Gährung

[323] Gährung, (Fermentatio) ist eine durch die Natur allmälig veranstaltete innere Zersetzung und Umänderung flüssiger oder feuchter Substanzen bei mäßiger Wärme in eine andre verschiedne.

Die weinichte Gährung bringt eine berauschende Flüssigkeit, worin Gewächssäure mit brennbarem Geiste innig zu einer Mittelsubstanz verbunden und gleichsam neutralisirt oder versüßt ist, hervor aus einer Flüssigkeit, deren wesentliche Ingredienzen Wasser, weniger als ein Drittheil Zuckerstoff, hervorstehende Weinstein- oder Aepfelsäure, und etwas Gewächsgluten ist. Diese allmälige, mit Trübheit, steigender innern Wärme, und brausender Entwickelung einer Menge Luftsäure verbundene Bewegung erfolgt am besten in einer Wärme von 10° bis 18° Reaum. selbst ohne Zutritt der atmosphärischen Luft. Allmälig vergeht diese innere Bewegung und Wärme, die als Schaum oben aufsitzenden Hefen zertheilen sich und sinken zu Boden, die vorher trübe Flüssigkeit wird hell und hat einen weinartigen Geruch und Geschmack angenommen; eine Flüssigkeit, welche, genau vor dem Zutritt der äußern Luft verwahrt, sich Jahre lang in diesem Zustande erhält.

Die Alten bedienten sich dieser Operation, um verschiedne Gewächse, wie sie es nannten, aufzuschließen, ehe sie die destillirten Wässer daraus destillirten. Sie nannten es Mitgährung (confermentatio).

Zu diesem Ende nahmen sie die zerquetschten frischen oder zerkleinten trocknen Gewächstheile, und mischten sie zu einer gährungsfähigen Flüssigkeit, Bierwürze, Most, aufgelöseten Zucker oder Honig u.s.w., oder sie hiengen sie, in einen leinenen Beutel eingeschlossen, darein, und ließen die Weingährung bei gehöriger Wärme zu Ende gehen, da sie dann aus der entstandnen Flüssigkeit den brennbaren Geist übertrieben, und ein mit den kräftigsten Theilen der zugesetzten Gewächssubstanz geschwängertes destillirtes Wasser erhalten zu haben wähnten; eine Arbeit, welche, wie es scheint nicht mit Unrecht, fast gänzlich abgekommen ist.

Die officinellen Gäste vor dieser Gährungszersetzung (der Weingährung) zu verwahren, dienet die Reinigung derselben von aller Trübheit und hefiger Substanz, ein Zusatz von Weingeiste, oder Vitriolsäure, die Aufbewahrung in einer Kälte unter 9° Reaum. am wirksamsten aber, wo es sich thun läßt, die Entwässerung oder Konzentration bis zu einem spezifischen Gewichte von 1,200 bis[323] 1,350 am wenigsten die Entfernung der freien Luft.

Die Essiggährung ist der von selbst erfolgende Uebergang einer weinartigen Flüssigkeit in jenen Zustand der vegetabilischen Säure, die wir Essig nennen (w.s.). Sie erfolgt am besten bei einer angemessenen Wärme (von 65° bis 75° Fahr.) und bei mechanischer Bewegung der Flüssigkeit. Der Zutritt der freien atmosphärischen Luft ist dabei unentbehrlich. Die vorher helle Flüssigkeit wird trübe, nimmt einen Sauerteigsgeruch an, wird wärmer als die Temperatur der Luft (woraus sie den dephlogistisirten Theil in sich zieht), läßt ein singendes, zischendes Geräusch hören, und setzt eine schleimige Haut auf der Oberfläche ab, welche endlich ganz zu Boden sinkt, da dann der reinsaure Geruch und die Aufhellung die Vollkommenheit des entstandnen Essigs andeutet.

Weinichte Flüssigkeiten vor diesem Uebergange in Essig zu verwahren, dienet die möglichste Absonderung der Hefen, die kühle Aufbewahrung (unter 9° Reaum.), am wirksamsten die genaueste Absonderung von der äußern Luft, und die Ruhe.

Die Fäulnißgährung ist die allmälige, unter erhöheter innerer Wärme von selbst entstehende Veränderung vegetabilischer, (reichlich mit Gluten versehener, vorher in Schimmelverderbniß übergegangener), vorzüglich aber thierischer Substanzen in eine stinkende Feuchtigkeit, wobei sich zuletzt Ammoniaklaugensalz entwickelt. Wärme, Feuchtigkeit, Zutritt der freien Luft sind äußere Bedingnisse derselben, so wie vegetabilischer oder thierischer Leim in den Substanzen zugegen seyn muß, wenn Fäulniß erfolgen soll.

Sie wird verhindert, durch adstringirende Stoffe aus dem Gewächs- und Mineralreiche, Küchensalz, Salpeter, Säuren, Weingeist u.s.w., am wirksamsten aber durch Kälte, die dem Gefrierpunkte wenigstens nahe kömmt, durch Hitze über 35° Reaum. und durch völlige Austrocknung der zu verwahrenden Substanz.

Diese verschiednen Gährungen werden befördert durch Gährungsmittel.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 2. Teil, Leipzig 1795, S. 323-324.
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