Wiesenrauteheilblatt

[442] Wiesenrauteheilblatt, Thalictrum flavum, L. [Zorn, pl. med. tab. 406] mit gefurchtem Stengel mit zusammengesetzten Blättern besetzt, deren Blättchen scharf dreispaltig sind, und mit vielfacher, aufrechter, dichter Blüthenrispe mit aufrechten Blumen; ein auf feuchten Wiesen wohnendes, drei, vier und mehrere Fuß hohes Kraut mit mehrjähriger Wurzel, welches im July kleine weiße Blumen mit grünen Staubfäden trägt.

Die äusserlich in frischem Zustande buchsbaumfarbige, trocken braune, innerlich gelbe, kriechende Wurzel (Rad. Thalictri, magni, s. Thalietri) ist mit einem süßlichtbittern widrigen Safte angefüllt. Sie färbt die Wolle gelb, und beim arzneilichen innern Gebrauche färbt sie den Speichel, den Stuhlgang und den Harn goldgelb, welchem leztern sie auch einen besondern Geruch mittheilt. Die Alten versichern, daß sie in[442] dreifacher Gabe, wie die Rhabarber abführe und die Eingeweide stärke. So wie aber alle genaue Gleichschätzung botanisch verschiedner Gewächse immer irre führt, so ist es auch mehr als wahrscheinlich, daß diese Wurzel ganz eigenthümliche, der Rhabarber unähnliche Wirkungen im menschlichen Körper äussern müsse, die nur noch unbekannt sind. Ihr Absud soll Lause und Hautmilben töden. Ihre Anrühmung in Gelbsucht, Verstopfung der Leber und Bleichsucht beruht wohl nur auf Muthmaßung. Die gequetschte Wurzel wird an einigen Orten im Hüftweh (empirisch) umgeschlagen.

Die dunkelgrün glänzenden, schärflicht bitter schmeckenden, und widrig riechenden Blätter (Fol. Thalictri magni, s. Thalietri) sollen ebenfalls den Leib eröfnen, vorzüglich aber Harn und Nierengries treiben. Am meisten aber hat sich ihr frisch ausgepreßter Saft als Hausmittel in Heilung der Wunden und Geschwüre beim Volke berühmt gemacht, und da auch der stinkende Geruch dieses Krautes schon Fallsüchtige aus ihrem Anfalle zurückgebracht hat, so ist es nicht ganz unwahrscheinlich, daß dieser Geruch auch einige Nervenkrankheiten der Kinder, die der Aberglaube von Behexen abzuleiten pflegt, vertrieben haben könne, wenn das Kraut in der Kinderstube oder an der Wiege aufgehangen worden, wie unsre Vorfahren versichern.

Den gelben, länglichten, gefurchten, bittern Samen hat man antepileptische Tugenden zugeschrieben, und sie in Leistenbrüchen der Kinder, auch in Blutflüssen und Durchfällen gerühmt. Es wäre der Mühe werth, die Heilkräfte dieses Krautes und seiner Theile genauer zu prüfen.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 442-443.
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