Rizinuswunderbaum

[60] Rizinuswunderbaum, Ricinus communis, L. [Zorn, pl. med. tab. 131] mit schildartigen, fast handförmigen, sägeartig gezahnten Blättern, welche wie der Stamm mehrfarbig sind, ein mittelmäßiger Baum, in den heißen Erdstrichen, und im südlichen Europa einheimisch, welcher in unsern Gärten zur ein- und zweijährigen, fünf bis sechs Schuh hohen Pflanze wird.

Jede der rundlichten, mit saftigen, weichen Stacheln besetzten, haselnußgroßen, dreifächerigen Samenkapseln enthält in jeder ihrer drei Fächer einen länglichten von beiden Seiten platten, einer kleinen Zuckerbohne großen Samenkern, (Purgirkörner, Sem. Ricini vulgaris, Cataputiae majores, richtiger aber Catap. mediae, um sie sorgfältig von den Samen der Schwarzbrechnuß zu unterscheiden, die in ältern Zeiten ebenfalls Cataputiae majores hießen) welcher unter einer glänzenden, braun und grün gestreiften, mit einer hervorstechenden blaßgelben Narbe versehnen, zerbrechlichen Schale einen weißen, (mit einem weißen, geschmacklosen Häutchen umkleideten) zweitheiligen, fetten Kern enthält, von bitterm, schärflichtem, beißendem Geschmacke, welcher lange im Gaumen hängen bleibt. Auf zwei Wegen erhält man ein fettes Oel (Oleum Ricini, Ol. de Kerva, de Cherva, Oleum Palmae Christi, uneigentlich Oleum Palmae liquidum genannt) daraus. Man zerstampft entweder die auf einem Digestorium getrockneten, noch warmen, von ihrer Schale in einem hölzernen Mörsel mit hölzerner Keule befreiten Kerne so vor sich in einem steinernen Mörsel, und kocht die Masse mit sechs bis achtmahl so viel Wasser in einem irdenen Gefäße so lange, als noch Oel auf die Oberfläche steigt, welches man mit einem Löffel abnimmt, woraus zwar[60] (oft die Hälfte der Kerne) an Oele gewonnen, aber der Ranzigkeit sehr unterworfen befunden wird. Auf die andre Weise wird das Oel durch bloßes Auspressen der Kerne erhalten, wenn man die Samen nach vorgängiger völliger Trocknung (damit der Schleim darin verhärte, und die Abscheidung des Oels nicht hindre) entweder, wie oben gesagt, enthülset, oder auch mit der Schale (in welcher die meiste Purgirkraft liegt) so ganz und unzerstoßen kalt in einem härnen Sack eingeschlossen zwischen zwei erwärmten Platten der Presse unterwirft, da man dann ein weißes, oder grünliches, im frischen Zustande etwas trübes und zähes, sonst geruchloses, schwach schmeckendes Oel, (gewöhnlich 3/14 bis 5/14 an Menge), erhält, welches in der stärksten Kälte nicht gerinnt, und das schwerste unter allen ausgepreßten Oelen, von 9612 spezifischem Gewichte ist. (Sind die Samen nicht recht trocken gewesen, so wird das Oel salbenähnlich dick und blaßgelb an Farbe.) Durch das Alter wird es dicklicher und bekömmt die Konsistenz des Honigs.

So ist es mit dem Oele aus dem selbst gezogenen Samen dieser Pflanze beschaffen.

Einige haben sich aus Amerika Samen zu diesem Behufe kommen lassen, und (vermuthlich wegen des schwankenden Nahmens Sem. Ricini majoris, oder Cataputiae majoris) einen etwas größern in glatten, wallnuß großen Fruchtbälgen enthaltenen Samen bekommen, von dem Ricinus inermis, Jacq. [Jacquin, Misc. austr. II. Icon. rar. tab. 28. S.] einen Baume, der sich von ersterm durch Drüsen an den Blattstielen und stachellose Samenkapseln unterscheidet. Dieser gewöhnlich alte Samen giebt aber ein flüssiges, etwas ranziges Oel, daher es immer Pflicht des Apothekers ist, zumahl da auch das von auswärts gekaufte Oel oft ranzig ist, sich die Samen selbst zu ziehen, und selbst das Oel daraus zu pressen, um von der Güte eines Arzneimittels überzeugt zu seyn, welches man zuweilen in sehr schwierigen Fällen anzuwenden pflegt; man müßte denn den Samen von Ricinus inermis frisch zu erhalten wissen, wie die Engländer, welche daraus gewöhnlich ihr castor-oil pressen. Beide Samen scheinen in frischem Zustande gleiche Arzneikräfte zu besitzen. Die Verdorbenheit des Rizinussamens erkennt man an dem Hanfsamen ähnlichen Geschmacke.

Man giebt das Rizinusöl am besten in kleinen Gaben auf einmahl, um Uebelkeit und Erbrechen zu vermeiden, Erwachsenen etwa zu einer halben Unze (einem Eßlöffel voll) alle Stunden. Vor sich und ohne Zusatz nehmen es wenig Menschen gern ein. Oft reibt man es mit einer gleichen Menge Zucker zum Oelzucker, oder mit einem Sirup oder Honig zusammen, wie etwa für Kinder; angenehmer noch, wenn auch etwas Zitronsaft zugesetzt wird. Auch giebt man es mit Eidotter (auf zwei Unzen Oel ein Dotter) abgerieben und in Pfeffermünzwasser zur Emulsion aufgelößt. Mit der doppelten Menge Schleim[61] von arabischem Gummi zur Emulsion gerieben, und etwas Sirup darunter, scheint es eine noch einfachere Form zu seyn. Doch geben es die Engländer, welche am meisten Erfahrung mit diesem Mittel haben, wie mich deucht, am zweckmäßigsten bloß auf etwas Pfeffermünzwasser schwimmend ein.

Es wird mit großem Nutzen in mehrern Arten von Kolik, besonders der von Nierensteinen und Bleivergiftung gegeben; den Bandwurm (Taenia lata) hat es nicht nur in Verbindung anderer Mittel, sondern sogar allein abgetrieben. In hartnäckiger Leibesverstopfung, selbst in der Darmgicht ist es ein schätzbares Mittel, vorzüglich da es unter die schnellwirkendsten Abführungsmittel zu rechnen ist; auch in der Ruhr hat man Dienste davon gehabt.

Auch in abführenden Klystiren hat man es verordnet.

Der Samen selbst ist bloß in der ältern rohern Praxis als Abführungsmittel gegeben worden, bis zu sechs Gran auf die Gabe; aber schon ein Paar Körner sind eine gefährliche Gabe, wenn sie noch mit ihrer Hülfe umkleidet sind. Sichrer und empfehlenswerther wäre es, den abgeschälten Samen zur Emulsion bereitet und durchgeseihet zu verordnen.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 60-62.
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