1) Der Schmarotzer.

[67] Der Character des Schmarotzers hat schon den komischen Dichtern Rom's Stoff zu Spöttereien geboten, indem sie sich die Gelegenheit nicht entgehen ließen, eine solche Figur auf das Theater zu bringen, um das Publicum zu belustigen. Der Schmarotzer war damals ein Mensch, der den Schmeichler machte und allerhand Dienste und Gefälligkeiten erwies, um an die Tafel eines Großen oder eines Reichen gezogen zu werden, damit er sich auf deren Kosten satt essen und auch außerdem leben könnte. Diese verächtliche Rolle hatte beinahe unvermeidlich in ihrem Gefolge die eines Spaßmachers, aber die Sitten unserer Zeit haben den Character eines Schmarotzers von der Art, wie Plautus und Terenz ihn schildern, schon längst verschwinden machen. Dagegen giebt es bei uns eine Variation, die kaum achtbarer ist und die man mit dem Namen eines Tellerleckers bezeichnet.[67]

Ein solcher moderner Schmarotzer ist jederzeit ein Mensch ohne Herz und opfert seine Würde seiner Trägheit; denn er läuft lieber herum, ein Mittagsessen umsonst ausfindig zu machen, als daß er arbeitet, um sich eines zu verdienen.

Die Gemeinheit, welche in diesem Benehmen des Schmarotzers liegt, führt ihn zur Erniedrigung, zur Demüthigung und zur Unverschämtheit.

Der Mensch, welcher so weit herabgesunken ist, hat dadurch auf alle Achtung in der Welt Verzicht geleistet, obgleich er sich liebenswürdige Eigenschaften und besonders eine gefällige Unterhaltungsgabe angeschafft haben muß, um seinen Zweck erreichen zu können.

Man haßt den Schmarotzer, den Tellerlecker, zwar nicht, man erfüllt sogar seinen Wunsch, indem man ihn zu Tische ladet, weil er ein ganz angenehmer und unterhaltender Gesellschafter ist, aber bei alledem verachtet man ihn, oder hegt wenigstens Geringschätzung gegen ihn, und das ist schlimmer, als wenn man ihn haßte.

Was den Tellerlecker übrigens in der That verächtlich macht, ist, daß zu seinem Geschäfte zehn Mal mehr Verstand und Lebensart erforderlich ist, als man braucht, um auf achtbare Weise den Lebensunterhalt durch Arbeit zu gewinnen; ja sogar Thätigkeit und Anstrengung ist oft zu der Schmarotzerei mehr erforderlich, als zu der Arbeit.

Es giebt übrigens zwei Arten von Schmarotzern: Die, welche es aus Geiz, und die, welche es aus Armuth find.

Die Erstern sollte man mit dem Besen hinausjagen, die Letztern kann man aber aus Mitleid dulden.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 67-68.
Lizenz:
Kategorien: