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Wir nehmen einen Atlas zur Hand. Die Ferne lockt. Wünsche werden wach, in Träumen geboren – in Träumen von südlicher Sonne oder nordischer Kühle, von orientalischem Zauber oder westlichen Wundern. Wir wählen lange, ehe wir uns für ein fremdes Land entscheiden. Schließlich haben wir den Geldbeutel überlistet und fahren los. Paß, Carnet, Devisen – alles, was wir benötigen, um unterwegs nicht unnötig aufgehalten zu werden, ist besorgt. Unsere Bank beriet uns hinsichtlich der Kurse, der Automobil-Club stattete uns mit dem Reparatur-Kreditbrief aus – für alle Fälle! – und informierte uns über Pässe und Straßen, Benzinpreise und Grenzformalitäten. Wir erfuhren, was wir an Gegenständen unverzollt aus- bzw. in andere Länder einführen dürfen, weitgereiste Freunde mit jahrelanger Auslandserfahrung gaben uns letzte Hinweise auf besonders schöne Plätze und Sehenswürdigkeiten und wünschten uns gute Fahrt.
Und so sollte man meinen, wenn wir gesund blieben, keinen Unfall hätten und nicht gerade überfallen würden, könnte nichts schiefgehen. Leider ist dem nicht so. Wir begeben uns ja ins Ausland. Und dieses Ausland lebt und denkt vielfach anders. Hat andere Sitten und Gebräuche, denen wir uns, soweit möglich, anpassen, die wir achten sollten. Leider sind gerade wir Deutschen uns nicht immer klar: Wer ins Ausland fährt, ist
Diplomat ohne Diplomatenpaß!
Der Hang zur Verallgemeinerung ist in der Welt überall ziemlich gleich. Wer im Ausland ungut auffällt, schadet damit sich selbst verhältnismäßig wenig, solange er Urlaubsreisender ist und vom Gastland nichts weiter verlangt als gute Aufnahme gegen entsprechende Bezahlung. Den Ruf seines Vaterlandes aber [457] ramponiert er erheblich. Denn bei groben Verstößen gegen die Landessitten und damit gegen den guten Ton daselbst kann schwerlich von den Einheimischen erwartet werden, daß sie großzügig genug sind, häufige Entgleisungen immer nur auf das Individuum zu beziehen, ohne eben dieses Individuum mit seiner Nation zu identifizieren.
Wer mit seinem Straßenkreuzer die tunnelreiche Westuferstraße des Gardasees entlangfährt und dabei die Bremsbeläge entgegenkommender Fahrzeuge laufend strapaziert, weil er sich nicht im geringsten um den weißen Mittelstreifen kümmert – der jedem Italiener heilig ist! –, kann für sich in Anspruch nehmen, sein Teil zur Festigung des schlechten Rufes deutscher Autofahrer beigetragen zu haben. Denn der Italiener, der zwar schnell, aber gut und korrekt fährt, kennt den Mann hinter dem Steuer nicht, wohl aber das »D« an dessen Wagen. Und er macht sich seine Gedanken.
Wenn ein junges, weibliches Wesen in hellem, großzügig ausgeschnittenem und auch sonst figurbetontem Kleid eine der zahlreichen Kirchen betritt und noch dazu keine Kopfbedeckung trägt, wird man in ihr nicht das unwissende Fräulein Lehmann aus Apfelringhausen sehen, sondern die zumindest sehr ungeschickte Vertreterin ihres Landes.
Dieser Beispiele gäbe es so viele wie farbige Flecken auf der Landkarte. Leider ist der Mann am Volant, der uns auf der Route Napoléon durch wenig rücksichtsvolles Fahren in prekäre Situationen bringt, der auf dem Plaza del Caudillo abends in Lederweste mit Reißverschluß aus dem Straßenbild der adretten Valencianer herausfällt, der in Rio mit einem Tropenhelm auf dem Kopf an Land geht, recht häufig ein Deutscher.
Dabei ist es verhältnismäßig einfach, ohne grobe Verstöße gegen den an sich internationalen guten Ton durch die Welt zu schlendern. Achtung, Verständnis, Toleranz und guter Wille müssen auf unserer Seite, also auf seiten der Gäste, ebenso ausgeprägt sein, wie sie es ausnahmslos auf seiten der Gastgeber sind.
Dieses ehrliche Bemühen um eine gewisse Einfühlung in die Gepflogenheiten der anderen sollte vorhanden sein. Das Salz der Erde sind wir doch wohl nicht, ohne daß wir deshalb unser Licht unter den Scheffel zu stellen brauchten. Auch ist keineswegs immer da oben, wo wir sind. Man bringt uns fast überall in der Welt wieder Achtung entgegen – mag sie auch mit einem gewissen Maß an vorsichtiger Aufmerksamkeit einhergehen. Dieses in unverhältnismäßig kurzer Zeit wieder einigermaßen hergestellte Ansehen sollte uns unter keinen Umständen zur Unbescheidenheit verleiten! Daß der größere Teil der uns noch vor einem Jahrzehnt feindlich gesonnenen Welt guten Willen bewiesen hat, muß uns Beispiel sein und Verpflichtung. Betragen wir uns, wenn wir ins Ausland fahren, jederzeit so, als hinge von uns, speziell von uns allein, das Ansehen und der [458] Ruf Deutschlands ab. Benehmen wir uns so einfühlend und höflich, wie wir es von den Besuchern Deutschlands ebenfalls erwarten. Seien wir Diplomaten – auch wenn unser Paß nur ein gewöhnlicher Reisepaß ist.
Natürlich ist ein erschöpfender Überblick über die Sitten und Gebräuche der Welt hier nicht möglich. Eine solche Übersicht würde, wollte sie umfassend sein, nicht nur ein ganzes Buch, sondern beinahe eine komplette Bibliothek füllen. Eines aber können wir tun: den ersten Kontakt erleichtern. Grundsätzliches, was man wissen sollte, um neue Bekanntschaften nicht gleich mit einem Formfehler zu beginnen – das können wir vermitteln. Wir können vor einigen Tabus warnen, deren Mißachtung Verstimmung auslösen müßte. Wir können Sie so lange begleiten, bis das erste Eis gebrochen ist und Sie vorgestellt sind. Wenn Sie sich in diesem Stadium gegenüber dem Ausland und seinen Menschen als Besucher guten Willens erwiesen haben, dann wird alles andere ein Kinderspiel sein. Denn dann – gewissermaßen auf der zweiten Stufe der Bekanntschaft – dürfen Sie fragen. Sie haben den ersten Kontakt gewonnen und die anderen nicht vor den Kopf gestoßen. Man hat Sie kennengelernt als einen Menschen, der um Zurückhaltung und Anpassung bemüht ist. Wenn Sie jetzt liebenswürdig fragen, wann immer Sie vor einem »Etikette«-Problem stehen bzw. im Begriffe sind, vor ein solches gestellt zu werden, dann wird man Ihnen bereitwillig Auskunft geben. Denn man hat Sie ja als Menschen mit Takt und Erziehung kennengelernt, und alle diesbezüglichen Fragen wird man Ihnen nicht als Neugier auslegen, sondern als das ehrliche Bestreben, sich der neuen und ungewohnten Umgebung anzupassen. Man wird Sie um so lieber unterweisen, als das Ausland fast immer bis zu einem gewissen Grade Verständnis für gewisse Ungeschicklichkeiten aufbringt – soweit diese Ungeschicklichkeiten wirklich nur Ungeschicklichkeiten und keine Taktlosigkeiten sind.
Also – fahren wir los!
Wer in Geschichte »gut« oder gar »sehr gut« hatte, erinnert sich vielleicht noch, daß dereinst einmal Angeln, Sachsen und Jüten aus Norddeutschland über den Kanal setzten und Großbritannien eroberten. Zu ihrer Rechtfertigung sei gesagt, daß sie gerufen wurden – gegen die Pikten und Skoten, letztere irisch, erstere keltisch, beide in Schottland lebend und beide sehr unruhig. Das ereignete sich vor ziemlich genau 1500 Jahren. Und dann weiß so mancher noch, daß im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Haus Hannover auf dem englischen [459] Thron saß. Diese Tatsachen verführen uns zuweilen zu dem Glauben, wir könnten jeden Engländer gewissermaßen als nahen Verwandten ansehen, der uns nur zufällig eine Zeitlang aus den Augen gekommen sei.
Das ist ein Irrtum. Und nichts wäre unklüger, als auf dieser Basis Bekanntschaft mit England machen zu wollen.
In England ist vieles anders als bei uns. Und die Engländer selbst sind die letzten, denen das leid täte. Wer mit ihnen in Kontakt kommen will, wird gut daran tun, sich selbst anzupassen, statt Anpassung zu verlangen. Ihre sprichwörtliche Korrektheit, die von der Liebenswürdigkeit der Londoner Schutzleute, der Bobbies, bis zum fair play im Sport reicht, läßt ihnen sonstige Zugeständnisse überflüssig erscheinen. Und so empfiehlt sich für den Mann vom Kontinent, speziell für den Deutschen, Zurückhaltung. Der Engländer selbst, in seiner Gesamtheit, ist nämlich zurückhaltend. Er regt sich ungern auf, ist selten laut, kaum je emphatisch begeistert – mit einem Wort: cool. Jedenfalls nach außen hin. Und er wahrt immer die Form, selbst in Situationen, die einigen Grund für Temperamentsausbrüche böten.
Es gibt da eine nahezu klassische Geschichte, die, wenn vielleicht auch nur erfunden, charakteristisch für die Unerschütterlichkeit der Inselbewohner ist:
Ein alter Gärtner pflegte jeden Morgen nach dem Frühstück das bewußte kleine Häuschen mit dem Herzen in der Tür aufzusuchen, sich daselbst bequem niederzulassen, eine Pfeife zu entzünden und das Streichholz hinter sich verschwinden zu lassen. Eines Tages nun hatte jemand, absichtlich oder versehentlich, ebendort einen Kanister Petroleum entleert. Kein Wunder also, daß es einen Knall gab, als der Gärtner seiner morgendlichen Gepflogenheit huldigte. Der Wackere fand sich außerhalb des Häuschens wieder, nahm die Pfeife aus dem Mund und sagte kopfschüttelnd: »Oh – I suppose, something must have been wrong here ...« (»Irgend etwas kann hier nicht gestimmt haben ...«)
Es fällt nicht schwer sich auszumalen, was etwa ein Italiener in der gleichen Situation gesagt hätte.
Wer also in englischer Gesellschaft gern gesehen werden will, der trete so zurückhaltend wie möglich auf. Aber – fangen wir von vorn an:
1. Der Engländer haßt alles, was »brand-new« ist. Wer der Insel einen Besuch abstatten will, wird sich daher nicht in nagelneue Anzüge, Schuhe und Mäntel stürzen. Weder die Lady noch der Gentleman fallen irgendwie auf – und schon gar nicht durch neue Kleidung. Die Eleganz jenseits des Kanals ist ein Geheimnis, das die Schneider der Savile Row nur zu einem Teil erklären. Tatsache ist, daß die große internationale Gesellschaft, zumindest ihr männlicher Teil, jene Selbstverständlichkeit anstrebt, mit der der Engländer sich gut anzieht.
[460] Wir hatten übrigens versprochen, vor Tabus zu warnen: Gestreifte Krawatten wären vielleicht zu ihnen zu rechnen, denn sie können die Zugehörigkeit zu einem College, einem Klub oder einer sonstigen Institution bedeuten. Gewiß – Sie sind Ausländer, und es ist unwahrscheinlich, daß man Sie nicht als Angehörigen des »Continental people« erkennen wird, der versehentlich derartige Insignien anlegte. Aber es gibt ja genügend Punkt- und Unimuster, die jedes Mißverständnis ausschließen. (Dieser Hinweis ist für besonders Vorsichtige, die vermeiden möchten, daß man einer solchen bloßen Unkenntnis unlautere Motive unterschieben könnte.)
2. Möglicherweise kennen Sie drüben wenig Leute. Dann dürfen Sie nie vergessen, daß es im allgemeinen unmöglich ist, Bekanntschaften machen zu wollen, indem man auf jemanden zugeht und sagt: »Gestatten Sie, mein Name ist ...« Es gibt eine alte Inselregel, die da besagt, daß man sich notfalls auf einem sinkenden Schiff einem Engländer vorstellen dürfe – aber auch nur, wenn Kapitän und Offiziere gerade anderweitig in Anspruch genommen sind. Sonst besser nicht.
Eine Ausnahme bilden lediglich Hotels, in denen eine Selbstvorstellung möglich und auch üblich ist.
In Gesellschaft aber muß die Vorstellung stets durch Dritte erfolgen, wobei fast immer die Gastgeber die Vorstellenden sein werden. Auch dort gilt die deutsche Regel: Es werden vorgestellt der Herr der Dame, der Jüngere dem Älteren, der Rangniedere dem Ranghöheren. Etwa mit den Worten: »Mrs. Miller – may I introduce Mr. Smith to you?« Mrs. Miller sagt dann mit Sicherheit: »How do you do?«, fragt also: »Wie geht es Ihnen?« Diese Frage scheint eine Antwort zu erheischen. Könnte man also nicht sagen: »Danke – ausgezeichnet!«? Nein – man kann nicht! Nicht in England. Vielmehr sagt man ebenfalls: »How do you do?«
Vielleicht gibt man sich die Hand – beim erstenmal. Das genügt. Der Engländer ist durchaus kein Freund des ewigen Shake-hands. Und da bin ich mit ihm völlig einer Meinung.
Nun passiert es ja überall, speziell im Ausland, dann und wann, daß man den Namen des anderen nicht versteht. Dann empfiehlt es sich, das freimütig zu bekennen, indem man sagt: »I'm sorry I didn't catch your name.« Dann wird der andere seinen Namen sofort wiederholen, und wenn er hinzufügt: »And I didn't catch yours!«, dann dürfen Sie beide lächeln.
Den Handkuß kann man sich in England sparen, er ist dort nicht üblich. Daß ihn die Damenwelt dennoch, von Ausländern entboten, romantisch findet, ist eine andere Sache.
[461] 3. Die Anrede normaler Sterblicher erfolgt stets mit »Mr. Brown«, »Mrs. Smith« oder »Miss Miller«. Nun gibt es aber eine ganze Menge von Adels- und anderen Titeln, deren korrekter Gebrauch empfehlenswert ist.
Man unterscheidet sieben Adelsränge (»degrees of rank«): Duke, Marquis, Earl, Viscount, Baron, Baronet und Knight. Vom »Duke« bis zum »Baron« einschließlich sind sie »Peers« mit dem ererbten Recht der Zugehörigkeit zum Oberhaus. Der »Duke« wird als »Duke« tituliert, seine Gattin ist »Duchess«.
Die anderen Angehörigen der Klasse der »noblemen« oder »Peers« – also Marquis, Earl, Viscount und Baron – sind »Lords« und »Ladies« und werden unter Hinzufügung des Namens auch so angesprochen. Der »Marquis of Ireland« ist »Lord Ireland«, die »Countess of Scotland« – Gattin des »Earl of Scotland« – ist »Lady Scotland«.
Der Titel »Baronet« ist erblich, der Titel »Knight« wird vom Königshaus auf Lebenszeit verliehen und vererbt sich nicht. Baronets sowohl als auch Knights tragen den Titel »Sir« – sowohl in der mündlichen als in der schriftlichen Anrede. Unbedingt zu merken ist, daß der Titel »Sir« immer nur in Verbindung mit dem Vornamen gebraucht wird. Winston Churchill ist »Sir Winston«, Thomas Beecham »Sir Thomas«. Die dazugehörigen Ehefrauen sind jedoch »Lady Churchill« und »Lady Beecham«.
Das hört sich alles recht kompliziert an, aber nach dreimaligem Lesen werden Sie unschwer feststellen, daß eine gewisse Ähnlichkeit mit den deutschen Adelsanreden besteht.
4. Im korrekten Briefverkehr ist einiges zu beachten: Zunächst einmal soll nach Möglichkeit ein Vorname ausgeschrieben werden, während bei den anderen die Anfangsbuchstaben genügen. Ferner fügt man im gesellschaftlichen Briefverkehr grundsätzlich ein »Esq.« an den bürgerlichen Namen an.
»Mr. John Miller«
dürfen Sie einen Brief adressieren, der an einen Lieferanten gerichtet ist. Ansonsten aber muß es heißen
»John T. Miller, Esq.«
Das »Esq.« ist die Abkürzung von »Esquire«, was unserem »Hochwohlgeboren« entspricht. Früher hatten nur Träger eines Familienwappens Anspruch auf diesen Titel. Heute ist es eine selbstverständliche Höflichkeitsgeste, jeden, der keinen anderen Titel hat, so anzuschreiben.
Und noch etwas: Niemals die diversen Ordens- und sonstigen Abkürzungen vergessen! Es mag Schwierigkeiten bereiten, sie zu lernen, ja sie überhaupt zu[462] ermitteln. Aber die Mühe lohnt sich – sowohl im privaten als auch im geschäftlichen Leben. Man mache es sich also nicht leicht und schreibe nicht etwa:
»Mr. John Steples«,
sondern
»The Right Hon.
Sir John H. Steples, Bt., G.C.S.I.E.«,
denn John Steples ist »Baronet« (aus dem abgekürzten »Bt.« ersichtlich) und als solcher »Sir« mit dem Anspruch auf den Adressentitel »The Right Honourable«. Außerdem gehört er zu den »Knights Grand Commanders of the Star of India« – dem gebildeten Engländer aus den letzten fünf Buchstaben der Anschrift unschwer ersichtlich.
[463] Und wenn Sie die Absicht haben sollten, an Winston Churchill zu schreiben – bitte:
»Sir Winston S. Churchill K.G., O.M., C.H., MP.«
5. Die englischen Tischsitten sind in einzelnen Punkten von den unseren verschieden. So wird der Suppenlöffel nicht, wie bei uns, mit der Spitze, sondern mit der Breitseite zum Munde geführt. Lautlosigkeit beim Essen gilt jedoch auch dort! Übrigens dürfen Sie mit der Suppe im gleichen Augenblick anfangen, da sie vor Ihnen steht. Sie brauchen auf die Dame des Hauses nicht zu warten.
Die linke Hand liegt, solange sie nicht beschäftigt ist, auf dem Schoß, nicht auf dem Tisch!
Wie man das Fleisch zu sich nimmt – ob nach unserer Art, d.h. Stück für Stück schneidend und dann mit der Gabel zum Munde führend, oder zuerst alles Fleisch zerkleinernd, dann mit der Gabel in der Rechten essend und die Linke unter dem Tisch verschwinden lassend – sollte man von den übrigen Gästen der Tafel abhängig machen. Tatsache ist, daß auch in sehr guter Gesellschaft zuerst alles Fleisch in mundgerechte Stücke geschnitten und dann mit der Gabel rechts gegessen wird. Tatsache ist aber auch, und das wollen wir nicht vergessen, daß die strenge englische Etikette dieses Verfahren nicht billigt.
Geflügel wird auf keinen Fall mit der Hand, sondern mit Messer und Gabel gegessen.
Merken wollen wir uns auch, daß man sich niemals unaufgefordert selbst bedient. Der sicherste Weg, zu weiterer Atzung zu gelangen, ist, dem Nebenmann anzubieten – der wird diese Geste richtig deuten und sich durch ein Gegenangebot revanchieren. Das bezieht sich sogar auf das Salz!
6. Wenn sich die Damen nach dem Essen in einen anderen Raum zurückgezogen haben und die Herren unter sich bleiben, wird man Sie auffordern zu erzählen. Reden Sie niemals von sich, Ihren Leistungen, Ihren Erfolgen, Ihrem Können, Ihrem Wissen, Ihrer Weitgereistheit. Sollte man Sie dennoch auf ein derartiges Gleis schieben, dann ironisieren Sie sich selbst. Die Engländer schätzen jene Erzähler am meisten, die sich selbst zur Zielscheibe des Spottes zu machen verstehen. Ansonsten ist Schweigen in jedem Falle richtig. Denn drüben liebt man intelligente Schweiger. Während man alle Superlative haßt – es sei denn, sie bezögen sich auf das Wetter.
Auch näherer Kontakt berechtigt den Nichtengländer auf keinen Fall, gewisse ungeschriebene Tabus zu berühren. Zu ihnen gehört in erster Linie die Kritik an der königlichen Familie. Ihr folgen ziemlich dicht die Leistungen des deutschen Militärs und das Phänomen des deutschen »Wirtschaftswunders«.
[464] 7. Bewahren Sie der englischen Damenwelt gegenüber Reserve. Wer nicht gerade mit Blindheit geschlagen ist, wird gegebenenfalls unschwer merken, daß gewisse selbstauferlegte Schranken keineswegs unüberwindbar sind. Die Engländerin will nicht erobert werden. Sie kommt im Zweifelsfalle entgegen.
Auf der Straße dokumentiert sich das in der Tatsache, daß ein Herr in England die Dame niemals zuerst grüßt, sondern wartet, bis er lächelnd erkannt und zu einem Gruß ermuntert wird.
8. Wenn Sie sich England mit dem Auto erschließen wollen, dann vergessen Sie bitte nicht, daß man links fährt! Und in London werden Sie gut daran tun, sich der Taxe zu bedienen – es geht bestimmt schneller!
9. Denken Sie beim Sport an das sprichwörtliche fair play und rufen Sie, etwa beim Tennis, »Out!« auch dann nicht, wenn der gegnerische Schmetterball Ihre Grundlinie um einen halben Meter verfehlte. Ihr Gegner hält es ebenso.
10. Nehmen Sie sich, wenn Sie länger in England bleiben wollen und gesellschaftlichen Kontakt zu erwarten haben, einen Smoking mit – man trägt ihn drüben viel häufiger als bei uns. Auch in der Familie zieht man sich zum Abendessen grundsätzlich um.
11. Rechnen Sie schließlich nicht mit amüsanten Sonntagen. Sonntage auf der Insel sind so langweilig wie die englische Küche. Kaum ein Lokal ist offen, und getanzt wird nicht.
Trotzdem – es ist ein liebenswertes Land mit einer pikant-snobistischen Note, die jedoch durch den trockenen Humor voll aufgewogen wird. Und hoffentlich geht es Ihnen wie mir: Ich finde nichts daran, daß mir Mr. Smith auf die Frage: »Do you know Mr. Brown – may I introduce him?« schlicht antwortet: »Thank you, I think I would rather not!«
Frankreich hat Charme. Er mag unverbindlich sein, aber er bestimmt das Gesicht des französischen Alltags. In seiner reinsten Form begegnet man ihm in Paris, an das jeder zuerst denkt, wenn er Frankreich sagt. Dieser Charme strahlt nicht nur aus dem Gesicht der Pariserin, die über die Rue Saint-Honoré bummelt. Er liegt nicht nur in den Worten und Gesten jener Studenten der Sorbonne, [465] die abends in Gruppen über den »Boul'Miche«, den Boulevard Saint-Michel schlendern. Und er wird nicht nur in der Unbekümmertheit sichtbar, mit der junges, verliebtes Volk ohne Rücksicht auf die Umwelt Zärtlichkeiten austauscht.
Paris ist überall liebenswürdig, auch dann, wenn man den Champs-Elysées den Rücken kehrt und sich stilleren Plätzen zuwendet, etwa der grünen Märcheninsel »Ile Saint-Louis«, wo einst Voltaire im Hotel Lambert abstieg – oder jenen Anglern, die sich mit der schwarzen Zigarette zwischen den Lippen an den Ufern der Seine in Geduld üben.
Selbst der Regen in Paris mag den Zauber der Stadt nicht zu schmälern. Im Gegenteil – fast scheint es, als lächle sie noch im Sprühen der Tropfen. Liebenswürdige Weltmetropole, heiter, luftig und frech, so frech, daß Männer bei Nennung ihres Namens blanke Augen bekommen.
Das ländliche Frankreich ist anders. Wir begegnen ihm, wenn wir uns ein wenig auf die Spuren einer ebenso vielfarbigen wie unruhigen Vergangenheit heften. Hier herrscht vielfach die stille Zufriedenheit, wie sie jeder ländlichen Bevölkerung zu eigen ist, gepaart mit einer anfänglichen Zurückhaltung, die jedoch bereits nach kurzer Zeit dem sprichwörtlichen romanischen Temperament weicht, wenn der Reisende es versteht, Kontakt zu schaffen. Das ist selbst dann nicht schwer, wenn Gesten, freundliches Lächeln und Höflichkeit den mangelnden französischen Wortschatz ersetzen müssen.
Man ist in Frankreich ausnahmslos freundlich, und man bekundet diese Freundlichkeit auch. Man gibt sich, im Gegensatz etwa zu England, oft die Hand. Man küßt sich, so man sich einigermaßen gut kennt, auf die Wangen. Das erfordert nicht etwa verwandtschaftliche Beziehungen – man küßt sich auch, wenn man sich nur nett findet. Begrüßung und Abschied sind herzlicher als bei uns, zumindest jedenfalls macht es nach außen den Eindruck.
Natürlich heißt das nicht, daß man bereits dem französischen Zöllner um den Hals fällt. Und wenn es Ihnen gelungen ist, morgens im Hotel ein müdes Frühstück – der einzige schwache Punkt in der weltberühmten französischen Küche – mit List, Tücke und Überredungskunst ein wenig reichhaltiger gestalten zu lassen, dann brauchen Sie deshalb dem »garçon« noch nicht die Hand zu schütteln. Doch werden Sie, sobald Sie warm geworden sind und gute Bekannte oder gar Freunde gewonnen haben, sehr bald merken, daß die Entwicklung herzlicher Beziehungen rascher fortschreitet als bei uns, die wir uns langsamer erwärmen. Wer mit diesem Tempo Schritt zu halten versteht, kommt rascher vorwärts.
Gutes Benehmen ist in seinen wesentlichen Zügen international, und über der »französischen Etikette«, wenn wir es so nennen wollen, liegt noch immer ein[466] Hauch jener drei Jahrhunderte, in denen ihr Zeremoniell gültig war, ehe es anfing, sich mit den Gepflogenheiten anderer Länder zu mischen. Man tut den Franzosen einen Gefallen, wenn man sie spüren läßt, daß die Reste dessen, was einst französische Galanterie und Ritterlichkeit war, uns auch heute noch angenehm berühren. Und diese Reste sind noch allenthalben spürbar, mag auch der Durchschnittsfranzose etwas von der modernen Sachlichkeit unserer Tage angenommen haben. Selbst eine Gemüsehändlerin in den großen Markthallen, »Les Halles«, zwischen der Rue Rambuteau und der Rue Berger wird es zu schätzen wissen, wenn man sie freundlich mit »Madame« anspricht und dem Einkauf durch eine liebenswürdige persönliche Note die Kühle nimmt.
Man neigt dazu, den Franzosen Chauvinismus vorzuwerfen, jene übertriebene Vaterlandsliebe, deren »Erfinder« ein Rekrut Chauvin war, den Coignard in seinem Lustspiel »La cocarde tricolore« prahlerischen Unfug erzählen ließ. Nun – es gibt in Frankreich sicherlich nicht mehr Chauvinisten als bei uns auch. Daß die Franzosen nicht gern an die kriegerischen Verwicklungen mit uns erinnert werden, kann man ihnen schwerlich verübeln. Wer als Gast in Frankreich auch nur ein wenig Fingerspitzengefühl hat, wird nicht gerade diese tragische Vergangenheit als Gesprächsthema wählen. Und wer seinen Urlaub auf dem französischen Lande verbringen will, wird sich nicht gerade Gegenden wählen, die vor kaum mehr als einem Jahrzehnt Schauplatz kriegerischer Handlungen waren. Müssen wir besonders darauf hinweisen, daß es unklug wäre, eine Stadt, ein Dorf mit den Worten aufzusuchen: « ... Hat sich nichts verändert, seit ich das letztemal in Uniform hier war!«?
Die überaus meisten Franzosen sind guten Willens zu vergessen. Kommen wir diesem guten Willen entgegen, indem wir heiße Eisen tunlichst meiden.
In Frankreich ist alles erlaubt, solange man Haltung und Form wahrt. Die Franzosen gehören zu den geistreichsten Völkern der Welt und – sie wissen das ganz genau. Dieses Bewußtsein läßt sie allem gegenüber, was Gäste tun und sagen, tolerant sein. Es gibt ihnen aber auch die Empfänglichkeit für Esprit. Ihr Sinn für die Pointe, für die geschliffene Unterhaltung, ist auch bei der breiten Masse groß. Und wer es versteht, sich von der deutschen Sachlichkeit zu lösen und undeutschen Charme aufzubringen, wird nirgends mehr bedrückenden Ressentiments begegnen.
Also – fahren Sie getrost nach Frankreich. Schauen Sie sich die Schlösser an, die die Pracht der Zeit des Sonnenkönigs spiegeln. Bewundern Sie die Kirchen, deren viele Vorbilder deutscher Baustile wurden. Genießen Sie die Gaumenfreuden, deren Frankreich unendlich viele zu bieten hat.
Wer vor Versailles steht, dem vielleicht schönsten Prunkschloß der Welt, darf sich insgeheim wundern über die Pracht, mit der ein 23jähriger König einer[467] schönen Frau seine Gunst bezeigen konnte. Denn dort, wo Ludwig XIV. diesen grandiosen Bau errichten ließ, waren im Jahre 1661 Sümpfe und Wälder. Aber der König war jung, und Eva la Vallière war schön.
Sicherlich werden Sie auch nach Fontainebleau fahren, das eine knappe Autostunde südostwärts von Paris liegt. Wenn Sie vor der großen Treppe stehen, dann denken Sie rund 140 Jahre zurück, denn damals stand an der gleichen Stelle Napoleon und nahm Abschied von seiner alten Garde.
Wo immer man sich aufhält – ob vor der gewaltigen Kathedrale von Notre Dame oder auf der Pont d'Avignon, ob im Palast der Päpste von Avignon oder in einem Bistro in Toulouse, ob man in Lyon »quenelles de brochet« ißt und dazu den süffigen »Côte-Rôtie« trinkt, oder an der Bucht von St. Malo einen gerösteten Steinbutt, »turbot grillé«, auf der Zunge zergehen läßt und mit einem Muscadet nachspült – Frankreich ist auch dem Deutschen gegenüber von liebenswürdiger Zuvorkommenheit, sofern wir es nicht an drei Dingen mangeln lassen: an Esprit, Politesse und – Contenance, an Geist also, an Höflichkeit und – an Haltung.
Ein paar spezielle Tips noch:
1. Die Höflichkeit gebietet, grundsätzlich jedermann mit »Madame«, »Monsieur« oder »Mademoiselle« anzureden, wobei der Name folgen muß, falls man ihn weiß.
2. Auch Kinder werden, sobald sie in schulpflichtigem Alter sind, gesiezt.
3. Die Tischsitten sind international, in der breiten Masse aber freier als bei uns. Man darf sich daher nicht wundern, wenn sich jemand die Serviette vor den Kragen bindet, die märchenhafte Sauce mit Brot vom Teller wischt, einen Knochen in die Hand nimmt und abnagt, beim Trinken genießerisch schlürft und sich nach gehabter Tafelfreude als Zeichen restloser Zufriedenheit die Brust reibt. Der Reisende aber sollte seine guten Manieren dennoch ruhig beibehalten.
4. Für private Einladungen sollte man sich schriftlich mit ein paar liebenswürdigen Zeilen an die Hausfrau bedanken. Blumen zu senden, ist erst im Stadium guter Bekanntschaft möglich.
5. Der Franzose liebt es nicht sonderlich, mir nichts dir nichts angesprochen zu werden – etwa bei Tisch im Lokal. Dennoch erwartet er, daß man, wenn man den Tisch verläßt, eine Verbeugung andeutet und ein dezentes »Monsieur« sagt.
6. Bei der Vorstellung gilt das gleiche Prinzip wie bei uns auch. Etwas jedoch pflegt man nicht zu tun: sich nach dem Namen dessen, mit dem man bekannt gemacht wurde, ein zweites Mal zu erkundigen, falls man ihn nicht sofort verstanden [468] hat. Ein Franzose tut das dank seines angeborenen Charmes nicht, weil er seine neue Bekanntschaft in dem Glauben wiegen will, sie sei so prominent, daß ein Mißverstehen des Namens überhaupt nicht vorkommen könne. Auch im Französischen sagt man nach der Vorstellung nicht etwa »Enchanté!«, was unserem gräßlichen »Sehr angenehm!« entspräche, sondern einfach »Monsieur«. Wenn man sehr liebenswürdig sein will, kann man hinzufügen: »Je suis très heureux« oder »très honoré«.
Ein höflicher Herr, der einer Dame vorgestellt wird, sagt: »Mes hommages, Madame (bzw. Mademoiselle)!« Das bedeutet soviel wie »Meine Verehrung!« und zeigt vollendete Form.
7. Wer in einem Restaurant speist, darf sich nicht wundern, wenn ihm gegen Ende des Mahles unaufgefordert die Rechnung – »l'addition« – gereicht wird. Das bedeutet weder Hast noch Mißtrauen – es ist einfach so üblich.
8. Zum Theater- und Opernbesuch empfiehlt sich in den großen Städten, vor allem natürlich in Paris, zumindest die gleiche festliche Sorgfalt, wie wir sie bei uns pflegen. In Frankreich geht man in derartige abendliche Veranstaltungen nicht nur, um zu hören und zu sehen, sondern auch – um gesehen zu werden.
9. Trauen Sie, meine Herren, was die bezaubernde französische Großstadtweiblichkeit angeht, weder trügerischen Plakaten noch den unkontrollierbaren Erzählungen Ihrer Freunde. Nicht daß alle Französinnen prüde wären, aber es ist absolut falsch, anzunehmen, daß jeder, der da käme und sähe, auch gleich siegen müßte. Ersetzen Sie diesen Glauben zweckmäßig durch das allzeit gültige Spiel mit dem Charme und dem Geist und warten Sie klugerweise das Echo ab.
10. Achtung – Autofahrer! Man fährt in Frankreich sehr korrekt, sehr leise und – sehr schnell! Daß es dennoch kaum Unfälle gibt, liegt an der Vorbildlichkeit, mit der jedermann die Rechte des anderen respektiert. Da auch die Nebenstraßen fast ausnahmslos hohe Geschwindigkeiten zulassen, empfiehlt es sich dringend, auf die gut erkennbaren Verkehrszeichen zu achten. Die anderen handeln ebenso. Und noch etwas, was wir nicht kennen: Auf gutbeleuchteten Stadtstraßen fährt nach Einbruch der Dunkelheit niemand mit abgeblendeten Scheinwerfern – man begnügt sich, wenn es die Beleuchtungsverhältnisse einigermaßen zulassen, mit Standlicht oder Positionslampen.
Zu diesen wenigen Hinweisen addieren Sie, verehrte Leser, Ihre natürliche Höflichkeit, Ihr untrügliches Gefühl für Augenblickssituationen und die Erkenntnis, daß die Franzosen einem Lächeln ebenso zugänglich sind wie einem Scherz und einer liebenswürdigen Bitte – dann wird Ihnen die Landschaft ebenso gefallen wie ihre Menschen.
[469] Sicherlich hängt es mit dem spanischen Bürgerkrieg zusammen – Tatsache ist, daß uns die Spanier sehr gern haben. Noch wenigstens.
Die spanische Paßkontrolle in Le Perthus glich einem Zeremoniell. Vier blendend aussehende Zöllner in tadellos sitzenden Uniformen bemächtigten sich mit strahlendem Lächeln der Koffer, Kleidersäcke, Film- und Fotokameras und trugen das keineswegs leichte Gepäck zur Zollabfertigung. Dort saßen elegant gekleidete Zivilisten, deren Habitus in jedes internationale Konzerndirektorium [470] gepaßt hätte. Verbindliche Unterhaltung von wenigen Minuten Dauer, einige oberflächliche Angaben über mitgeführte Devisen, ein paar Stempel – dann trugen die wie Generalstäbler aussehenden Zöllner das gesamte Gepäck zum Wagen zurück, wo es wieder mit jeder erdenklichen Sorgfalt verstaut wurde. Übrigens – ohne geöffnet worden zu sein. Man grüßte sehr militärisch, und ich hatte die Zollbeamten im Verdacht, als wollten sie speziell uns Deutschen mit diesem Gruß eine besondere Höflichkeit erweisen ...
Spanien mit der Bahn zu bereisen, ist nicht sonderlich empfehlenswert. Es dauert lange, die Verbindungen sind sparsam, und bequem ist es auch nicht, wenn man nicht gerade, etwa zwischen Barcelona und Madrid, mit dem Gliederzug »Talgo« fährt, der jedoch nur wenige Fernverbindungen bedient.
Man reist also besser mit dem Wagen. Die Hauptverkehrsstraßen sind fast ausnahmslos in gutem Zustand, die große Nordsüdroute längs der Mittelmeerküste von Barcelona über Valencia nach Gibraltar wird laufend verbessert.
Bleiben wir gleich beim Autofahren. Zweierlei sollte der Wagen haben, mit dem man durch Spanien fährt: gute Bremsen und eine unüberhörbare Hupe! Der Reiz des spanischen Straßenverkehrs liegt in seiner Unberechenbarkeit, die schreckhafte Gemüter sehr wohl in laufender Spannung hält. Sie beginnt bei der unterschiedlichen Kurvenkennzeichnung und reicht bis zu den vorwiegend schlafenden Kutschern unbeleuchteter Eselskarren. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie kurz vor der Kuppe eines sanft ansteigenden Hügels ein Kurvenzeichen oder ein Schild mit der Aufschrift »obras« (Achtung) entdecken, hinter dem dann ein Kürvchen kommt, in dem man nicht einmal Gas wegzunehmen braucht. Vielleicht war es gerade Ende der Arbeitszeit, und ein Straßenwärter entschloß sich, das Schild hier anzubringen, um nicht noch weiter gehen zu müssen. Diese Zufälligkeiten sollte man immer in Betracht ziehen. Ebensogut kann es nämlich passieren, daß Sie, wie z.B. zwischen Sagunt und Valencia, schnurgerade hügelauf und hügelab durch die Weinberge brausen, kein Schild sehen, um dann plötzlich bei 120 km/st die Entdeckung zu machen, daß hinter einem Hügel die Straße plötzlich verschwunden ist, einfach weg, als flotte Kurve – ohne daß ein Schild Sie gewarnt hätte. Wer sich dann erst fragen muß, was Fangio oder Moss tun würden, wird sehr schnell dahinter kommen, daß guter Rat ebenso teuer sein kann wie ein neuer Wagen. Ebenso kann es passieren, daß Sie über eine kurvige Steilküstenstraße fahren und rechts einen absonderlich gekleideten jungen Burschen mit großem Strohhut und Zigarette im Mundwinkel am Felsen lehnen sehen, der mit dem Daumen müde und sparsam in Fahrtrichtung zeigt. Der Mann will nicht etwa per Anhalter durch Spanien reisen, wie Sie vielleicht geglaubt haben. Wenn Sie nämlich im nächsten Augenblick eine riesige Explosion hören und sich in einem Steinhagel wiederfinden, der auf das Wagendach prasselt, dann wissen Sie, daß der Daumen Sie vor einer Straßensprengung [471] warnen wollte, die nun knapp fünfzig Meter vor Ihnen erfolgt ist. Immerhin entschädigt Sie sein Lächeln, mit dem er Sie zu der Stabilität deutschen Stahlblechs beglückwünscht.
Spanische Eselskarren fahren auch nachts. Die Annahme, daß ihre Kutscher wach seien, weil sie schon am Tage schliefen, ist irrig. Ebenso die Vermutung, daß Esel besondere Vorsicht beim Überqueren von Straßen und Autobahnen walten ließen. Daß Fuhrwerke nachts nicht beleuchtet sind, versteht sich – schließlich hat ja Ihr Wagen Scheinwerfer. Damit Sie derartige Vehikel rechtzeitig erkennen, fahren sie grundsätzlich auf Straßenmitte.
Wenn Ihnen der Motor Ihres Wagens lieb ist, dann tanken Sie grundsätzlich »Plomo«, einen Kraftstoff, von dem die Spanier behaupten, er sei ein Gemisch. Bei normalem Benzin verwandelt sich der Motor in einen klingelnden Wecker.
Lassen Sie sich in Großstädten nicht durch die uralten Taxis erschrecken. Ihre Fahrer sind Scherzbolde. Sie brausen mit jedem ihnen nur möglichen Zahn, Daumen auf der Hupe, an die als vorfahrtberechtigt gekennzeichnete Hauptstraße heran, auf der Sie von rechts kommen. Der wird doch nicht etwa ... So eine Frechheit! denken Sie, treten in die Bremsen und lassen ihn vorbei. Der lächelt und hat das für ihn alltägliche Spiel gewonnen. Seine Nerven waren die besseren. Und Ihr Wagen ist um ein Vielfaches teurer. Wenn Sie nämlich auf Ihrem Vorfahrtrecht bestanden hätten, unterstützt durch Typhonhorn oder Fanfare, wäre er in die Bremsen gestiegen. Denn es scheppert selten in Spanien. Und mögen die Wagen zum Teil auch antik aussehen – die Bremsen funktionieren! Trotzdem empfiehlt es sich dringend, Vorsicht walten zu lassen, denn, wie überall im Ausland, gehört ein Unfall, auch ein unverschuldeter, zu den großen, zeitraubenden und kostspieligen Unannehmlichkeiten.
Spanien ist das Land der Beziehungen. Nicht etwa im Sinne von Korruption – nein, aber es ist einfach nicht üblich, ohne vermittelnden Dritten miteinander bekannt zu werden. Das gilt für das private ebenso wie für das geschäftliche Leben. Es ist gut, Verbindungen aller Art durch ein Empfehlungsschreiben einleiten zu lassen. Wer zu einem Fremden kommt und ihm ein paar Zeilen eines gemeinsamen Bekannten vorweisen kann, findet sofort offene Türen und Ohren. Es ist eine der hervorstechendsten Eigenschaf ten des Spaniers, daß er sich – sofern man auf diesem Wege mit ihm bekannt wurde – jede nur erdenkliche Mühe gibt, behilflich zu sein. Überhaupt sind Hilfsbereitschaft und Gastfreundlichkeit typisch spanische Eigenarten. Sie sind in den ersten Kreisen ebenso vertreten wie in den einfachsten Schichten.
Gleichgültig aber, bei wem man verkehrt – niemals sollte man vergessen, daß die Spanier ein altes Kulturvolk sind, das an seiner Tradition hängt und um seine [472] einstige Größe weiß. Dieses Wissen macht den Spanier, den armen ebenso wie den reichen, stolz. Letztlich ist jeder spanische Schuhputzer ein »caballero« – er benimmt sich wie ein solcher und erwartet, wie ein solcher behandelt zu werden. Er nimmt es keineswegs übel, wenn man sich die Schuhe nicht putzen lassen will, aber er erwartet, daß man höflich ablehnt.
Wenn es ein Land gibt, in dem Herzlichkeit und Höflichkeit alle Türen öffnen, dann ist es Spanien. Das sollten wir, wenn wir in dieses vorerst noch mit Abstand billigste aller europäischen Länder reisen, nicht vergessen. Und dazu gehört unsererseits Toleranz. Toleranz vor allem gegenüber eingewurzelten nationalen Sitten sowie gegenüber technischen Unzulänglichkeiten, die der Spanier mit dem ihm eigenen Improvisationsvermögen überbrückt. Wir Deutschen werden ohnehin, und gar nicht immer mit Recht, bewundert. Dieses Ansehen sollte uns bescheiden ma chen – leider habe ich mit eigenen Augen das Gegenteil erleben müssen und mehr als einmal Landsleute beobachtet, die sich nicht nur im weißen Sand herrlicher Buchten sonnten, sondern auch im Glanz des Rufes, den wir als Volk dort genießen. Und ich habe auf Grund trüber Erfahrungen die Befürchtung, daß mit fortschreitender Erschließung Spaniens als Reiseland einiges von unserem Nimbus abbröckeln wird, wenn wir nicht lernen einzusehen, daß Präzisionsmaschinen, Kameras und zuverlässige Wagen noch nicht zur Überheblichkeit berechtigen.
Danken wir den Spaniern für ihre Gastlichkeit, mit der sie uns entgegenkommen, für die Hilfsbereitschaft, mit der sie unsere Wünsche erfüllen, für die Sonne, die uns der blaue Himmel schenkt, und für den süffigen Fundador, den spanischen Kognak, der auch heiß toll schmeckt und keinen dicken Kopf macht. Es ist ein wundervolles Land mit bezaubernden Menschen. Aber – wir wollen Diverses nicht vergessen:
1. Die Unberechenbarkeit des spanischen Straßenverkehrs.
2. Die Tatsache, daß die Spanier kein Verständnis dafür aufbrächten, wenn wir versuchen wollten, ihnen klarzumachen, daß Stierkämpfe eine grausame Angelegenheit seien – zumal der Stier keine Chance habe.
3. Die Höflichkeit, die erwidert werden will. Reden Sie auch die einfachste Frau getrost mit »Senora« an und vergessen Sie nie, jede Briefadresse an einen männlichen Empfänger mit der Aufschrift »Don ...« zu beginnen, der dann Vor- und Nachname folgen müssen.
4. Die Zweckmäßigkeit eines »Empfehlungsschreibens« bei Kontaktaufnahme mit unbekannten Dritten. Stecken Sie sich zudem sehr viel Visitenkarten ein – man benötigt sie nirgends so häufig wie in Spanien.
[473] 5. Die allzeit korrekte Kleidung, die bei den Damen Shorts und Bikini ausschließt, alle Eleganz auf der Straße erlaubt und bei den Herren Jackett und Krawatte selbstverständlich macht.
6. Die Unmöglichkeit, eine Hausfrau ob ihres Essens zu loben – daß sie uns das Beste vorsetzt und sich jede erdenkliche Mühe gab, war nur selbstverständlich. Übrigens wäre es unklug, den zu jeder Mahlzeit gereichten Wein zu verschmähen. Die spanische Küche ist fett, und der Wein erleichtert ihre Verträglichkeit.
7. Die Gepflogenheit, einer Hausfrau nach einer Einladung Blumen oder Pralinen als Aufmerksamkeit zu senden – auch dann, wenn die Einladung die erste war.
8. Die Vorsicht beim Verteilen von Trinkgeldern. Der Spanier ist stolz – was etwa bei einem Kellner, einem Gepäckträger oder einem der zahlreichen Schuhputzer liebenswürdige Geste ist, könnte bei einem anderen, der eine Gefälligkeit um ihrer selbst willen erweisen wollte, beleidigend wirken.
9. Die Zurückhaltung im Umgang mit spanischen Frauen. Sie sind, sofern noch jung, häufig betörend schön. Man darf sie bewundern – aber nur aus entsprechender Distanz. Annäherungen sind nicht ratsam.
10. Die Besinnlichkeit, den Mangel an Hast, das – in unseren Augen – Phlegma. Warum alles »hoy« erledigen? »Manana« ist auch noch ein Tag ...
Wer als Deutscher überhaupt je im Ausland war, kennt mit Sicherheit Italien – zumindest war er einmal dort. Unsere Sehnsucht nach dem Süden ist ja sprichwörtlich. Und man übertreibt kaum, wenn man sagt, daß das italienische Straßenbild ohne Deutsche unvollständig wäre. Wir sind gern gesehen, zumal wir, wenn wir die Grenze überschreiten, genau wissen, was uns erwartet – eine unerschöpfliche Vielzahl an Sehenswürdigkeiten. Und nicht gerade niedrige Preise. Billig ist Italien nicht, es sei denn, man führe wieder einmal abseits der großen Touristenstraßen, verzichtete auf komfortable Hotels, benutzte die teilweise sehr modernen Campingplätze und verpflegte sich selbst.
[474] Die Italiener sind von temperamentvoller Liebenswürdigkeit, jedem Wunsch, jeder Bitte zugänglich, solange deren Ausführung augenblicklich möglich ist. Es wäre jedoch falsch zu erwarten, daß gegebene Versprechungen eingehalten würden. Der Italiener verspricht viel und vergißt nicht weniger. Das ist seine Eigenart, die seinen Charme keineswegs beeinträchtigt. Außerdem sind wir die Gäste, an uns ist es also, sich umzustellen. Wenn wir im Lokal sagen: »Cameriere – il conto!« oder »Pagare prego!«, dann ertönt sofort ein liebenswürdiges »Subito – signore!« zurück. Ob der Kellner dann wirklich gleich kommt und wir zahlen können, ist eine durchaus zweite Frage. Und wenn Sie Ihren Wagen in eine Garage bringen und »un lavaggio« oder »un completo ingrassaggio«, also Waschen oder Abschmieren verlangen – wenn Sie ihn wirklich in einer Stunde wiederhaben wollen, dann bleiben Sie daneben stehen. Sie sparen Zeit, und der Mann in der Garage ersieht daraus, daß man es wirklich eilig hat. Nicht umsonst heißt ein italienisches Sprichwort: »Chi va piano va sano! – Wer langsam geht, bleibt gesund.« Und das gilt für den gesamten Alltag des Italieners, dem seine Gesundheit viel wert ist.
Mit einer Ausnahme: dem motorisierten Straßenverkehr. Jeder Italiener, der am Steuer sitzt, hat es »molta fretta«, sehr eilig. Dennoch fährt man außerordentlich korrekt. Straßenmittelstreifen sind heilig, Kurven werden nicht geschnitten, und die großen Lastwagen und Überlandbusse fahren trotz ihrer hohen Geschwindigkeiten rücksichtsvoll und rechts. Wenn Sie so einen Koloß überholen wollen, und der Fahrer winkt Ihnen mit der Hand, zurückzubleiben, dann tut er das nicht, weil er Sie ärgern möchte, sondern weil er ein Hindernis oder ein entgegenkommendes Fahrzeug entdeckt hat, das Ihnen gefährlich werden könnte. Es muß leider gesagt werden, daß sich diese Fahrweise höchst wohltuend von der eines großen Teils der deutschen Landstraßenkapitäne unterscheidet, der auf die Unverletzlichkeit seines Ungetüms, die Abwesenheit der Polizei, die Milde der Gerichte und die Zahlungsfähigkeit der Versicherungen vertraut.
Noch ein Tip für Autofahrer: Der italienische Fremdenverkehrsverband tut das gleiche, was die Eisenbahn macht – er verbilligt den Touristenverkehr, indem er den motorisierten Italienreisenden Benzingutscheinhefte, die an der Grenze sowie in den Büros der Automobilklubs erhältlich sind, zur Verfügung stellt. Der Kraftstoffpreis ermäßigt sich so etwa um ein Drittel. Nicht benutzte Gutscheine (à 10 Liter) kann man bei der Ausreise wieder zurückgeben.
Auch die Eisenbahn gewährt sehr große Fahrpreisermäßigungen. Aber das wissen Sie sicherlich aus der intensiven italienischen Fremdenverkehrswerbung, wenn Sie nicht gar schon selbst auf der »Stazione Termini« in Rom aus dem »Vagone letto« oder dem »Vagone ristorante«, also dem Schlaf- oder Speisewagen gestiegen sind.
[475] Wer zum ersten Male nach Italien zu reisen gedenkt, der glaube nicht, daß dort immer nur eitel Sonnenschein herrscht. Es kann dort im Frühling ebenso wie im Herbst bitterkalt sein, weshalb es sich empfiehlt, auch wärmere Sachen mitzunehmen.
[476] Wer ausschließlich an deutsche oder gar französische Küche gewöhnt ist, wird sich enttäuscht sehen. Dort unten ist und ißt man bescheiden. Abwechslung im Küchenzettel kostet viel Geld. Aber für eine gewisse Zeit kann man sich doch ohne weiteres mit den Teigwaren anfreunden – den Spaghetti, den Makkaroni, den Ravioli, die als »pasta asciuta« serviert werden. Und selbst das ländliche Nationalgericht aus Mais, die »polenta«, wird auf durchaus leckere Art zubereitet und kann köstlich schmecken. Fleisch und Kartoffeln sind teuer. Wer auch dort auf sein geliebtes englisches Beefsteak (»bistecca al sangue«) oder etwa eine Omelette mit Champignons (»frittata coi funghi«) nicht verzichten will, muß sich darüber klar sein, daß ein Hummer (»gamberi«) kaum teurer ist.
Die Italiener schwelgen in Titeln. Verderben Sie ihnen nicht die Freude daran. Sagen Sie zu einem Mann des öffentlichen Lebens, etwa einem Bankangestellten oder einem Journalisten getrost »Dottore« bzw. »Dottoressa«, falls es sich um ein weibliches Wesen handelt. Und titulieren Sie nicht etwa nur Hochschul- und andere Lehrer mit »Professore« bzw. »Professoressa«. Auch der Unterhaltungsmusiker, der Ihnen zu Ehren einen schmelzenden Wiener Walzer geigt, wird strahlen, wenn Sie ihm sagen: »Professore – so etwa muß Paganini gespielt haben!« Der Rechtsanwalt, den Sie hoffentlich nie brauchen werden, ist »Avvocato«, und eine Autoreparatur geht wesentlich schneller, wenn Sie zum Werkmeister »Inge niere« sagen.
Wer in die italienische Hautevolee eingeführt wird, sollte sich genau vergewissern, wer welche Ehrentitel führt, also etwa »Commendatore« oder »Cavaliere« ist. Minister, Botschafter und Kirchenfürsten redet man zweckmäßig mit »Eccelenza« an. Damen von Namen und Rang werden mit »Donna« und dem Vornamen angesprochen. Der Nachname wird nicht genannt. Und wenn man einen Brief zu schreiben hat, hält man ihn im Ton ebenso höflich und liebenswürdig, wie man auch in der Umgangssprache ist.
In Italien zieht man sich sehr gern gut und elegant an. Selbst minderbemittelte Kreise pflegen ihre Kleidung peinlichst. Wer Kirchen besucht, wird sich den örtlichen strengen Bräuchen anpassen und auch äußerlich die Würde wahren. Insbesondere der Damenwelt sei hier von verlockender Offenherzigkeit ebenso abgeraten wie etwa gar von Hosen aller Art und Länge!
In der Mailänder Scala dagegen kann es gar nicht »groß« genug sein.
Trinkgelder sind eine liebenswürdige Geste, die gern akzeptiert wird und weiterhilft. Kleingeld kann man nicht genug in den Taschen haben. Aber das alles wußten Sie ja schon, nicht wahr:
1. In Italien regiert das Kind. Bewunderung eines jeden Bambino schafft Freunde und Verbindungen. Es empfiehlt sich, selbst dann noch »Carino!« – er ist entzückend[477] – auszurufen, wenn Ihnen unter gleichen Umständen beim eigenen Sohn schon längst die Hand ausgerutscht wäre.
2. Glauben Sie, wenn Sie eine Auskunft erbitten oder nach einem Weg fragen, erst dann, wenn von fünf Befragten mindestens drei das annähernd gleiche gesagt haben. Der Italiener steht auf dem Standpunkt, man müßte eher eine falsche als gar keine Auskunft geben.
3. Sprechen Sie munter falsches Italienisch. Die Begeisterung über diese Bemühungen wird keine Grenzen kennen. Und wer überhaupt kein Italienisch kann, der sollte folgenden Satz lernen: »Mi scusi – parla tedesco? Jo non parlo italiano!« Diese Frage, ob der andere Deutsch könne, da man selber nicht Italienisch spräche, ist sehr höflich und wird jeden Italiener veranlassen, das Äußerste zu unternehmen, um sich verständlich zu machen.
4. Der Italiener handelt gern, und wer, speziell auf dem Lande, Dinge erstehen will, deren Preis willkürlich ist, kann das gleiche tun. Beide Teile werden Spaß daran haben.
5. Bei Fahrten mit Gondeln, Kutschen und anderen Beförderungsmitteln, die keinen Taxameter haben, macht man den Preis besser vor Fahrtantritt aus. Nachher gibt es möglicherweise Diskussionen, in denen der Italiener allen Ernstes nachweisen wird, daß er ruiniert ist, wenn man den verlangten Preis nicht zahlt.
6. Brieftaschen, Kleidungs- und Gepäckstücke sollte man unter Kontrolle halten. Gelegenheit macht überall Diebe.
7. Geld, das einem auf größere Scheine herausgegeben wird, darf man getrost nachzählen. Nicht, daß man übers Ohr gehauen werden sollte. Nein, man hat sich geirrt. Das kommt nicht selten vor.
8. Begrüßen Sie jedermann, den Sie bereits kennen, emphatisch. Man ist für sichtbare Herzlichkeit empfänglich. Und weibliche Hände dürfen neuerdings auch wieder geküßt werden.
9. Vorsicht mit dem weiblichen Geschlecht! Die jungen Mädchen sind nicht mehr so unnahbar wie einst, aber alle Männer haben gute Augen. Und daß die Ehemänner es mit der Treue nicht allzu genau nehmen, ist für die Frauen noch lange kein Freibrief.
10. Achtung vor Radfahrern! Sie halten in puncto Unberechenbarkeit mit den Deutschen jeden Vergleich aus.
Arrivederci! Vielleicht bei einem Gläschen Marsala – abends am Strand von Palermo?
Wer »die Burg«, also das Burgtheater in Wien, Mozart und die Salzburger Festspiele, die Lehárschen Operetten, die Straußschen Walzer, Nockerln, Palatschinken und Kaiserschmarrn bewundert – wer weiß, daß Prinz Eugen die Türken schlug und Metternich ein höchst kluger Kopf war – wer auch nach dem zehnten Glas Heurigen nicht auf die Idee kommt zu behaupten, die Österreicher seien »eigentlich ja Deutsche« – wer sich schließlich ihrem liebenswürdigen Charme anzupassen versteht und das ist, was man im Donauland »fesch« nennt – wer gute Manieren hat und betont höflich ist – der wird drüben bald eine Menge guter Freunde finden.
Der Bundesstaat, der sich amtlich »Schweizerische Eidgenossenschaft« nennt, hat über vier Millionen Einwohner, von denen drei Viertel Deutsch sprechen – wenn sie uns einen Gefallen tun wollen. Wenn nicht, dann sprechen sie »Schwyzerdütsch«. Wer das auf Anhieb versteht, ist ein Sprachgenie.
Es gibt zahlreiche Gesichtspunkte, unter denen man die Schweiz vorbehaltlos bewundern könnte. Ob Uhren oder Präzisionsmaschinen, Henri Dunant oder Rotes Kreuz, Davos oder Freiheitlichkeit, Vierwaldstätter See oder Lac Leman, sperrelose Bahnsteige oder saubere Straßen, gepflegte Parkanlagen oder gute Garderobe, Rousseau oder Schweizer Käse – man könnte die Charakteristika beliebig fortsetzen. In ihrer Gesamtheit bilden sie den Schlüssel zum Ruf der Schweiz als begehrtes Reiseziel. Gelassen ertragen die Schweizer den Ansturm der Welt auf ihre, man möchte sagen, massierte Schönheit – nicht nur, weil es ein einträgliches Geschäft ist. Vor allem auch, weil sie sehr gastfreundlich sind und Freude daran haben, wenn man die Schönheiten zu würdigen weiß, die sie bieten. Allerdings setzen sie voraus, daß man sich ihnen anpaßt. Sie mögen keinerlei Unruhe, auch nicht von seiten ihrer Gäste. Sie schätzen die Besinnlichkeit, [479] so daß sich umstellen sollte, wer etwa auf der Rückreise aus dem lauten und temperamentvollen Italien noch einen Bummel durch die Schweiz machen will.
Für gutes Benehmen, gerade von Seiten der Deutschen, sind die Schweizer empfänglich, wobei das betont Korrekte getrost überwiegen darf. Südlicher »Herzlichkeit« begegnet man weniger häufig als jener beständigen Gradlinigkeit, die dieses Volk überall auszeichnet. Imponieren lassen sie sich kaum. Sie haben auf den verschiedensten Gebieten zuviel geleistet, als daß sie schnell hingerissen sein könnten.
Der Alltag ebenso wie das private Leben stehen unter der Devise: Mehr sein als scheinen. Wer bereit ist, sich diesem gesunden Motto anzuschließen, wird in der Schweiz Erholung finden – und Freunde.
Dänemark besteht in Touristenaugen vorwiegend aus dem nordischen Paris, aus Kopenhagen, und ist ein bißchen verschlafen. Schweden ist ein reiches Land und auf seinen Wohlstand stolz. Und Norwegen ist großzügig genug, seine bitteren Erfahrungen aus dem letzten Weltkrieg zu vergessen.
Wer nach Norden fährt, sollte nach Möglichkeit vermeiden, in einem der drei Länder das zu tun, was wir in Deutschland zu tun pflegen: nämlich von »Skandinavien« zu sprechen. Was wir als Einheit sehen, ist keine. Allerdings sehen wir die Unterschiede nicht so deutlich, zumal sie Ursachen haben, die uns nicht so bekannt sind. Wer erinnert sich schon auf Anhieb der Tatsache, daß etwa die Norweger lange unter schwedischer Herrschaft standen? Wer denkt gleich daran, daß sich die Dänen unbewußt mit den Norwegern verbunden fühlen, weil beide den letzten Weltkrieg zu spüren bekamen? Und daß Schweden wiederum stolz auf sein »standing«, den auch in Arbeiterkreisen außerordentlich hohen Lebensstandard, ist?
Wenn man fragen wollte, in welchem der drei Länder wir am liebsten gesehen werden, dann müßte man sagen: in Schweden. Die Schweden mögen uns sehr gern, solange wir ihre Sitten achten und – nicht allzuviel reden. Denn in Schweden muß man schweigen können – schweigen und trinken. Trinken tun sie gern und schnell. Und in beträchtlichen Mengen. Und dann nicht ohne [480] Folgen. Aber sie bleiben dabei gutmütig. Bei einer Tafel ist es dort üblich, daß sich der zur Rechten der Hausfrau sitzende Ehrengast gegen Ende des Mahles erhebt und eine heitere Dankesrede auf die Dame des Hauses, auf das Essen, auf die Gastfreundschaft und überhaupt – auf alles hält, was lobenswert ist. Wenn Sie Ehrengast sind, dann entziehen Sie sich dieser Pflicht nicht. Und es wird Ihnen auch gar nicht schwerfallen, denn Sie werden viel Lobenswertes finden. Wer über die Kungsgatan bummelt, wird sehr rasch merken, wie hochzivilisiert und modern Schweden ist. Und daß Selma Lagerlöf und August Strindberg Säulen der schwedischen Literatur sind, haben wir ohnehin nicht vergessen.
Schweden ist seinen ausländischen Gästen gegenüber tolerant, soweit es sich um kleine Regelverstöße handelt, die aus Unwissenheit begangen werden. Dennoch empfiehlt es sich, zweierlei nicht zu tun:
1. Der Dame des Hauses mit »skâl« zuzutrinken und
2. sich auch nur mit dem geringsten Promillegehalt Alkohol im Blut ans Steuer seines Wagens zu setzen. In dieser Richtung versteht die ansonsten überaus liebenswürdige schwedische Polizei keinen Spaß!
Übrigens – Schweden fährt links!
Dagegen sollte man ein Wort sehr häufig, sehr schnell und sehr oft hintereinander sagen: »Tack!«, was »Danke!« heißt. Und bedanken kann man sich nicht oft genug.
Wer mit dem Wagen oder der Bahn durch Dänemark fährt, wird unschwer den Wohlstand dieses Agrarlandes ermessen können. Daß über der fetten Landschaft behagliche Ruhe liegt, die auf ihre Bewohner überstrahlt, ist verständlich. Dank seines ausgeprägten Humors vermag den Dänen kaum etwas zu erschüttern. Er liebt gutes Essen, scharfe Getränke, gute Kleidung, geruhsamen Alltag und zahlreiche »skâl«. Er ist auf Oster- und Westerbrogade in Kopenhagen nicht weniger stolz als der Schwede auf seine Kungsgatan und nimmt kaum zur Kenntnis, wenn sein König durch die Straßen reitet. Er freut sich, wenn man Kopenhagen mit Paris vergleicht, und wer dort war, dem fällt der Vergleich keineswegs schwer. Das gesellschaftliche Zeremoniell ist zwanglos, ohne jede übertriebene Steifheit. Wer sich von Haus aus gut und zuvorkommend benimmt, findet in der dänischen Etikette keinerlei Fußangeln.
Wir sprachen eingangs von der Großzügigkeit, mit der Norwegen – wenn vielleicht auch nur zögernd – beginnt, seine verständlichen Ressentiments gegenüber Deutschland zu vergessen. Voraussetzung dafür ist natürlich betonter Takt von seiten deutscher Besucher. Die Möglichkeit, in dieser Richtung anzustoßen, ist groß, um so mehr, als der Norweger geradlinig ist und aus seinem Herzen [481] keine Mördergrube macht. Dennoch zeichnet ihn große Gastfreundlichkeit aus, gepaart mit dem ehrlichen Bestreben, mit jedem Besucher gut Freund zu sein. Die Einfachheit der Bevölkerung, ihre schlichte Kleidung dürfen uns keineswegs vergessen lassen, daß in diesem so schönen Land die Wiegen von Henrik Ibsen und Sigrid Undset standen.
Eines dürfen wir vielleicht noch ganz allgemein sagen: Wer in Urlaub fährt, pflegt nach Süden zu reisen. Wer sich jedoch wirklich erholen will, in einer Landschaft von atemberaubender Schönheit mit prächtigen Menschen, die man nur verstehen muß, der fahre nach Norden. Wobei es gleichgültig ist, ob er in Svaeland fischt oder am Balestrand im Sognefjord den Sonnenuntergang bewundert.
Vielleicht wird sich der Leser wundern, Holland gesondert erwähnt zu finden. Der Grund ist einfach: »Benelux« – das ist eine mit dem Verstand geschaffene wirtschaftliche Interessengemeinschaft. Aber die beteiligten Herzen schlagen in recht unterschiedlichem Rhythmus.
Holland hat eigentlich immer über den Kanal geblickt und dort sein Vorbild gesucht. Und die Holländer ähneln in vielem ihren Freunden jenseits der Nordsee. Sie trinken gern Tee, sie ziehen sich angelsächsisch an, sie geben ungern die Hand, sie halten Distanz, sie sind sehr korrekt und – sehr kühl. Daß diese Kühle uns Deutschen gegenüber besonders betont ist, hat seine Ursachen in der jüngsten Vergangenheit. Immerhin nehmen auch in den Niederlanden jene Kreise an Einfluß zu, die beginnen möchten zu vergessen, was schmerzliche Erinnerung noch trübt.
Aus dieser Einstellung ergibt sich für den Hollandbesucher die doppelte Notwendigkeit zu tadellosem Auftreten. Wir haben als Nation einen Teil des verlorengegangenen Prestiges wiedergewinnen können. Am einzelnen Deutschen liegt es nun, in persönlichem Kontakt diesen Prestigegewinn zu erweitern. Dazu muß man von den Holländern einiges wissen:
1. Der Holländer ist von nahezu englischer Reserviertheit. Nichts wäre falscher, als diese Mauer durch betonte Herzlichkeit einrennen zu wollen. Das Eis wird um [482] so eher schmelzen, je mehr man sich dieser Eigenart anpaßt und nicht im Handumdrehen zu erzwingen sucht, was behutsam wachsen will – Zuneigung und Vertrauen.
2. Der Holländer ist zuverlässig und korrekt. Das bezieht sich auch auf das gesellschaftliche Leben. Wenn er Sie für 20 Uhr zu sich bittet, dann erwartet er Sie – Punkt 20 Uhr! Und wenn Sie ihn für 20 Uhr einladen, dann klingelt er bei Ihnen – um 19.55 Uhr. Richten Sie sich nach dem ersten, und rechnen Sie mit dem zweiten.
3. Titelstolz ist der Holländer gar nicht. Fügen Sie aber dem »Herr« oder »Frau« (Mijnheer oder Mevrouw) stets den Familiennamen an.
4. Versuchen Sie nicht, sich mit einem Holländer zu duzen, ehe Sie ihn nicht gut, aber schon sehr gut und lange kennen. Nicht einmal die Kinder duzen ihre Eltern.
5. Sie dürfen in Holland viel – schweigen.
6. Schließen Sie aus der Tatsache, daß »Benelux« existiert, nicht auf große Sympathien der Holländer gegenüber den Belgiern. Dieser Schluß wäre falsch, seine Verbreitung könnte eisiges Schweigen heraufbeschwören.
7. Wahren Sie beim Flirt noch größeres als in Holland ohnehin schon angebrachtes Fingerspitzengefühl. Die »meisjes« heiraten alle sehr jung, und Flirt mit Ausländern wird sehr klein geschrieben.
8. Fahren Sie mit dem Auto durch dieses Land, das sauber wie eine Puppenstube ist, nicht allzu schnell. Ruhe ist auch auf der Straße die erste Bürgerpflicht.
Wer jung ist, ist zumeist auch kritikempfindlich. Und Belgien ist jung. Die Geschichte seiner Entstehung führt durch Jahrhunderte hindurch abwechselnd nach Österreich, Frankreich, Deutschland, Spanien und Holland. Bis die Londoner Konferenz vor genau 125 Jahren, nämlich 1831, die immerwährende Neutralität Belgiens garantierte.
Wir als Deutsche haben es in Belgien nicht allzu schwer. Der belgische Fleiß ähnelt dem unseren, und der Belgier hat in kurzer Zeit erstaunlich viel vergessen. [483] Chauvinismus ist ihm in der breiten Masse fremd. Und uns als den Besuchern aus seinem östlichen Nachbarland bleibt nur eines übrig: einigen Tabus auszuweichen.
Solange wir uns jeder Diskussion über die Königsfrage entziehen, nicht versuchen, das Thema Flamen-Wallonen aus unserer Perspektive zu sehen, Frankreich nicht loben, Benelux nicht als Nonplusultra weltpolitischer Weitsicht preisen und – mit freundlicher Miene viel Geld auszugeben verstehen, wird uns Belgien mit offenen Armen empfangen.
Sorgen Sie dafür, daß Ihre Einreisepapiere in Ordnung und Sie selbst geimpft sind, wenn Sie amerikanischen Boden betreten. Nirgends ist man so darauf versessen, daß alles stimmt, wie gerade dort. Prominente Amerikaner haben versucht, gegen die Kleinlichkeit Sturm zu laufen, mit der Ein- und Ausreise überwacht werden – vergebens. Wer da glaubt, in einem Lande, das sich über fast 25 Breitengrade erstreckt und 140 Millionen Einwohner hat, eine befristete Aufenthaltsgenehmigung auch nur um einen Tag überschreiten zu können, der irrt.
Wenn man aber den Fuß erst einmal an Land gesetzt hat, dann darf man staunen. Und man tut es auch. Erstens gibt es viel zu bestaunen, zum zweiten wird es erwartet. Denn drüben hat die Zukunft schon begonnen, und es gibt kaum einen Amerikaner, der nicht stolz darauf wäre, ausländische Gäste einen Blick in die Zukunft tun zu lassen. Wir Europäer mögen an morgen denken – der Amerikaner findet es nur natürlich, heute bereits Dispositionen für übermorgen zu treffen. Dispositionen wohlgemerkt, die sehr realen Hintergrund haben und keineswegs utopisch sind.
Man darf staunen – nicht zuletzt über die sehr herzliche Offenheit des Amerikaners jedem Gast gegenüber. Er findet nichts daran, mit einem wildfremden Weg- oder Reisegenossen ohne große Förmlichkeiten ein Gespräch zu beginnen, in dem er mit verblüffender Genauigkeit über sich, seine familiären und beruflichen Verhältnisse, seine Hobbies, seinen letzten Autounfall und seine Meinung über den neuesten Film berichtet. Natürlich erwartet er das gleiche von seinem Gesprächspartner.
[484] Sie sind zuweilen wie große Kinder – stolz auf das, was sie geleistet haben, und begierig, gelobt zu werden. Nun muß man ihnen zugestehen, daß sie es nicht zu ihrer Größe gebracht hätten, wenn hinter dieser Entwicklung nicht ein von klugen Hirnen erdachtes System steckte. Es wäre billig zu sagen: Kunststück – bei den Naturschätzen! Es gibt mehr als ein Land auf unserer Erde, das ähnliche Voraussetzungen für den Wohlstand böte und doch einen wesentlich niedrigeren Lebensstandard hat.
In der Tat ist der amerikanische Lebensstandard sehr hoch. Und dank der Technik außergewöhnlich modern. Für unsere Verhältnisse und unseren Geschmack manchmal vielleicht sogar etwas zu modern, zu unpersönlich. Die Kalorienzahlen stimmen – aber Konserven sind nicht jedermanns Geschmack. Der Amerikaner erfaßt ja alles mit der Zahl, der Statistik, der Wissenschaft. Und weiß natürlich sehr genau, wie viele Arbeitsstunden elektrische Waschmaschinen, Infrarotstrahlen und Geschirrspülautomatik einsparen. Daß er sich dennoch zuweilen noch nach Individualismus zurücksehnt, mag jene Bewunderung erklären, die ein befreundetes Ehepaar in Chikago genießt, das deutsche Auswanderer als Hausangestellte hat, die ihm einmal wöchentlich handfeste deutsche Hausmannskost – ganz primitiv und ehrlich in Pfanne und Schüssel bereitet – vorsetzen.
Obwohl dem Amerikaner Europa und seine Probleme kleiner erscheinen als uns selbst, nimmt er doch regen Anteil am hiesigen Geschehen, wenn auch zuweilen durch eine Brille, die ähnlich wirkt wie ein Fernglas, das man verkehrt vor die Augen hält. Dieses Interesse erklärt sich nicht nur aus der großen materiellen Hilfe, die die USA uns leisteten. Instinktiv fühlt der Amerikaner, daß die Wiegen seiner Ahnen diesseits des Atlantik standen. Was ihn wiederum in seiner Selbstsicherheit nicht beeinträchtigt.
Immerhin mag er es nicht gern, wenn wir unsere Kultur gegen seine Zivilisation ins Feld führen. Man sollte meinen, das komme nicht vor. Und doch geschieht es häufiger, als wir glauben. Nicht wenige halten sich an Kant, Schiller und Beethoven fest, wenn sie angesichts eines Bauplanes für ein im Jahre 2000 einzuweihendes Konzerngebäude Komplexe aufsteigen fühlen, weil ihre Vorstellungskraft versagt.
Sie kommen also drüben an. Fragen Sie getrost. Jedermann wird Ihnen Auskunft erteilen. Der Amerikaner ist höflich und hilfsbereit. Sie gehen in ein Hotel. Alles blitzt vor Sauberkeit. Ein Heer verschiedensten Personals ist um Ihr Wohlergehen besorgt. Sparen Sie nicht mit Trinkgeldern. Daß es in Amerika etwa doppelt so teuer ist wie hier, wußten Sie hoffentlich vorher. Man verdient mehr.
[485] Wundern Sie sich nicht, daß Ihnen am Morgen nach Ihrer Ankunft ein freundlicher Brief des Hotelmanagers aufs Zimmer flattert, in dem Ihnen etwa folgendes gesagt wird:
»... Unser Hotel hat mehr als 3000 Zimmer. Sicherlich befürchten Sie nun, nicht individuell bedient zu werden. Dennoch können wir Ihnen bereits heute versprechen, daß Sie sich bei uns wie zu Hause fühlen werden. Heute mag Ihnen alles noch ein wenig fremd vorkommen. Aber das liegt nur daran, daß wir noch nicht alle Ihre Wünsche kennen. Um sie kennenzulernen, bitten wir Sie, der jungen Dame, die sich in einer Stunde nach Ihrem Befinden erkundigen wird, all Ihre noch offenen Wünsche anzugeben, damit wir Sie zufriedenstellen können ...«
Wohlgemerkt, das ist nicht etwa eine Drucksache, sondern ein höchst persönlich abgefaßtes Schreiben, das durchaus auch eine liebenswürdige Bemerkung über Ihre Heimatstadt enthalten kann und handunterschrieben ist.
Und dann kommt ein verwirrend adrettes und liebenswürdiges, hübsches junges Wesen und fragt. Und Sie dürfen sicher sein, daß die Weichheit des Bettes, die Stärke der Daunendecke, die Temperatur des Zimmers und die abendlichen Getränke fortan stimmen. Dieser Komfort ist selbstverständlich – es darf uns nur nicht stören, daß für ihn im Zimmerpreis 2 Dollar einkalkuliert sind.
Wenn Sie aus Deutschland gewohnt sein sollten, das »Guten Morgen!« des Zimmerkellers nur kurz zu erwidern – seien Sie drüben gesprächig. Aufgeschlossenheit wird Ihren Ruf als umgänglicher Zeitgenosse festigen. Betrachten Sie jedes Mitglied des Personals, das Sie betreut, als guten Freund, der das Seine zu Ihrer Behaglichkeit beitragen möchte. Wobei nochmals gesagt sei, daß auch gute Freunde für »tips«, also für Trinkgelder, empfänglich sind.
Alles ist sehr unkompliziert. Wer mit jemandem bekannt werden will, stellt sich, wenn kein Dritter da ist, der die Vorstellung übernehmen könnte, selbst vor. Ganz einfach mit den Worten: »Ich bin Otto Schulze. Meine Frau und ich sind gestern aus Köln gekommen, um ...«, und dann sagt man eben, was man vorhat. Ob der Amerikaner einem die Hand reicht, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Auf jeden Fall wird, wie bei uns auch, der Jüngere dem Älteren, der Niedere dem Ranghöheren, der Herr der Dame gegenüber warten, bis man ihm die Hand entgegenstreckt.
Wer vorgestellt wird, bekommt normalerweise zu hören: »How are you?« und antwortet prompt »Fine!«. Das ist so üblich und muß keineswegs der Wahrheit entsprechen. Wenn einem jemand anderer vorgestellt wurde, kann man statt der offiziellen Begrüßungsformel »How do you do?« auch behaupten: »I'm very glad to meet you!« Man sagt jedoch nicht: »Pleased to meet you!«
[486] Für uns ungewohnt ist die Gepflogenheit der amerikanischen Frau, aufzustehen, wenn ihr ein Mann vorgestellt wird.
Was die Tischsitten angeht, so ähneln sie in der guten, auf Form bedachten Gesellschaft den unseren. Allerdings trifft man sehr viel Leute, die es vorziehen, das Fleisch zunächst in mundgerechte Stücke zu zerschneiden und dann die Gabel in die Rechte zu nehmen, wobei das Messer auf den Tellerrand gelegt wird. Dennoch ist auch der gleichzeitige Gebrauch von Messer und Gabel korrekt.
Wenn gegen Ende des Essens die Dame des Hauses fragt: »Herr Schulze – Sie sind doch beim deutschen Rundfunk. Wie weit ist es eigentlich mit dem Fernsehen in Deutschland?« – dann ist das die Aufforderung, eine Art Vortrag über die deutsche Television zu halten. Man wäre enttäuscht, wenn sich der Betreffende auf einen allgemeinen Satz beschränken würde. Während derartiger Einladungen wird fast regelmäßig erwartet, daß der Gast zu einer bestimmten [487] Frage Stellung nimmt. Je heiterer und unbeschwerter er diese »Rede« hält – die übrigens keinen Anspruch auf sachliche Gültigkeit haben muß –, um so größer wird der hinterlassene Eindruck sein.
Sollten Sie Ehrengast auf einer Party sein, dann ist es an Ihnen, als erster zu gehen.
Solange man sich in Amerika nicht beim Vornamen nennt, was in der Regel sehr bald zu geschehen pflegt, redet man sich mit »Mister« bzw. »Mistress« oder »Miss« und Familiennamen an. An die Stelle des »Mister« können akademische Titel treten – so etwa »Professor Parker« statt »Mr. Parker«. Und wer dem Präsidenten der Vereinigten Staaten vorgestellt werden sollte, sagt »Mr. President«.
Die junge Amerikanerin ist fast immer »attractive«. Daß sie zudem einen sehr selbständigen Eindruck macht, verleitet männliche Ausländer häufig zu voreiligen Schlüssen. Es ist gut zu wissen, daß das amerikanische Recht fast immer auf seiten der Frau ist, weshalb die Vorsicht bereits beim Wort beginnen sollte.
Wissen Sie, daß es »Entführung« und damit ein Verbrechen sein kann, wenn man mit einer nicht angetrauten Frau von einem Staat in einen anderen fährt? Genaue Kenntnis aller Grenzen ist empfehlenswert.
Amerika hat große Entfernungen. Man kann sie mit Flugzeug oder Bahn zurücklegen. Wer mit einem Pullmanzug fährt, wird sich mit den nur durch Vorhänge voneinander getrennten Schlafabteilen, die zur Nacht aus den Tagessesseln gezaubert werden, abfinden müssen. Üben Sie rechtzeitig zu Hause, sich liegend aus- und anzuziehen.
Erfreulich ist dagegen die liebenswürdige Betreuung durch den ausnahmslos schwarzen »porter«, der die Garderobe ausbürstet, die Koffer trägt und fest auf ein nicht zu sparsames Trinkgeld hofft.
Wer mit dem Auto fährt, bedenke, daß Amerika nicht Deutschland ist. Dort fährt man ausnahmslos korrekt und rücksichtsvoll. Man vergesse nicht die rechtzeitigen Erkundigungen über die jeweils vorgeschriebenen, in den einzelnen Staaten unterschiedlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen.
Natürlich könnte man noch unendlich viel über Amerika und seine Sitten sagen. In 49 Staaten, die zum Teil recht verschieden leben, fühlen und denken, gibt es Unterschiede. Aber die finden Sie schon selbst heraus. Solange Sie einigermaßen höflich sind und frei heraus reden.
Beinahe hätten wir es vergessen: Bei uns ist es liebenswürdige Selbstverständlichkeit – drüben ist es Pflicht, Ihrer Dame bei Tisch den Stuhl unterzuschieben. Symbolische Handlung des der Frau ergebenen amerikanischen Mannes.
Hier machen geographische Dimensionen nähere Betrachtungen über Etikette und Tabus ziemlich schwer. Der viertgrößte Erdteil ist immerhin 7500 km lang und maximal mehr als 5000 km breit. In diesen Raum teilen sich elf bzw. dreizehn Staaten, je nachdem, ob man Guayana als Einheit wertet oder berücksichtigt, daß es ein britisches, ein niederländisches und ein französisches Guayana gibt.
In zehn der elf Staaten spricht man Spanisch, in einem Portugiesisch. Und dieser eine, nämlich Brasilien, ist der weitaus größte, sowohl in seiner Fläche als auch seiner Bevölkerungszahl. Die 45 Millionen Brasilianer machen nahezu die Hälfte der südamerikanischen Bevölkerung aus. Wer Vergleiche liebt, mag sich vorstellen, daß Brasilien ebensogroß ist wie Australien.
Von Rio de Janeiro hat man ohnehin schon seit frühester Jugend geträumt. Tatsächlich hat Rio die schönste Bucht der Welt, und noch jeder, der sie zum ersten Male sah, war überwältigt, weil ihre Schönheit auch die enthusiastischsten Schilderungen übertrifft.
Für den Europäer verbindet sich mit dem Begriff Südamerika immer die Vorstellung von kurzen Hosen, Tropenhelm und giftigen Schlangen. Es komme niemand auf die Idee, im Tropenhelm von Bord zu gehen und durch die Straßen zu wandeln. Nichts in der eleganten Kleidung des großstädtischen Brasilianers ließe auf tropische Temperaturen schließen. Und die Hüte von dort fielen auf dem Jungfernstieg in Hamburg kaum auf. Die Annahme, man dürfe à conto der Hitze öffentliche Verkehrsmittel in Hemdsärmeln und ohne Krawatte benutzen, ist ebenso europäisch wie falsch. Und wer auf Schlangenbekanntschaften erpicht ist, der fahre den Amazonas, besser noch, von Belem aus, den Tocantins hinauf.
In Rio aber oder Bahia lebt man durchaus europäisch elegant und zivilisiert. Die Wolkenkratzer in Rio haben amerikanische Dimensionen. Die brasilianische Gesellschaft ist sehr feudal, außerordentlich gastfreundlich und nur bedingt pünktlich. Eine Verabredung hält niemand ein, wenn es zur fraglichen Zeit regnet.
Die Weiblichkeit ist von verwirrender Schönheit und ebensolcher Eleganz. Jedoch unnahbar und sehr brav – speziell dem durchreisenden »estrangeiro«, dem Fremden gegenüber. Diskrete, distanzierte Bewunderung ist gestattet – Annäherung [489] dagegen höchlichst unempfehlenswert, es sei denn, man habe ernste Absichten.
Über »mulatinhas« wolle man seine Freunde befragen.
Das Begrüßungszeremoniell ist von südlicher Herzlichkeit und besteht aus überschwenglichem Umarmen und Auf-den-Rücken-Klopfen.
Edelsteine auf Männerhänden haben keineswegs jene Bedeutung, die Uneingeweihte in ihnen sehen könnten. Sie verraten vielmehr den Beruf ihres Trägers. Wenn Sie einem Brasilianer mit überdimensioniertem Smaragd am Finger begegnen, dürfen Sie ihn um Herausnahme Ihres Blinddarms bitten – er ist Arzt. Und der Herr mit dem Rubin wird Ihnen als Rechtsanwalt beim Ankauf einer Kaffeeplantage in der »terra roxa« bei Sao Paulo behilflich sein, das man das »Chikago des Südens« nennt.
Zweierlei noch: Verwechseln Sie im Gespräch niemals Rio de Janeiro mit Buenos Aires (was vorgekommen ist) und richten Sie es nach Möglichkeit so ein, daß Sie einmal beim »Karneval in Rio« dabei sind. Es lohnt sich.
In Argentinien ist der Ausländer, falls er sich nicht gerade vollständig daneben benimmt und einen unseriösen Eindruck macht, automatisch Gast der sehr exklusiven Gesellschaftskreise. Wer auch nur irgendwo einen Namen oder einen interessanten Beruf hat, wird sofort nach seiner Ankunft unzählige Male eingeladen und herumgereicht werden. Das ist ehrend, amüsant, interessant, sehr strapaziös und dauert bis zur Ankunft des nächsten Dampfers, dessen Passagierliste eine neue Persönlichkeit verspricht.
Man wird Sie einladen, man wird sehr nett und gastfreundlich sein, und Sie werden viel zuviel essen. Es soll vorgekommen sein, daß Gäste Einladungen zum Wochenende auf einer Estancia über Jahre ausgedehnt haben. Das wäre übertrieben. Immerhin darf man das Weekend schon um einige Tage verlängern. Zeit spielt dort keine allzu große Rolle.
Man darf nicht vergessen, daß der Argentinier in jedem Europäer und speziell im Deutschen, den er gern mag, ein hochintelligentes Wesen von umfassender Bildung sieht. Überlegen Sie sich rechtzeitig, mit welchen Berichten aus Kunst, Geisteswissenschaft oder Wirtschaft sie glänzen könnten. Und benehmen Sie sich sehr gut – einfach international gut. Der Argentinier wäre enttäuscht, wenn er sich in seinem Bild vom Deutschen getäuscht sähe.
Und die anderen, im Vergleich zu den beiden vorgenannten kleinen Länder? Erschließen Sie sie sich selbst. Es macht Freude und ist gar nicht schwer. Gewiß – es wird einige Zeit dauern, ehe Sie die bilderreiche Sprache der Chilenen verstanden [490] und begriffen haben, daß man dort gern in Gleichnissen redet. Daß man zahllose Heilige verehrt und das kokette Lächeln einer hübschen Chilenin keinen vielversprechenden Hintergrund hat, sondern lediglich Freude an dem Wohlgefallen, das sie findet, spiegelt.
Sie werden lernen, dem Instinkt der peruanischen Maultiere zu vertrauen. Und Sie werden feststellen, daß Ihr eigener Instinkt hinsichtlich der berühmt schönen Frauen Limas trog.
Sie werden bald erkennen, daß in Südamerika Zeit nirgends eine Rolle spielt. Daß man in Venezuela keiner Dame die Hand küßt. Daß man in Uruguay nur mit der eigenen, angetrauten Frau im Wagen vorn sitzen darf.
Und vor allem – daß Sie in Südamerika fast überall reichlich Geschenke verteilen müssen. Denn man wird auch Sie reichlich beschenken.
Als »Gringo« macht man in Mexiko so seine Erfahrungen. Die Tatsache, daß die »charros« Nachfahren der einstigen spanischen Eroberer sind, hindert sie nicht daran, fünf gerade sein zu lassen. Was man nicht sonderlich bewacht, ist auch nicht sonderlich sicher. Nicht, daß es gestohlen würde, nein – es verschwindet nur. Aber da gibt es ein verhältnismäßig einfaches Mittel: Man beauftrage den, der gerade die Hupe oder den Scheinwerfer des Wagens demontieren will, damit, den Wagen zu bewachen. Dann ist das Fahrzeug fortan sicher. Der Mexikaner hält sein Wort. Ein ausgezeichneter Kenner des Landes hat einmal für den Umgang mit Mexikanern die »Politik des Vertrauens« empfohlen.
Ob in Mexiko-City, Vera Cruz, Tampico oder Monterrey – überall ist man überschwenglich höflich, sehr stolz und für diskret überreichte Trinkgelder empfänglich. Überall kommt man am weitesten, wenn man sich so anzieht, als ginge man über Königsallee oder Kurfürstendamm. Leute in Buschhemd und Tropenhelm werden unweigerlich für Engländer gehalten, die technische Großtaten zu vollbringen gedenken.
Nicht auffallen – das ist oberste Devise. Den Damen sehr höflich entgegenkommen. Mit Handküssen bei Frauen und Umarmungen bei Männern nicht[491] sparen. Den Agavenschnaps »tequila« mit Salz und Zitrone richtig zu sich nehmen. Und sich in der unheimlichen Schärfe des »chile«, des Pfeffers, nicht verkalkulieren. Das alte Mexiko bewundern, das neue bestaunen.
Dann wird man Ihnen vielleicht das größte Kompliment machen, indem man sagt: »Ein deutscher Indianer!«
Man kann unter verschiedenen Aspekten nach Afrika kommen, und mit unterschiedlichsten Absichten. Man kann handeln, jagen oder einfach nur sehen wollen. Im Zeitalter schneller Verkehrsflugzeuge bereitet auch die Durchquerung eines Kontinents von 8000 Kilometern Länge keine Schwierigkeiten.
Wesentlich ist zunächst einmal der Einfluß der Mandats-, Verwaltungs-, Kolonial- oder wie immer man die übergeordnete Macht nennen will. Soweit man nicht ausschließlich mit Eingeborenen zu tun hat, und das wird selten der Fall sein, wird der gesellschaftliche Verkehr vom Gepräge eben dieser Macht bestimmt. Sehr viele Marokkaner sprechen Französisch. Einige sogar Englisch. In Spanisch-Marokko natürlich Spanisch. Doch mögen die Sprachen verschieden sein – der Glaube eint. Sowohl die Araber als auch die Berber sind vorwiegend Mohammedaner. Natürlich sehen sie im Europäer keinen »Christenhund« mehr. Aber ihre Religion und ihre Riten sollte man mit selbstverständlichem Takt achten.
Nicht wenige einflußreiche Eingeborene haben an europäischen Universitäten studiert und wissen die zivilisatorischen Errungenschaften der weißen Welt wohl zu schätzen. Und wenn uns ein begüterter Scheich im modernen Straßenkreuzer begegnet, so ist das nur einer der zahlreichen Beweise für die Wertschätzung, die abendländisch-technische Begabung genießt.
Wer in eine primitive Eingeborenenhütte, die aus Lehm errichtet ist, eintritt und mit den Hirten mühsam ins Gespräch kommt, hat nichts zu befürchten, selbst dann nicht, wenn er prüfend über den schafwollenen Burnus streicht. Auch die Tuaregs, ein Berberstamm, über den viel Unheimliches berichtet wurde, sind heute gar nicht mehr so. Sie sehen nur unheimlich aus, weil die Männer verschleiert gehen.
[492] Auf dem »Place de la Résidence« in Tunis wundert sich kein Mensch, wenn man, zur Linken die imposante Kathedrale, den Blick über die schnurgerade, von hellen Häusern umsäumte Avenue Jules Ferry schweifen läßt, deren hohe Grünanlagen mit dem Lineal gezogen zu sein scheinen. Nicht einmal auf der Rue Saussier in Kairouan, der Stadt der Grabmale und Moscheen, auf der Verkaufsstand neben Verkaufsstand steht, wird ein Eingeborener etwas dagegen haben, wenn man seine Kamera zückt. Vorausgesetzt, daß nicht gerade Unruhen ausgebrochen sind. Doch das erfährt man schon rechtzeitig.
Vielleicht müssen wir uns von einem Heiligen eine wundersame Geschichte erzählen lassen, aber wir hören gern zu, denn das erst ist ja Nordafrika. Nicht etwa die Rue Michelet in Algier, die durchaus europäischen Charakter hat und so manche Geschäftsstraße zweitausend Kilometer nördlich an Vielfalt übertrumpft. Dann eher schon die »Casbah«, das Eingeborenenviertel Algiers mit seinen engen Straßen und einem verwirrenden und keineswegs immer sauberen[493] Menschengewimmel. Der Rat, Brieftaschen festzuhalten, gilt hier ebenso wie in jedem anderen Gedränge an irgendeinem Ort der Welt.
Vielleicht interessiert es diesen oder jenen, einmal eine Oase kennenzulernen. Dann setzt er sich in Algier ins Flugzeug und fliegt tausend Kilometer – nach Timimoun. Es kann durchaus sein, daß er Gast bei dem Kommandanten der »Annexe«, des militärischen Kommandos, ist. Dann hat er möglicherweise Gelegenheit, morgens die eingeborenen Soldaten sich auf ihrem Gebetsteppich gegen Mekka verneigen zu sehen und den Schutz Allahs anrufen zu hören. Aber er wird es nur sehr diskret tun.
Und er darf innerlich staunen – über die geistige ebenso wie die äußerliche Eleganz seines Gastgebers, der selbst hier, inmitten der Wüste, internationale Etikette zelebriert.
Vielleicht macht er auf dem Hin- oder Rückweg Station in einer Oase, die als Ferienziel bereits einen Ruf hat – El Golea. Sie ist landschaftlich außerordentlich reizvoll, hat ein prächtiges, in maurischem Stil erbautes Hotel – das »Transatlantique« –, hat eine wunderschöne Moschee, die deshalb auffällt, weil sie viereckig zum Himmel strebt, hat die Burg Ksar, eine Festung, deren Mauerwerk einst gegen räuberische Banden schützte, hat einen bunten Markt mit unverdorbenem Händlertum und hat schließlich – falls Europäer sich an Europa erinnert fühlen wollen – ein modernes Schwimmbad ebenso wie Tennisplätze.
Runde 1600 Kilometer liegen zwischen Algier und Tamanrasset, der Hauptstadt der Tuaregs. Tamanrasset liegt auf einem Hochplateau, ist von Bergen umgeben und hat ein mildes Klima, obwohl es bereits zur tropischen Zone gehört. Wenn man an der Bar des einzigen Hotels einen Martini trinkt, werden einem die französischen Kolonialoffiziere der Garnison alles Wissenswerte erzählen: über die schönen Tuaregfrauen, die sich bei Mondschein im Aahal, im Liebeshof, von ihren Anbetern umwerben lassen. Über die »Weißen Väter«, die missionarähnliche Aufgaben erfüllen, Waisenhäuser, Schulen und soziale Einrichtungen unterhalten. Über die Zweckmäßigkeit, bei einem Gang in die Wüste niemals zweierlei zu vergessen – eine Kopfbedeckung und ein Halstuch, denn die Wüstensonne verbrennt nur allzu leicht jede ungeschützte Körperstelle. Und sie werden die Adresse eines Schneiders wissen, bei dem man sich »Serouals« anfertigen lassen kann, das sind lange Pumphosen, wie sie dort jedermann trägt, weil sie sich bewährt haben. Der Spaß kostet etwa zehn Mark.
Ägypten ist inzwischen erwacht, Kairo eine außergewöhnlich elegante Stadt, in der der Damenwelt in puncto Eleganz keinerlei Schranken gesetzt sind. Westliche Lebensart setzt sich immer mehr durch. Der Schleier fällt. Aufgeschlossene Ägypter sind auf ihre Pharaonengräber weit weniger stolz als etwa auf die Universitäten und die Staudämme des Nils.
[494] Natürlich haben abendländische Gewohnheiten noch nicht alle Riten verdrängt: Nach wie vor empfiehlt es sich, alles Gereichte mit der rechten Hand entgegenzunehmen, ein Haus mit dem rechten Fuß zuerst zu betreten, nur mit der rechten Hand zu essen, sich nicht nach dem Befinden einer Frau zu erkundigen und bei Tisch ein besonders gutes Stück seinem Nachbarn anzubieten. Andererseits kommt der Ägypter dem Ausländer entgegen, und immer häufiger erscheinen Messer und Gabel auf dem Tisch.
Wer in die Südafrikanische Union reist, besucht vermutlich zuerst den britischen Flottenstützpunkt Kapstadt oder die größte Stadt der Union, Johannesburg, die auf dem Hochland von Transvaal inmitten von Goldfeldern liegt. Eine solche Reise stellt vor Fragen, die den Besucher eigentlich gar nichts angehen, mit denen er sich dennoch aber auseinandersetzen muß.
Da gibt es zunächst das Farbigenproblem. Diese Frage ist gesetzlich geregelt – ein heißes Eisen, an dem man sich die Finger verbrennen kann, selbst wenn man nur sehr sachlich zum Ausdruck bringen wollte, daß man nichts dabei fände, einem Schwarzen die Hand zu geben.
Da ist zum zweiten die Rassenfrage. Die weiße Bevölkerung besteht zu zwei Dritteln aus Buren, zu einem Drittel aus Engländern. Beide lagen vor einem halben Jahrhundert miteinander in bitterer Fehde. Der Burenkrieg ist auch heute noch keineswegs vergessen, und die unsichtbare Mauer zwischen Buren und Engländern, die sich allenthalben im gesellschaftlichen Leben bemerkbar macht, gleicht jener, die in Vernunftehen zwischen den Ehepartnern zu beobachten ist.
Es kommt sehr selten vor, daß man engen gesellschaftlichen Kontakt mit Buren und Engländern hat, gibt es doch einflußreiche Burenfamilien, die sich nicht entsinnen können, daß jemals ein Engländer ihr Haus betreten hätte. Und die auch nicht im Traume daran denken, die englische Sprache zu erlernen.
Und damit ergibt sich Problem Nr. 3. Natürlich kommt man mit Englisch durch Südafrika. Aber Afrikaans, die Burensprache, macht einen weit besseren Eindruck, wenn man in Burenkreisen verkehren will.
Als gewöhnlicher Reisender, der keine besonderen geschäftlichen Ambitionen hat, wird man von diesen Problemen natürlich nicht sonderlich berührt. Kennen und lösen muß man sie nur, wenn der Besuch Südafrikas nicht nur reinem Vergnügen dient.
Ansonsten setzt man sich unbeschwert in die Drahtseilbahn und fährt auf den Tafelberg hinauf, um aus beinahe 1100 Meter Höhe einen herrlichen Rundblick auf Kapstadt, die Tafelbai und die Falsebai zu genießen. Oder man fährt über Sea Point zum Seebad nach Camps Bay und über die Victoriastraße, vorbei an den »Zwölf Aposteln«, zum Duiker Point.
[495] Was immer man aber auch tun mag – die Gesellschaft zieht sich zum Dinner um, wobei der Smoking das gegebene Kleidungsstück für Herren ist. Shorts sind ebenso verpönt wie etwa der Tropenhelm. Man kleidet sich nämlich auf dem 34. südlichen Breitengrad gar nicht viel anders als auf dem 52. nördlichen.
Kürzlich las ich etwas außerordentlich Wichtiges über Afrika – einen Beitrag zur Etikette für Jäger. In ihm stand geschrieben, daß es in Kenya zum guten Ton gehöre, Tiger (Sie haben recht gelesen: Tiger wie felis tigris) aus einer Entfernung von mindestens zweihundert Metern zu schießen. Das ist insofern interessant, als bislang auch Kenner Afrikas unter der dortigen Fauna noch nie einem Tiger begegneten.
Sehr weit weg liegt dieses Australien. Sehr konservativ ist seine Gesellschaft. Streng sind seine Bräuche. Und sehr englisch. Obwohl der Australier den amerikanischen Markt keineswegs unterschätzt.
Sagen Sie stets »How do you do?« und keinesfalls »How are you?«. Wie in England. Behaupten Sie keinesfalls, Sie seien »pleased to meet you«. Man sagt das dort ebensowenig wie in der guten amerikanischen Gesellschaft.
Lassen Sie die Hände, beide, unter dem Tisch auf den Knien, solange der Gastgeber die anderen Gäste noch bedient. Mit den kalt werdenden Speisen auf Ihrem Teller erkaufen Sie sich den Ruf der Wohlerzogenheit.
Nehmen Sie, wenn Sie einem Bekannten begegnen, den Hut nicht ab – Tippen an die Krempe genügt. Wie im geschäftig-lässigen Amerika.
Grüßen Sie keine Dame, ehe sie Sie nicht erkannt und dieses Erkennen zu verstehen gegeben hat. Wie in England.
Kritisieren Sie nichts – bewundern Sie alles.
Seien Sie konservativ – auch im Benehmen.
Sicherlich werden Sie nach Sydney kommen, vermutlich auch nach Melbourne. Sollten Sie aber der Hauptstadt Canberra, die zwischen den Australischen Alpen und den Blauen Bergen liegt, einen Besuch abstatten, dann wundern Sie sich [496] nicht, daß dort nur knapp 10 000 Menschen leben. Obwohl Sydney und Melbourne Millionenstädte sind, lieben die Australier ihr Bundesstädtchen – seine Anlage hat immerhin 50 Millionen Pfund Sterling gekostet.
Wer Australiens seltsamste Stadt sehen will, sollte nach dem Nordwesten fahren oder fliegen. Nach der Küstenstadt Broome. Seine 4000 Einwohner bilden ein buntes Völkergemisch von verwirrender Vielfalt. Filippinos und Inder, Malaien und Chinesen, Japaner – und dann und wann ein Weißer.
Die Straßen in Broome sind mit Perlmutt belegt. Hier betreibt man nämlich die Perlenfischerei. Vierzig Jahre ist es her, seit man vor Broomes Küste die bisher größte Perle fand – so groß wie ein Sperlingsei und 300 000 Mark wert.
Damals waren die Perlmuschelfischer ausnahmslos Australneger, die ohne Hilfsmittel zwanzig Meter tief tauchen konnten. Heute sind Japaner mit modernsten Tauchanzügen an ihre Stelle getreten und erreichen mühelos Tiefen bis zu fünfzig Metern.
Nehmen Sie die Gelegenheit wahr, um mit einem Perlenlugger auszufahren, von dessen Bord die Taucher in etwa vierzig Meter Wassertiefe langsam über Grund geschleppt werden und Muschelbänke suchen.
Es kann dann passieren, daß plötzlich neben dem Boot das Wasser unruhig wird, ein gurgelndes Geräusch ertönt und ein länglicher brauner Kopf erscheint. Rufen Sie dann nicht: »Achtung – Haifisch!« Es handelt sich nur um eine verspielte Seekuh. Sie hat keine Hörner, und melken kann man sie auch nicht.
Das Buch neigt sich allmählich dem Ende zu. Es ist dabei umfangreicher geworden, als ursprünglich beabsichtigt. So müssen zahlreiche Fragen der »Auslandsetikette« unbeantwortet bleiben. Allein China hätte unendlich viel Platz eingenommen. Und Japan nicht minder.
Wo hätte man hier anfangen, wo aufhören sollen?
China zum Beispiel wurde vor rund 4000 Jahren in seinem nördlichen Teil von einer sechzehn Meter hohen und acht Meter breiten Mauer umgeben. Sie war mehr als nur ein Schutz gegen Eindringlinge. Sie war und ist heute noch Symbol für die lebendige Tradition eines vieltausendjährigen Reiches, das sich hermetisch gegen abendländische Gebräuche abriegelte.
[497] Der Chinese denkt anders. Das erschwert den Kontakt. Seine Gedankengänge bleiben uns letztlich wesensfremd. Er mag sich im Laufe der Zeit zu einer gewissen Toleranz durchgerungen haben. Sie ist jedoch keineswegs gleichbedeutend mit Anerkennung.
China hat tausend Gesichter. Der Chinese hat tausend Höflichkeitsformeln. Selbst die Beherrschung eines guten Dutzends bewahrt uns noch immer nicht vor der Gefahr, 990 Male gegen chinesische Etikette zu verstoßen. Und deshalb ist es schwer, Regeln aufzustellen. Vielleicht wird man Ihnen Messer und Gabel vorlegen, vielleicht werden Sie mit Stäbchen essen müssen. Die uniforme Kleidung der chinesischen Bevölkerung von heute gemahnt an politische Strukturänderungen, die noch nicht lange zurückliegen. Sie haben sich auch auf die Gebräuche ausgewirkt. Dennoch werden Sie vielleicht eine lackierte Ente vorgesetzt bekommen oder Haifischflossen – Delikatessen par excellence. Und noch immer werden Sie ablehnen müssen, wenn man Ihnen zum Ende eines Mahles leckeren Reis serviert.
Japan ist dem Westen gegenüber aufgeschlossener. Trotz seiner Traditionsgebundenheit beobachtet es sehr genau abendländische Vorgänge und Entwicklungen. Und macht sie sich klug zunutze. Das hindert freilich nicht, am Badezeremoniell, das auch in zahlreichen Hotels gepflogen wird, festzuhalten. Eine Dienerin wird Sie betreuen. Noch immer werden Geishas beim Essen zugegen sein, wobei nicht sicher ist, daß sie hübsch sind. Auch der Blick zum Abendland hat die japanische Etikette, die unendlich kompliziert ist, nicht verdrängen können. Eines nur hat der Kontakt zur weißen Welt mit sich gebracht: das Verständnis für mangelnde Kenntnis japanischer Gepflogenheiten.
Fahren Sie getrost los – es wird schon schiefgehen, sagt man. Sicherlich haben Sie irgendwo einen Bekannten, der Sie vor groben Schnitzern – die er einst selbst beging – bewahren kann. Und wenn Sie mit einer bestimmten Aufgabe betraut werden, wird man Ihnen ohnehin Gelegenheit geben, sich vorher sehr eingehend zu informieren.
Woher sollten Sie sonst wissen, daß in Indien der Muselman den Fez trägt, der Hindu sich mit einem weißen Stück Stoff drapiert, der Sikh an einem pastellfarbenen Turban und dem dunklen Bart zu erkennen ist und der Parsi, der Eurasier und der schon europäisierte Inder tadellose Anzüge tragen? Und daß es sechzig Millionen Parias gibt, Ausgestoßene von einst, denen man dem Gesetz nach Bürgerrechte verliehen hat, die wiederum die Hindus nicht wahrhaben wollen?
Vielleicht gedenken Sie auch einen Hindutempel zu besichtigen – teils um zu erröten, teils um Shiva, Krischna oder Wischnu zu opfern. Das ist durchaus möglich, aber man muß natürlich wissen, wieviel Rupien das kostet.
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