Aloe

[30] Aloe, ist jener bekannte, starkriechende, höchstbittre gummiharzige verdickte Purgirsaft aus den Blättern verschiedner Aloearten und Abänderungen, welche in den heissesten Gegenden von Asien, Afrika und Amerika wachsen. Man theilt sie gewöhnlich in drei Sorten, in die Sukotrinaloe, die Leberaloe und die Roßaloe; wiewohl man im Handel weit mehrere Sorten von verschiedner Güte hat.

Die helle Aloe scheint blos die beste von der ersten Sorte andeuten zu sollen; die blose Durchsichtigkeit aber bestimmt nicht allein die Güte, da man von der stinkendsten Sorte auch helle Stücke aufzuweisen hat.

Die Sukotrinaloe hat ihren Namen von der Insel Sukotara, nicht weit von Java, an der Küste des glückseligen Arabiens, wo man die Pflanze dazu, welche Linné für Aloe perfoliata Var. β. hält, [und die bei Pluk. alm. 19. Tab. 240. Fig. 4. abgebildet ist,] in Menge bauet.

Die beste ist durchschimmernd roth, wie Spießglanzglas, oder wenigstens nur rothbräunlich; sie ist leicht, glänzend, von einem nicht unangenehm aromatischen, der Myrrhe ähnelnden Geruche. Das Hauptkennzeichen ihrer Güte ist, daß sie sich gänzlich, ohne Ueberrest, in Weingeist auflöset. Auch in kaltem Wasser zergeht sie fast gänzlich, und bildet ein trübes Gemisch damit, wie hefiges Bier. Ihr Pulver ist goldgelb. Sie kömmt gewöhnlich in Kürbisschalen.[30]

Vermuthlich aber bekommen wir unter gleichem Namen, durch die Holländer auch welche vom Vorgebirge der guten Hofnung, wo sie, soviel man weiß, aus den Blättern der Aloe spicata Thunb. dergestalt gewonnen wird, daß man die frisch abgeschnittenen Blätter in einem Fasse senkrecht auf ein andres unten liegendes großes Aloeblatt aufstellt, und so den Saft, welcher unter der Schale der Blätter hervorquillt, von selbst ohne mit den Händen zu drücken, auströpfeln, und dann blos an der Sonne in flachen Gefäsen von selbst eintrocknen läßt.

Auf Barbados und Jamaika macht man zwar eine ähnliche gute Sorte aus den Blättern der bittersten Aloeart, der Aloe elongata Murr. [Comment soc. Goetting. 1788. Tab. 2.] auf ähnliche Weise; man ist aber daselbst genöthigt, die Blätter in kleinere Stücken zu zerschneiden, und sie mit den Händen zu drücken, wenn sie ihren Saft gehörig von sich geben sollen.

Die Leberaloe, als die gemeinste, wird von verschiedenen Abänderungen der Aloe perfoliata (Linné meint, größtentheils von Var. α. [Rheed. malah. 11. p. 7 T. 3.]) gewonnen, sowohl auf dem Kap, als in Barbados und Jamaika, von woher wir die meiste erhalten, in Massen zu 1 bis 20 Pfund, da hingegen die Bewohner vom Vorgebirge der guten Hofnung Massen zu drei und mehrern Zentnern daraus bilden. Der Saft zu dieser Sorte wird in Kesseln über dem Feuer eingedickt. Am besten löset sie sich in versüßtem Salpetergeiste und in Branntwein auf. Weingeist oder Wasser allein lassen viel unaufgelöset am Boden des Gefäses zurück. Ihr Geruch ist safranartig, bitter, widrig. Sie ist braun, undurchsichtiger, von stärkerem, unangenehmeren Geruche, bitterem Geschmacke, trockner und schwerer als die erste Sorte, etwas glänzend, bricht in ebene Stücken, und giebt ein rothgelbes Pulver.

Eine schlechtere Sorte, welche oft weich und klebricht ist, bekömmt man in Kisten von Barbados; sie riecht übel und bränzlicht.

Die Roßaloe, welche fast nur in der Vieharznei gebraucht wird, soll nach Linné von Aloe perfoliata Var. γ. kommen. Ob und wie sie eingekocht werde, oder ob sie nur den Bodensatz von der an der Sonne eingetrockneten Sorte ausmache, ist uns unbekannt. Sie riecht unter den Aloesorten am stärksten und stinkendsten, ich schwärzlich, wie Pech, hat rostfarbne Flecken und kleine Höhlungen auf ihrer Oberfläche, und Kohlen, Stroh, Holzsplitter, Sand und Schalen in ihren unreinen Mischung.

Die Aloe ist ein sehr gebräuchliches, erhitzendes, Leib eröfnendes Mittel. Man weiß noch nicht, welche Verschiedenheit zwischen der Sukotrinaloe und der Leberaloe in Absicht auf ihre Wirkungen statt finde, oder ob überhaupt die Kraft der erstern vorzüglicher als die der letztern sey. Erstere nimmt man am liebsten zu Tinkturen, letztere am liebsten, wenn sie in trockner Form verordnet wird. Sie bringt fast nie mehr als Einen Stuhlgang zuwege, man mag sie zu ein bis zwey, oder zu zwanzig Granen geben; ist die Gabe größer, so purgirt sie, aber mit Kneipen in den[31] Gedärmen. Immer ist ihre Wirkung, so gewiß sie auch ist, doch nur langsam, und erfolgt selten unter zehn bis zwölf Stunden. Sie macht durch ihren vorzüglich auf den Mastdarm gehenden Reitz eine örtliche Vollblütigkeit in der Unterbauchgegend, und bringt daher oft die Goldader und eine stärkere Ausleerung der Monatreinigung zuwege. Aeusserlich in Auflösung kommt ihre fäulnißwidrige und balsamische Kraft in Geschwüren der Myrrhe nahe, und hiezu schätzt man die Leberaloe am meisten.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 1. Teil, Leipzig 1793, S. 30-32.
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