Niederschlagung

[131] Niederschlagung (Fällung, praecipitatio) ist die Abscheidung einer Substanz in fein zertheilter oder pulverichter Gestalt aus ihrem Auflösungsmittel, entweder 1) nach Zusetzung einer neuen Substanz, welche die aufgelösete ändert, oder 2) nach Veränderung der Natur des Auflösungsmittels. Die abgesonderte Substanz nennt man Niederschlag, Präzipitat (praecipitatum, magisterium) und wenn sie oben auf der Flüssigkeit erscheint, zuweilen Rahm (Cremor); die Anschießung eines aufgelöseten Salzes zu Krystallen aber, das Niedersinken der Trübigkeit einer Flüssigkeit zum Bodensatze, mit oder ohne Beihülfsmittel, und die Abdampfung einer Lauge bis die aufgelösete Substanz als ein fester Körper übrig bleibt, alle drei Ereignisse werden nur sehr uneigentlich zur Niederschlagung gerechnet.

Im erstern Falle also, wo eine aufgelösete Substanz durch Zusatz einer fremden Substanz (Niederschlagsmittel, praecipitans) niedergeschlagen, d.i. dergestalt geändert werden soll, daß sie sich in fester, obgleich fein zertheilter Gestalt, als Präzipitat absondern muß, ist oft eine doppelte Wahlanziehung zwischen den Bestandtheilen des erstern und denen des zweiten Körpers nöthig. Um z.B. die Kalkerde aus dem aufgelöseten Gypse[131] mit Zuckersäure oder Phosphorsäure niederzuschlagen, reicht der Zusatz der freien Säuren dieses Namens nicht zu, sind sie aber mit einem Laugensalze vorher neutralisirt worden, dann wird erst die Summe der Wahlanziehungskräfte der Phosphorsäure gegen die Kalkerde und des (mit der Phosphorsäure gesättigten) Laugensalzes gegen die Vitriolsäure größer als die Summe der Zusammenhangskräfte der Vitriolsäure mit der Kalkerde und die der Phosphorsäure mit dem Laugensalze. Nun erst fällt phosphorsaurer Kalk nieder, und die neutralisirte Vitriolsäure bleibt aufgelöst.

Oft geschieht der Niederschlag dieser Art durch, obwohl akzidentelle, doppelte Wahlanziehung, wo schon eine einfache Wahlanziehung zugereicht hätte und diese schon allein den hinlänglichen Grund der entstehenden Veränderung (der Niederschlagung) ausmacht. Wenn aus der Quecksilbersalpeterauflösung der weiße Präcipitat durch zugesetztes Kochsalz gefället wird, so bewirkt diesen Niederschlag einzig die im Kochsalz befindliche Kochsalzsäure; sie allein fällt schon das Quecksilber aus der Salpetersäure, und die Anziehungskraft des Laugensalzes im Kochsalze zur Salpetersäure ist hier eine überschüssige Kraft. Man kann also in diesen Fällen sagen, daß zwar eine doppelte Zersetzung sich ereignet, daß aber der Niederschlag von einer einfachen Wahlanziehung in diesem Prozesse abhange.

Wo der Niederschlag durch Zusatz eines einfachen Körpers entsteht, sieht jeder schon selbst ein, daß es durch einfache Wahlanziehung erfolge; so, wenn die zu einer Bleizuckerauflösung getröpfelte Vitriolsäure einen Bleivitriol niederschlägt. Eben so erhält die kaustische Kalkerde im Kalkwasser, wenn letzteres an freier Luft stehen bleibt, einen Stoff aus der Luft, der sich mit dem kaustischen Stoffe im aufgelösten Kalke zu Kohlensäure verbindet und so luftsaure Kalkerde bildet, ein in Wasser unauflösliches Produkt, das sich anfangs als Rahm oben auf dem Wasser ansetzt.

Welche Substanzen sich aber aus ihrer Auflösung fällen lassen, und welchen Zusatzes man zur Präzipitation bedürfe, giebt die Absicht der Arbeit an die Hand, und die pharmazeutische Chemie, insbesondre die Verwandtschaftstabelle, lehrt die dazu tauglichen Körper und ihre Prioritäten kennen.

Der zweite Fall hingegen, wo die Fällung nach Veränderung der Natur des Auflösungsmittels erfolgt, ist oft unkenntlicher. Eine geistige Tinktur läßt ihr Harz fallen, wenn sie an der freien Luft oder an der Wärme steht, weil da aus ihr der Geist entweicht, und die übrige Wässerigkeit kein Auflösungsmittel des Harzes ist. So fällt Kalkerde aus dem Brunnenwasser und Eisenkalk aus dem mineralischen Stahlwasser nieder, wenn beide an der Luft oder in der Wärme gestanden haben, weil das Auflösungsmittel seine Natur verändert hat und die Kohlensäure daraus entwichen ist. So fällt aus dem mit Zusatz von Schwefel geschmolzenen güldischen Silber das Gold zum Boden des Tiegels, weil die Natur seines Auflösungsmittels, des Silbers, verändert[132] ist und Gold in einem geschwefelten Metalle nicht aufgelöst bleiben kann. (Dergleichen Niederschläge nennt man die auf trocknem Wege, praecipitatio via sicca, die obbenannten aber, Niederschlag auf nassem Wege, praecipitatio via humida). So verdickt sich im gemeinen Salmiakgeiste auf Zusatz von Weingeist das Ammoniaklaugensalz zu einem weißen Klumpen (ossa Helmontii) und aus der geistigen Kampferauflösung fällt auf Zusatz von Potaschlaugensalz der Kampher nieder, weil im erstern Falle das kohlensaure flüchtige Laugensalz nicht in einer geistigen, im zweiten aber, der Kampher nicht in einer laugensalzigen Flüssigkeit aufgelöset bleiben kann. So fällt aus der säuernden Milch der Käse zu Boden, nachdem die Natur seines Auflösungsmittels, das ihn vorher zu gleichartiger Milch verbunden und aufgelöst erhielt, verändert und dasselbe zur Säure geworden ist, worin vorzüglich wenn es Gewächssäure ist, im Kalten kein vegetabilischer Gluten, kein Eiweisstoff, kein Käse sich auflösen, oder aufgelöst erhalten läßt. So fällt der Zink aus seiner Auflösung in Salpetersäure nieder auf Zusatz von Weingeist, der die Natur des Auflösungsmittels ändert, und der Wismuth aus eben der Säure auf Zusatz von Wasser, welches die Säure mehr verdünnt als zur Auflösung dieses Metalls erforderlich ist, also aus einem ähnlichen Grunde, oder vielleicht auch zugleich aus einer uns noch unbekannten Ursache.

Einige Präzipitationen kennt man nämlich blos als Thatsache, ohne daß die chemischen Gründe des Erfolgs bekannt wären. So schlägt Schleim von arabischem Gummi das Metall aus dem Quecksilbersalpeter nieder, wie schon Bergman sahe, ohne daß wir die Ursachen dieser Veränderung wissen. So fällt das Algarottipulver aus der gewöhnlichen Spießglanzbutter auf Zusatz von Wasser nieder, aber nicht aus der nochmals übergetriebnen Spießglanzbutter, ohne daß wir diesen entgegengesetzten Erfolg erklären könnten; es müßte denn eine stärkere Oxidation des Metalls bei der Rektifikation vorgehen, und letztere Erscheinung bewirken. Eben so wenig ist bekannt, warum die Platina aus dem Königswasser durch Salmiak präzipitirt wird, und so noch mehrere unerklärbare Niederschläge. Die Absonderung des Käses aus der Milch durch Erhitzung mit darunter geschlagenem Eiweiße ist ebenfalls nicht ganz deutlich; wenn man nicht annehmen will, daß das der Natur des Käses ähnliche Eiweiß sich jenem bei der Vermischung aneigne, und so bei seiner Gerinnung in der Hitze den Käse zugleich mit in Gerinnung setze – und daß der Käse in der frischen Milch mehr in emulsionartiger Suspension als in eigentlicher Auflösung vorhanden sei. Die Entfärbung und Geruchlosmachung einiger Flüssigkeiten durch Digestion mit Kohlenpulver ist eine wahre, obgleich noch nicht enträthselte Präcipitation. Da zugleich die Zähigkeit solcher Laugen sich mindert oder vergeht und jene oft auf einem Gluten beruht, so scheint letzterer wenigstens durch die Kohle angezogen und dadurch zugleich Farbe und fremder Geruch[133] mit gebunden zu werden; nach welchem Naturgesetze aber? ist uns noch unbekannt.

So viel über das Wesen des Vorgangs bei Niederschlagungen.

Was nun den Erfolg, oder den Niederschlag selbst anlangt, so sieht man schon aus dem obigen, daß die Niederschläge zweierlei Art seyn müssen, entweder ziemlich oder völlig ungeändert aus ihren Auflösungen abgeschiedene Substanzen, oder solche, die durch das Niederschlagsmittel oder Präzipitans geändert worden sind.

Die erstere Art der Niederschläge kömmt nicht häufig in der Pharmazie vor. Man sondert aus dem schmelzenden Spießglanze (dem geschwefelten Spießglanzmetalle) das Metall ab, wenn man metallisches Eisen hinzusetzt, welches ein stärkeres chemisches Recht hat, sich den Schwefel zuzueignen; man destillirt das Quecksilber aus dem Zinnober, wenn man Eisenfeile zu letzterm gesetzt hat, zu welchen der Schwefel des Zinnobers mehr Aneignungskraft als zum Quecksilber besitzt; das in Vitriolsäure mit Küchensalz versetzt aufgelösete Zinn kömmt in metallischer Vegetation wieder zum Vorscheine, wenn man einen Stab Kupfer hineinlegt, und letzteres hinwiederum, wenn man in diese Kupferauflösung einen blanken Eisenstab legt; so sondert sich aus der Silbersalpeterauflösung das Metall in glänzender Gestalt (Dianenbaum) ab, wenn Quecksilber hinzugefügt wird; das Jalappharz wird in reiner Gestalt aus der Tinktur abgeschieden, wenn man aus letzterer in der Destillation den Geist absondert und die Flüssigkeit noch mit Wasser verdünnt, und ebenfalls durch Verdünnung mit Wasser werden die geistigen Auflösungen der ätherischen Oele entweder nach dem Boden zu, oder obenauf abgeschieden, je nachdem sie schwerer oder leichter waren; das mit Benzoe gekochte Laugensalz läßt auf Zusatz von Kochsalzsäure die Benzoesäure rein und unvermischt, und die geistige Kampherauflösung den Kampher in natürlicher Verfassung niederfallen, wenn Wasser zugemischt wird.

Die zweite Art der Niederschläge, wo der aufgelösete Körper durch die Präzipitation geändert wird, und einen neuen Bestandtheil annimmt, kommen häufiger vor. So fallen die aufgelöseten metallischen und erdigen Salze mit Laugensalzen präzipitirt, entweder mit Kohlensäure, wenn das Laugensalz mild war, oder mit Kaustikum verbunden nieder, wenn das Laugensalz kaustisch war. Sie fallen mit Vitriol- oder Salzsäure vereinigt nieder, wenn der Zusatz diese Säuren enthielt und der metallische oder erdige Stoff von der Art war, sich von diesen Säuren präzipitiren zu lassen, das ist, unauflösliche Körper oder schwerauflösliche Salze mit ihnen zu bilden, die nicht weiter in der Flüssigkeit aufgelöst erhalten werden können. Blos das mit Salmiak bereitete Goldpräzipität besitzt eine knallende, zerplatzende Eigenschaft. Der rosenrothe Niederschlag des Quecksilbers mittelst Urins deutet auf einen ganz andern durch die Präzipitation erhaltenen neuen Bestandtheil, als der gelbe Quecksilberniederschlag, durch Vitriolsalze bewirkt, und der[134] schwarze Präzipitat aus Silbersalpeterauflösung mittelst Schwefelleber giebt eine ganz andre Beimischung zu erkennen, als der hochgelbe aus eben dieser Auflösung mit Phosphorsalzen präzipitirt. Ein Kenner der Chemie weiß in allen diesen Fällen, was er vor sich hat.

Was nun endlich die Handanlegung selbst betrifft, so lassen sich alle zu jeder besondern Niederschlagung nöthigen Handgriffe unmöglich hier verzeichnen. Blos einige Fälle stehn hier am rechten Orte.

Bei der Präzipitation der Erden und Metallkalke aus ihren Auflösungen durch milde Laugensalze sehe man dahin: 1) daß man vom Laugensalze so lange zutröpfle, als noch ein Niederschlag erscheint, unter stetem Umrühren der Flüssigkeit, um das Präzipitans in genaue Gemeinschaft mit der niederzuschlagenden Substanz zu setzen (der völlig zu Boden gesunkene Niederschlag wird, von der überstehenden Lauge durch sachtes Abgießen befreit, und auf einem Seihetuche vollends abgetröpfelt, wie an andern Orten gelehrt worden, öfters mit reinem Wasser durchrührt und so lange ausgesüßt bis das Wasser keinen salzigen Geschmack mehr annimmt und dann getrocknet); 2) daß man keine Metallauflösungen mit überschüssiger Säure durch kohlensaures Laugensalz zu fällen suche, weil die übergroße Menge des zur Neutralisirung der Säure gehörigen Laugensalzes in diesem Falle so viel Luftsäure entwickelt, daß wenig oder nichts vom Metallkalke niederfällt oder als Präzipitat liegen bleibt, sondern fast völlig von der in der Lauge frei gewordenen Luftsäure wieder aufgelöst wird – welches man besonders bei übersauren Kupfer-Quecksilber- und Zinkauflösungen wahrnimmt; 3) daß man aus letzter Ursache, auch völlig gesättigte Metallauflösungen, vorzüglich die letztgedachten, vorher bis zum Siedepunkte des kochenden Wassers erhitze, ehe man ihre Präzipitation mit luftvollen Laugensalzen unternimmt, damit die überschüssige Menge der sich entwickelnden Kohlensäure, welche von der Kohlensäurung der Metallkalke zu unauflöslichen Präzipitaten, in der Lauge übrig bleibt, den Präzipitat nicht zum Theil wieder auflöse, sondern durch die Hitze der Lauge zeitig in die Luft getrieben werde, und so das beabsichtete Präzipitat ungehindert niederfallen und die überstehende Lauge wasserhell und metallfrei werden lasse – ein Stein, woran viele Pharmazeuten straucheln (aus eben dieser Ursache muß auch die Auflösung des Bittersalzes zur Niederschlagung der Magnesie kochend heiß erhalten werden, weil sonst die meiste Erde, von der entbundnen Luftsäure wieder aufgelöst, in der kalten Flüssigkeit zurückbleibt); 4) daß, um recht feine Präzipitate zu erhalten, Lauge und Präzipitationsflüssigkeit stark verdünnt seyn müssen; 5) daß die Niederschlagsmittel so rein als möglich und genau das seyn müssen, was sie seyn sollen, daß man kein mit Kochsalz und Vitriolweinstein stark verunreinigtes mildes Gewächslaugensalz, und wenn es kaustisches (fixes oder flüchtiges) seyn soll, kein mit Luftsäure verbundenes[135] dazu nehme; und 6) daß man aus den nach der Präzipitation übrigen Laugen die Salze wieder zu gewinnen, und zu gute zu machen suche, aber die darin befindlichen Neutralsalze, wenn ein Metallkalk daraus niedergeschlagen worden, nicht eher für rein halte, als bis zugetröpfelte Schwefelleberauflösung die Farbe nicht mehr ändert. Blei- und Quecksilberauflösungen lassen, zum Beispiele, noch ein Ansehnliches unpräzipitirt in der Lauge, wenn der Niederschlag durch Kochsalz, oder dessen Säure, und fast alle Metallauflösungen, wenn sie mit mildem Laugensalze gefället worden. So bleibt auch noch viel Metall in der Auflösung des kochsalzsauren Spießglanzes und des Wismuthsalpeters, wenn man sie auch durch Zugießung einer noch so großen Menge Wassers heraus präzipitirt zu haben glaubt.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 1. Teil, Leipzig 1798, S. 131-136.
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