Winterweizen

[448] Winterweizen, Triticum hibernum, L. [Blackwell, herb. tab. 40 fig. 1, 2, 3] mit vierblüthigen, bauchichten, glatten, dachziegelförmig übereinander liegenden, ziemlich grannenlosen Blumendecken; eine in einigen asiatischen Gegenden, wie es scheint, ursprünglich einheimische, einjährige, über zwei Schuh hohe Getreideart.

Hauptsächlich von dieser Art kömmt der edle Samen, der Weizen (Grana tritici) ein länglicht ovales, etwa anderthalb Linien langes, gilbliches Korn, welches innerhalb mit einem sehr weißen Mehle angefüllet ist. Dieses ungemein nahrharte Mehl enthält drei Hauptbestandtheile, Gewächsgluten, Zuckerstoff und Stärkemehl, die man von einander trennen kann, wenn man einen aus diesem Mehle mit etwas Wasser[448] geformten derben Teig in Leinwand gewickelt so lange unter lauem Wasser knetet, bis neu hinzugefügtes Wasser nicht mehr milchicht wird. Die zähe, elastische, durchscheinende Substanz, welche in der Leinwand bleibt, ist der Gewächsleim (Gluten), welcher in kaltem, und heißem Wasser unauflöslich, zur bräunlich hornartigen, harten Masse trocknet, leicht mit dem Gestanke des alten Käses fault, und in der Hitze wie verbranntes Horn riecht und viel Ammoniaklaugensalz von sich giebt. Zwei Pfund Weizenmehl enthalten etwas über drittehalb Unzen von dieser Substanz. Das zum Auswaschen gebrauchte Wasser setzt sich; die überstehende helle Flüssigkeit giebt, wenn sie eingedickt wird, eine süße Substanz, welche leicht in weinichte Gährung übergeht, und der Bodensatz ist Stärkemehl (amylum), eine geschmacklose, weiße, leichte, beim Zerbrechen knackende Substanz, welche in kaltem Wasser unauflösbar, in kochendem Wasser aber sich zu einer durchsichtigen, dicklichen, klebrigen Flüssigkeit (Kleister) auflöset, welche binnen wenigen Tagen in der Wärme in die Essiggährung übergeht.

Diesen Kleister hat man nicht selten bei scharfen Stoffen in den dicken Gedärmen, bei Durchfällen von Schärfe und in Ruhren (?) als Klystir eingespritzt, nicht selten mit Nutzen angewendet. Das Stärkemehl selbst hat man, statt des dienlichern Staubes vom Bärlappkol benmoos, auf wunde Hautstellen bei kleinen Kindern gestreut, welches aber, wie der Haarpuder, die Hautporen verstopft; man pflegt verschiedne Teige in Apotheken damit zu bestreuen, damit sie nicht in den Formen hängen bleiben, und bäckt aus dem mit Wasser angerührten, dünnflüssigen Teige die Oblaten (Nebulae), in die man einzunehmende Pulver zu wickeln, und den Bissen mit etwas Saft zu bestreichen pflegt.

Im Großen bereitet man dieses Stärkemehl dergestalt, daß man die ganzen Weizenkörner in kaltem Wasser aufweichen läßt, sie in einen Sack einschließt, und so lange unter Wasser tritt, bis nichts Weißtrübes mehr ausdringt. Die aus diesem Wasser zu Boden gesunkene weiße Masse wird, wenn die über stehende graue Rinde herunter genommen worden, bei schneller Hitze getrocknet und in viereckige Stücken zerschnitten.

Sonst ist das aus (mit Hefen gegohrnem) Weizenmehlteige gebackene Weißbrod oder Semmel ein vorzüglich den zur Säuerung geneigten Magen dienliches Nahrungsmittel; die weiche Krume (Mica panis triticeae) dient zu verschiednen erweichenden Umschlägen, auch zu Pillenmassen.

Aus dem an der Luft getrockneten, und auf sehr erhabnen Darren ohne Rauch hart gedarrten, aber nicht im mindesten (braun) gerösteten Malze wird die beste Art weißen Bieres (Gose, Duckstein) gebrauet, welches dem Weine sehr nahe kömmt, und vorzügliche harntreibende Kräfte besitzt. Das starke, in England gebraute Ale wird aus gleichem Malze gebrauet.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 448-449.
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