Einleitung.

[9] In der Erziehung der Jugend wird häufig eine sehr große Lücke gelassen. Man unterichtet die Menschen in allen möglichen Wissenschaften und nützlichen Künsten, und die wichtige und schwere Kunst der Lebensart wird nirgend auf eine besondere Weise gelehrt. Die Erfahrung, sagt man, wird den Weltmann besser als irgend ein Unterricht belehren.

Allerdings! Aber ist man nicht dem Kinde behülflich, wenn es seine ersten Schritte macht? Ueberließe man der Erfahrung allein die Sorge, es gehen zu lehren, so würde es sich zerschlagen haben, ehe es zwei Schritte gemacht hätte.

Die Lächerlichkeit ist die furchtbarste Waffe. Sich auf eine angemessene und anständige Weise in die Welt einzuführen, ist oft ein so wichtiger Punct, daß er über die ganze nächste Zukunft, über das ganze Fortkommen eines Menschen entscheiden kann. Man schmeichelt dem Reichthum, man fürchtet den Geist, man schätzt die Lebensart. Ein Mensch, welcher Lebensart besitzt, ist die[9] Vorsehung einer jeden Gesellschaft. Er theilt allen seinen Umgebungen etwas von dem guten Tone mit, den er besitzt: Selbst das häßlichste Unkraut riecht gut in Gesellschaft der Rosen. Die Wissenschaft langweilt zuweilen, der gute Ton aber ruft das Lächeln hervor, nie wünscht man seine Entfernung, immer sehnt man sich nach seinem Kommen.

Ein liebenswürdiger Greis bat eines Tages um Aufnahme in einen sehr beschränkten Kreis, und als er die Verlegenheit der Mitglieder sah, ihm eine Antwort zu ertheilen, nahm er, ohne ein Wort zu sprechen, ein Rosenblatt und legte es auf ein bis zum Rande gefülltes Glas Wasser. Nicht ein Tropfen der Flüssigkeit lief heraus. Der liebenswürdige Greis wurde augenblicklich unter allgemeinem, sehr schmeichelhaftem Gemurmel aufgenommen.

Ebenso ist es auch mit der Lebensart; sie kann, gleich dem Rosenblatte auf dem Glase Wasser, nirgends überflüssig sein. Man lerne also Lebensart; sie ist der goldene Schlüssel zum Glücke und sehr oft zum Reichthum. Bei gleichem Verdienst nicht nur, sondern sogar bei übrigens sehr ungleichem, wird der Mann von gutem Ton gewiß stets den Sieg davon tragen; sei es, daß er sich um eine Anstellung bewirbt, sei es, daß er nach der Hand eines Mädchens strebt. Und wie viele Unannehmlichkeiten vermeidet er. Die Folgen einer Unart oder Unhöflichkeit, mag sie absichtlich oder unbewußt sein, lassen sich gar nicht berechnen. Alle Moden vergehen; die Reiche stürzen, die Lebensart aber bewahrt für alle Zeiten ihre Macht; sie gehört jeder Zeit und jedem Orte an, wo die von ihr hervorgerufene Civilisation herrscht.

Man kann nicht genug danach streben, sich mit dem guten Ton vertraut zu machen. Wie viele Menschen giebt es, die in dieser Rücksicht ohne Erziehung sind, selbst unter den Ständen, wo man dieß am Wenigsten vermuthen sollte. Man ist deßhalb noch nicht ein Mann von gutem Ton, weil man hohe und gute Gesellschaften[10] häufig besucht hat. Selbst unter dem Schatten der schönsten Bäume wachsen Disteln.

Man hüte sich daher wohl vor dem Glauben, man müsse oder dürfe Alles nachahmen, was man in einem Salon sieht. Lächerlichkeiten und Anmaßungen sind in diesen Tempeln der Mode und des Geschmacks in reicher Menge zu finden, und darin liegt eben die größte Klippe für einen jungen Mann, der in der Welt neu ist und die guten Gebräuche derselben zu erlernen wünscht. Ein gewisser angeborener Tact ist dazu unerläßlich. Die Weisungen und Winke des Lehrers genügen hier nicht mehr. In dem Rausche, welcher durch den Anblick der Schönheit, durch die Wolken der Wohlgerüche, durch das Kleingewehrfeuer einer witzigen oder geistreichen Conversation hervorgerufen wird, verliert man nur allzu leicht den Kopf. Wir wollen daher durch die nachfolgenden Capitel die jungen Leute vor dem Schwindel zu bewahren suchen, von dem wohl jeder Ungewarnte bei seinem ersten Eintritt in die Welt ergriffen wurde.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 9-11.
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