbeit. Die Besitzer der Weinberge liefen einen beim Vorbeigehen fast um und um und zwangen einem die Trauben auf. Wenn wir versicherten, welche gegessen zu haben, sagten sie: »Unsere sind gewiß[36] süßer!« Um leere Fässer that es noth, man hatte keine für den Zehnten. Arme und Kranke wurden reichlich mit süßem Most begabt. Seit Menschengedenken war nicht ein solcher Ueberfluß gewesen. Das ganze Volk war beseligt, überall schallten fröhliche Lieder, und jeder Grasplatz wurde zum Tanzsaal. Der Most war ein Lethe, in dessen berauschenden Wellen man alles vergessen mußte, was je das Herz bedrückt.

Die Weinlese 1811 war vorüber, frühlingsgleiche Tage hatten sie begünstigt. Meine Freundin Hertling bot mir an, uns auf den Niederwald zu führen. Bei aller ihrer Liebe für die Poesie, vergaß die theure Frau die Erde nicht. Sie packte einen großen Korb voll Wildpret, Geflügel und Backobst, ließ es auch an köstlichem Rheinwein nicht fehlen, und nahm den Weg mit mir und meinen Kindern nach dem Niederwald. Unter unsern flüchtigen Schritten rasselten die Baumblätter, die diesen Sommer so fröhlich wie nie gegrünt und die Bäume schon vor Anfang des Frühlings geschmückt hatten. Das Rasseln schien mir ein Trauergesang der scheidenden schönen Zeit und stimmte mich unaussprechlich trübe, doch auf der Höhe standen noch holde Waldblumen, sangen noch Drosseln und Amseln, hastete noch das fallende Laub. Wir überblickten einen großen Theil des herrlichen Rhein und die grünen Waldeshöhen, die noch in voller Schönheit prangten. Wir verzehrten unser wohlbereitetes Mahl unter dem Laubdach schattiger Bäume, und es wollte uns gleichwol bedünken, daß der Wald sehr einsam wäre, aber auch hier hatte der Himmel schon für uns gesorgt. Eine fröhliche Gesellschaft kam singend vorbei. Nannette Werner, Bertha von Beer, ihre Schwester, auch eine Menge anderer lieblicher Mädchen und Frauen, von ihren Verwandten begleitet, mit ihnen der junge[37] Friedrich Förster aus Berlin. Alle mit Eichenzweigen auf Hüten und Kappen geschmückt, schritten auf uns zu. Die einen kannten die liebe Hertling, die andern hatten mich irgendwo bemerkt, und hießen mich an diesem reizenden Platz willkommen. Alle versammelten sich um uns her und ich wurde bestürmt, Lieder herzusagen. Man kann dem Dichter keinen süßern Zwang anthun. Ich sträubte mich nicht, ich machte den Anfang mit meinem Rheinliede; denn das jüngste Kind unsere Phantasie ist uns immer das liebste! Wir nahmen Platz an der Rotunde und ich sprach das Lied:


Unendlichkeit der reichen, süßen

Natur,

Laß froh und kindlich dich begrüßen

Auf dieser Flur!

Der schönste Sitz auf weiter Erden

Ist hier!

Nur Eben kann verglichen werden

Mit dir!


Wogt ruhig, helle Silberfluten

Vom Rhein!

Nehmt auf in euch des Himmels Gluten,

Der Sterne Schein!

Euch trübt kein Weh; kein Kriegsgetöne

Wird euch bewußt,

Ihr strahlt in ewig junger Schöne

Und Lust!


O Strom, den Gott in seiner Milde

So schön gemacht!

O reich gesegnete Gefilde,

O süße Pracht!

Wohin ich nur die Blicke richte

Quillt Seligkeit!

Hier strahlt von Gottes Angesichte

Die Herrlichkeit!
[38]

Solang du strömst in beider Schöne,

O Vater Rhein,

Solange werden deine Söhne

Noch Deutsche sein!

Nicht stets dem Fremdling untergeben

Dein Ufer liegt!

Die Form zerfällt, der Stoff bleibt Leben,

Das Gute siegt!


Die Seelen der Zuhörer loderten auf in heiligen Flammen. Die Worte des Liedes hatten die Wunde berührt, die in allen deutschen Herzen blutete; so einfach sie waren, weckten sie Hoffnung und Muth. Vielleicht war dieses Lied damals noch das einzige, das eine Zuversicht aussprach, die schon in Gottes Rathschluß der Erfüllung so nahe war, und schon war Argwohn in Napoleon's Herzen erwacht.

Der Fürst Primas sagte mir öfters: »Liebe! Sie geben zuweilen ihrer Empfindung Raum und leihen ihr Worte, überall gibt es Lauscher. Armes Kind, ich könnte Sie nicht retten! Denken Sie an Ihren Gatten, an Ihre Söhne.« Doch ich ließ mich nicht warnen. In mir glühte eine unumstößliche Sicherheit, die ich schon 1810 in Heidelberg ausgesprochen hatte. Eine prophetische Stimme in meinem Innern verkündete mir Napoleon's nahenden Untergang, und daß das Kind, welches Marie Luise unter dem Herzen trug, nicht auf den Thron steigen, sondern in der Blüte der Jahre sterben müsse, ja, daß die Bourbons wiederkehren und regieren würden. Ein unerklärbarer, unwiderstehlicher Drang hatte mir diese Worte entrissen. Noch leben welche, die sie gehört haben. Manche hielten mich für geistesverwirrt, andere für eine Feindin des großen Mannes, aus welcher der Haß spräche! Alle diese irrten sich. Meine Worte waren Weissagungen,[39] sie haben sich bewährt. Und seitdem ist mir noch oft die Gewißheit geworden, daß mich die innere prophetische Stimme nicht täuscht; sie erschallt, ich weiß nicht woher, sie verhallt, ich weiß nicht wohin! Sie sagt mir nicht wann, nicht wie, nicht warum? Aber sie verkündet treu, was im Schose der Zukunft liegt. Als Beispiel führe ich das Lied an, das ich beim Jubel der Kanonen sang, als die junge Herzogin von Orleans zu ihrer Vermählung über den Rhein ging. Man bestürmte mich damals, es dem Drucke zu übergeben, als ich es in einer großen Gesellschaft in Stuttgart las; indeß wollte ich den Himmel der jungen Neuvermählten auch nicht mit dem leisesten Wölkchen trüben. Hier ist das Lied:


An Helena, Herzogin von Orleans

Du läß'st die Heimat, die dich hold umfangen,

Und trübe folgen Sehnsucht dir und Bangen,

In deiner eignen Brust. Dein Genius

Warnt leise dich; du rufst: »Ich will, ich muß!«


O losgeflattert Blatt vom Heldenstamme,

Geschleudert wild im Wirbelsturm der Flamme,

So schön, so reich in Seele und Gemüth!

Was ist's, das dich zum fremden Ufer zieht?


Welch liebend Aug' wird deinem Blick begegnen,

Welch treues Herz wird deine Tage segnen?

Dein harrt nur Undank, Leichtsinn, bitt'rer Schmerz!

Denn, armes Herz, du bist ein deutsches Herz!


Vergebens ringst du einst nach süßer Labe,

Nach einer Stund' an deiner Mutter Grabe!

Nach einem Lüftchen nur vom Heimatstrand,

Verlassen du im liebefremden Land!
[40]

Hörst du die Seufzer drüben an der Säule?

Morddurst'ger Tiger donnerndes Geheule?

Dort blutete ein edles, deutsches Herz,

Dort floh die Unschuld jammernd himmelwärts.


Dem Boden gleich gemacht sind alle runden

Tourellen, wo die Hände wund gewunden.

In Kerkersnacht drei Engel schmerzvereint,

Davon nur einer noch auf Erden weint!


Auf allen Schritten werden Blutesspuren

Still drohend leuchten! Fern auf Thal und Fluren,

Wie süß umher des Wohllauts Strom auch wallt,

Schneidend hindurch das Ach der Geister hallt.


Dorthin eilst du! Es schwebt vor deinem Blicke

Ein lockend Bild von Macht und Herzensglücke.

O schöner Traum! O Jugendzuversicht!

Du fliehst, – o brich im Fliehn das Herz ihr nicht.


Die lockend Jubeltön' aus eh'rnen Röhren

Empfangen, falsche Huld'gungen bethören.

Blick' in die Herzen: Mitleid, Wehmuth glüht

Für dich allein in Volkes Hochgemüth!


O könntest du der Fluten Sprache lauschen,

Zurück! zurück! tönt ihr prophetisch Rauschen,

Und bleiche Schatten mit verstörtem Blick

Winken dir, Liebe, bang: »Zurück! zurück!«


Umsonst – so möge denn auf Dornenpfade

Dir leuchten liebevoll das Licht der Gnade;

Und find' im Land', das deine Wieg' umgab,

Einst Trost der Liebe und ein ruhig Grab!


Die letzten Kanonenschüsse zur Feier des Empfangs der Prinzessin dröhnten noch fort, als dies Lied schon fertig war, so rasch hatte ich es gedichtet. Ich glaube[41] es ist hier der Ort, einen dritten merkwürdigen Fall aufzuschreiben.

Ich war in Roßheim, meine Stimmung war ruhig, von politischen Bewegungen erfuhr ich nichts, weder durch Zeitblätter, noch durch Correspondenz Es war am 4. October 1836, als ich vom Lesen eines französischen Buchs ermüdet am Abend in Schlummer sank. Wilhelm war in Baden-Baden, Max in Ischl; von beiden hatte ich gute Nachrichten bekommen. Bis gegen Mitternacht schlummerte ich fest. Urplötzlich weckte mich ein Geräusch; ich setzte mich neugierig auf mein Bett hin, aber mir war als wäre ich nicht dort, sondern auf einer unabsehbaren Ebene, die voll Soldaten in Schlachtordnung vor mir lag. Ich hatte früherhin Napoleon's Truppen in solcher Stellung gesehen. Ich staunte sie an, als wie aus viel tausend Kehlen der Ruf »Vive l'empereur!« mit unbeschreiblicher Gewalt die Luft erschütterte. Dreimal erklang er. Dann verschwand die Armee. Die Ebene und alles war todesstill. Mich überfiel ein Grauen, ich zündete Licht an und nahm ein Buch, es interessirte mich wenig, allein ich konnte nicht wieder einschlafen. Am Morgen ging ich zu Herrn von Brauer hinunter, wo ich zu jeder Stunde willkommen war. Ich erzählte der Familie meine Vision. Denn nach einigen frühern Erfahrungen mußte ich den Vorgang der Nacht dafür erkennen. Einige meinten, es wäre ein Traum gewesen, andere hielten es für eine Einbildung. Justine von Brauer, jetzt Gattin des Maire von Roßheim, hatte mir mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Abends kam der Omnibus von Strasburg mit Briefen und Zeitungsblättern an. Die Botenfrau erzählte, was vergangene Nacht in Strasburg geschehen. Fräulein Justine rief sogleich aus: »Mein Gott, dies ist ja Ihre Vision von[42] dieser Nacht!« – »Ja!« rief ich, mehr als meine junge Freundin erstaunt, denn ich hatte den Vorgang schon vergessen. Die Botenfrau setzte zu ihrer Erzählung noch die Worte hinzu: »Jetzt führen sie Ludwig Bonaparte nach einer Festung!« Da rief es von neuem aus mir heraus: »Und wenn sie ihn bis an das Ende der Welt führten, er wird Kaiser!« So also hatten Geisterstimmen den vieltausendstimmigen Ruf: »Es lebe der Kaiser!« der in jener Nacht in Strasburg erklungen war, zu mir heimgetragen, und meinem innern Auge war das Kriegsheer erschienen, dem Napoleon's Adler vorausfliegen sollten. Als meine Freunde in Roßheim acht Jahr später die neuen Begebenheiten erfuhren, mögen sie lebhaft an mich gedacht haben. Schon lange hatte ich nicht mehr hingeschrieben.

Kehren wir zum Zeitpunkt 1811 nach Aschaffenburg zurück. Es war nun Zeit, einmal nach Mildenburg zu gehen. Ich trug Sorge, meine Angelegenheiten in Heidelberg zu ordnen. Chézy gab mir die Mittel dazu, und ich beschloß in Aschaffenburg zu bleiben, weil ich dort soviel für mein Herz fand und sorgenfreier leben konnte als in Heidelberg. Ich empfing die liebevollsten Briefe von der Schwiegermutter und von Chézy. Der Großherzog sprach mir Trost zu. »Er wolle das Werk der Versöhnung zu Stande bringen«, verhieß er! Ich hoffte nicht, daß es ihm gelingen könnte. Nur zu richtig hatte ich gesehen!

Die sieben Stunden, die Aschaffenburg von Mildenburg trennen, wurden rasch zurückgelegt. Auch der Main hat seine Schönheiten, wenn er gleich nur ein Halbbruder des Rhein ist. Die Klingenburg spiegelt sich in seiner Flut. Die Abhänge, welche sie überthront, schmücken herrliche Reben, aus denen ein edler Wein gekeltert wird.[43] An den Ufern des Flusses entlang herrscht verständiger und fleißiger Anbau, die Landleute sind gesittet und heiter. Gegen Mildenburg zu, wo die Gegend romantischer und schönheitreicher, bis tief in den Schos des Waldes hinein, begegnet man den Spuren des Aufenthalts der Römer und den Trümmerburgen des Mittelalters. Die erste und zweite Ausgabe meines Reisebuchs nach Heidelberg, Manheim, dem Neckarthal, dem Odenwald u.s.w. enthält schätzbare Aufsätze von Mitarbeitern, unter denen die Beschreibung des Odenwaldes vom gräflich Erbach-Erbach'schen Regierungsrath J.F. Knapp, welche eine so gedrängte als ausführliche Beschreibung der Ueberreste des Alterthums, wie auch eine des gräflich Erbach'schen Museums enthält, höchst empfehlenswerth ist. Uebergangen sind jedoch in diesem Aufsatze die merkwürdigen Hainsäulen, eine weite Strecke von der Mildenburg bergauf, wohin uns Freund Horstig führte. Diese gigantischen Trümmer, deren Entstehung uns ebenso räthselhaft ist, als die des Riesensteines bei Heidelberg, enthalten unter anderm eine Säule von vierzehn Fuß Höhe, die wie die andern geringern aus einem Stücke ist. Alle diese Trümmer fanden wir ohne Schaft und Capitäl und unaufgerichtet. Der Deutsche ist gleichgültig gegen seine Schätze aus der Vorzeit. Vor vielen Jahren machte Kotzebue auf die Riesensäule im Odenwald aufmerksam. Er schlug vor, sie bei Leipzig aufzustellen. Ich bin nicht seiner Meinung, es thut mir weh, wenn solch ein Schatz seinem heimatlichen Boden entrissen wird. Wenn die Riesensäule im Odenwald an dem Platz, wo sie gefunden worden, aufgerichtet würde, welch ein stolzer Schmuck würde sie der Gegend sein, und es bedürfte dazu keiner andern Kosten, als die ihrer Aufrichtung und Feststellung, zu welcher alles schon seit vielen Jahren[44] vorbereitet liegt. Die fürstlichen und gräflichen Besitzer der Schlösser und Ruinen am Mainufer sollten sich vereinigen, um diese Denkmale vom Untergang zu retten. Sie fänden drastische Mittel, ein Werk auszuführen, welches Kotzebue durch einige Federzüge gelang. Er hat die heidelberger Schloßruine gerettet, indem er in edler Entrüstung dem unvergeßlichen Karl Friedrich eine kräftige Vorstellung wegen der gewaltsamen Zerstörung sandte, von welcher sie bedroht war und die schon viele Jahre hindurch über sie ergangen war. Sie wurde so nach und nach abgetragen. Wenn die Landleute Bausteine brauchten, fuhren sie hin und holten sich welche von dort, man ließ sie gewähren. Nicht das feindliche Geschütz und nicht die Gewalt der Stürme hat die heidelberger Schloßruine so ruinirt, wie der feige Stumpfsinn jener Tage. Kotzebue erfuhr, ich weiß nicht wie, daß eine Behörde in Karlsruhe oder in Heidelberg bereits mit einigen Mitgliedern jener Gesellschaft, die man die schwarze Bande hieß, einen Kaufcontract abgeschlossen und daß bereits alle Anstalten getroffen seien, die ganze Schloßruine abzutragen und dem Boden gleich zu machen; konnte man doch eine große Summe Geld dafür lösen. Zugleich mit der Sendung nach dem Markgrafen hatte Kotzebue in seiner weit verbreiteten Zeitschrift: »Der Freimüthige«, seine Stimme über diese Unthat erhoben, es war die höchste Zeit. Karl Friedrich nahm Kenntniß vom Kaufcontract und ließ ihn auf der Stelle vernichten. Graf Karl von Graimberg hat diesem Vorgang in seiner Kunstsammlung ein Denkmal gestiftet. Um die Todtenpaste des ermeuchelten Kotzebue hat er die Geschichte dieser That, das Bildniß des Mörders und einige Gegenstände, die darauf Bezug hatten, vereinigt. Im Katalog dieses Museums, das jetzt im[45] Schlosse Raum gefunden, und in den Nachträgen zum Katalog wird der Leser mehr über diesen Gegenstand finden. Dies Werk verdanken wir dem verdienstvollen Gelehrten Professor Leger, der auch durch den Führer in den Ruinen des Schlosses Heidelberg dem Vaterlande ein schätzbares Geschenk gemacht.

Doch wir sind jetzt in der Mildenburg, auf der malerisch entzückend gelegenen milden Burg, wie sie ihr damaliger Besitzer nannte. Ihre Ringmauer war vierzehn Fuß breit. Wir verlebten dort herrliche Stunden. Horstig war ganz Seele und Geist, Milde und Redlichkeit und er wirkte wohlthuend. Sein Grundsatz bei Erziehung seiner Kinder war hauptsächlich, darauf bedacht zu sein, nichts zu hemmen und vorsichtig zu entwickeln, welches zugleich die mühsamste und die leichteste Erziehungsmethode sei. Ich glaube, er hatte recht. Horstig hatte viel Aehnlichkeiten mit Jean Paul, in der Milde, Weichheit und Anmuth seines Geistes; es wurde einem wohl in seiner Nähe, in seinem Hause. Von seinen Schriften sollte eine Auswahl herausgegeben werden; sie enthalten viel Erfreuliches und Lehrreiches. Er war von allem Dünkel frei, voll Bescheidenheit und Wohlwollen. Der Takt, den er in Gesellschaften beobachtete, war ganz auserlesen und ging durchaus aus seiner schönen Natur hervor. Seine vortreffliche Gattin Susette war sehr lebhaft, in Außendingen von ihm sehr verschieden, aber im Innern ihm ähnlich. Seine Schwägerin und Schwager, die ich blos durch ihre Briefe kenne, fand ich geistvoll und gemüthlich, hatte übrigens Julien und Minna öfters gesehen. Horstig war einer der seltenen Menschen, die ausschließlich und freudig nur dem Schönen und Guten leben. Bei meinem mehrmaligen Aufenthalte auf Schloß Mildenburg und bei durchaus[46] vertraulichem Umgange mit der ganzen Familie kann ich rühmen, daß ich nie ein nachtheilig Wort über andere von ihnen gehört. Seine ganze Zeit war dem Unterrichte seiner Söhne und Töchter gewidmet. Seine Art zu belehren war kunstlos, aber zweckmäßig, die jungen Wesen glaubten dabei fortzuspielen. Geschichte, Sprachen, Erdkunde, Musik wurden durch seinen Unterricht zu Ergötzlichkeiten. Gemüthserhebung und Andacht gingen aus der Belehrungsweise selbst hervor. Die Gebete waren kurz und innig. Auf dem Lustwandeln im Wald und Thal oder auf schattigen Anhöhen bot sich ganz natürlich Anlaß dar, von den geschaffenen Dingen zum Schöpfer überzugehen. Es war Horstig's Grundsatz, alle religiösen Gegenstände zart zu berühren und das Licht des Glaubens so allmählich zu verbreiten. Wie der junge Sommermorgen, der mit Dämmerung beginnt und wie Rosen blühet, ehe er golden glühet.

Horstig und die Seinigen standen im Umkreis der Gegend wahrhaft in Achtung. Man kannte ihre Denkungsart und ihren Wandel, man ehrte und liebte sie im gleichen Maße. Der geistreiche Fürst Karl Emich von Leiningen, dessen vortreffliche Gemahlin, jetzt Herzogin von Kent, sahen sie oft. Sie luden uns zu sich ein, besonders wenn sie Musik oder Vorstellungen auf des Fürsten Privattheater hatten. Nach der Tafel war Lectüre. Das Leben der damals jungen Fürstin war musterhaft. Frühmorgens begab sie sich zu ihren zwei Kindern, sprach mit ihnen ein kurzes Gebet, leitete ihnen voll Zärtlichkeit alle Dienste einer treuen Wärterin. Kein unsanftes Wort störte das selige Glück der frohen Kinder und der zärtlichen Mutter. Die Fürstin unterrichtete Karl und Feodora ganz nach Horstig's Grundsätzen, den ganzen Morgen hindurch bis zwölf Uhr.[47] Dann widmete sie ihre Muse den edeln Beschäftigungen, mit denen sie ihr Leben schmückte: der Malerei, der Musik, in der sie Meisterin war, und den feinsten und sinnreichsten Arbeiten. Nach der Tafel ritt sie aus. Die Abende wurden auf verschiedene Art ausgefüllt, oft mit den Kindern zugebracht. Der Anblick der drei schönen Gestalten schien ein Bild von Leonardo da Vinci zu sein, das ins Leben getreten: so vergeistigt war ihre Schönheit. Correggio, Luini, Leonardo da Vinci stellten einen eigenthümlichen Charakter weiblicher Schönheit vor. Ein sinniges, feines Lächeln, große Augen, halb von den Wimpern verhüllt, eine gedankenreiche Stirn, warme zarte Färbung des Gesichts, ein zierliches Oval des Hauptes herrschten darin vor. Agostino Caracci, selbst Ludovico Domenichino malten noch in diesem Geist, von welchem man in andern Schulen, selbst in der römischen und florentinischen keine Spur findet. Man findet jetzt selten Gesichtsbildungen oder Gestalten, die an die Gebilde der herrlichsten alten Geister Italiens und Deutschlands erinnern. Menschlichkeit und Kunst sind fleischlicher geworden. Geist und Phantasie der Aeltern bringen schöne Kinder hervor. Während der ersten Kindheit sind beinahe alle Kinder schön und bleiben es, bis das Leben sie verheert und verflacht. Nur Geist und Gemüth, nur die Schönheit des innern Menschen kann die äußere aufrecht erhalten.

Fürst von Leiningen war ein leidenschaftlicher Jäger und ein trefflicher Schütze. Er leitete musterhaft sein Privattheater und wurde von einigen Personen seines Hofstaates und von den Bewohnern Amorbachs nach Wunsch unterstützt. Ein solches Theater ist ein vortreffliches Bildungsmittel für eine ganze Gegend; auch die Persönlichkeit der Dilettanten wirkt darauf ein. Keine ehrgeizigen Absichten, kein Eigennutz liegen ihren Leistungen[48] zu Grunde: reine Liebe zum Schönen, edles Bestreben, Freude und Genuß zu verbreiten, befeuert ihr Spiel. Auch gehen zuweilen die schönsten Talente aus Privattheatern hervor; es sind Vorübungsschulen für die Schauspielkunst. Wenn man sich gegen sie auflehnt, als Eitelkeit nährend u.s.w., so möge man bedenken, daß eitle Wesen bei jeder Unterhaltung, bei jedem Erscheinen in Gesellschaft Gelegenheit finden, ihrer Leidenschaft zu fröhnen und unedeln Trieben Raum zu geben. Es hängt ganz von der Wahl der Stücke ab, wie sie auf das Gemüth der Darstellenden und auf den Kreis der Zuschauer wirken sollen. Ungezwungenheit der Haltung, Sinnigkeit des Gesprächs, des Ausdrucks, der Geberde werden durch das Auftreten junger Personen auf Liebhabertheatern befördert. Mögen doch manche unter ihnen einer gewissen Scheu vor fremden Menschen zu erscheinen Raum geben; manche andere, sich ohne Anlagen wissend und nicht erscheinen wollend, mögen zurückbleiben; niemand wird sie tadeln. Allein man tadle auch nicht diejenigen, die sich nicht weigern, die Freuden der Gesellschaft zu erhöhen, und lege ihnen auch nicht Absichten unter, die jungen reinen Gemüthern fern bleiben. Alles hängt vom Geiste ab, in welchem eine Sache betrieben wird.

Als ich in Aschaffenburg war, wünschte der Fürst Primas, ich möchte mich an einem Stück für sein neues Theater versuchen. Der Director Schummauer, Karl Heuser, ein echtes Talent, das an den unsterblichen Fleck erinnerte, Madame Witz, eine schöne seelenvolle erste Liebhaberin, ihre Gatte, ein Intriguant ersten Ranges, auch in Lust- und Schauspiel sehr verwendbar und andere brauchbare Mitglieder bildeten den Kern der Gesellschaft. Das neue erbaute Theater war sehr stattlich, das Orchester[49] von seltener Ausbildung. Der berühmte Stärkel, ein seelenvoller Componist, ein gefühlvoller Dirigent leitete es. Ich wählte zum Stoff meines Dramas »Eginhard und Emma«. Ich will nun gestehen, daß ich etwas ganz Unleidliches schrieb und mich viel damit wußte. Mit hochklopfendem Herzen eilte ich zu Frau von Wolzogen, um mein Meisterstück vorzutragen. Himmel! wie stürzte ich aus meiner Höhe herab, als die edle Frau mit sichtbarem Misfallen zuhörte und mich in kurzen Worten, die mich ganz überzeugten, ich habe da etwas ganz Wirkungsloses und Gewöhnliches geschrieben, belehrte. In den Worten der Frau von Wolzogen lagen Klarheit, Redlichkeit und Antheil an mir. Ich hatte denen, die mir wohlwollten und mein Bestes im Auge hatten, nur zu oft Anlaß gegeben, mir schmerzliche Wahrheiten zu sagen, denn noch immer hatte mich das Leben nicht erzogen. Die Worte der Frau von Wolzogen machen einen gemischten Eindruck auf mich. So sehr ich sie verehrte, so aufrichtig ich ihre Güte anerkannte, konnte ich doch einer gewissen bittern Empfindung nicht gebieten; ich äußerte sie zwar nicht, aber ich fühlte sie, es kostete mich Selbstüberwindung, ihr zu danken, denn der Dank ging nicht von Herzen. Die theure Frau fühlte zu frei und zu klar, um meine Empfindungen nicht zu durchschauen. Doch sie war nachsichtig und schien meine gereizte Empfindlichkeit nicht zu bemerken. Der Erfolg dieser Sitzung war das Aufflammen meiner ganzen Kraft, und ich schuf etwas Würdiges und Schönes. Karl von Dalberg hatte große Freude daran und es wurde sogleich auf dem Theater einstudirt. Der Freiherr von Hettersdorf schrieb schnell eine Ouvertüre, Arien, ein Schnitterlied, eine Romanze und Chöre. D Großherzog hatte mir den Rath gegeben, die Sage von der[50] Entstehung des Hauses Erbach in die Dichtung zu verweben. Das Haus war um Ersticken voll. Der Großherzog hatte sich zu mir gesetzt, mich aufzumuntern, denn ich war schmerzlich gespannt und voll Bangigkeit. Doch der Erfolg übertraf meine Erwartung. Die liebreichsten Worte klangen mir zu und beseligten mich.

Fürst Leiningen bat mich, mein Drama bei seiner Gemahlin vorzulesen. Er äußerte sich sehr günstig darüber und verlangte das Stück, um es aufzuführen. Ich kam oft nach Amorbach und verließ es, sowie das schöne Mainufer mit wahrem Kummer, es war mir heimatlich geworden.

Während der Zeit war Goethe nach Heidelberg gekommen. Er wohnte bei Boisserée, schlief in der Gemäldegalerie, wo sich selbst ihm, dem Vielgewanderten, eine neue Welt der Kunstanschauungen erschloß. Er ließ ein unauslöschliches Andenken zurück. Schon im Begriff, nach Aschaffenburg zurückzukehren, überraschte mich die traurige Nachricht, daß ein Nervenfieber von unbeschreiblicher Wuth dort ausgebrochen sei. Ich blieb in Mildenburg zurück. Vergebliche Vorsicht, die mir das Leben meines liebsten Kindes nur auf Jahre sicherte! Im Jahre 1846 verlor ich meinen Max, für dessen Leben ich so oft gebebt, so viele Opfer gebracht hatte und gern mein eigenes Leben hingegeben haben würde.

Das Weihnachtsfest 1811 wurde in der Mildenburg fromm und hold begangen. Es ist ja das Fest der Unschuld und des Glaubens, welches unsichtbar die schönsten Engel umschweben. Meine gute Mutter erzählte mir, daß sie meinem Bruder, als er sein zwölftes Jahr erreicht hatte, die Christgaben auf einer Schüssel beschert. Der Knabe weinte und schob die Bescherung zurück. »Ich will gar nichts«, rief er aus, »wenn es mir der[51] heilige Christ nicht bringt.« Im Jahre 1810 brach mein ältester Sohn in das heftigste Schluchzen aus, weil das rohe Dienstmädchen, welches ich damals hatte, den schönen Weihnachtsbaum ergriff und ihn über ihr Knie zerbrach. Dieser Augenblick schien mir eine trübe Vorbedeutung zu enthalten. Sie ist auch eingetroffen. Still, mein Herz!

Eduard Horstig, ein reichbegabter, blühender Jüngling, den der Tod früh dahingemäht, kam an jenem Weihnachtsabend überraschend auf der Mildenburg an. Der heftigste Sturm, der bitterste Frost konnten die Liebe nicht zurückscheuchen. Er lag athemlos, frostdurchschauert an seines Vaters Herzen, die Geschwister kletterten an ihm hinauf, wollten ihm Wärme einhauchen, rieben seine erstarrten Hände und bedeckten sie mit Küssen. Die Mutter feierte stumm das frohe Wiedersehen. Eduard Horstig brachte und empfing Gaben der Liebe. Wie schnell entflogen die Stunden bis Mitternacht. Doch ich glaube, der Gang durch den Odenwald zu Fuß von Heidelberg aus hat den Todeskeim in Eduard's junge Brust gesenkt. Er kränkelte seitdem ohne Aufhören. Ich bin des festen Glaubens, daß es das unbewußte und unbezwingliche Sehnen nach jenseits ist, das die sterbliche Hülle der Gotteserkorenen früh zerbricht und den Weg zum Heimatlande verkürzt. »Soll eine Nachtigall auf deinem Grabe klagen, so stirb noch eh' dein Lenz verblüht!« sang Wilhelm von Chézy. Nie habe ich diese Zeilen vergessen; aber wer kann denn sterben, ehe er darf?

Dumpfe Ergebung war das einzige Gefühl, welches beim Ausbruch des Kriegs mit Rußland in den deutschen Gauen waltete. Das Entsetzliche, was als Ahnungswolke am Horizont geschwebt, sollte nun als donnerndes[52] Gewitter furchtbar noch die Welt bedrohen. Am 20. März schienen Frankreichs Geschicke durch die Geburt des jungen Napoleon für immer gesichert zu sein. Marie Luise litt unbeschreiblich dabei; der leitende Arzt fragte Napoleon, er werde die Mutter oder das Kind opfern müssen, wen er opfern solle? »Das Kind muß gerettet werden«, rief der Kaiser. »Die Kaiserin ist wie eine andere Frau zu behandeln. Gewiß werden Sie beide retten.« Dies geschah. Doch in der schönsten Blüte der Jugend und noch in der Wiege entthront, starb der Knabe, der schon Majestät hieß, als er nur das Licht der Welt erblickte. Seit der grausamen, langsamen Ermeuchelung Ludwig's XVII. ist kein Kronprinz von Frankreich zum Herrschen gekommen. Der schöne blühende Knabe, welcher der Ehe des Kaisers und Marie Luisens entsproß, fiel in zarter Jugend, ein Opfer früh entwickelter Leidenschaften. Nach der Restauration wurde der Kronprinz Herzog von Berry durch Louvel's Dolch ermordet. Sein hoffnungsvoller Sohn lebt im Exil. Ferdinand von Orleans, Sohn des Ludwig Philipp, kam auf dem Wege um, den man den der Revolte heißt. Seine zarten Kinder blieben verwaist. Doch wenn keins von ihnen auf den Thron gelangt, so werden sie dennoch in der Leitung der zärtlichen, geistbegabten Mutter den Weg des Ruhms und des Glücks finden. Ludwig Napoleon's muthmaßlicher Thronerbe kam todt auf die Welt. Der präsumtive Thronerbe Napoleon's I., ältester Bruder des jetzigen Kaisers, war in demselben Alter, wo Ludwig XVII. durch die Revolution entthront wurde, dem Tode verfallen. Welche zahlreiche Reihe von Opfern im Zeitraume eines halben Jahrhunderts, und nur der Tod des kleinen Louis Bonaparte war ein natürlicher. Die Hand des Geschicks schreibt das »Mene Mene Tekel«, das einst[53] den König Belsazar und seine Gäste entsetzte, noch immer an die Wände der Paläste, doch die Schrift bleibt unverstanden.

Ich kann nicht vom Odenwald scheiden, ohne der liebenswürdigen gräflichen Familie zu Erbach zu erwähnen. Ich lernte sie bei Fürst Leiningen kennen und werde in einem der folgenden Abschnitte dieses Werks mehr von ihnen sagen.

Ich fand in Aschaffenburg den Fürsten und seine Umgebung in sichtlich gedrückter Stimmung. Napoleon hatte eine unerschwingliche Summe von ihm, ich weiß nicht, aus welchem Grunde, verlangt. Er war darauf bedacht, sie herbeizuschaffen Die Stadt war in Trauer wegen der vielen Verluste der Familien durch das Nervenfieber, das auch noch im Frühling und Sommer viele Opfer forderte. Diese schweren Misgeschicke waren nur Vorboten des nahen unermeßlichen Jammers, zu welchem die Lose schon geworfen waren. Ich war krank von Mildenburg angekommen, furchtbar schwach und ermattet, brachte den Winter sehr einsam zu, bedurfte Zerstreuung, weil mich traurige Ahnungen niederdrückten und mußte einsam bleiben.

Das Studium des Spanischen rettete mich aus meinem Hinbrüten und hauchte mir neues Leben ein. Schon der Reiz des Eindringens in die Feinheiten dieser schönen Sprache beschäftigte mich und regte mich angenehm an. Zum Sprechen hatte ich keine Gelegenheit und auch nichts anderes zu lesen, als die Schauspiele Calderon's. Ich übersetzte »Auf geheimen Schimpf geheime Rache« in Jamben, einige der wirkungsvollen Scenen im Silbenmaß des Originals. Fürst Emich von Leiningen schrieb mir darüber einen geistvollen Brief; auch Karl von Dalberg lobte meine Uebersetzung sehr.[54] »Das laute Geheimniß«, ein heiteres Lustspiel, »der Versteckte und die Verkappte«, in eben der Art geschrieben und einige andere beschäftigten mich und regten mich wohlthätig an. Der Großherzog verreiste; die Hoffestlichkeiten hörten während seiner Abwesenheit auf, das Theater vernachlässigte sich und verlor Abonnenten, Fremde blieben fern; einige Zerstreuungen und Kunstgenüsse boten einige Familien dar. Ueberall stieg die Spannung der Gemüther. Napoleon wollte den Baron Reden von Stade aufheben lassen, weil ihm seine Gesinnung und seine Aeußerungen misfielen. Wahrscheinlich hatten die Angeber, wie Angeber immer thun, sich in ihren Berichten überladen. Denn wenn sich gleich Baron Reden in seinem heiligen Eifer für Deutschland zuweilen seiner Stimmung zu sehr überließ, so war er doch zu fein gebildet, zu besonnen, um Worte zu sagen, die ein Mouchard zu Gelde hätte machen können, allein Napoleon war damals sehr gereizt. Zu rechter Zeit erfuhr Karl von Dalberg, daß seinem würdigen alten Freunde Unglück drohe. Er eilte sogleich hin zu ihm mit beladenen Taschen, führte ihn in der Nacht noch nach einem bestellten Schiffe, nahm einen Abschied, den ein Thränenstrom netzte und riß sich aus seinen Armen, wohl ahnend, er sehe ihn zum letzten male und ihr Lebenswege seien für immer getrennt. Er schwankte dann allein zurück nach Baron Reden's Wohnung, um sich mit der Familie seines Freundes zu betrüben, denn nur das ist die rechte Art, Leidende zu trösten.

Als in Darmstadt der geniale, biedere Le Plat du Temple, der eine Napoleonide geschrieben hatte, aufgehoben und nach Mainz geführt wurde, um dort in wenigen Tagen seine Feuerseele auszuhauchen, hatten wir, seine Freunde, keine Ahnung von seinem Untergange.[55] Es war kein Dalberg da, der ihn hätte retten können; er war ein schuldloses Opfer. Das aber ist der Fluch der Größe, daß der Eifer ihrer Freunde zu thätig ist, sodaß sie wie Don Quixote Riesen bekämpfen wollen und gegen Windmühlen zu Felde ziehen. Le Plat du Temple war nicht blos schuldlos, sondern er glühte für des Kaisers große Eigenschaften. Er starb und wurde bald vergessen. Wen vergaß man damals nicht?

Im Spätherbst ließ mich Fürst Leiningen nach Amorbach laden, weil mein Schauspiel »Emma und Eginhard« mit der reizenden Musik von Hettersdorf nun einstudirt sei. Wir reisten hin, bezogen eine kleine Wohnung im Hause des Hoheitschulzen. Dort wartete mein ein unaussprechlich schmerzlicher Eindruck. Zum ersten male in meinem Leben sah ich das Volkselend, zwar nicht in seiner entsetzlichsten, aber doch in seiner rührendsten Gestalt. Junge Mütter, an der Hand ein oder zwei abgezehrte kleine Kinder, eins an der ausgedorrten Brust, die frostbebenden Glieder spärlich mit Lumpen bedeckt, die eingefallenen Wangen von Thränen durchfurcht, die Lippen blau, standen in Scharen vor dem Hause und an der Thür des steuereinnehmenden Beamten und reichten angstvoll kleine Summen dar, die nicht ausreichten, um ihre Steuer zu zahlen, indeß die Kinder vor Frost und Hunger winselten. Diese Steuern gehörten nach Darmstadt, unter dessen Hoheit das zweimal so große Fürstenthum Leiningen steht, dessen Herrschaft gleichfalls Steuer von seinem Lande bezieht.

Der erschütternde Anblick der unglücklichen Odenwälder, denen der Hoheitschulz zwar nichts erlassen konnte, aber dennoch aus Erbarmen Fristen gab, indem er in[56] Darmstadt für sie einstand, ergriff mich bis ins Mark. Ich war damals selbst so arm, daß ich beim Fürsten nur in der einfachsten Kleidung erscheinen konnte, es war mir also unmöglich zu helfen. Ich sprach mit mehreren meiner dortigen Freunde über diesen Gegenstand. Sie antworteten: »Das Elend in diesem Lande kommt noch von den Zeiten der Mönche her. Die Bewohner sind verwöhnt und träge. Aus dem Kloster empfingen sie Suppen und nährten sich davon, wollten nichts arbeiten. Nun ist mit dem Kloster diese Aufhülfe verschwunden. Dazu kommt die doppelte Steuer, und den Leuten ist nicht zu helfen.« Ich begnügte mich schwer mit dieser Erklärung, doch sie mußte ausreichen. Mit Beschämung will ich gestehen, daß es mir dennoch an der fürstlichen Tafel schmeckte, daß die herrlichen Musikabende im Schloß mich entzückten, die Maskenbälle mir Vergnügen machten und der Eifer für die Aufführung meines Schauspiels mein Gemüth mehr beschäftigte, als der Zustand der darbenden Volkshaufen. Solch ein erbärmliches Geschöpf ist der Mensch, wenn er auch mit einem guten Herzen begabt ist. Zu meinem Trost darf ich hinzusetzen, daß ich treulich wieder gut gemacht habe, was ich damals leichtsinnig versäumte. Es ist mir süß, auszusprechen, daß die Fürstin nach dem Tode ihres Gemahls, als sie Vormünderin und Regentin wurde, mit rastlosem Fleiß und unsaglicher Mühe dem Elende Abhülfe that. Gott segne sie, denn ihre Aufgabe war eine der mühevollsten, die je eine noch so junge Fürstin bestanden hat.

Der Abend des 13. November kam herbei. Fürst Leiningen wollte die Vorstellung von »Emma und Eginhard« zu einem Familienfest erheben. Alle Verwandten des fürstlichen Hauses, Bewohner des Odenwalds[57] und des Mainufers fanden sich in Amorbach ein. Sie nahmen mich in ihre Mitte, bezeigten sich so herzlich, so ehrenvoll gegen die Dichterin, als wenn ich selbst ihnen angehörte, wiewol ich im bescheidenen Kleide von wiener Tricot, ohne alle Verzierungen, im gescheitelten Haar, ohne allen Schmuck war. Manche mögen mir das für Hochmuth ausgelegt haben. Der Fürst füllte die Rolle Karl's des Großen aus, Frau Hofmarschallin von Frays die der Emma, ein Fräulein Eschborn, die vortrefflich sang, die der Gisela, auch andere Rollen waren gut besetzt und wurden so ganz im Geist der Dichtung gegeben, daß sie den Zuschauern Thränen entlockten. Ich weiß nicht mehr, was ich dem Fürsten antwortete, als er in die Loge trat und mich liebreich fragte: »Sind Sie zufrieden?« Die Abendtafel, in Gestalt eines Hufeisens, war so eingerichtet, daß man von allen Seiten her mit mir sprechen konnte. Graf Franz von Erbach saß zu meiner Rechten, Graf Albrecht von Erbach-Fürstenau zu meiner Linken. Jeder Laut, jeder Blick, der mir zugewendet wurde, strahlte von Herzlichkeit. Ich vergaß mein weißes Tricotkleid und dachte nur an den Kranz um meine Stirn. »Wäre die Karschin da!« dachte ich feuchten Blickes, »und o du, meine Mutter, und du Chézy, der einst der meinige war.« Mühsam verbarg ich die Thränen, die mir im Auge zitterten. Ein Hohn des Schicksals erschien mir der unvergleichlich Abend, und wäre nicht die zärtliche und zarte Huld gewesen, die mich umgab, ich hätte mich in Thränen aufgelöst. Doch meine Wehmuth machte der Empfindung Platz, daß bei meiner Verlassenheit, Armuth und meiner bescheidenen Erscheinung nur mein Herz und mein Lied in Anschlag gebracht worden und daß dieser geistvolle, edle Kreis sich mehr durch mein[58] Gedicht geehrt fühlte, als er glaubte, mich ehren und feiern zu können. Die süßen Augen, die in Thränen gestanden hatten, waren mit voller Liebe auf mich gerichtet. O Gott, vierundzwanzig Jahre später, welcher Wechsel! Statt der holdseligen Töne huldiger, süßer Worte der Todeskampf meines Max, statt des freudigen Blicks in die Zukunft: Verlassenheit und Sehnsucht nach der letzten Ruhestätte. Nur eins ist mir geblieben: das Bewußtsein eines reinen festen Willens für das Gute und Schöne, des glühenden Herzschlags für die Menschheit und des guten Gewissens.

Die fernen Donnerschläge im Norden, deren Erschütterung auch unhörbar die Welt durchbebte, zermalmten die Gemüther. Auf das bairische Contingent waren die herbsten Schläge des Kriegs gefallen. Ganz Baiern war in Trauer, ganz Hessen beweinte die Opfer der Schlachten. Junge Söhne, liebende Gatten, Väter und Brüder, alle Briefe brachten Todesposten. Die Hauptmannsfrau Hecht, die mit ihren zwei Kindern während des Feldzugs in Amorbach bei einer zärtlichen Schwester lebte, wollte noch in derselben Nacht fort, als sie die Schreckensnachricht empfing, daß ihr junger Gemahl bei Smolensk gefallen. Auf das Schlachtfeld wollte sie, die theuern Ueberreste auffinden und zur Erde bestatten. Dies war eine schreckliche Nacht. Sie wurde entsetzlicher durch die Vorstellung, daß unzählige Witwen und Waisen durch dieselbe Post gleiches Weh erfahren. Die junge Trauernde dachte ihrer verwaisten Kinder und fand wieder Lebenskraft, sie mußte ihnen ja die Mutter erhalten.

Wenige Tage nach diesem Vorfall lud mich der Fürst zu sich ein. Er flüsterte mir bei Tafel zu: »Sie sind sehr schmerzlich bewegt, sehr bleich! Wie könnte es anders[59] sein? Aber ich habe Ihnen etwas mitzutheilen, was ich Ihrer Verschwiegenheit anempfehle. Kommen Sie nach Tisch mit mir in das andere Zimmer!« Des Fürsten Blick zeigte von heftiger innerer Bewegung. Er führte mich nach der Fensterbrüstung des Salons, wo wir unbelauscht bleiben konnten. »Hören Sie nun«, sagte er leise, »alle europäischen Mächte, nur Sachsen nicht, haben sich gegen Napoleon heimlich verbündet und seinen Untergang beschlossen.« Ich wollte aufjubeln. »Ruhig, Liebe«, sagte der Fürst, und nie werde ich seinen Blick vergessen, in welchem unermeßliche Trauer lag, »Napoleon muß fallen, man kann ihn nicht emporhalten, nicht retten; aber diese Nothwendigkeit ist entsetzlich, Europa bedarf seiner mehr als je, und dennoch muß seine Gewalt vertilgt werden. Er wird unterliegen, aber wehe uns nicht minder, denn alles, was er Großes gewollt, wird mit ihm zu Grunde gehen und alles, was er Unheilbringendes gesäet, wird in den Händen, die nach ihm die Zügel halten werden, wuchernd emporschießen.« Mit diesen Worten eilte der Fürst heftig bewegt fort und ließ mich betäubt, zermalmt zurück.

Schlag auf Schlag kamen nun die Schreckensnachrichten aus Rußland, die allgemeine Bestürzung, allgemeines Leid verbreiteten. Es war einem zu Muthe, als könnte man nie wieder froh werden. Aber was überwindet der Geschaffene nicht? Der Blindgeborene durch Stumpfheit und Leichtsinn und der Bessere durch Spannkraft, der Fromme durch Gottvertrauen!

Frankreich tanzte nach Salvandy's geistvollem Wort 1830 über einem Vulkan. Jetzt, wo ich dies schreibe, tanzt Europa und der Orient mit. Doch nicht Scherasmin hat in Oberon's Horn gestoßen; Novalis träumte von einer Zukunft, wo der Krieg in das Schachspiel[60] verbannt sein würde. Wie weit sind wir von dieser Zukunft! Es heißt nicht mehr: Schach dem Könige, sondern Schach der Welt!

Vielleicht würden mich die gräßlichen Begebenheiten des Winters 1812 zermalmender getroffen haben, wären nicht meine beiden Söhne schwer erkrankt und ich nach ihnen. Es wurde Zeit, nach Aschaffenburg zurückzukehren. Vorher mußte ich noch nach Schloß Erbach und Erbach-Fürstenau. Ich nahm wehmüthigen Abschied vom lieben Amorbach, wo ein so sinniger Kreis von angenehmen Familien mich umgab: der Geheimrath Mieg, ein Mann, der mit ausgezeichneter Bildung ein großes musikalisches Talent vereinigte, seine liebenswürdige Gattin und Töchter; die schöne und ausgezeichnete Fräulein Polyxena von Tubeuf, deren Mutter und Schwester; ein Freiherr von Boyneburg mit seiner Gemahlin aus Kassel; die Familie von Hohenhorst, deren Haus ein wahrer Musiktempel war; der Erzieher des jungen Prinzen von Leiningen, Wagner, ein vortrefflicher junger Mann, späterhin Oberconsistorialrath; der hochgebildete geheime Cabinetssecretär des Fürsten, Steinwarz; der edle Generalsuperintendent Klevesahl, einer der erleuchtetsten Geistlichen, die ich je gekannt. Mein Erkranken hinderte mich, mehr Bekanntschaften zu machen.

Das erste Ziel der neuen Pilgerfahrt war das Schloß Erbach, wo ich eingeladen war, einige Wochen zuzubringen. Wir gelangten um ein Uhr in dies Tusculum, oder wie man sonst den Platz nennen will, wo sich die zarteste Gemüthlichkeit, der erleuchtetste Geist, der vortrefflichste Kunstgeschmack und die heiterste Gastlichkeit vereinigten, um ihn unvergeßlich zu machen. Es wäre überflüssig, der hier vereinigten Kunstschätze aus der Römerzeit und dem fernsten Mittelalter ausführlich zu[61] erwähnen und nur im Vorbeigehen gedenke ich des Eindrucks, den das Ganze auf mich machte, der überschwenglich war. Durch die Urbanität des Besitzers fühlte man sich sogleich einheimisch, in einer Wunderwelt, die der kühnste Traum der Phantasie nicht überflog. Eine Reihe von hohen geräumigen Sälen prangte mit herrlichen Gebilden der Götter, Helden und Weisen des Alterthums und mit den Waffen und Geräthschaften der Römer, Griechen, Aegypter und anderer Völker der Vorzeit. In den mannshohen Marmorkaminen brannten ganze Bäume. Mit einem Ruck versetzte diese Anschauung den Eintretenden in eine neue Welt, aus welcher alles Gewöhnliche verbannt und über die nur der Schönheitssinn sein strahlendes Scepter hielt. Trat man in den Eßsaal, so leuchtete einem aus allem, was man sah, Gediegenheit und anmaßungslose Zierlichkeit entgegen. Das Tafelservice war der Triumph des Rococostils. Alle Zimmer im Schlosse vereinigten mit bescheidener Pracht ernste Zierlichkeit und Würde. Fast möchte ich sagen, daß die Dienerschaft zu den Prunkwerken des Hauses zu gehören schien, man merkte es manchem Einzelnen an, daß er im Schlosse geboren und erzogen war; auch die ergrauten Diener und Dienerinnen hatten einen Ausdruck der Zuversicht und Behaglichkeit, als wüßten sie, daß sie ihre Lagerstatt nur früher oder später mit dem Sarge vertauschen würden. Das ganze Haus war das Reich des Friedens und der Liebe. Meine freundlichen Zimmer gingen auf den Odenwald hinaus, mein Schreibtisch war einladend. »Ich komme erst um elf Uhr morgen zu Ihnen«, sagte die liebe Gräfin, »um sieben erhalten Sie Ihr Frühstück und bleiben im Négligé, Sie müssen Muße behalten für Ihre Beschäftigungen und für Ihre Kinder.« Sie erschien dann zur bestimmten Stunde. Der Morgen entflog[62] unter heitern Gesprächen. Eine Viertelstunde vor der Tafel verließ mich die Gräfin, um die letzte Hand an die Toilette zu legen. Bei der Tafel fanden wir uns wieder. Zwei Schweizerinnen, Fräulein Bellami, Gesellschaftsdame der Gräfin, und Fräulein Roux, ein werther Besuch derselben, erheiterten die Mittagsstunden. Nach dem Café fuhr der Wagen vor. Das rasche Viergespann durchflog die breiten Alleen des Odenwalds mit freudiger Hast. Verwandte und Freunde wurden aufgesucht. Am Abend kamen werthe Besuche zum Thee oder man verfügte sich zur Frau Baronin von Williers, unversiegbaren Andenkens. Sie war noch nicht lange ihres zweiten Kindes genesen und mußte das Bett hüten. Man plauderte und las. Baron Williers, aus dem alten berühmten Geschlechte dieses Namens in England, sah dem Besitze von drei Millionen Gulden entgegen, denen noch drei Millionen nach dem Tode zweier Tanten nachfolgen sollten. Für den Augenblick war seine Lage eine höchst anständige, aber bemessene, späterhin traf ihn und die Seinigen der Wechsel des Glücks, nicht ganz ohne seine Schuld. O wie sie so recht haben die Weisen, Fortuna's Gaben zu fürchten, statt sie zu ersehnen. Oft berauschen sie den Verstand und verderben das Herz. Zum Glück gehört mehr innerer als äußerer Reichthum.

Ganz verschieden von dem Geiste, der im Schloß Erbach waltete, fand ich den der Bewohner von Erbach-Fürstenau. Es war der Triumph der modernen Zierlichkeit und Pracht. Die holdselige Besitzerin, Gemahlin des Grafen Albrecht, Emilie geb. Prinzessin von Hohenlohe, waltete dort geliebt und glücklich, wir verlebten dort heitere Stunden. Alle Schrecknisse, Leiden und trübe Ahnungen der Zukunft waren verschwunden, alles[63] um uns her athmete Liebe, Geist und Frieden. Wir mußten scheiden. Die süße Beschwichtigung aller Leiden meines Lebens hörte plötzlich auf zu walten. Ich ging mit unsichern Schritten der drohenden Zukunft entgegen. Am schmerzlichsten riß ich mich aus den Armen der Gräfin. Ihr Antheil an meinem Schicksal war der Liebe so gleich, daß man ihn wol dafür nehmen konnte. Auch der Graf verstand mein Herz und mein Wesen, und der Odenwald wird immer eine der erquickendsten Oasen meiner Erinnerungen bleiben.

Aschaffenburg fand ich tief verdüstert. Auch Karl von Dalberg war fort; nach nicht langer Zeit kam er zurück. Er war nicht froh, wie hätte er es sein können? Wie ein Blitz aus heiterer Luft, unvorhergesehen, unabwendbar, war das Unheil über die Welt hereingebrochen. Es gab wenige geistige Anregung in Aschaffenburg, daher war mir Franz Bopp's Bekanntschaft sehr willkommen. Er war im Begriff, nach Paris zu gehen, um persisch und Sanskrit bei Chézy zu studiren. Einstweilen lehrte ich ihn das Persische lesen und viele Zeitwörter und Substantive. Chézy mit seinem glühenden Herzen empfing ihn wie ein Vater. Er erschloß ihm die Pforten der Wissenschaft und verschwendete an den gelehrigen Schüler alle Schätze seines Innern. Ich habe nicht nachgeforscht, ob er Dank erfahren. Professor Merkel fuhr noch fort, spanisch mit mir zu treiben; diese Studien erheiterten mich. Horstig lud mich noch einmal dringend nach Mildenburg ein. Ich lernte dort den Declamator Theodor von Sydow kennen und schätzen. Er war genialer wie seine Declamation, poetisch wie sein Leben, redlich als Freund, er dachte laut. Diese schöne Eigenschaft wird alle Tage seltener.

Der Stickhusten brach unter den Kindern auf der[64] Mildenburg aus. Ich eilte fort, aber es war fast zu spät. Mein Max, von einem ungeschickten Arzte zweckwidrig behandelt, erkrankte tödlich, sein Blut quoll in Strömen aus dem Halse heraus; er wollte nichts genießen, lag an mir, meinen Hals umklammernd, und schrie furchtbar, wenn ich ihn einen Augenblick niedersetzen wollte. Hofrath Chihak, ein überaus geschickter Arzt aus Böhmen, der mich noch nicht persönlich kannte, kam zu mir aus reinem Antheil an den Leiden meiner Kinder, von denen er gehört hatte; er wußte auch, wie unzuverlässig der Arzt war, den ich unglücklicherweise gewählt. Er versicherte mir, mein Max und mein ältester Sohn, der nicht so gefährlich krank war, würden beide genesen, wenn ich das Heilmittel des berühmten Hofraths Autenrieth in Tübingen brauchen wollte, er wolle es mir sogleich verschaffen. Als ich eine Zeit lang schwankte, ob ich ihm Folge leisten sollte, fiel er vor mir auf die Knie und rief: »Ich stehe Ihnen für den Erfolg mit Ehre und Seligkeit, die zwei lieben Kinder müssen gerettet werden.« Ergriffen und tief gerührt gab ich nach. In drei Tagen war mein Max dem Tode entrissen und Wilhelm besserte sich. Als ich Chézy schrieb, setzte ich zwei Zeilen auf, die ich unter Angst und Jammer des Mutterherzens gedichtet hatte:


Wo thronen Lieb' und Schmerzen?

Ach, nur im Mutterherzen.


Welchen seelenvollen Brief empfing ich hierauf! Sollte ich meine Augen wiedererlangen, so will ich ihn hier abdrucken lassen. Gott hatte mir von neuem das Leben meines Sohns schenkt; doch bleibt es wahr, daß die unverständige Behandlung seines Arztes ihn in das Grab stürzen konnte und daß seine Brust angegriffen blieb,[65] dies konnte ich aus verschiedenen Zeichen wahrnehmen. Ich habe genug gesagt, um die Aufmerksamkeit der Mütter auf Autenrieth's wirksames Heilmittel zu lenken, welches ich ihnen aus voller Seele anempfehle. Unzählige Kinder und leidende junge Personen sind durch dies einfache Verfahren gesund geworden. Alle Apotheker bereiten es auf ärztliche Verschreibung. Ein Theil fein pulverisirter Brechweinstein wird mit einer Dosis ausgelassenen Schweinefettes auf einer Platte verrieben, hiervon wird ein Theelöffel voll über die Herzgrube sanft gestrichen. Dies geschieht dreimal des Tags und man fährt damit fort, bis sich auf dem eingeriebenen Platze kleine Pusteln zeigen, welche schnell reisen. Sobald diese Eruption erfolgt ist, muß man die Einreibung etwas unter den Pusteln anbringen. Schon am dritten Tage ist die Gewalt des Uebels gebrochen, der Krampf ist gelindert und die Besserung beginnt, indem man fortfährt, bis nach der Gegend des Unterleibes zu die Einreibungen anzubringen, deren Pusteln eine einzige Kruste bilden. Nur wenige Aerzte habe ich bewegen können, dies Unterrichtsheilmittel zu empfehlen. Jeder wollte auf eigenem Wege das Uebel heben.

Wir siedelten nach Darmstadt über, fanden dort bald eine Wohnung, die zweckmäßig war und einen nicht zahlreichen, aber freundlichen Kreis. Die Staatsdame der Frau Großherzogin Luise, Baronesse von Bode, die Freiin Rothenhahn waren ausgezeichnet durch Geist und Herzensgüte, der Freiherr von Wallbrunn nebst seiner Schwester und Tochter, der er eine vortreffliche Erzieherin beigesellt hatte, bildeten einen gemüthlichen, geistbelebten Umgang. Meta von Liebeskind, eine ausgezeichnete Freundin des Dichters Bürger, schloß sich eng an mich. Die Familien des geistvollen Regierungssecretärs Doerr,[66] seines vortrefflichen Schwagers Stumpf und des Kunsthändlers Ludwig Portmann waren für mich und meine Söhne ein schätzbarer Umgang, der mir in kurzem hochwichtig werden sollte. Die Hofschauspielerin Willer, eine geborene Baronin Cronstain aus Hannover, welche späterhin den Namen ihres verstorbenen Gatten von Montenglaut, den sie auf dem Theater abgelegt hatte, wieder annahm, kam zuweilen zu mir. Ich lernte bei ihr den Bruder der Frau Varnhagen von Ense, Ludwig Robert, kennen. Seine schönen vaterländischen Gedichte waren mir längst schon werth. Er war liebenswürdig und gefühlvoll, werth Rahel's Bruder zu sein; er lebte damals bei dem geistreichen russischen Grafen Golowkin, einem der liebenswürdigsten russischen Cavaliere, die ich je gekannt. Henriette von Montenglaut bewohnte mit einer jungen Nichte einen geräumigen Pavillon in einer heitern ländlichen Gegend bei Darmstadt. Sie dichtete dort fleißig; englische und französische Stunden bei den vornehmsten Damen vom Hof füllten einen Theil ihrer Zeit aus. Ich habe sie nicht in Rollen gesehen, die ein Talent beurkunden konnten. Auf dem Theater war das Publikum gleichgültig gegen sie, als Sprachlehrerin war sie wahrhaft ausgezeichnet. Auch der Großherzog Ludwig schätzte ihre Kenntnisse und nahm Antheil an ihrem traurigen Schicksal. Ich traf sie viele Jahre später in Berlin, kurz vor ihrer Abreise nach Paris, wohin sie Henriette Sontag begleitete. Nie hätte diese so vorzügliche Sängerin und berühmte Schönheit, ohne die Einsichten und den Eifer der Frau von Montenglaut ihre Laufbahn so glänzend gemacht, wie es geschah. Gleichwol starb sie einige Jahre später in schmerzlicher Dürftigkeit in einem Winkel von Holland.

In der Reihe meiner geistreichen Bekannten muß ich[67] einen der ausgezeichneten, Hallwachs, nennen und mehrere übergehen, weil mir Raum zu ihrem Bilde gebricht. Abt Vogler, der Freund meiner Großmutter und Mutter, wurde mein Freund. Meine Söhne waren vermöge der Ehepacten, die bei meiner Heirath festgestellt wurden, bestimmt, katholisch zu werden, wie es die ganze Familie Chézy's war. Dies interessirte Vogler sehr, er war ein eifriger, aber milder Katholik. Er lud uns ein, morgens um acht Uhr der stillen Messe beizuwohnen, die er in einer Kapelle in seinem Hause las. Ich begleitete meine Kinder dorthin gern, weil mir jede christliche Stätte der Andacht eine heilige ist. Auch war diese Kapelle so heimlich und in ihrem einfachen Schmuck so einladend, daß ich gern dort verweilte. An hohen Festen war es Vogler untersagt, dort Messe zu lesen, und da damals die katholische Kirche in Darmstadt keine geweihte Stätte, sondern ein Saal im Gasthof zum Hotel von Darmstadt war, wo eine Feier der Weihe nicht würdig gehalten werden konnte, so pflegte Vogler an großen Feiertagen in eine andere Stadt zu reisen. Wenn er abwesend war, führte ich die Kleinen in den Darmstädter Hof, wo Geheimrath von Wrede Messe las und wo die damalige katholische Gemeinde die Räume füllte. Ich wollte meinen Kindern keinen Begriff von Trennung der christlichen Gemeinde geben, am allerwenigsten sollten sie erfahren, daß ich zu einer andern Kirche gehörte, damit der Frieden ihrer Kindheit ungetrübt bliebe. Sie erfuhren von der Religionsverschiedenheit nicht einmal in Berlin, wo ich sie dem vortrefflichen Pater Sieget zum Unterricht anvertraute, auch in Dresden nicht, wo der verdienstvolle Pater Mende ihr Lehrer wurde. Erst bei ihrer Confirmation erfuhren sie von dieser Trennung, die damals nicht so grausam war, wie sie es später geworden.[68] Friede war wenigstens äußerlich zwischen den zwei Kirchen und man sprach nicht von gemischten Ehen, ein Ausdruck, der an Thiergeschlechter erinnert und mich empörte, als ich ihn zum ersten male vernahm. Eine Verschiedenheit, die zwischen Christ und Christen gar nicht bestehen kann, ist nach meinem Gefühl Gotteslästerung und Entweihung des Namens dessen, der für die ganze Menschheit gelitten hat und will, daß keiner der seinigen verloren gehe. Ich muß meiner Eigenliebe Gewalt anthun und eingestehen, daß ich nie eifrig Geschichte studirt, ich würde sonst meine Söhne erst in gereiftern Jahren bewogen haben, religiösen Unterricht zu nehmen und dann zu wählen. Doch es gab vieles, was mich innerlich mahnte, mein gegebenes Wort gewissenhaft zu halten, das Andenken meines seligen Schwiegervaters, eines getreuen Sohnes der katholischen Kirche von musterhafter Frömmigkeit und Milde, zu ehren: die Verehrung für mehrere meiner katholischen Freunde und Freundinnen in Frankreich und Deutschland, die Vorstellung, daß ich meine Söhne, die schon von väterlicher Seite verwaist waren, schroffer von ihrer Familie trennte, wenn sie nicht durch das Band der Religion mit ihr zusammenhingen; dazu kam, daß ich auch keinen Augenblick in Versuchung gewesen, mein Wort zu brechen, ich hielt es treu, und was auch dadurch Trauriges für mich entstanden, mußte ich tragen, weil ich nicht anders konnte.

Der Krieg entbrannte im Herzen Deutschlands, die Leidenschaftlichkeit aller Parteien entzündend. Die Befreiung vom französischen Joch, nach der alle Redlichen lechzten, gab den Vorwand zu Handlungen, deren eigenste Triebfeder nicht immer eine lobenswerthe war. Bitter getäuscht sahen sich die meisten, die in diesem[69] Kriege eine Gewährleistung für die Herstellung besserer Zustände sahen. Die ersten Transporte von Verwundeten rollten durch Darmstadts Straßen, viele davon waren in sehr traurigem Zustande, ich weiß nicht, wohin sie gebracht wurden. Die Wagen kamen am Darmstädter Hof und am Hotel des französischen Gesandten vorbei. Der bieder Besitzer des ebengenannten Gasthofs ließ alle diese Verwundeten und Kranken erquicken und stärken. Der Gesandte that nichts für sie, die großherzogliche Familie war geflüchtet, Prinz Christian ausgenommen. Der Gesandte war der großherzoglichen Familie bis nach Mainz gefolgt, er hatte sie beschworen, an dem Kaiser festzuhalten, nach Frankreich zu kommen. Er hatte geweint, er mußte von seiner Bestrebung ablassen und kehrte trauernd nach Frankreich zurück. Die Transporte von Verwundeten und Kranken, die sich noch im leidlichen Zustand zu befinden schienen, wiewol auch sie von Zeit zu Zeit einen noch warmen Leichnam schnell entkleideten und auf die Chaussee warfen, hörten auf und ihnen folgten, theils zu Fuß, theils zu Wagen, eine Reihe schwererkrankter Krieger, gleichsam die Nachlese des Schlachtfeldes, man zählte dreitausend. Sie wurden in das Exercierhaus neben dem Schlosse abgeladen. Die Schildwache schob den Riegel vor, der von draußen angebracht war. Unter dem Thore klaffte eine Lücke von Handbreite, das Gebäude war ungedielt, ohne Pfeiler, mochte dreißig Fuß Höhe haben und diente zum Exercierplatz bei nassem, stürmischem Wetter. Die Behörde verlangte von den Einwohnern Darmstadts dreitausend Portionen Essen für die gefangenen Franzosen. Dies Mittagsmahl wurde reichlich gespendet und aus eigener Bewegung fügten die meisten noch guten Wein hinzu. Nachmittags gingen fast alle Einwohner vor das Exercierhaus[70] und unterredeten sich mit den Gefangenen. Einer derselben, ein hoher kräftiger junger Mann, führte das Wort an dem Fenster, wo ich mit meiner Gesellschaft stand. Er sprach gräßliche Verwünschungen über den Feldherrn aus, erzählte dann von der mörderischen Schlacht, wo er äußerte, daß die Krieger unsinnig in das Feuer gestoßen worden, und sprach dann von den Beschwerden des Transports von Hanau bis Darmstadt: man habe auf Misthaufen bivouakiren müssen, kaum ein Stück Brot über tags, keinen Tropfen Wein oder Bier bekommen. Darmstadt sei der einzige Ort seit sechs Tagen und Nächten, wo man eine warme Mahlzeit genossen hätte. Er und die umstehenden Gefangenen brachen bei diesen Worten in Thränen aus und ergossen sich in Dank und Segenswünschen. An einem andern Fenster des Gefängnisses waren ähnliche Auftritte vorgefallen, wie ich von Bekannten erfuhr. Wir begaben uns am Abend zum Kunsthändler Ludwig Portmann, bei welchem eine Masse gefangener Offiziere versammelt waren, welche der gastfreie Holländer mit gutem Wein erquickte; da ihn mehrere plagten, daß sie von Gold und Wäsche ganz entblößt seien, machte Herr Ludwig Portmann den Unglücklichen deutende Vorschüsse. Ich habe späterhin von ihm erfahren, daß diese alle bald und gewissenhaft zurückerstattet wurden. Die gefangenen Offiziere führten dieselben Reden wie die Soldaten, nur in einem andern Stile. Wir hörten ihnen schaudernd zu. Man hatte sie bei angesehenen Bürgern einquartirt. Alle die dreitausend Gefangenen sollten andern Tags in der Frühe Darmstadt räumen.

In der Nacht fand ich einigen Schlaf, doch mit Mühe, denn die Vorfälle des vergangenen Tags hatten mich heftig erschüttert. Am Morgen nach dieser Nacht[71] zog uns eine Art Getümmel an das Fenster. Die Gefangenen zogen singend daran vorüber. So ist der Franzose. Ist es Leichtsinn oder Spannkraft? Ich kann es nicht beurtheilen, ich glaube wol, es ist beides beisammen.

Der freudige Zuruf dieser jungen Männer bewegte mich tief. Soll ich erwähnen, daß ich meinen Wintervorrath von Aepfeln durch meine Fenster auf dieselben herabschütten ließ? Er war nicht gering, und man sah, daß diese kleine Spende diese Soldaten wunderbar ergriff und freute. Sie fingen sie mit großer Geschicklichkeit in ihren Kappen auf, theilten sie redlich mit ihrer Escorte und setzten dann ihre Gesänge fort. Einzelne unter ihnen riefen: »Vive l'empereur!« so stolz und jubelnd, als ginge es in die Schlacht, doch bezeigte sich auch hier und da einer dieser unglücklichen Krieger kleinmüthig. Ein Vorübergehender redete einen an, der schweigsam bleich und bebend weiter ging: »Êtes-vous Français?« Er antwortete: »Oui, je suis de cette pauvre miserable nation!« An demselben Morgen ging ich wegen eines kleinen Geschäfts in die Leske'sche Buchhandlung, mein Max war bei mir. »Die Franzosen sind nun fort«, sagte einer der Anwesenden, worauf Herr Mittler, ein Norddeutscher, der sich mehrere Jahre später in Berlin niederließ, gleichmüthig äußerte: »Es sind etwa sechshundert im Exercierhaus zurückgeblieben, weil man sie nicht weiter schaffen kann.« Dies hören und hastig nach dem Exercierhaus eilen, war das Werk weniger Minuten. Die große Pforte war von außen wie gestern verriegelt und mit einer Schildwache versehen. Ich rief ihr zu, den Riegel zu öffnen, denn ein Jammergeschrei drang mir durch die Spalten des Thors entgegen. Der Soldat versagte, doch ich drang so heftig und bittend in[72] ihn, daß er mir endlich willfahrte. Kaum öffnete sich die Thür, als pestilenzialische Gerüche mir und Max entgegendrangen, und ein herzdurchbohrender Schrei von allen Lippen erscholl: miséricorde, nous périssons ici! Max verbarg sein bleiches Antlitz in mein Kleid. Wie erstarrt schaute ich auf die Krieger, die in Lumpen gehüllt frostdurchschauert vor mir lagen. Doch ich ermannte mich, rief ihnen zu: ich würde bald mit Hülfe erscheinen und eilte von dannen.

Im Vorübergehen nach Hause suchte ich eine Menge Bekannte auf und flehte sie um Hülfe an. »Es sind Napoleon's Krieger«, rief ich aus, »sie sind besiegt! Wären sie siegreich zurückgekommen, würde man ihre Wege mit Rosen bestreut haben. Jetzt bettet man sie auf harter feuchter Erde. In der Mitte des Behältnisses verpestet ein hoher Berg von Mist die Luft um sie her, kein Tropfen Wasser netzt ihren dürren Gaum, entkleidete Leichen liegen zu ihren Füßen, Todesröcheln erschallt um und um, laßt uns zu Hülfe eilen!« Viele versprachen mir dies. Einige Metzger und Weinhändler verhießen mir Fleisch und Wein in mein Haus zu bringen. Einige Geschirrhändler folgten uns mit großen Kochtöpfen. Meine getreue Babet entsetzte sich über mein bleiches Aussehen und mein hastiges Wesen. Der große Herd empfing schnell die mitgebrachten Geschirre mit Suppenfleisch. Lindenblütenthee wurde bereitet, Aepfelmuß gesotten, ehe ich noch ein Wort gesprochen hatte, denn ich konnte vor Herzklopfen nicht reden, und obwol meine Hände flogen, besorgte ich alles selbst oder verständigte mich durch Zeichen. Babet wußte nicht, wozu alle diese Anstalten seien, sie mußte glauben, ich sei wahnsinnig! Endlich genoß ich selbst etwas, versorgte meine Kleinen, und eilte zu den benachbarten[73] Freunden Stumpf und Dörr. Einige Worte reichten hin Mitleid zu erwecken, Thatkraft anzuregen, in wenigen Stunden stand die Hülfe bereit. Rüstige Weiber eilten mit den Fässern voll Suppen, warmen Thee und Wein nach dem Exercierhause. Vor lauter Freude, helfen zu können, hatte niemand an Eßgeschirr gedacht. Ich weiß noch heute nicht, wie wir unsere Sache gemacht haben. Ich glaube jedoch, daß einige Familien, die dem Exercierhaus nahe wohnten, zu Hülfe gerufen wurden. Ein Jäger nahte sich uns, ein Soldat der kaiserlichen jungen Garde, er bat uns ihm in eine Ecke zu folgen, wo ein todtenbleicher junger Mann an der Wand lehnte. »Hier, meine mitleidigen jungen Damen«, sagte er, »liegt mein Herr, ein italienischer Nobile, er hat wol nur noch einige Stunden zu leben, erquicken Sie ihn. Sie müssen italienisch mit ihm reden!« Wir nahten uns dem Leidenden, und reichten ihm Lindenblütenthee, den er begierig trank. Er bat um warme Tücher, Umschläge in der Gegend des Herzens. Von allen Seiten des Gebäudes her wurden wir um Hülfe angerufen. Abends spät hatten wir kaum die Hälfte unserer Arbeit gethan. Den jungen Offizier hatte ich rein vergessen. Eine benachbarte Hauptmannsfrau, Namens Jesse, hatte sich wie manche andere Bewohnerin Darmstadts unaufgefordert zu uns gesellt und half fleißig. Es mochte 2 Uhr morgens sein, als wir unsere unglücklichen Pfleglinge verließen. Als wir vor der Thür der Frau Hauptmann Jesse angelangt waren, sahen wir schon, wie sie uns durchs Fenster gewahr werdend auf uns zueilte und uns bat, einen Augenblick einzutreten. Wir folgten ihr. In einem Stübchen umfing uns eine warme duftende Sphäre; vor uns stand ein junger Arzt, Dr. Ton, der uns beim Eintreten die Hand bot, und zu einem Lager führte, wo mit geschlossenen[74] Augen der junge Offizier lag, den wir im Exercierhause Betroffen. Er lebte. Dr. Ton hoffte er könne hergestellt werden. Er schlug die Augen auf, konnte aber nicht reden, doch sein Blick flammte und durchdrang uns das Herz mit Schmerz und Wonne. Wir verweilten noch lange bei ihm, um ihn mit Trostesworten aufzurichten, dann schieden wir zu kurzer Ruhe. Nachdem uns Baron Wallbrunn verheißen, meine Kleinen gut zu versorgen, eilten wir zu den Gefangenem, nicht ohne uns zuvor mit einigen Löffeln voll Pestbranntwein zu stärken. Wir fanden einen schönen jungen Brabanter, der uns nicht gefährlich krank erschienen war, im Sterben. Er klagte uns auf Deutsch, daß ihm einige neben ihm liegende Kameraden fünf Kronenthaler, die er bei sich trug, gewaltsam abgenommen, und ihn, den Wehrlosen, gemishandelt hätten. Er verschied vor unsern Augen. Wir konnten den Frevler nicht entdecken. Noch beschäftigte uns dies traurige Schauspiel, als wir gleichsam, um uns mit der Menschheit zu versöhnen, zwei junge Wesen eintreten sahen, die mit Hülfe beladen zu den Leidenden eilten, ihnen Frühstücksuppe reichten, und dann fortsprangen frischen Vorrath zu holen. Es waren die Kinder eines darmstädter Schlossermeisters, dessen Name mir enfallen ist, doch er steht gewiß im Buche des Lebens geschrieben und sicherlich treffen wir uns jenseits wieder. Beinahe den ganzen Tag widmeten sich diese holden Geschöpfe diesen mitleidsvollen Mühen. Viele Bewohner Darmstadts schlossen sich ihnen an, keiner der Leidenden durfte verschmachten.

Ueber Tag überraschte mich der Anblick der Frau von Montenglaut. Sie war mit einigen Chirurgen zu dieser Jammerstätte gekommen und half pflegen und verbinden. In der Schulter des einen Kriegers stak der[75] Schaft einer Kosackenlanze, der in der Wunde abgebrochen war, man konnte ihn nicht retten. Als wir uns auf einige Stunden entfernten, eilte ich zum Pflegling der Frau Hauptmann Jesse. Er empfing uns tief bewegt und konnte uns einige Worte sagen. Ich benutzte jene Augenblicke, wo sein Kopf frei war, um ihn nach seinem Namen zu fragen, er nannte sich Girolamo da Miraltemonte. Dr. Ton, der ihn fleißig besuchte, hegte noch immer Hoffnung für sein Leben. Wir gingen nach dem Exercierhaus zurück. Am Eingangsthor stand ein Piket hessischer Soldaten, vom Grafen von Lehrbach und einigen andern Offizieren befehligt. Der junge Graf eilte mir entgegen und wollte mich bei den Händen aufhalten. »Um Gottes willen, nicht da hinein, gnädige Frau, die Pest ist drinnen, der Tod! Denken Sie an Ihre Kinder!« Ich ließ mich nicht aufhalten. Ich will niederschreiben, was ich sah, um die Herzen der Kriegslustigen zu erschüttern.

In einer Lache, die weit vor dem Gefängnisse sich ausdehnte, belegt mit schwankenden Bretern, schwammen nackte Leichen. Mitten im Gebäude verbreitete der aufgethürmte Unrath der eingeriegelten Gefangenen seine gräßlichen Ausdünstungen. Auf dem naßkalten Boden krümmten sich röchelnd die Sterbenden, doch ich traf die hülfreichen Schlosserkinder und andere Menschenfreunde, die sich unverabredet dem Werke der Barmherzigkeit angeschlossen hatten. Als wir das Exercierhaus abends verlassen, ließ mich die Frau Hauptmann wieder zu sich bescheiden. Der sterbende Girolamo hatte noch nach mir verlangt, doch er konnte keine Silbe mehr aussprechen, reichte uns die Hände, heftete auf uns sein brechendes Auge, in welchem noch einmal sein Herz aufglühte, und sein Geist entfloh dahin, wo wir ihn wiederfinden.[76]

Eine kleine braune Locke wurde bei ihm gefunden, gebunden in ein Kinderhäubchen. Ich schrieb auf Gerathewohl nach Venedig, doch mein Brief blieb unbeantwortet und hat wahrscheinlich kein Mitglied der Angehörigen Miraltemonte's mehr erreicht.

In der Nacht drängte es mich die Feder zu ergreifen und dem Prinzen Christian von Hessen den qualvollen Zustand der Gefangenen zu schildern. Diese kläglichen Ueberreste eines Theils der großen Armee bestanden aus Rheinländern, Belgiern, Holländern, Baiern, Odenwäldern, Franzosen, Italienern u.s.w. Viele schöne achtzehnjährige Jünglinge von Napoleon's junger Garde waren dabei. Mein Freund Ludwig Portmann hatte zwei davon in sein Haus aufgenommen, Derridôr und Franz Say, beide sehr leidend. Nachdem ich Prinz Christian geschrieben, setzte ich noch in der Nacht eine Vorstellung an den Präsidenten Freiherrn von Senden auf, und schickte sie in der ersten Morgenfrühe ab. Ich erhielt an diesem Tage keine Antwort und erwartete auch keine, doch andern Tags früh erschienen vor dem Exercierhause eine Menge Fuhren, welche 375 unserer Pfleglinge nach den Hospitälern von Funkstadt und Bückebach übersiedelten. Arbeiter in Menge säuberten das Haus, und Stroh im Ueberfluß wurde herbeigebracht, um die Leidenden zu betten. Nun klopfte mein Herz leichter, die Gefangenen athmeten reine Luft, und viel Helfende begaben sich furchtlos dahin, wo die gereinigte Stätte zwar noch immer ein Wohnsitz des Jammers war, aber doch nicht mehr durch Bilder des Entsetzens verscheuchte. In den Häusern konnten keine der erbarmungswürdigen Krieger aufgenommen werden. Zwei Italiener lagen zwischen ihnen, beide am Typhus. Man erhielt von den Erbauern eines Hauses, das abgelegen[77] stand, nicht ohne Mühe die Erlaubnis, die zwei Italiener dorthin zu schaffen. Sie erholten sich hier und waren auf dem Wege der Genesung. Das verbündete Heer rückte der Stadt näher. Sein Vortrab, das Menzdorf'sche Kosackencorps, gelangte an die Thore. Viele Einwohner begaben sich zur Behörde und baten inständig um Kosacken. »Nur ruhig, meine Freunde«, rief Graf Menzdorf, »ich stehe euch dafür, ihr werdet an Einquartierung keinen Mangel leiden; wenn ich meine Kosacken absitzen lasse, so stehe ich für gar nichts mehr. Darum versichere ich euch, nicht ein einziger Mann darf sein Pferd verlassen und nicht durch die Stadt darf das Corps!« Es geschah wie er befohlen.

Wir begaben uns vor die Eingangsthür und sahen die Kosacken anrücken auf der Chausse. Ihre Pferde sahen ermattet aus. Ich hatte ein großes Brot und einen Krug Wein. Ein Kosack hielt mich an, und rief aus: »Mutter!« indem er nach meinem Brot und Messer langte, ich dachte er wolle sich ein Stück abschneiden, allein er schnallte es sammt dem Messer an den Riemen des Sattelgurts, rief wieder: »Mutter«, ergriff den Krug, befestigte ihn mit der größten Behendigkeit auf dieselbe Weise, spornte sein Pferd und ritt davon, als ob es Flügel hätte. In diesem Menzdorf'schen Corps waren alle möglichen Nationen, nur nicht Kosacken. Doch der Graf verstand keinen Spaß, wo es darauf ankam, er hielt scharfe Mannszucht.

In diesen Tagen erlangten wir ungebeten das Glück, von den ersehnten Kosacken besucht zu werden. Funfzig hochgewachsene wohlberittene junge Männer sprengten auf das Haus zu. Der Offizier in zierlicher Uniform schwang sich vom Pferde und verlangte in leidlichem Französisch und mit feinem Anstand, dem Hausherrn eine[78] Bitte vorzutragen. Eine sehr elegante Kutsche mit vier schön geschirrten Pferden folgte ihm auf dem Fuße nach. Zwei stattlich geputzte Damen saßen darin. Der Offizier bat Baron Wallbrunn unter Vergunst und mit größter Bescheidenheit, daß die zwei ermüdeten Damen hier rasten dürften, da die Gasthöfe überfüllt und zu geräuschvoll wären. Baron Wallbrunn zeigte sich bereitwillig und bot Erquickung an. Die Damen antworteten blos durch Verneigungen. Der Offizier entschuldigte sie, daß sie nicht Antwort gaben, denn sie könnten nichts als Russisch! Bei der ältern Dame verrieth kein Zug ihren nordischen Ursprung, doch die junge Dame mit etwas aufgestülpter Nase, vollen Lippen, tiefliegenden Augen, denen es nicht an Feuer fehlte, war eine Russin mit Leib und Seele. Nicht sie nur war stumm, ihre Physiognomie war es auch ganz und gar. Der Offizier nannte sich Adjutant des Hetman Platow. Bei diesem berühmten Namen bezeigten Wallbrunns und ich die Bewunderung, womit sie durchdrungen waren. Sie wetteiferten in Achtungsbezeugungen. Der Besuch dauerte keine Stunde.

Der Offizier allein trug die Kosten der Unterhaltung. Die Kosacken hatten ihre Pferde im Hofe frisch gestriegelt und neu geschirrt, sie ließen gewiß aus Dank für die Ausnahme mit Kreide und Kohlen Beweise ihres Künstlertalents zurück. Sie zeichneten ihre Pferde nach der Natur, ihre und unsere Gesichter gleichfalls, und verhielten sich auf eine höchst gesittete Weise. Bald darauf ging der Offizier in das Zimmer, wo die Damen ruhten, besorgte alles zur Abreise und führte die Gemahlin des Platow und deren Mutter vor, die zwar stumm aber herzlich dankten. Wie Pfeile flogen die Rosse mit ihnen davon. Ihre Escorte umringte den Wagen. Wir sahen ihnen[79] nach, soweit unsere Augen sie erreichten. Es dauerte keine Viertelstunde, so erfuhren wir, daß die Frau Hetman Platow eine Weinwirthstochter aus Frankfurt sei, eine freiwillige Gefährtin des berühmten Hetmans. Dies ergötzte uns ungemein. Ich kam am schlimmsten dabei weg; denn ich war die Diensteifrigste gewesen. Wir wußten uns alle nun die sonderbaren Blicke und das schalkhafte Lächeln des Offiziers zu erklären, von welchem wir nun mit einem mal fanden, daß er keine Devotion an den Tag gelegt hatte. Dies Zwischenspiel nach den gespannten Auftritten, die vorausgegangen waren, war uns willkommen, andere Eindrücke folgten ihm.

In der Nacht langten bairische Truppen an, die auf dem Felde vor unserm Haus bivouakirten, helle Feuer anzündeten und Speisen bereiteten. Die Bewohner Darmstadts sprangen mit Küchengeräth herbei, Körbe mit Weinflaschen wurden gebracht, man zechte fleißig und heiter. Sein Besteck hatte jeder Soldat bei sich. Ich habe selten so heitere Tafeln gesehen. Es fehlte nicht an fröhlichen Liedern. Die lustigen Feuer flammten die ganze Nacht. Man drängte sich von allen Seiten um die Truppen her, schleppte Wein und Kuchen herbei und konnte nicht müde werden, sie auszufragen, bis die meisten von ihnen in Schlummer neben den Wachtfeuern sanken. Frühmorgens sollten die Truppen über den Rhein weiter marschiren. Es war dieser Vorgang ein lustiger Prolog zu den ernsten Auftritten, zu den erschütternden Jammerscenen, die unserer harrten. Seuche und Tod waren im Gefolge dieses ersten Freudenrausches. Andern Morgens kamen lange Züge von Leiterwagen an.

Bald kam auch die großherzogliche Familie zurück.[80] Als die edle Frau Großherzogin die Gefangenen bemerkte, ließ sie ihnen Tonnen und Näpfe voll Speisen und Wein in Fülle auftragen. Vielleicht hat noch in seinem Leben nicht einer so prächtig geschmaust. Am andern Tage war heller Sonnenschein und laue Luft und alle Gefangenen wimmelten aus ihrer dumpfen Behausung heraus, und lagerten sich in den Sonnenschein. Mittags wurde ihnen ein neuer Schmaus aufgetragen. Doch die Aerzte hatten sich zu einer Berathung versammelt, sie überzeugten sich, daß die Stadt von einer Seuche bedroht war. Sie hatten recht, denn die Gefangenen kamen zwar aus der Stadt, aber der Typhus zog hinein. Alle Umstände vereinigten sich gegen die Unglücklichen, deren Anblick schon Entsetzen verbreitete, nicht zu gedenken ihrer Ausdünstungen und der verwitterten Lumpen, die ihre Glieder umfingen. Die Aerzte beschlossen, sie auf der Stelle aus der Stadt schaffen zu lassen; machten auch auf die Gefahr aufmerksam, daß die Alliirten, die schon nahe an der Stadt waren, sie zusammenschießen würden. Gewiß wäre dies nicht geschehen, doch diese Erklärungen erweckten eine panische Furcht in den Herzen der Einwohner. So wurden denn große Scheiterhaufen vor dem Rheinthor errichtet und angezündet, um die Gefangenen dort bivouakiren zu lassen. Der Himmel umwölkte sich, der Nordwind stob. Das Transportiren mehrerer hundert Menschen, die sich nicht regen konnten, ging langsam vor sich. Die, welche das Feuer zu besorgen hatten, bildeten sich ein, daß man in dem entsetzlichen Wetter die Kranken noch in ihren Gefängnissen lassen würde, und halfen fleißig dem Regen die Feuer auslöschen. So kamen denn die Gefangenen erstarrt und durchnäßt bei den glimmenden Aschenhaufen an, die man nur schwer wieder zum Brennen bringen konnte.[81]

Portmanns kamen abends spät, da der Regen etwas nachließ, mit ihren Leuten, die schwer mit Lebensmitteln und Wein beladen waren, mich nach dem Walde abzuholen. Das erste, was ich dort erblickte, waren die zwei Italiener, die aus ihrer Zufluchtsorte, dem wohlgeheizten Zimmer in jenem neuen Gebäude, weggeholt worden, weil man glaubte, sie können dort zusammengeschossen werden. Sie erhoben sich von der nassen Erde und riefen mir zu: »Lebe wohl, Mutter! Wir sterben noch diese Nacht, und müssen mit gesunden Herzen sterben! Lebe wohl und Gott segne dich!« Vergebens suchten Portmanns und ich sie zu laben und zu trösten, sie verschmächten nun alles. Da wir sie endlich verließen, meinten wir das Herz müßte uns brechen. Mit jedem Schritt schallte uns neuer Jammer entgegen. Der Himmel war schwarz umzogen, der Sturm pfiff, das durchnäßte Holz konnte nicht brennen. Zu unsern Füßen winselten, röchelten die hülflosen Krieger. »Erbarmen, Erbarmen! Nehmt uns mit! Eine Scheuer, ein Breterdach! Wir müssen hier sterben!« Nur mit zerrissenem Herzen verließen wir den Wald, nachdem Portmann noch mit Umsicht Wein und Lebensmittel gespendet, und den Unglücklichen verheißen, daß gleich am Morgen für sie Sorge getragen werden sollte; denn für diese Nacht war es unmöglich. Die Alliirten waren angelangt, und die Einwohner alle mit der Sorge um sie beschäftigt. Ehe wir noch ganz aus dem Walde heraus auf dem Wege nach der Stadt waren, kam uns ein neuer Transport entgegen, von einigen bairischen Soldaten und einem Offizier begleitet. Ach, warum habe ich seinen Namen vergessen? Er kam auf uns zu und redete uns an: »Wie«, rief er, »hier soll ich für diese Nacht meine 3000 Mann unterbringen? Meine Marschroute lautet auf Darmstadt,[82] aber man läßt uns nichts hinein. Welch unerhörte Grausamkeit! O, und dieser Transport war so geduldig, so gutwillig, kein Mann ist gesättigt worden, keiner erquickt, und sie haben nicht gemurrt. Jetzt können sie vor Frost und Müdigkeit nicht mehr weiter, und wenn sie das könnten, wohin sollte ich mit ihnen, wo fände ich Obdach für sie?« Portmann suchte den braven Mann zu beschwichtigen und stellte ihm vor, welch Unheil daraus entstehen könnte, wenn die Alliirten die gefangenen Franzosen in Darmstadt angetroffen hätten, da die Erbitterung gegen sie so unbeschreiblich sei. »Was«, rief er aus, »besiegte Feinde! Welcher Mann von Ehre könnte die anfallen wollen? Nicht einer! Und wenn man bedenkt«, – er schwieg, denn er fühlte wohl, daß sein Eifer ihn zu weit fortriß.

Bei erneutem Regen erreichten wir unsere Wohnungen. Unfähig Ruhe zu suchen, stellte ich mich an das Fenster, von wo ich einige der Bivouakfeuer glimmen sah, und blieb dort weinend und händeringend die ganze Nacht. Wider Erwarten fand man am Morgen nur sieben Leichen. In der Frühe berathschlagten sich menschenfreundliche Einwohner mit dem edelmüthigen Wilhelm Stumpf über eine Idee, die er gefaßt hatte. In unglaublicher Eile kam eine bedeutende Summe durch Subscription zusammen. Baracken mit Abtheilungen wurden errichtet, Stroh in Fülle herbeigebracht, die Gefangenen hineingeschafft, und die mitleidsvollsten der Bewohner kamen täglich einigemal dorthin sie zu versorgen. Ich kann mich nicht rühmen, diese frommen Bemühungen getheilt zu haben, mein Kräfte schienen mir ganz erschöpft. Eine innere Stimme rief mir unaufhörlich zu: »Wir sind noch fern vom Ziel!« Neue Transporte von Verwundeten langten an, ich konnte es nicht lassen, ich mußte zu Hülfe kommen. Einmal[83] als ich einen großen Korb mit Schnitten schwarzen Brotes herbeitragen ließ, stürzten die Gefangenen, dieselben Franzosen, welche vor nicht langer Zeit den armen Bauern das schwarze Brot vor die Füße geworfen hatten, über den Korb her, wollten die Stücken herausreißen und verschlingen. Ein Piket Hessen, das danebenstand, verjagte die Frechsten unter ihnen. Als ich Wein vertheilte, trat ein Mann von der jungen Garde auf mich zu und bat mich mit großer Bescheidenheit um ein Glas Wein. Mit Thränen in den Augen sagte ich ihm, auf die Verschmachtenden deutend, die um uns herlagen: »Wer sich noch rühren kann, dem darf ich nichts geben!« Er zog sich schweigend zurück.

Eines Morgens, als ich von meiner Streiferei um den Schloßplatz her, die ich täglich unternahm, um nach neuen Ankömmlingen zu sehen, zurückkehrte, kam mir meine alte Babet todtenblaß schon auf der Treppe entgegen. »Kehren Sie wieder um«, rief sie mir zu, »oben sitzt ein preußischer Offizier, der will nicht wanken, nicht weichen!« Ich lachte. »Ach Gott!« rief sie aus, »was sind Sie doch so unbesorgt und sind in so großer Gefahr! Was die Leute alles reden, sie heißen Sie eine Patriotin!« Ich lachte noch mehr und trat in mein Zimmer ein. Der Offizier kam mir entgegen und fragte mich: »Sie kennen mich nicht?« – »Nein! Wer sind Sie?« – »Sagt Ihnen Ihr Herz nichts?« – »Mein Herz sagt mir La Motte Fouqué!« – »Das ist doch abscheulich!« rief der Offizier, »du kennst deinen Bruder nicht mehr!« Meine Söhne kamen dazu, die Freude war unbeschreiblich. Heinrich sah sich im Zimmer um.

Da rankte sich eine schöne exotische Blume mit ihren unzähligen blauen Glocken hoch empor. Zwei Turteltäubchen ruhten auf der Blumenvase. Heinrich lächelte[84] schelmisch. »Bei Tauben habe ich dich 1797 verlassen, und finde dich 1813 mit Tauben wieder! In so viel Jahren äußerlich wenig und innerlich gar nicht verändert.« Ich mußte dem lieben Bruder recht viel erzählen. Schon am andern Morgen mußte er weiter. Ich hatte mich seit einigen Tagen mit einem stolzen Traum gewiegt. Ich wollte Mannskleider anziehen, Deutschland retten, indem ich damit anfing, Mainz zu entsetzen. Mein lieber Bruder lachte mich nicht aus, denn meine flammenden Augen und meine begeisterten Worte zeugten vom Ernst meines Entschlusses. Er begnügte sich mit mir von meinem Project zu sprechen, als wenn ihm ein Kind gesagt hätte, es würde den Mond aus dem Wassereimer ziehen. Ich kam zur Besinnung. Zu hart ward es mir, so schnell von dem kaum wiedergewonnenen Bruder zu scheiden. Ich entschloß mich, ihn mit den Kindern nach Frankfurt zu begleiten. Die Chausseen waren mit Menschen angefüllt; kaum konnten die Pferde sich Raum schaffen weiter zu kommen. Frankfurt war gar nicht wiederzuerkennen, es stak voll Kosacken. Mein Bruder rief ihnen zu: »Pruski Kapitan!« wenn sie uns den Weg versperrten. Wir gelangten mit Mühe zum Römischen Kaiser. Mein Bruder verließ mich schon am andern Morgen. Der Abschied war so traurig, als das Wiedersehen heiter gewesen war. Wir suchten Pilat auf seiner Kanzlei auf, der uns mit großer Herzlichkeit bewillkommnete, und trafen dort mehrere Bekannte, die uns mit Neuigkeiten überschütteten. Ich wurden überzeugt, daß Napoleon unter keiner Bedingung seinen Thron, seine Gemahlin, sein geliebtes Kind wiedererlangen konnte. Kaiser Franz mußte sein weiches Herz bezwingen und grausam sein. Wer aber hatte das größte Recht, über Treubruch und willkürliches Zerreißen der heiligsten[85] Bande zu klagen? Wer hatte einsehen können, daß Napoleon's Riesenplanen Absichten zum Grunde lagen, die das Heil Europas bezweckten? Gegen wen war ein geheimer Bund errichtet worden, ehe noch ein Mann die deutsche Grenze überschritten hatte? Wer war verlassen worden, als sein Glück ihn verließ? und unbesiegt geblieben, bis sich die Wuth der Elemente gegen ihn gekehrt?

Durch die Massen, welche sich durch die Straßen und Plätze drängend kreuzten, rollten langsam und dumpf wie trübe Ahnungen zu jeder Stunde des Tags die Leichenwagen, welche die Opfer des herrschenden Nervenfiebers zur letzten Ruhestätte trugen und oft den Marsch der stattlich geschmückten Kriegsheere hemmten, die durch Frankfurt zogen und freudig dem Kampf entgegengingen. Den meisten Eindruck auf die Massen der Zuschauer machten die jungen Tscherkessen in ihren schneeweißen Uniformen, mit silbernen purpurnen Rockaufschlägen, mit stählernen Helmen, theils mit Gold, theils mit Silber beschlagen, weiß und roth wie Mädchen, mit funkelnden Augen und kräftiger Haltung, der sich Anmuth gesellte, dann die Baschkiren in eiserner Rüstung, den Dolch im Gürtel, in der nervigen Linken Bogen und gefüllten Köcher. Wir werden sie wiedersehen, doch nicht in so poetischer Gestalt und Haltung. Pfeil und Bogen erforderten geübtere Schützen, als die modernen Flinten, mit denen sie jetzt bewaffnet sind.

Wir wurden in die Messe des Kaisers von Rußland geführt. Ergreifend war der Anblick der hochgeschmückten besternten Krieger ersten Ranges, als sie auf die Knie sanken, erhebend die Gewalt der seelenerschütternden Gesangchöre. Beim Ausgang aus der Kapelle trat ein mir bekannter russischer Offizier er kaiserlichen Garde,[86] Hauptmann von Engelhard, zu mir heran und rief mit überwallendem Herzen: »Ist nicht unser Kaiser der schönste Mann auf der Welt?« Ein andrer rief lachend: »Das wäre gut, wären nur die Augen der Madame Bethmann nicht noch schöner als Kaiser Alexander!« Die Liebe zu diesem Monarchen war unbeschreiblich.

Unübersehbar war der Zudrang der Fremden in Frankfurt a.M. Im Römischen Kaiser liefen die Prinzen oft vergeblich nach Sitzen an der Tafel umher. Zu jeder Stunde war der Saal mit Gästen überfüllt. Mein Tischnachbar war zuweilen der Graf Golowkin und gewöhnlich der Hauptmann von Engelhard. Dieser pflegte mich aufzumuntern, nach Rußland zu gehen. »Kommen Sie nach Moskau«, rief er aus, »Sie werden nie wieder wegverlangen. Die Gegend ist malerisch, ernst und großartig und nicht ohne Anmuth. Die Straßen sind prächtig und luftig, das Klima ist gemäßigt, das Volk herzig und treu. Der Russe ehrt das Talent, er ist gastlich und großmüthig!« Diese begeisterte Schilderung machte auf mich keinen tiefen Eindruck; ich liebte mein Vaterland zu sehr. Die Stadt gab dem anwesenden Monarchen, den Fürsten und Offizieren einen prachtvollen Ball. Ich zog die ruhige Augenweide von meinem Logensitz aus dem Gewühle im Saale vor. Der Ueberblick des Ganzen war bezaubernd. Die große Polonaise, mit welcher der Ball eröffnet wurde, war der Triumph der Schönheit und Pracht. Doch vor allen fesselte der Anblick des Kaisers Alexander die Blicke. Die Tracht der Damen war damals malerischer und reizender als jetzt und stilmäßiger, man sah keine Wespen sondern Gestalten. Der Luxus war weniger übertrieben; doch wurden viele Perlen getragen.

Das Theater war damals auf dem Höhepunkt seines[87] Glanzes, die Oper habe ich sagen wollen. Auch das Ballet war schön, doch es gab damals noch keine Taglioni, keine Elßler. Auch Fürst Leiningen kam auf einige Zeit nach Frankfurt. Er schien mir traurig, sprach nur wenig, man sah es ihm an, sein Herz war gebrochen. Er lebte nur noch kurze Zeit. Seine edle Witwe wurde Regentin und waltete, wie schon oben berührt, als Schutzengel über das Land. Nur Frauen können recht das Leid verstehen und die Wunden der Zeit heilen.

Unerfreut von allen Herrlichkeiten, die ich gesehen, tiefbewegt von trüben Ahnungen, die sich nur zu bald bewähren sollten, kam ich nach Darmstadt zurück, wo alles in den gewöhnlichen Kreisen sich schon wieder bewegte. Mein ehrwürdiger alter Freund Abt Vogler setzte seine wohlthätigen und herzlichen Gewohnheiten, Frömmigkeit des Wohlthuns und freundliche Geselligkeit fort. Das Wort »Pfaffe«, welches ganz eigenthümlich und einfach, ursprünglich nur die Bedeutung eines Priesters hatte, späterhin aber schief angesehen und gemisdeutet wurde, würde seine ursprüngliche Bedeutung beibehalten haben, wenn es lauter solche Priester gegeben hätte wie Vogler! So liebend mild und so bieder selbststreng, so wohlthätig gegen Arme, so treu gegen Freunde, so klar und so weise! Als ich ihm einmal einen Zweifel äußerte: »Ob ich nicht die Verwundeten und Gefangenen von Anbeginn hätte unberücksichtigt lassen sollen, da ihr entsetzlicher Zustand das Leben und die Gesundheit der Meinigen, sowie meine eigene gefährden konnte?« gab er zur Antwort: »Gott hat dem Menschen die entschiedenste Freiheit gegeben, die durch keine Rücksicht bedingt werden darf! Die innere Stimme muß sein Leitstern sein, sie wird ihn am sichersten zum Ziele führen. In außerordentlichen Misgeschicken darf der[88] Mensch nicht auf dem einfachen Wege der Pflicht bleiben, er ist berufen den steilsten und dornenvollsten zu ergreifen, nachdem er das Maß seiner Kräfte erwogen.« Ich erwiderte ihm, daß ich oft schon bereut habe, mich nicht streng an meine nächste Pflicht gebunden zu haben; denn ich hätte uns alle unglücklich machen können. »Gott hat die Ihrigen beschirmt!« rief er aus, »sie sind alle gesund!« – »Und wenn ich nun gestorben wäre?« fragte ich. – »Kleinmüthige!« rief mir Vogler zu, »dann würde Gott für Ihre Kinder gesorgt haben; denn Sie waren berufen. Der Zug des Herzens ist nicht wie Schiller sagt: des ›Schicksals Stimme‹, nein, er ist ›Gottes Stimme!‹« Diese Worte beruhigten mich sehr und entschieden in der Zukunft über meine Handlungsweise. Wir Sprachen noch von seinen zwei herrlichen Schülern, Karl Maria von Weber und Meyerbeer, die ihn vor einiger Zeit verlassen hatten, weil ihre Laufbahn sie nun auf andere Wege rief. Er sprach oft von ihnen, und nie ohne tiefe Bewegung. Er weissagte ihnen eine schöne Zukunft. Er wußte, welche Schätze er in ihre Brust niedergelegt hatte. Eigene Söhne hätten ihm nicht theuerer sein können. »O!« rief er aus, »wenn ich hätte von der Welt scheiden sollen, ehe ich diese beiden ausbilden konnte, welche Wehmuth würde ich empfunden haben. Es ruht etwas in mir, was ich nicht herausrufen konnte, diese beiden werden's thun! Ohne Rafael würden Fra Bartolomeo und Perugino unverständlich geblieben sein, erst Rafael hielt, was jene versprochen hatten.« Vogler machte sich ein Fest daraus, drei poetische Frauen zu seiner Mittagstafel zu bitten. Ich that ihm seinen Willen und kam. Henriette von Montenglaut kannte ich schon. Ihr thätiger Antheil für die Gefangenen und Verwundeten hatte mir diese merkwürdige Frau interessant gemacht.[89] Was die andere betrifft, die allzu bekannte Elise Bürger, so würde ich ihre Bekanntschaft nicht gesucht haben, doch auch sie war geistbelebt. Bei Henriette von Montenglaut traf ich Herrn Fresenius mit seiner Gattin und zwei lieblichen Kleinen, deren Schicksal mir nahe ging; denn ihr Vater verließ Frau und Kinder, um mit hessischen Jägern freiwillig in den Krieg zu ziehen. Sein Bruder, August Fresenius, ein junger Dichter, hatte mit etlichen zwanzig Jahren eine Vision gehabt. Ihm erschien eine himmlische Gestalt und sagte ihm Tag und Stunde seines nahen Todes voraus. Er verkündete diese Offenbarung Verwandten und Freunden und seiner geliebten Braut und sah der Erfüllung freudig entgegen. Sie traf glücklich ein. Viele, die dies lesen, werden diese Vision als Einbildung behandeln, ich glaube fest daran. August Fresenius war eine erkorene Seele, kein Kopfhänger, seine Frömmigkeit war freudig und ruhig, wie die eines wahren Christen sein soll. Wie hätte er, den Gott und Natur mit schönen Gaben bedacht, sich ohne diese Offenbarung zum Tode bereiten können? Gern ging er aus dem Himmel der Jugend hinüber in den der Ewigkeit. Dieser Uebergang wird nur einem unentweihten Leben zu Theil. Doch die Natur behauptet ihre Rechte und jede zärtliche Mutter weint am Grabe ihres Kindes.

Oft besuchte ich das Theater in Darmstadt. Trauerspiel, Schauspiel und Lustspiel schienen mir nicht sehr anlockend, doch unübertrefflich war die Oper bestellt. Luise Frank, nachherige Gran, wird nie vergessen werden. Auch Kathinka Krebs war eine prachtvolle Sängerin, nicht seelen- und anmuthsvoll wie die Frank. Wer aber Kathinka gehört hatte, vermißte nichts, so wunderbar war ihre Stimme.[90]

Abt Vogler sagte mir, daß der Großherzog dreißig Proben für eine einzige Vorstellung abhalten ließe. Dies war ein großes Opfer, doch es lohnte sich auch, denn nicht ein Hauch möchte ich sagen wurde laut, der nicht in das Ganze gehörte. Die edle Großherzogin Stephanie von Baden hatte Luise Frank von frühester Jugend an zur Sängerin ausbilden lassen. Sie wurde des Undanks angeklagt, weil sie in Darmstadt blieb, wo sie auf Gastrollen war, wahrscheinlich hat ihre Familie sie zu diesem Entschluß bestimmt, denn ihr Gehalt war fabelhaft hoch und selbst ihr Vater wurde engagirt. Ihr Abgang vom manheimer Theater schmerzte ihre großmüthige Wohlthäterin, und gewiß hat Luise Frank ein solches Opfer nicht mit leichtem Herzen gebracht, doch die Lockung war zu groß, besonders da auch die großherzogliche Familie der jungen Künstlerin sehr hold war. Zu einem ihrer Geburtstage schickte ihr die Frau Großherzogin einen prangenden Blumenstrauß, er stand lange im Wasser, doch als die Blumen zu verwelken anfingen, wollte ihn Luise wegwerfen. Da fiel ihr ein, irgendein Blümchen, welches sich leicht abtrocknen läßt, herauszusuchen. Als sie den Strauß aufband, blitzte ihr ein köstlicher Brillantring entgegen, durch welchen Stengel gezogen waren; Blätter waren darüber so künstlich gewunden gewesen, daß man den Ring darunter nicht entdeckte. Solcher zarten Aufmerksamkeiten genoß die liebenswürdige Sängerin viele.

Auch die Milder-Hauptmann kam öfters nach Darmstadt. Diese Nachtigall der Nachtigallen zauberte einen Frühling in die Seele. Madame Schönberger mit ihrem herrlichen Tenor gab den Tamino in der »Zauberflöte«, Kathinka Krebs die Königin der Nacht, und Luise Frank die Pamina. Welch ein Verein, welch ein Genuß! In[91] Vogler's übergelehrtem Werk »Zamori« wurde die Schönberger bewundert, doch sie riß nicht hin; denn diese Oper ließ das Publikum kalt, wiewol sie entzückende Stellen hat. Elise Bürger gab eine Vorstellung lebender Bilder. Die Frau Großherzogin schickte ihr ein hochrothes Atlaskleid, um eine Madonna nach Albrecht Dürer vorzustellen. Elise Bürger erlangte eine überraschend schöne Wirkung, nicht allein durch die echt Dürer'schen Falten, welche sie dem Kleide und ihrem Mantel zu geben wußte, sondern auch durch den ergreifenden Ausdruck. Was doch die Kunst vermag! Alle Demuth, Innigkeit, Reinheit der Jungfrau Mutter, wie sie sich Albrecht Dürer gedacht, leuchtete aus den Zügen einer Elise Bürger! Graf Moritz von Brühl saß neben mir, und wir sprachen lange darüber, mir gefiel seine Ansicht dieser Sache. Er meinte: das Göttliche wohne in jeder Menschenbrust, wenn auch noch so tief unter Schlamm und Wust verborgen, und es käme zur Erscheinung, wenn es der Mensch aus allen Tiefen seiner Seele hervorrufe. Zur Griechin umgewandelt, stellte Madame Bürger eine Niobe vor, um sie her ihre Söhne und Töchter, erlegt von des Sonnengottes Pfeilen. Es war ein herrlicher aber schaudervoller Anblick. Der Zauber einer wunderbaren Beleuchtung, der Frühlingsreiz der blonden Kinder, ihrer goldenen Locken Pracht um das bleiche Antlitz her, die sinnreiche Gruppirung, alles vereinigte sich, um dies Bild unauslöschlich der Seele einzuprägen. Doch Himmel, wie ging mir ein Schwert durch die Seele, als ich meine Kinder bleich mit geschlossenen Augen regungslos vor mir sah. Ich unterdrückte einen dumpfen Schrei, und schlüpfte durch eine Seitenthür zum Saal hinaus. Wie beseligt drückte ich sie an die Brust, als seien sie mir wiedergeschenkt, daß[92] sie nun von der Scene wieder in das Anziehzimmer treten konnten und sich zärtlich an mich klammerten.

Darmstadt bot damals schon herrliche Genüsse dar, wie mag es seitdem noch gewonnen haben! Mich zogen großen Säle der merkwürdigen Fossilien sehr an. Neben den Exemplaren von Thierarten, die nicht ausgestorben sind, betrachtete ich dieselben Stücke von jetzt lebenden Geschlechtern. Mit besonderer Aufmerksamkeit war das Fossil so kunstreich gebildet, so zierlich in seinen kleinsten Bestandtheilen, daß man über denselben Theil des jetzt lebenden gleichen Geschlechts wie über eine plumpe Nachahmung erstaunen mußte. Hat denn die Natur Erfindungskraft verloren? oder erzeugt der Genius nicht mehr, sondern die hinwelkende Erde? Gab es eine Zeit, wo nur unbeseelte Wesen den Erdball bevölkerten? und war die Erschaffung des Menschen des Schöpfers spätester Gedanke? Ich wage mich nicht tiefer in dies Labyrinth, und dennoch will ich nicht ausstreichen, was ich bis jetzt geschrieben.

Aus der Gemäldesammlung ist mir nichts im Gedächtniß geblieben, wiewol ich sie oft besuchte. Von der Bibliothek weiß ich nur noch, daß sie sehr reichhaltig war.

Die herrlichen Waldungen um Darmstadt her gewährten uns den reichsten Genuß. Gern will ich alles andere entbehren, wenn ich nur Waldesduft, den Schatten und den tausendstimmigen Gesang der befiederten Bewohner der Wipfel habe. Der Schloßgarten war der Schutzort unzähliger Nachtigallen, nie verschlossen, nicht durch lästige Besuche verkümmert und reich an einsamen Lauben. An seinem Eingang war das Theater befindlich; man erging sich in den Zwischenacten in den anmuthsvollen Gängen. Dort tummelte sich oft die kleine Sontag[93] mit meinen Kindern umher, es war eine Lust sie zu betrachten. Wir trafen die holdselige Kleine fast jeden Sonnabend bei unserm Freund Ludwig Cavallo, sie mochte damals fünf Jahre alt sein. Ihre Mutter war noch schön, eine einfache gewinnende Erscheinung. Sie war sehr unglücklich verheirathet gewesen und hatte einen guten Ruf. Ich erinnere mich nicht, ob die Kleine damals schon als Genius oder Amorine auf den Bretern erschien. Ich verabscheue diesen Misbrauch, man sollte ihn durchaus von der Bühne verbannen. Ach, ist denn der Schaulust des Publikums gar nichts heilig? Gibt es für die unschuldige Kindheit keinen Zufluchtsort, wo sie unberührt von schädlichen Einflüssen bleibt? Henriette Sontag war, vermöge ihres echt kindlichen Sinnes, ungestraft über die Breter gegangen, ganz natürlich geblieben, unbefangen und unverdorben. Ich komme noch später auf sie zurück.

Im Frühling 1814 überraschte mich der Besuch eines jungen Offiziers von der kaiserlich russischen Garde, er nannte sich Otto Heinrich Graf von Loeben. Freudig reichte ich ihm die Hand, denn ich hatte schon sinnige Zeichen seines Wohlwollens durch Fouqué empfangen. Wir gingen mit meinen Kindern in den großherzoglichen Garten, über welchen der junge Lenz sein dichtestes Blütennetz ausgespannt hatte; dies waren entzückende Stunden. Graf von Loeben war, abgesehen von seinem Türkenglauben an die Lauterkeit adelichen Bluts, eine liebevolle, wahrhaft poetische Natur voll Weichheit und Güte, voll Wahrheit und Sitte. Er hätte gar nicht brauchen ein Graf zu sein, um als eine der edelsten Schöpfungen, reich bedacht von Himmel und Natur, zu gelten. Das damalige Geschick seines Vaterlandes Sachsen beugte ihn tief. Ich war zu ununterrichtet von den[94] Verhältnissen, um mit ihm hierin gleich zu empfinden. Ich suchte das Schöne und Rechte nicht in der äußern Gestaltung, sondern im Wesen der Dinge; aus allen Formen des Lebens suchte ich es herauszufühlen und huldigte ihm. Noch im Sterben werde ich dasselbe thun.

Graf Loeben, oder wie er sich damals am liebsten nennen hörte, Isidorus, war ritterlich, im schönsten Sinne dieses oft gemisbrauchten Wortes. Seine Dichtungen spielen in das Katholisirende, wie zuweilen auch die meinigen thun, doch nur vom poetischen Standpunkt. Tieck, die beiden Schlegel u.a. sind weiter gegangen. Dürre Protestanten haben die Poesie aus der Religion herausgestoßen; dies geschah in den Zeiten der Verfolgung und des Kampfes und dürfte leicht wieder geschehen, denn diese sind wieder da. Isidorus gehörte in die poetische Verbrüderung, zu welcher Ludwig Tieck, die Schlegel, Novalis u.a. die erste Anregung gegeben und die sich in sehr verschiedenen Richtungen verbreitet hatte. Achim von Arnim, Clemens Brentano halfen die neuere Romantik begründen. Auch sie ist abgewelkt und es ist etwas der Poesie ganz Fremdartiges an ihre Stelle getreten. Es gemahnt mich, als lebten wir im Hochsommer der Poesie, wo Felder und Wiesen abgemäht sind, wo die Nachtigallen schweigen, und der Purpur der Früchte die Lieblichkeit der Blüten ersetzt, wo die Erfüllung die Sehnsucht tödtet. Sollen wir darüber klagen oder uns freuen? Diese Frage wird wol noch lange unentschieden bleiben. Man hat nie so kunstreich pompös gereimt, als jetzt geschieht. Herz und Schmerz sind obsolet geworden. Schade darum! Man sollte sie wieder zu Ehren bringen, denn wir bekommen ja doch keinen Goethe wieder![95]

Im Jahre 1802 bei einer unserer Streifereien durch das Musée Napoléon, blieb Friedrich von Schlegel mit mir vor einem Bildniß von Rafael stehen. In einer gedankenvoll componirten Gebirgslandschaft mit klarem Himmel, auf welcher sich hier und da ein dürftiges Bäumchen zeigt, nur um der Luft mehr Thau zu geben, steht ein junger schwarz gekleideter Mann mit schwarzem, kurz abgeschnittenem Haar, wehmuthvollem Blick und sanft geschwollenen Lippen, auf der Stirn thront Geisteslicht. »Sehen Sie sich das Bild recht an, Helmina, das ist der junge Dichter, den sie so sehr lieben, das ist Ludwig Tieck von der Seite des Genius und des Schmerzes aufgefaßt; das schlanke dünnbelaubte Bäumchen in seiner Nähe bezeichnet sein irdisches Dasein voll Schmerz und Sorge, die knappe einfache Tracht zeigt den vom Glücke nicht Begünstigten; das Bild hat große Aehnlichkeit mit Tieck, ich kann nie ohne die tiefste Wehmuth daran vorübergehen, es zwingt mich zum Verweilen. Da haben wir jetzt des deutschen Dichters Los: für den Genuß seiner Schriften ist die Welt undankbar, um sein Schicksal kümmert sich kein Reicher, kein Mächtiger; verkümmert er, so ist alles gleichgültig dabei; zeigt er eine Schwäche, so packt der vornehme Pöbel sie an und sucht sie in den Staub zu reißen; die Verleger zahlen ihm langsam oder gar nicht einen dürftigen Ehrensold.« – »O still!« unterbrach ich Friedrich Schlegel, »wie weh sollte es mir thun, wenn Tieck's Schicksal ein solches wäre.« – »Ist es denn nicht das Los unser aller?« sagte schmerzlich lächelnd Friedrich Schlegel, »nur ein Mittelmäßiger, nur ein **** gedeiht. Die große Welt kann geistige Größe nicht ertragen!«

Es sind nun 53 Jahre vorüber, daß dies Gespräch stattfand. Es hat sich seitdem in den Schicksalen der[96] beiden verbrüderten Dichter, und auch innerlich viel geändert; früher noch in Friedrich Schlegel, als in Ludwig Tieck. Im Jahre 1805 ging Friedrich Schlegel nach Köln am Rhein und änderte dort die Religion, für welche dort seine Väter so rühmlich gekämpft und gewirkt. Dies war bei ihm kein bewußter Drang nach Verbesserung seiner Lage, er hatte sich in ein System hineingedacht und gefühlt, welches ihn nun ganz beherrschte. Die glühende Verehrung der Brüder Sulpice und Melchior Boisserée, ihre unverkennbare Freundschaft, und Johannes Bertram's Beredsamkeit, welcher die katholisch-kirchlichen Zustände vor der Revolution am Rheinufer als Sittlichkeit befördernd und als Wohlfahrt spendend und die alte ostindische Religiosität mit ihren Mysterien und Dogmen als Saatenkorn des christlichen Glaubens feurig pries, hatten großen Einfluß auf Schlegel geübt. Er ging, wie bemerkt, mit seiner Gattin und den Brüdern Boisserée nach Köln, wo ihnen die liebenswürdigste Gastlichkeit, die zarteste und gediegenste Fürsorge entgegenkam. Dort schworen beide unter großer Feierlichkeit die reformirte Religion ab und übten die neu angenommene mit Eifer und aller Glut der Begeisterung. Man muß denken, daß sie Blut und Flammen der Inquisition, der Bartholomäusnacht, des Cevennenkriegs und die Mishandlungen und Grausamkeiten, welche die Kirche und die Monarchen gegen die Stifter der Reformation verübt, vergessen hatten und die katholische Religion noch von der poetischen und glänzenden Seite auffaßten. Sie wurden so aufrichtig katholisch, wie es Kinder werden könnten, die keinen Begriff von der Geschichte haben. Als ich beide später in Wien antraf, fand ich sie in diesem Zustande. Beider Los hatte sich äußerlich verbessert. Ich traf bei ihnen[97] eine Reihe Convertiten, welche hauptsächlich ihren Kreis ausmachten. Friedrich Schlegel klagte nicht mehr über das Los der Dichter und über den Undank der großen Welt.

Ludwig Tieck war unterdessen, wie man wenigstens aussprengte, seinerseits gleichfalls in Rom katholisch geworden, aber sein Leben und seine Werke trugen nicht die Farbe dieser Umwandlung; in das katholische Element übergespielt hatte seine »Genoveva«, sein »Octavian«, so auch mehrere seiner größern Erzählungen, doch im allgemeinen war er phantastisch, ironisch und weltlich geworden. Es schien, als habe er die katholische Religion einzig und allein ihrer poetischen und mittelalterlichen Seite wegen als ein Element seiner Dichtungen benutzt, und als sei es ihm gleichgültig, was sie sonst für Gewalt und Einfluß übe. Seine »Vittoria Accorombona«, die in meinen Augen mehr eine Verhöhnung der Sitte und des Glaubens ist als irgendein Werk aus der neuen Schule, läßt die Religion beiseite liegen. Ich sagte vorhin und will es nicht ausstreichen, daß Ludwig Tieck in Rom katholisch geworden sei, doch es fällt mir eben ein, daß es Friedrich Schlegel und seine Gattin mir gesagt, Ludwig Tieck hingegen mir es fest abgeleugnet; jedoch ging er in keine andere Kirche Dresdens, als in die katholische, und alle Zeichen, welche das Zugehören an den katholischen Glauben beurkunden, hatte er in seinem Hause und Zimmer. Seine Gemahlin und Töchter waren zur katholischen Religion übergetreten. Einige Jahre darauf hatte die Familie die liebenswürdige geistreiche Dorothea Tieck zu beweinen; ihr früher Tod war ein herber Schlag für alle und noch besonders für das Vaterherz. Dorothea Tieck war innerlich und äußerlich das Jugendbild ihres Vaters. Ludwig Tieck hatte zu dieser Zeit keine Aehnlichkeit mehr mit dem Rafael'schen[98] Bildniß. Tieck verleugnete nur wenige seiner frühern Freunde und Freundinnen und zwar aus Gründen, die man nicht misbilligen konnte.

Ich werde noch später mehr schildern und bezeichnen die überschwenglichen Tage, die wir mit den dresdener Freunden und Freundinnen verlebt. Welche Reihe von Namen, alle leuchtend und unvergeßlich! Mein edler Freund Isidorus Orientalis (Graf Otto Heinrich von Loeben) mit der Seele eines Kindes, mit dem Herzen voll Liebe und Güte, mit der überreichen Phantasie, mit aller Treue eines echten deutschen Gemüths, war der echte Schüler Ludwig Tieck's. Sein Aristokratismus entsprang nicht aus Hochmuth, sondern war das Erzeugniß seiner Verehrung des Mittelalters. Er glaubte an edles Blut durch Abstammung von edeln Geschlechtern. Das alles klingt so hübsch und ist für Hohe und Niedere so angenehm sich vorzustellen, daß dieser Wahn, den zwar die Geschichte zerstört hat, gleichwol nicht aufhören wird Gewalt zu üben. Manche Dichtungen des Grafen Heinrich von Loeben ringen sich aus den Nebeln verjährter Vorurtheile, und zeichnen ihn ganz in seiner eigensten Eigenschaft als einen der lieblichsten Dichter, die Deutschland aufzuzählen hat. Auch er dichtete in den Formen und in dem Geiste, welchen die neue Schule angenommen hatte und von welchen ich auch nicht freigeblieben bin. Zugleich gehörte er der Herrnhuter Kirche an. Seine vortreffliche Gemahlin verschönte durch klaren Versand und aufrichtige Güte unsern dresdener Kreis, der sehr zahlreich und dennoch auserlesen zu nennen war. Meine Freundin Therese aus dem Winckell, Baron Ernst von der Malsburg, Baron Bock aus Lievland, Karl Konstantin Kraukling aus Kurland, Graf Friedrich von Kalckreuth, Koes aus Dänemark, der Dichter Atterbom aus[99] Schweden, der dort die romantische Schule gestiftet, und manche anziehende Erscheinung aus der Frauenwelt belebten einen Kreis, wie vielleicht selten einer sich schloß. Tick fand sich einmal mit den meisten dieser hier genannten Personen zusammen bei mir. Er fragte jeden einzeln, »ob er rauche!« Alle antworteten: »Nein!« Er warf sich zurück in seinen Sessel und rief aus, und das mit dem größten Ernst und der volltönendsten Stimme: »Was das für gebildete Leute sind!« Als auf die unter sich ziemlich ungleichmäßigen Honorare, welche wir empfingen, die Rede kam, rief Ludwig Tieck mit Entrüstung: »Welche Anarchie!«

Wer könnte die Flut von Schalkheiten und geistvollen Ausfällen, die Tieck in unserm Kreise entströmten, hier auf das Papier zaubern? Er pflegte uns alle und unsern Freund Baron Bielefeld zu seinen Vorlesungen einzuladen. Nach einem schmackhaften Souper wurden seine Lebensgeister rege und das Feuerwerk seines Witzes spielte rauschend und kräftig empor. Es war harmloser Scherz, allein ich sage dennoch, ich hätte gerade in solcher Laune Tieck's nicht mögen fern sein. Verschonte er doch nicht einmal die Anwesenden! Indeß wir wehrten uns nicht, denn was ihm Vergnügen machte, war uns theuer.

Es ist wol bekannt, mit welcher überschwenglichen Kraft und Anmuth Ludwig Tieck vorlas. Man meinte, der Dichter, den er durch seinen Vortrag ins Leben zurückrief, stehe lebendig vor uns und erschließe uns das kaum noch geahnte Geheimniß seiner Poesie. Man fühlte beim Zuhören, wie dies Lesen der Meisterwerke Shakspeare's und Calderon's (in Malsburg's Uebersetzung) Tieck's höchster Lebensgenuß sei. Von seinen eigenen Sachen habe ich ihn nie vorlesen hören. Als ich von Dresden schon entfernt war, sagte man mir, daß Tieck[100] die vortrefflichen Schauspiele der Prinzessin Amalie von Sachsen vorgelesen habe. Bekanntlich war der Ertrag dieser ausgezeichneten Arbeiten zur Errichtung eines Waisenhauses bestimmt. Die hohe Wohlthäterin erreichte ihren Zweck, weil der Zudrang zu den Aufführungen ihrer zahlreichen dramatischen Werke bedeutend war. Die Huldigung galt nicht allein der edeln Absicht und dem schönen Zweck der Dichterin, sondern auch dem Werth ihrer reizenden Schöpfungen, dieser echten Lebensbilder, meisterhaft entworfen, hinreißend, erschütternd und erfreuend durch den höchsten Zauber der Dichtung: durch Wahrheit.

Schon manche haben in Goethe und Ludwig Tieck wegen ihrer Vielseitigkeit Vergleichungspunkte mit Voltaire gefunden. Mir scheint diese Ansicht unrichtig Voltaire war sehr gottlos, wiewol auch er Gutes und Großes gethan und neben entsetzlichem Schaden Wohlthaten für die ganze Menschheit gestiftet. In meinen Augen ist Tieck minder Lichtgeist als Glanzgeist, Voltaire war beides. Die Wahrheiten, die er unter dem Chaos von Irrthümern ausspricht, fließen nicht aus der reinen Quelle feurigen Eifers für das Gute, wenigstens nicht immer. Voltaire's wahrhaft edle und siegreiche Bestrebungen, des gerichtlich ermordeten Calas Ehre wiederherzustellen, sind vielleicht die glänzendste Großthat seines Lebens. Goethe's und Ludwig Tieck's Leben haben keine solche That aufzuweisen. Allein im allgemeinen haben beide wohlthätig für Mitwelt und Nachwelt gewirkt und waren größere Dichter, zumal Goethe, dessen göttliche Werke in Blut und Mark des Volks übergingen, wie die von Schiller in einem noch höhern Sinne gethan, und wie die des großen gesinnungstüchtigen Ludwig Uhland, des unsterblichen Jean Paul, des weltweisen Herder u.a. Tieck war mehr künstlerisch als[101] gesinnungstüchtig, seiner eigensten Natur nach rein lyrisch. Der bedingende Drang des Lebens, welcher Taschenbuchsartikel ihm zur Nothwendigkeit machte, drängte ihn weg vom heiligen Quell der lyrischen Ergüsse. Er schlug seine innere Welt in Trümmer wie einen Solitaire, der dann stückchenweiß verkauft wird, doch der innere Kern, der unerschöpfliche Schatz des Wissens, der feinsten und gediegensten Beurtheilungskraft blieb unberührt und verherrlichte noch seine späten Jahre. Zeitgenoß eines Novalis, eines Schleiermacher, eines Friedrich von Schlegel, zu welchen unter Bedingungen die übrigen Mitstifter der Schule zu zählen sind, z.B. Wilhelm von Schlegel u.a., denen Verdienst nicht abzusprechen ist, die jedoch nicht aus eigenem, stets sich neu erzeugendem Quell schöpften, war Tieck unter diesen die reichhaltigste schöpferische Natur und stand ganz eigenthümlich zwischen ihnen. Sich ihm nachzubilden strebten Geister, nicht an Aufschwung und Umfang gleich. Der Ludwig Tieck, der den »Sternbald« geschrieben, war nicht derselbe mehr, der die »Vittoria Accorombona« verfaßt, deren Erfolg viel einträglicher war, als der des herrlichen »Sternbald«, dessen Werth das Häuflein der Gleichgesinnten zu schätzen wußte. Nicht ein Nachahmer, sondern ein Nachfolger Tieck's ist Heinrich Heine, wie denn überhaupt das Lied Ludwig Tieck mehr zu danken hat als Goethe und Uhland selbst. Der Genius ist aus dem Paradiese der Lyrik durch die Weltbegebenheiten vom Cherub mit flammendem Schwerte verjagt worden. Die Poesie hat wie die ersten Aeltern ihre Unschuld verloren. Wäre nicht die Musik da, welche das wahre Lied noch über Wasser hält, es würde gar keine Empfänglichkeit mehr dafür leben.

Ich kann mich nicht enthalten, noch eine Eigenheit[102] Tieck's, welche sich alle großen Vorleser aneignen sollten, zu erwähnen. Er litt nicht, daß die Damen eine weibliche Arbeit mitbrachten, und die Thür blieb dem eingeladenen Gaste verschlossen, welcher nicht zur anberaumten Stunde kam. Ich finde das höchst natürlich und recht. Bei jedem Schönheitsgenuß muß die feinste Sitte obwalten. Wer mit allen Kräften seines Wesens eine herrliche Dichtung gleichsam wieder gebiert, muß jeder Regung der Zuhörer, die nicht Hingebung und ich möchte sagen Andacht ist, feind sein. Uebrigens entdeckte man in seinem Wesen noch oft Spuren der Anhänglichkeit an die Gefühle seiner Jugendjahre. Sein schönes Angesicht, bestrahlt von den zwei schwarzen Augen, glich einer Welt, die von ihnen beleuchtet wurde. Seine Gedanken verkörperten sich in seinen feurigen Blicken, seine beweglichen regelmäßigen Gesichtszüge beurkundeten Kraft und Feinheit, Scharfsinn und rasches gediegenes Urtheil. Sein Körperbau hatte entsetzlich von der Gicht gelitten, dennoch war ihm nichts von seiner Würde benommen. Es lag so viel Heiterkeit und Größe in seinem Ausdruck, daß man meinte, die edle Gestalt müsse sich in dem Augenblick gebietend emporheben. Tieck äußerte zuweilen nicht ohne Wehmuth, daß etwa zwölf Bäder in Nizza ihn hergestellt haben würden. Hätten seine spätern hohen und edeln Gönner doch das zu rechter Zeit gewußt! Es war nun zu spät.

Ganz im Gegensatz zu Friedrich Schlegel, der am liebsten das Gespräch auf politische und religiöse Zustände lenkte, blieb aus Ludwig Tieck's Unterredungen Religion und Politik weg. Sie enthielten nur Ansichten über Poesie und Literatur, und zwar nicht von der ernsten Seite, sondern von der erheiternden und spöttischen, die deshalb nicht minder belehrend waren. Ein großer[103] Freund und Verehrer der Frauenpoesie war er nicht. Von dem Ehepaar de la Motte Fouqué sagte er, Fouqué sei die Verwesung, jedoch nur die Verwesung des Apfels, aber seine Gemahlin die des Fleisches. Ludwig Tieck hatte das mit Friedrich Schlegel gemein, daß er erbarmungslos schlachtete, ohne seinen Opfern im geringsten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Frau de la Motte Fouqué war genial und hochbefähigt und verdiente nicht im geringsten den lieblosen Ausspruch des großen Dichters. Auch gegen seine Schwester Sophie Bernhardi war Tieck ungerecht. Sophie Mereau, eines der lieblichsten Gestirne am Himmel deutscher Poesie, und die Günderode wurden gleichfalls von ihm nicht anerkannt. Ich muß ihm nachsagen, daß ich in seinen Briefen an mich und im Gespräch noch am besten weggekommen bin. Zwar gab er wenig auf meine Novelle: »Die Zeit ist hin, wo Bertha spann«; aber mich verletzte das um so weniger, als er von einem meiner Werke: »Emma, eine Geschichte«, liebevoll sprach und alle meine Lieder liebte. Von Goethe, Schiller, Herder und Jean Paul sprach er nie warm und überfließend, wenn er sie gleich wie billig gelten ließ. Shakspeare allein hatte seine volle Glut der Bewunderung und Liebe. Er hatte sich ganz in ihn hineingelebt, er war der Frühling seines Gemüths, die menschgewordene Poesie. Man mußte seiner Ansicht sein, wenn man ihn reden hörte; der Strom seiner Beredsamkeit riß alles hin.

Tieck war folgende Stelle aus meinen »Erinnerungen« aufgefallen, ich mußte ihm noch viel über den Gegenstand derselben sagen; es war folgende:

»Ich lernte beim Grafen Escherney Fanny Beauharnais kennen, eine Frau, deren Geist und Herz im seltenen Einklange standen. Ich besuchte sie von Zeit zu[104] Zeit und fand ihren Umgang sehr liebenswürdig. Sie war Tante der Kaiserin Josephine, hielt aber damals 1802 noch kein glänzendes Haus, und vereinigte um sich her nur einen kleinen Kreis von Schöngeistern, die nicht in dem Rang eines Delille, Legouvé u.a. unter den beliebtesten standen, deren Gespräch doch anziehend und belehrend war. Der genialste unter diesen Männern war Rétif de la Bretonne; seine Erscheinung hatte etwas Gewinnendes und Anziehendes. Er war von ziemlich großer Gestalt, ziemlich beleibt, er trug sein Haar wie Bernhardi de St.-Pierre in natürlichen Locken bis auf den Hals herabfallend, sein Gesicht war oval, die Nase sanft gebogen, der Mund angenehm, die großen Augen ausdrucksvoll, die Blicke liebend und leuchtend, seine sanfte Stimme traf das Herz. Er zeigte sich gegen mich so gütig, wie ein Mann an der Neige des kräftigen Mannesalters ein junges Wesen zu behandeln pflegt. Ich hätte ihn gern oft gesehen, allein das Anathema, welches die Welt über ihn ausgesprochen, schreckte mich zurück. O die Welt, wie gern und voreilig urtheilt sie ab! Welche Blüten zertritt sie mit eisernem Fuß! Lange nachdem ich Rétif de la Bretonne bei Frau Beauharnais begegnet, fand ich von ungefähr seine ›Contemporaines‹ vor, ich las darin mit heftigem Schmerz.

Die Bekenntnisse des unsterblichen Rousseau weisen nichts Aehnliches auf. Nackter Sinnentaumel, Umstoßung aller hergebrachten Sittenlehre, Verletzten aller zarten tiefen Empfindungen, welche das Band der Gesellschaft rein und unverletzt in der Masse der Menschheit erhalten und Schwestern, Töchter zu unantastbaren Gegenständen erheben, denen ihre Angehörigen Schutz, keusche Ehrerbietung und die reinste Anhänglichkeit schuldig sind, fand ich in diesem Werke. Doch glaube ich mich zu erinnern,[105] daß Rétif de la Bretonne seine bedauernswürdigen Verirrungen nicht beschönigen will, sondern nur sie unverhehlt darstellt. Zur Zeit der Regentschaft war Aehnliches, ich möchte sagen Schlimmeres im Schwange. Die Erzählung ›St.-Jean La Fontaine‹ und die Schriften Voltaire's enthalten Strecken bodenlosern Schlammes als Rétif's verrufenste Werke. Wäre Rétif kein Franzose und nicht so unglücklich gewesen, er hätte einer der ersten Schriftsteller seiner Zeit werden können. Er bedurfte nur sittlicher Würde, so würden die reine Gutmüthigkeit, der Feuergeist und das Talent dieses Mannes ihm allgemeine Verehrung gesichert haben. Sein ›Paysan perverti‹ im Gegensatze zu Merreaux' ›Paysan parvenu‹ ist ein Werk, in welchem man keine Ahnung von der Unsittlichkeit, die in vielen Werken Rétif's herrscht, findet. Es enthält vornehmlich für Frankreich treffliche Sittenlehren, und schreckt vom Laster zurück. Rétif war arm, er gerieth in solche Kreise, deren Mitgliedern es vornehmlich um Umwälzung aller Tugend und Sittengrundsätze zu thun war. Es gab deren in allen Ständen.«

Vom Throne herab lächelte das Glück dem greisen Tieck zu. Friedrich Wilhelm IV. schuf ihm ein beneidenswerthes Los. Er lebte in des Königs Nähe, von der ganzen hohen Familie mit Verehrung, man durfte sagen, mit Zärtlichkeit umgeben. Prinz Friedrich Wilhelm zeigte ihm Huld, die in so zarter Jugend, verschönt durch alle Grazien des Geistes und der Anmuth, ihren Gegenstand noch süßer beglückt.

Quelle:
Chézy, Helmina von: Unvergessenes. Leipzig 1858, Band 2, S. 3-106,378-379.
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