Von der Konversation

[135] Ein gut zusammengestimmtes Gespräch ist eine Musik. Wie unmusikalisch verhalten sich die Menschen, wenn in einer Versammlung jeder von ihnen die erste Violine spielen will und durch seine Worte nichts anderes bezweckt, als zu imponieren, zu verblüffen, Neid zu erregen. »Die Mehrheit der Menschen besteht«, nach F. Th. Vischer, »nicht gerade aus Betrügern, Räubern, Dieben, Mördern, aber aus sozialen Ungeheuern.«

Welche Gestalt gewänne die Welt, wenn alle Kräfte, die darauf verwendet werden, daß uns andere beneiden, darauf verwendet würden, daß uns andere lieben! Welche Anmut böte eine Geselligkeit, die mit Güte protzte, in der wahre Liebenswürdigkeit den höchsten Trumpf bedeutete! Wie sähe unsere Erde aus, wenn wir den großen Erfindungen ein ebenso großes Interesse entgegenbrächten wie dem kleinlichen Klatsch und die Gedanken bedeutender Männer ebenso gierig auflesen würden, wie die Anekdoten über ihre kleinen Gewohnheiten und Schwächen! Wenn wir uns der Begeisterung nicht allzu oft schämten, wenn frohe Anerkennung des Gelungenen an Stelle des hämischen Vergnügens an Mißratenem träte, dann wäre es, als verscheuche die Morgengöttin häßliche Nachtgestalten aus dem Leben. Im Zeichen des anmutigen Gespräches erstände eine[135] Welt sinniger Freuden für alle, die gekränkt und verhärmt abseits von der Jugend wandeln; die alternden Frauen würden aufgesucht, statt gefürchtet und gemieden, es gäbe keine eigensinnigen Polterer, mur noch sinnreiche Erzähler unter den älteren Herren, und die Gewohnheit, durch geistig angeregte Rede und Gegenrede Gefallen zu erregen, brächte der Geselligkeit wie dem Familienleben eine Fülle erlesenen Vergnügens.

Nichts ist seltener zu finden als Mitglieder einer Famille, einer Ehe, die es der Mühe wert erachten, füreinander »des frais de conversation« zu machen. Darin liegt ein Mangel an Zierlichkeit und Artigkeit, der mit seiner Öde die besten Eigenschaften verdunkelt, wie Spinngewebe schöne Sachen unkenntlich machen. Nachlässigkeit, Versäumnis sind die Ursachen solch grauen Gespinstes sowie manchen Unbehagens und eintöniger Langeweile im häuslichen Kreise.

Merkwürdigerweise scheint diese Erkenntnis zu verblassen. Die Kunst anmutigen Gespräches wird kaum noch als Kunst anerkannt und gepflegt. Ihre Bedeutung hat sich verloren; es scheint, als versänken wir in dieser Beziehung in einen Zustand uralter Barbarei. Brauchen wir die Konversation nicht mehr? Zu allen Zeiten der Geistesblüte war es bedeutenden Menschen ein Bedürfnis, sich mitzuteilen und Anregung durch mündlichen Gedankenaustausch zu empfangen, jenes anmutige Spiel der Rede und Gegenrede zu pflegen, das elegantem Fechten gleicht. We durch Fechten der Körper[136] Freiheit, Gelenkigkeit und Geschmeidigkeit gewinnt, so wird der Geist in diesem Spiel seiner Kräfte schlagfertig, kühn und graziös. Wer nicht Konversation zu machen versteht, kennt keine edle, ritterliche Waffe, sondern weiß nur roh dreinzuschlagen, er wehrt sich mit dem Dreschflegel statt mit dem Degen. Aber die Fechterei muß ein schönes, geschicktes Spiel bleiben, darf sich nicht zu wildem Stechen und Schlagen steigern, von dem wir selbst und unsere Gegner häßliche Narben davontragen.

Welch schöne Freiheit, die vollendet schöne Freiheit maßvollen Gesprächs! Balzac, der ältere sagt: »Die Konversation hat eine gewisse Übereinstimmung mit der Volksregierung; jeder hat Stimmrecht, alle genießen Freiheit.« Ein gleichmäßiger, harmonischer Bildungsgrad ist für diese wie für jede Freiheit notwendig, damit nicht laute, lächerliche Willkür kreischend tobe, kleinliche Prahlsucht ihre Purzelbäume schlage, scheele Blicke die süße Rede erlahmen lassen, und das Recht der Mehrheit zum Recht der Dummheit werde. Schöne Sachen zu schreiben ist wohl bequemer, wird aber das schöne Reden – nicht zu verwechseln mit Schönrednerei – niemals ganz ersetzen. »Es scheint mir, daß man die Dinge viel seiner sagen als schreiben kann«, meint La Bruyére, der mit der Feder doch wahrlich fein und zart genug sich auszudrücken verstand. Bei diesem liebenswürdigen Philosophen ist die Konversation als hohe Schule für das Herz zu studieren. Nichts[137] kann feinfühliger als seine Bemerkungen sein, nichts wertvoller für das tägliche Leben, als Maximen wie diese: »Der Geist der Konversation besteht viel weniger darin, selbst Geist zu zeigen, als ihn bei anderen herauszulocken. Die Menschen wollen Euch garnicht bewundern, sie wollen selbst gefallen: sie streben weniger danach, unterrichtet oder sogar unterhalten zu werden, als Anerkennung und Beifall zu finden; und das zarteste Vergnügen ist es, anderen Vergnügen zu machen.«

Dieser zarteste Genuß liebenswürdiger sinniger Konversation, diese, ich möchte sagen im höchsten Sinn rein menschliche Freude, wird von den meisten verscherzt und verachtet. In dem Roman »Auch Einer« sagt F. Th. Vischer: »Da nun die Menschen auch im Gespräch wirr, wild, willkürlich und disziplinlos sind, was folgt? Das folgt, daß sie nicht einmal der Gesprächsfreiheit im Privatleben wert sind. Das folgt, daß eine Gesprächspolizei organisiert werden müßte.«... »Mit Geißeln und Skorpionen will ich sie züchtigen, diese Gesprächsmörder, Gesprächsmeuterer, in die Wasser der Urflut will ich sie zurückstoßen, diese Gesprächsichthyosauren.«[138]

Quelle:
Gleichen-Russwurm, Alexander von. Der gute Ton. Leipzig [o. J.], S. 135-139.
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