Tisch und Tanz

[156] Eine geschmückte, gut gedeckte Tafel zu betrachten, muß schon an sich ein ästhetischer Genuß sein. Geschmack und Glanz des Gastgebers kommen dabei zu bester Wirkung und es ist höflich, wenn der Schmuck besonders gut gelungen ist, der Hausfrau liebenswürdig seine Anerkennung zu sagen.

Man legt, ehe man die Tafel zu schmücken beginnt, eine weiche wollige Filzdecke auf den Eßtisch [der so wenig störende Beine wie möglich haben soll – eine Aufgabe für Innenarchitekten] und breitet darüber das weiße Damasttuch, wenn zum Diner eingeladen ist. Handelt es sich um ein Frühstück, so ist es sehr elegant, auf dem gut polierten Tisch ohne Tischtuch zu servieren und nur den einzelnen Tellern eine zierliche Spitzenunterläge zu geben.

Ist der Tisch weiß gedekt, so können farbige seidene Läufer, mit Geschmack aufgelegt, den Reiz erhöhen und ein entzückendes Ensemble bilden.

Tafelaufsätze aus Silber, Bronze oder Porzellan bilden den Mittelpunkt der Dekoration, sie dienen dazu Blumen und evtl. Bonbons aufzunehmen. Ihr Stil muß übereinstimmen mit dem Tafelservice. Beim Aufstellen höherer Gruppen ist Bedacht zu nehmen, daß die Unterhaltung mit den Gegenübersitzenden – außer[156] bei ganz großen Diners und sehr breiten Tischen – nicht gestört wird. Auf die Tafel einzelne Blumen zu streuen oder zierliche Gewinde zu legen, kann höchst anziehend wirken. Die Plätze der Damen werden gern durch eine kleine Blumenspende bezeichnet, die am Schluß der Tafel mitgenommen wird. Weißer und roter Tischwein kann in kleinen Karaffen [niemals in Faschen] zwischen den einzelnen Couverts stehen. Die zu den verschiedenen Speisen geschenkten Weinsorten werden von den Dienern, von der Kredenz aus, in die aufgestellten Gläser eingeschenkt oder auf runden silbernen Tabletts bereits eingeschenkt herumgereicht. Man kann nach eigener Wahl annehmen oder danken.

Es ist wünschenswert, daß die Tafel zwar nicht überladen, aber doch reich dekoriert wird, ein leerer, ärmlich ausgestatteter Eßtisch macht einen gar zu nüchteren Eindruck. Die einzelnen Kuverts mit Tellern, Serviette, Besteck, Gläsern und Brötchen dürfen weder zu nah, noch zu weit voneinander gedeckt sein. »Zu nah«, sagt ein Weltmann des 18. Jahrhunderts, »ist peinlich und ungemütlich, zu fern aber hindert das Amusement, denn, sollte man es glauben, selbst von solchen Kleinigkeiten hängt das Vergnügen ab – ebenso von der Temperatur, die in einer Gesellschaft herrscht, symbolisch und wörtlich genommen.«

Im Speisezimmer muß die Temperatur beim Eintreten den Gästen wohl frisch und gut gelüstet erscheinen, sie soll aber warm werden während der Mahlzeit. Im[157] kalten Raum erstarrt alles, selbst die Fröhlichkeit. Des Abends wird die Beleuchtung der Tafel, das elektrische Licht des Zimmers feierlich zu ergänzen, durch Kerzen in silbernen oder bronzenen Girandolen besorgt, die an den Glanz früherer Zeiten erinnern und einen Hauch guter Tradition der Tafel geben. Die Tischkarten legt man augenfällig über ein Glas. Sie werden von den Dienern weg genommen, sobald die Gäste sitzen, die hübsch ausgestatteten Menus – zu deutsch Speisefolge – liegen zwischen den Kuverts.

Hausherr und Hausfrau sitzen einander gegenüber, die Gäste werden nach Rang und Würden, von den Gastgebern ausgehend, bestimmt. Doch ist die Etikette, außer bei offiziellen Gelegenheiten, nicht mehr so streng. Die Hauptsache ist, daß man sich gut unterhält. Es ist durchaus spießbürgerlich, engherzig und lächerlich eines Sitzplatzes bei Tisch wegen beleidigt zu sein. Als sich die Hausfrau einmal bei einem sehr vornehmen älteren Herrn entschuldigte, daß sie aus bestimmten Gründen ihm diesmal den Ehrenplatz nicht geben könne, antwortete der liebenswürdige Weltmann: »Welchen Platz Sie mir geben, ich bin immer geschmeichelt, in Ihrem Hause zu sein.«

Bei einem Nachmittagstee oder einer Abendgesellschaft ist die Tafel oft als Büffet gedeckt. Dazu gehört ein langer, von allen Seiten leicht zugänglicher Tisch, den man mit Blumen und Tafelaufsätzen ziert wie zum Diner. Die Speisen werden dazwischen aufgestellt, auf[158] einer Seite die süßen, auf der anderen die Fleischgerichte, Sandwichs und Salzbäckerein, möglichst übersichtlich geordnet. Die Teller und Bestecke sind an den Enden der Tafel geschmackvoll gestapelt. Getränke – Tee und Wein – werden eingeschenkt serviert.

Auch bei Bällen ist es Brauch ein Büffet aufzustellen, wenn räumliche oder sonstige Ursachen ein sitzendes Souper ausschließen. Tanzgesellschaften sind hauptsächlich der Jugend gewidmet und dieser gehört deshalb Platz und Zeit, denn sie soll sich unterhalten und miteinander, vom guten Ton geleitet, Fühlung gewinnen. Die älteren Herrschaften mögen bei solchen Gelegenheiten ein wenig in den Hintergrund treten, um nicht zu stören; eine wohlerzogene Jugend wird ihnen immer die nötigen Höflichkeiten erweisen. Die Gastgeber bitten einen jungen Herrn den Vortänzer zu machen, der dann für den geordneten Ablauf der Tänze verantwortlich ist. Je nach Größe der Gesellschaften, des Tanzsaales werden sich die Dinge abspielen, die Mode bestimmt die verschiedenen Tänze, die in jüngster Zeit recht wechselnd geworden sind, und persönlicher Takt leitet die Art, wie getanzt wird. Feste Regeln gibt es nicht mehr, als die einzige – das Grundgesetz aller Geselligkeit – den guten Ton in jeder Beziehung zu wahren. Man beteiligt sich nur an Tänzen, die man wirklich tanzen kann, man tanzt nicht, wie es in öffentlichen Lokalen mit gemischtem Publikum angängig ist, sondern mit einem[159] feinen, reservierten Geschmack, der die einstige, nun obsolet gewordene Galanterie ersetzt.

Bei Tanzgesellschaften gilt das Führen zu Tisch gleichzeitig für den ersten Tanz nach dem Essen, den Tischwalzer, und das Paar bleibt während dieses Tanzes auch dann zusammen, wenn es nicht tanzt. Ist nur der Herr Nichttänzer, so steht es der Dame frei, einer Aufforderung zum Tanz von anderer Seite zu folgen oder sie abzulehnen und die Unterhaltung mit ihrem Tischherrn fortzusetzen. Dagegen würde eine Dame sich Unannehmlichkeiten zuziehen, wenn sie einem zweiten den Tanz gewähren wollte, den sie dem ersten Herrn verweigerte. Die Höflichkeit verlangt, daß kein Bewerber um einen Tanz zurückgewiesen wird, wenn die Dame denselben noch frei hat. Tut sie es dennoch aus irgend einem Grunde, dann bleibt ihr nur der Ausweg, auf diesen Tanz völlig zu verzichten, wenn sie korrekt handeln will.[160]

Quelle:
Gleichen-Russwurm, Alexander von. Der gute Ton. Leipzig [o. J.], S. 156-161.
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