Schlafmohn

[150] Schlafmohn, Papaver somniferum L. [Zorn, pl. med. tab. 371.] mit glatten Fruchtdecken, und eingeschnittenen, Stengel umfassenden Blättern, ein auf vier Fuß hohes Sommergewächs, welches in Asien einheimisch, im July in unsern Gärten und Feldern blüht.

Man hat zwei Abänderungen davon, den unter dem Kapseldeckel offenen und den verschlossenen, aus dem die Samen nicht frei heraus geschüttelt werden können. Der erstere enthält einen weißen Samen (Sem. Papaveris albi) welcher theils zu Emulsionen, theils zur Auspressung des Oels (Ol. papaveris), wovon man ein Viertel des angewendeten Samengewichtes erhält, genutzt wird. Der verschlossene Mohn enthält schwarzen Samen (Sem. Papaveris nigri), welcher eine gleiche Menge Oel enthält, wiewohl es nicht daraus gepreßt zu werden pflegt, und seine Samenkapseln (Capita, Capitula, Capsulae Papaveris) werden in Offizinen aufbewahrt.

Aus der angeritzten, unreifen Fruchtkapsel beider Sorten dringt ein dicklicher Milchsaft, welcher in jenen heißen Gegenden bald antrocknet, und so, vorzüglich in Natolien, Persien, Aegypten und Ostindien als das Gummiharz gesammelt wird, welches man in jenen Gegenden Maslac nennt. Dieses scheint allerdings die bei uns im Handel gewöhnliche Sorte guter Mohnsaft (Opium) zu seyn, welcher wohl nicht durch Kochen und Auspressen der Mohnköpfe und Eindickung der Brühe erhalten werden mag, wie Viele gewähnt haben, weil das Kochen und Eindicken ein weniger riechbares, unkräftigeres, schwereres, dunkelfarbigeres und zäheres Produkt, (Meconium von den Alten genannt) giebt, als unser Mohnsaft ist. Der gute Mohnsaft ist gleichförmig in seinen innern Theilen, mit harzigen Flimmerchen, ohne Unreinigkeiten, rothbraun, ziemlich zähe, leicht, von sehr bitterm, eignem, auffallendem, hitzigem Geschmacke, und stark betäubendem, kräftigem Geruche, der nichts brandiges hat, und brennt ans Licht gehalten schnell. Naß gemacht auf Papier gestrichen, giebt es einen hellbraunen, wenig zusammenhängenden Strich. Das verfälschte giebt einen zusammenhängenden Strich, ist dunkelbraun, auch wohl mit Sand vermischt, ohne Flimmer inwendig, brandig im Geruche und schwerer. Wir bekommen den Mohnsaft in Stücken, welche vier bis zwölf Unzen wiegen, mit einigen Pulvern bestreut, das Ankleben zu verhindern, und in verschiedenartige Blätter gehüllt, in Blätter von Mohn, Tabak, oder einer Art Mengelwurzel. Ehedem ward er am besten aus der Gegend von Theben in[150] Aegypten gebracht (Opium thebaicum); jetzt aber heißt ein jeder gute Mohnsaft so, da er eben so gut aus andern Gegenden kömmt.

Mit rektifizirtem Weingeiste und trocknem Wein steinlaugensalze gerieben, (wo blos das Harz aufgelöst wird, indeß der Schleim mit dem Laugensalze am Boden bleibt) zeigt sich, daß der Mohnsaft zum größten Theile aus Harz besteht, Branntwein löst ihn bis auf die Unreinigkeiten völlig auf, Harz und Schleim zugleich.

Beim Aufgusse in kochendem Wasser zeigt sich, daß der Mohnsaft noch 1/64 bis 1/42 seines Gewichts an schaumicht öligem, zähem, stark riechendem Wesen obenauf von sich giebt, in welchem der riechbare, fast einzig wirksame Theil des Mohnsaftes enthalten zu seyn scheint, da lezterer durch langwieriges Kochen und Digeriren eben dieselbe Menge an Gewichte und zugleich seine Kräfte verliert, worauf man dann nichts mehr von jener ölichten Materie gewahr wird. Das vom Mohnsaft in der wässerigen Destillation übergehende Wasser ist starkriechend, und scheint diesen wirksamsten Theil des Mohnsaftes zu enthalten. Man sieht hieraus, warum die Mohnsaftextrakte immer kaum halb so kräftig als das rohe Opium sind.

Es giebt beinahe kein Arzneimittel, was so häufig von Aerzten in fast jeder Krankheit gebraucht würde, als der Mohnsaft. Da ein Arzneimittel aber nur für einige Krankheitsfälle passen kann, so sieht man leicht, daß er unendlich öfterer, am unrechten Orte angewendet, das ist, gemißbraucht werde. Der Mohnsaft erregt bei Ungewöhnten in mäßiger Gabe zuerst Kälte, langsamen Puls, Schwierigkeit der Bewegung, verminderte Empfindung, Unbesinnlichkeit, Unruhe, Schläfrigkeit, Schlaf mit Schnarchen, dann schnellern, vollern Puls als in gesunden Tagen, Hitze, Muth, erhöhete, angenehme Phantasie, Schweiß, Leibesverstopfung, und es bleibt hinterdrein Unzufriedenheit, Frostigkeit, Schwächlichkeit, erhöhete krankhafte Empfindlichkeit, und Galliurgeszenz zurück. Bei daran Gewöhnten fällt die erstere Wirkung weg, die Nachwehen aber vermehren sich allmählich, so daß Stupidität, Schüchternheit, Trägheit, Lebensüberdruß, Magerkeit, Schwäche, Leute charakterisirt, die Jahrelang den Mohnsaft gemißbraucht haben. In allzu großer Gabe tödtet der Mohnsaft leicht binnen wenigen Stunden unter großer Unruhe, Unbesinnlichkeit, eingefallenem Gesichte, Kälte, kaltem Schweisse, langsamem Schnarchen, seitwärts gedrehtem Kopfe, offnen, aufwärts gekehrten Augen und Konvulsionen. Die Fälle, wo er hülfreich ist, sind nicht völlig aufs Reine. Er scheint hülfreich in den Zufällen von Schreck, in den Nervenfiebern robuster Personen mit Unruhe, Unbesinnlichkeit, Schlaftrunkenheit, Irrereden, Reden und Schnarchen im Schlafe, u.s.w. im Sinken der Kräfte und Nervenfiebersymptomen bei Blattern, im Nervenfieber bei der Ruhr, bei soporösen Wechselfiebern, vermuthlich auch in tonischen[151] Krämpfen, örtlichen Paresen und örtlichen Entzündungen, folglich in einigen Fällen der Ruhr, der Bleikolik, der Darmeinklemmung, des Seitenstichs, bei einigen Augenentzündungen, bei chronischer Neigung zur Leibesverstopfung, u.s.w. In solchen wohlunterschiednen Fällen kann man den in kleiner und mäßiger Gabe gebrauchten Mohnsaft als Heilmittel ansehn. Bei einigen entgegengesetzten Zufällen aber, von kurzdauernder Natur kann er zwar auch mit Glück als Palliativ angewendet werden, worunter einige große Schmerzen, Husten, Krämpfe, Durchfälle, Schlaflosigkeiten, Blutflüsse gehören, wo weder Plethora, noch materielle Ursachen, noch wesentlicher Verlust der Kräfte durch Hunger, Blutstürze, Samenverlust, u.s.w. zugegen ist; man wird aber leicht beobachten können, daß der gewöhnliche Arzt die Fälle nicht unterscheidet, und blos mit der augenblicklichen Unterdrückung der heftigen Zufälle aller Art und ohne Unterscheid durch Opiate, seinem Kranken schmeichelt, ohne die häufigen Verschlimmerungen hintendrein so leicht wieder gut machen zu können, außer daß etwa seine Beredsamkeit sie auf Rechnung andrer Ursachen zu schieben nicht selten glücklich genug ist. Die kleinste Menge Mohnsaft (1/40 bis 1/20 Gran in der geistigen Auflösung) ist auf die Gabe für Erwachsene gewöhnlich hinreichend (aller 12 bis 8 Stunden wiederhohlt) wo der Mohnsaft als kuratives Heilmittel an seinem rechten Platze ist; nur wo die heroischen Aerzte einen schnellen Erfolg, palliativ, erzwingen wollen, schreiten sie zum Hundert- und Tausendfachen der vorhin angegebnen Gabe; ein Wagstück, das ihrer Einsicht, ihrer Erfahrung und der Zartheit ihres Gewissens lediglich zu überlassen ist. Fast immer, wo er palliativ gegeben wird, ist ein andres kuratives Heilmittel angezeigt. Die Arznei, die die übrige Krankheit hebt, hebt auch die Schmerzen und die Schlaflosigkeit dabei zweckmäßig. Ein Arzt, der bei jeder Agrypnie und jedem Schmerze und jedem Husten und jedem Durchfall nach Mohnsaft greift, gehört in die oberste Klasse der Quacksalber.

Die trocknen, vorzüglich die grün getrockneten Mohnköpfe enthalten viel Opium, und es ist daher unverzeihlich, sie so ohne Unterschied Kinderwärterinnen, Ammen und sonst unwissenden Leuten zu verkaufen, welche damit die von Ueberladung, Säure im Magen, u.s.w. erkrankten, schlaflosen Kinder damit zum Schweigen zu bringen suchen, wodurch unzählige Mordthaten begangen worden sind. Selbst der Arzt sollte sie nicht in Aufgüssen, u.s.w. innerlich verschreiben, da die Menge Mohnsaft darin so unbestimmbar ist. Wenn die sorgfältigste Bestimmung der Gabe eines jeden kräftigen Arzneimittels nicht sorgfältig und bestimmt genug seyn kann, wie behutsam sollte man nicht bei einem der allerkräftigsten, dem Mohnsafte und seinen Bereitungen, zu Werke gehen!

Auch äußerlich, in Auflösung angebracht, z.B. bei symptomatischem[152] Erbrechen in die Gegend des Magens aufgelegt, leistet der Mohnsaft nicht viel geringere Wirkungen; im Klystire aber beigebracht darf die Gabe nicht im mindesten höher seyn, als beim Einnehmen durch den Mund. Ein Gran Mohnsaft tödet ein jähriges Kind, er mag ihm eingegeben oder als Klystir eingespritzt worden seyn. Auf hautlose Stellen und Wunden gelegt bringt er Entzündung und Brand hervor.

Die einfache Tinktur ersetzt alle andre Mohnsaftbereitungen.

Ob der Mohnsamen gar keine Mohnsafteigenschaften habe, ist noch nicht völlig ausgemacht. In dem ölichten Kerne, so wie vermuthlich auch in dem ausgepreßten Oele und den Emulsionen ist keine enthalten, ob aber in den Hülsen keine vorhanden sei, ist mir zweifelhaft. Man darf nur die Oelkuchen von Mohnsamen schmecken und riechen, um einige Bedenklichkeiten darüber zu fassen. So wie aber der Mohnsamen gewöhnlich genossen wird, mögen wohl die Hülsen größtentheils unverdauet bleiben, oft aber, wie bei Backwerk, ist alle etwanige Arzneikraft von der Hitze verflogen.

Bei Mohnsaftvergiftungen sind Klystire von starkem Kaffe, auch, wie man beobachtet hat, Kampher sehr hülfreich.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 150-153.
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