Das Telephon

[156] Auch eine Quelle der Unruhe und des Ärgers ist das Telephon. Wir dürfen tausend gegen eins wetten, daß es uns immer dann, wenn wir eine dringende Beschäftigung haben, in dieser stören wird. Daß es läutet, wenn man sich gerade danach sehnt, ist noch nicht vorgekommen, außer in Romanen. Man läßt also alles liegen und stehen, läuft hin und hebt den Hörer von der Gabel: »Hallo, bist du's selber, Eduard? – Pardon, falsch verbunden.« Pardon ist schon gut, gewöhnlich gibt's kein Wort der Entschuldigung. Wozu auch, der andere ist ja auch wütend über die Fehlverbindung. Da soll er noch höflich sein? Andere, die haben schon die richtige Nummer, aber sie vergessen, daß man am Telephon den Partner nicht sieht und an der Stimme nicht immer erkennt, und erzählen lange Geschichten, ehe man durch vieles Fragen erst erfährt, mit wem man eigentlich spricht. Das macht auch nicht geduldiger. Besonders, wenn der Anrufer im Befehlston spricht. »Sagen Sie, bitte, dem Herrn Doktor, er soll sofort dort und dorthin kommen«. Ganz entspricht das dem Anstand nicht. Zuerst soll der Anrufer sich nennen, und hat er dann den gewünschten Partner an der Schnur, soll er sich kurz fassen und nicht lange Geschichten erzählen, auch einem guten Freund nicht, den man vielleicht aus einer wichtigen Beschäftigung herausgerissen hat. Wenn man am Telephon spricht, darf man nicht gleichzeitig die Unterhaltung mit anderen weiterführen, es könnten sich Schwierigkeiten daraus ergeben. Hat man irrtümlich eine falsche Nummer angerufen, so entschuldigt man sich und legt nicht einfach wortlos und lümmelhaft den Hörer auf.[156]

Befindet man sich bei Bekannten auf kurzem Besuch, so ist es ungehörig, von dort aus anzurufen oder sich anrufen zu lassen. Ausgenommen sind natürlich Ärzte und andere, im öffentlichen Leben stehende Personen, die überall erreichbar sein müssen. Wir gewöhnlichen Sterblichen dürfen es uns aber ruhig leisten, ein paar Stunden lang fern vom Schuß zu leben.

Anders ist es, wenn man für längere Zeit, Tage und Wochen irgendwo zu Gast ist. Dann sind gelegentliche Anrufe sicher kein Verstoß gegen den guten Ton. Nur sollte man auch dann nicht übertreiben, um nicht den Anschein zu erwecken, als wäre man mit seinen besten Gedanken immer anderswo.

Wer kein Telephon hat, nützt gerne die Gefälligkeit des Nachbarn aus. Das sollte man besser unterlassen oder doch wenigstens auf dringendste Fälle beschränken, sonst empfindet der Nachbar die Sache bald als arge Belästigung. Das wäre sie wohl auch, wenn man den gefälligen Mann wegen jeder Kleinigkeit zu Botendiensten mißbrauchte.[157]

Quelle:
Haluschka, Helene: Noch guter Ton? Graz 1938, S. 156-158.
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