Der gute Ton beim Sport

[143] Es hat Zeiten gegeben, da selbst der grausamste Sport, der Krieg, Anstandsregeln hatte, da man sich bemühte, das rohe Zuhauen zu stilisieren, da sich ritterliche Führer nicht nur schön geschmückt zeigten, den Feind zu ehren, und kostbare Spitzen vorm Kampf anlegten, sondern auch allerlei Feinheiten im Umgang mit dem Feind ausklügelten. So ist es auch heute sehr gut möglich, sich auf den Pfaden des Sportes ebenso in Ritterlichkeit hervorzutun wie in körperlicher Tüchtigkeit und nicht als Gladiatoren, sondern als feingebildete Männer einander im Wettkampf zu ehren.

Jedes Spiel hat seine Spielregeln, die selbstverständlich zu befolgen sind, aber auch einen Ehrencodex, den im Sinne zu behalten den Spieler ehrt und seine Kenntnis des guten Tons beweist. Vielleicht ist der berühmte Gleichmut der Engländer auf deren lange Sporttradition zurückzuführen.

Ärger bei Spiel und Sport muß niedergehalten werden, bis er überhaupt nicht mehr aufsteigt, die schöne Geste, den Sieger, der uns besiegt, mit Handschlag zu beglückwünschen gehört dazu. Die seelische Ertüchtigung, zu der die körperliche Ertüchtigung des Sportes erziehen soll, ist die Entgiftung der Seele von Neid und Mißgunst. Kämpfen[143] mit aller Kraft, Sieg begehren mit allem Feuer und mit der Wonne, höchstbewußt jung zu sein, das ist der tiefste Sinn, das eigenartige Glück des großen sportlichen Tummelns, das sich jetzt auf der Welt begibt und die einander entferntesten Menschen zusammenführt. Anerkennung gegenseitiger Leistung gehört zum guten Ton.

Aneinander Freude zu haben, gehört zum Sport, und dies zum Ausdruck zu bringen idealisiert jede Art des vielseitigen Bemühens um Meisterschaft, vom graziösen Ballschlagen beim Tennis zum gewichtigen Schleudern des Fußball, vom naturgenießerischen Golf zum Wassersport mit seinen Segeln und Rudern, vom Schwimmen zum Zauber des Schlittschuhs, vom Ski, der die Jugend beflügelt, dem Winter froh Trotz zu bieten, und endlich bis zur neuesten Errungenschaft, dem Flug. Im Krieg waren es die Flieger, die im Kampf alte Ritterlichkeit aufleben ließen.

Gedenken wir auch des ältesten Sports, der auf die vornehmsten Traditionen zurückführt, der Jagd und des Reitens.

Als Schutz- und Trutzwaffe besitzt der Mensch einzig seine geistige Kraft und diese auszunutzen fand er früheste Gelegenheit auf der Jagd. Die Natur, eigentlich der Hunger, ließ ihn auf Mittel sinnen, sich der Beute zu bemächtigen und lehrte ihn sich zu rüsten und künstliche Waffen zu gebrauchen. So gehört die Jagd zu den ersten Gliedern in der fortlaufenden Kette der Weltkultur. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie zu[144] einem Prüfstein des guten Tons und ihre Regeln – mannigfach wie die Moden in veränderlichen Zeiten – wechselten mit den Sitten, mit den Neuerfindungen von Waffen, mit den politisch sozialen Lebensgestaltungen. In einem alten Jagdbuch finde ich eine bezeichnende Einführung. Einer, der Jäger werden wollte, bat einen Freund ihn anzuleiten: »Willst Du Jäger oder Schießer werden?« fragte dieser »Für den Schießer genügt einige Fertigkeit im Handhaben der Waffe, die Übung sich in der Jägersprache richtig auszudrücken, ein bißchen Renomage bei Aufzählung der Beute und ein guter Magen für Jagddiners. Für den Jäger aber bedarf es vor allem Liebe für Wald und Feld, Interesse für das Gedeihen des Wildes und der Wunsch, auf jagdgerechte Weise zu schießen. Die Jagdgesetze bieten nur – wie alle Gesetze übrigens – beschränkten Schutz und der Jäger als Sportsmann muß mehr hegen und pflegen als schießen.«

Daß die einzelnen Sportsarten ihre eigenen Gesetze, ihr »fair play« haben, versteht sich von selbst. Wintersport und Winterflirt sind zu Angelpunkten des geselligen Lebens geworden. Die Sonnen- und Familienbäder im Sommer stellen neuartige Anforderungen an Takt und geselliges Benehmen. Der Sport wandelt leicht und sicher die gesellschaftlichen Formen, er wird rasch aus dem Spiel zum Lebensinhalt, das einzige Bestimmende. Wer sich seiner Lockung ergibt, muß alle[145] Regeln genau beherrschen, körperlich so gewandt sein, daß er mitmachen kann, ohne die anderen aufzuhalten, zu stören oder zu gefährden, muß sich richtig anziehen und verstehen ein guter Kamerad zu sein.[146]

Quelle:
Gleichen-Russwurm, Alexander von. Der gute Ton. Leipzig [o. J.], S. 143-147.
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