Viper

[354] Viper (Vipera). Unter diesem Nahmen kömmt nicht mehr, wie in ältern Zeiten, in unsre Offizinen die blos in Aegypten einheimische Coluber Vipera, L. [Laurent. Amph. S. 105. N. 231] mit 118 Bauchschildern, und 20 Schwanzschuppen, welche klein, glänzend, weißlicht, mit braunen untermischten Flecken besetzt ist und die Augen oben über dem Kopfe stehen hat.

Vielmehr ist die häufigste unter dem Nahmen Viper jezt in unsere Apotheken eingeführte Schlangenart, die Coluber Berus, L. [Laurent. Amph. S. 97. N. 216, tab. 2. f. 1.] mit 146 Bauchschildern und 39 Schwanzschuppen, welche etwa anderthalb Fuß lang, in der Mitte daumendick und von Farbe graulicht braun ist, mit einer stumpfgezackten, schwarzbraunen bandartigen Striefe längs dem Rücken hin, in Italien, Frankreich und seltner in dem wärmern Deutschland zwischen Felsen und Steinhaufen, bei schönem Wetter auch unter dichtem Gebüsche anzutreffen, von Insekten (Kanthariden, Skorpionen) und Amphibien (Fröschen, Eidechsen) lebt und nach vier bis fünfmonatlicher Trächtigkeit an zwanzig Junge lebendig gebiert. Einzig beleidigt, oder getreten pflegt sie zu beißen, und dann aus zwei Bläschen einen ölartigen giftigen Saft durch die Oefnung in der Spitze zweier beweglichen Zähne in die Wunde gehen zu lassen, wovon gewöhnlich starke Entzündung, Kälte, Ohnmachten, Irrereden, aber selten der Tod erfolgt.

Von dieser Schlange brachte man ehedem zu uns den getrockneten Rumpf ohne Eingeweide, Haut, Kopf und Schwanz aus Italien, (Viperae exsiccatae, italicae) wovon das Pulver bis zu zwei Skrupeln als ein Stärkungsmittel und in langwierigen Hautübeln unnützerweise gebraucht ward – ferner den weißen, geschmacklosen Rückgrat (Ossa, s. Spinae viperarum, s. serpentum) dessen Pulver man als ein Alexipharmakum in bösartigen Fiebern (leichtgläubig) brauchte – das gelbe, ölartige Fett (Axungia viperarum) welches man in die Augen strich, um Entzündungen derselben, vorzüglich aber Verdunkelungen der Hornhaut damit zu heilen und die blos zum technischen Gebrauche bestimmten Schlagenhäute (Exuviae serpentum) des schönen, bunten, glänzenden Ansehns wegen, um Futterale, Kästchen und Degenscheiden damit zu überziehen.

Auch zog man aus diesen gedörrten Schlangen durch trockne Destillation das dem Hirschhornsalze sehr ähnliche, übelriechende Ammoniaklaugensalz (Vipernsalz, Sal viperarum) welches man in hysterischen und söporösen Krankheiten zu sechs bis zwanzig Gran auf die Gabe in Getränken nehmen ließ, rektifizirte auch wohl das dabei übergegangene bränzlichte Oel (ol. viperae rectificatum), um es in Hysterie einzugeben oder in gelähmte Glieder einzureiben.[354]

So überflüssig aber auch die angeführten Substanzen sind, so scheinen doch diese Schlangenarten ihren seit undenklichen Zeiten hergebrachten, nicht geringen arzneilichen Ruf dem in den südlichen Ländern üblichen Gebrauche ihres frischen Fleisches zu danken zu haben, welches man vorzüglich zu Brühen nutzte und nach vielen übereinstimmenden Zeugnissen großen Erfolg in Skropheln, in fressenden Geschwüren, Aussatze und andern übelartigen Hautausschlägen, so wie in Marasmen und Erschöpfungen der Kräfte davon sah, sehr ähnlich dem Erfolge vom Gebrauche der Eidechsen. Zu dieser Absicht werden die enthäuteten, ausgeweideten, von Kopf und Schwanz befreiten und lebendig in Stücken geschnittenen Schlangen mit Wasser bei langsamem vielstündigem Feuer so lange in einem Geschirre mit verklebtem Deckel gekocht, bis die Brühe (Jus viperinum) gallertartig wird, worauf man sie (nach Abnehmung des oben schwimmenden Fettes) entweder warm, einige Zeit über, in größern oder kleinern Portionen trinken, oder stärker eingesotten und in der Kälte zu Gallerte geliefert, theelöffelweise nehmen läßt.

Da man hiezu jene angeführten, ausländischen Schlangen nicht, leztere wenigstens nicht überall in Deutschland haben kann, und die ganze Gattung Coluber gleiche oder doch ähnliche arzneiliche Kräfte besitzt, so werden mit Fuge andere Schlangenarten dazu gebraucht, nämlich nach dem Beispiele Frankreichs und Schwedens unsre gemeine Schlange, Coluber Natrix, L. [Meyer, Thiere, tab. 89, 90] mit etwa 170 Bauchschildern und etwa 60 Schwanzschuppen, welche von verschiednen Farben und von drei bis viertehalb Fuß Länge sich an warmen Orten, in Gebüschen und Ställen aufhält, ihre zusammenklebenden Eierklumpen in Misthaufen oder verrottete Baumstämme legt, und von ganz ungefährlichem Bisse ist.

Eben so kann man im kältern Deutschland die in England, zu angeführten Behufen gewöhnliche Schlange, Coluber Prester, L. [Laurent. Amphib. S. 98, N. 217] mit 152 Bauchschildern und 32 Schwanzschuppen hiezu wählen, welche ungefleckt und von ganz schwarzer Farbe, zwar im nördlichen Asien, aber nicht im kältern Europa von giftigem Bisse ist, dessen Folgen durch innerlich genommenes, und äusserlich warm eingeriebenes Baumöl zu verhüten sind – eine Behandlung, die auch auf den Biß andrer gefährlichen Schlangen paßt, bei denen man etwa noch innerlich genommenes mildes oder ätzendes Ammoniaklaugensalz zu Hülfe zu nehmen pflegt.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 354-355.
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