XXX. Die Jahre 1840 und 1841.

[328] Am ersten Sonntag im Januar 1840 fing ich wieder an, als Hammer auf die Glocke der Akademie beim Grafen Kolowrat zu schlagen, sie gab aber keine harmonischen Töne,[328] die Sache lag noch immer bei Sedlnitzky. Ich bat den Grafen, die Angelegenheit zu beschleunigen, und er versprach, das seine zu tun. Ich begann wieder die Tagesordnung meiner Studien und Arbeiten. Jeden Freitag kam Hofrat Kiesewetter auf zwei Stunden zu mir und wir gingen die arabischen, persischen und türkischen Werke über Tonkunst durch, die ich als Laie in der Musik ohne einen so ausgezeichneten Theoretiker wie Kiesewetter nie verstanden hätte. Die Frucht dieser durch drei Winter fortgesetzten Studien war das von Kiesewetter und mir herausgegebene Werk über das musikalische System der Araber, Perser, Türken.

Anfang Januar kam der berühmte Reisende Fürst Pückler-Muskau an, ich lernte ihn beim russischen Botschafter kennen, wo ihn mir der preußische Gesandte Graf Maltzahn vorstellte. Sein Äußeres gefiel mir so gut, daß ich die ganze Nacht von ihm träumte. Er ließ am Tage danach seine Karte bei mir und ich traf ihn nach einem Besuche bei Erzherzog Johann zu Hause.

Bei einer Aufwartung bei Erzherzog Franz Karl bat ich um Betreibung der Akademie bei Sedlnitzky und Metternich, die er mir auch zusagte. Fürst Pückler traf ich meistens bei den Montagsgesellschaften beim Prinzen von Wasa, an Samstagen bei der Fürstin Esterházy und auf allen Bällen. Auf der Redoute machte ich die Bekanntschaft seiner Abessynierin Mahhube, ich sprach mit ihr arabisch, ihr Äußeres enttäuschte mich aber und blieb weit hinter den Schilderungen ihres Liebreizes zurück, die der Fürst in der ›Allgemeinen Zeitung‹ gemacht hatte.

Nach dem Tode Jacquins maßten sich zwei Häuser an, seine literarischen Mittwoche fortzusetzen. Das eine war das Reichenbachs, eines Württembergers, der sich einen in Österreich nie anerkannten Barontitel gekauft hatte, das andere das Endlichers, der der Nachfolger Jacquins als Professor der Botanik und Direktor des Botanischen Gartens schon äußerlich in Jacquins Fußstapfen getreten war, ihn aber als Gelehrter weit überragte, er versammelte an Montagen die Professoren und Kustoden, die bei Jacquin verkehrt hatten, bei sich.[329]

Dr. Jäger teilte mir eines Tages mit, der Fürst Metternich wünsche mich in seinem Kabinett zu sprechen und er hatte dieser Einladung des Fürsten hinzugefügt, daß vom Vergangenen keine Silbe erwähnt werden dürfe. Ich begann von literarischen Dingen zu sprechen, auf die der Fürst sogleich einging und mit besonderer Ehrfurcht von der Geschichte sprach. Über die Akademie konnte ich nicht sprechen, da ich wußte, daß dem Fürsten dies unangenehm wäre und die Sache noch immer bei Graf Sedlnitzky lag. Die Unterredung blieb unverfänglich und drehte sich um literarische Erscheinungen des Tages, wir schieden, als wäre nie Unangenehmes zwischen uns vorgefallen. Am gleichen Abend ging ich noch in den Salon des Fürsten. Unser Friede blieb ein rein äußerlicher.

Vierzehn Tage später war ich verpflichtet, bei Fürst Metternich der Akademie wegen vorzusprechen. Graf Kolowrat sagte mir, er habe den Grafen Sedlnitzky wegen der endlichen Erstattung seines Gutachtens über die Akademie gemahnt und dieser habe ihm versichert, das Gutachten sei erstattet. Vormittags hatte ich mich in der Hofkanzlei erkundigt, wo man nichts davon wußte. In der Abendgesellschaft des Fürsten Colloredo traf ich den Grafen Sedlnitzky, der mir lange auswich, aber schließlich doch Rede stehen mußte. Ich erfuhr von ihm, daß er das Ganze dem Fürsten Metternich übergeben habe. Ich sagte: ›Da gehört es ja gar nicht hin, die Sache muß doch zurück an die Hofkanzlei, dann in den Staatsrat und erst von dem aus in die Konferenz.‹ ›Zuletzt‹, sagte Sedlnitzky, ›muß sie doch zum Fürsten Metternich kommen, ich habe sie ihm also brevi manu zugestellt.‹ Dieses ›brevi manu‹ war bitterster Hohn, denn dadurch wurde die Sache dem Fürsten Metternich ganz in die Hand gespielt, und da er von einer Akademie nichts wissen wollte, ad calendas graecas verschoben. Ich mußte mich daher direkt an den Fürsten wenden. Er gab mir die Antwort: ›Lieber Freund, die Sachen gehen nicht so schnell.‹ Als ich am nächsten Sonntag die ganze Angelegenheit dem Erzherzog Ludwig erzählte, sagte er lachend: ›Sedlnitzky hat die Geschichte aus dem Geleise gebracht, jetzt soll er sie wieder ins Geleise bringen.‹ ›Dazu können weder ich noch Graf[330] Kolowrat ihn vermögen, sondern einzig nur Eure Kaiserliche Hoheit!‹ Zwei Monate später sprach ich dem Erzherzog wieder davon, er schien aber ganz darauf vergessen zu haben. Einige Wochen später beantwortete Graf Kolowrat meine Klagen über die Untätigkeit des Erzherzogs mit noch größeren: ›Viertausend Aktenstücke liegen unerledigt beim Erzherzog, der ebensowenig wie Graf Sedlnitzky zur Erledigung der Rückstände zu bewegen ist‹. Wieder zwei Monate später sagte ich dem Erzherzog: ›Gesetzt, der Fürst stürbe heute und die von ihm willkürlich eingesperrten Akten kämen zum Vorschein und die ganze Welt erhielte Kenntnis davon, würde sie nicht mit Recht empört sein? Würde sie nicht sagen, wie ist es möglich, daß ihm der Erzherzog dies angehen ließ? Warum wollen Eure Kaiserliche Hoheit sich der Möglichkeit dieses Falles aussetzen und warum sorgen Sie nicht dafür, daß Graf Sedlnitzky den aus dem Geleise gebrachten Karren wieder ins richtige zurückführt, wie Sie selbst sagten?‹ Der Erzherzog nahm dies alles stumm hin und fing von anderem zu sprechen an.

Im Juni begann ich die Überarbeitung meiner ›Enzyklopädischen Übersicht der Wissenschaften des Orients‹. Mein Plan war zu groß, er verschmolz Biographie und Bibliographie mit der Wissenschaftslehre. Nach harter, mehrmonatiger Arbeit, in der ich oft in zwölf Stunden nicht mehr als ein paar Bogen Büchertitel mühsam zusammengestellt hatte, gab ich sie auf, weil ich es für nützlicher hielt, zuerst die Literaturgeschichte der Araber zustande zu bringen. Diese sollte zugleich auch eine Blütenlese arabischer Dichtkunst werden.

Ich war unfähig, mich viel zu beschäftigen und besserte an den drei Bänden der ›Gallerin‹ nach, den letzten Band arbeitete ich ziemlich um. Ich wußte, daß dieses Werk die Wiener Zensur nicht passieren würde und daher im Ausland gedruckt werden müsse.

Inzwischen traf die Nachricht von der Eroberung von Akka ein. Metternich benützte den Erfolg des österreichischen Geschwaders im syrischen Feldzug, um den Hofkammerpräsidenten Baron Eichhoff, der, von Kolowrat unterstützt, die zwei Millionen, welcher dieser Feldzug[331] Österreich gekostet, beanständet hatte, seines Platzes zu entheben und den Freiherrn von Kübeck an seiner Stelle zu ernennen. Eichhoff war der zweite Kammerpräsident, den Kolowrat ebenso wie Klebelsberg, obwohl beide seine Geschöpfe waren, fallen ließ. Kübeck verdankt seine Stelle nur dem Fürsten Metternich, und aus Dankbarkeit widersetzte er sich nie irgendwelchen Plänen seines Gönners, auch wenn sie die Finanzen belasteten. Von Pillersdorf, der unter Stadion die Triebfeder der Finanzen gewesen, war keine Rede, er wäre dem Fürsten sicher ebenso gefügig gewesen wie Kübeck, ihm mangelte die Energie, durch welche sich Kübecks Finanzverwaltung auszeichnete, und in dieser Hinsicht war des Letzteren Wahl gewiß die beste, die getroffen werden konnte. Am 30. November war ich endlich so weit erholt, daß ich wieder ausgehen konnte. Ich besuchte den Grafen Kolowrat, der mir sagte, daß er dem Unternehmen der Akademiegründung, das unter seiner Anleitung begonnen worden war, seine weitere Teilnahme gewiß nicht entziehen wolle, in einigen Monaten hoffe er, mir mehr darüber sagen zu können.

Am ersten Tage des Jahres 1841 arbeitete ich an einem Aufsatz über die Geographie Arabiens für die Jahrbücher und begann die Übersetzung des Fihrist für meine arabische Literaturgeschichte. Vielleicht war es ein Fehler von mir, obwohl ich an so viele Türen der Akademie wegen klopfte, nicht auch versuchte, die Fürstin dafür zu gewinnen, aber es widerstrebte mir mein ganzes Leben lang, etwas durch Weibergunst zu erhalten, und außerdem wären alle solchen Schritte durch den nächsten Ratgeber der Fürstin vereitelt worden, durch den Freiherrn Karl von Hügel, dessen Ehrgeiz auf ganz andere Ziele gerichtet war. Er hatte, vom Fürsten unterstützt, eine Eingabe um die Errichtung eines neuen Hofamtes gemacht, nämlich des Intendanten aller Kabinette. Diese Eingabe wurde, da sie Beschwerden über die schlechte Verwaltung der Kabinette enthielt, vom Oberstkämmerer, dem diese unterstanden, dem Direktor Hofrat Schreibers zur Begutachtung mitgeteilt. Von diesem erlangte ich Kenntnis des Gutachtens über die übrigens sehr ruhmredige Eingabe, in der Hügel behauptete, der einzige[332] aller Europäer zu sein, der Indien durchreist hatte. Ich traf Hügel in einer Abendgesellschaft bei Graf Zamoiski und sagte ihm: ›Sie werden Ihre Bitte nicht durchsetzen. Die oberste Aufsicht über die wissenschaftlichen Sammlungen sollte eine Akademie der Wissenschaften haben wie in München und Berlin. Wenn Sie sich also für die Sache und nicht für Ihre Person interessieren, so spannen Sie sich vor den Karren der Akademie, den ich mich schon lange aus dem Kot, in dem er steckt, zu ziehen bemühe.‹ Baron Hügel wurde sehr verlegen, wollte sogar die Eingabe ableugnen, sagte sich aber zugleich von aller Teilnahme an meinen Bemühungen los und erklärte, sich für eine Akademie der Wissenschaften nicht interessieren zu können. Ich belagerte wieder den Grafen Kolowrat mit Bitten, die Akten, die nun schon ein Jahr bei Metternich lagen, ihm abzuverlangen. Er sagte: ›Was soll ich tun, wenn er die Herausgabe verweigert? Das kann doch kein Anlaß zu einer neuen Brouille sein!‹ Ich wandte ein, daß schon um weniger wichtige Dinge Differenzen aufgetreten seien. ›Wir haben doch‹, sagte Graf Kolowrat, ›auch ohne Akademie ausgezeichnete wissenschaftliche Männer und Professoren, so wie zum Beispiel Ettingshausen, und da wir sie haben, so ist eine Akademie doch nur eine Sache des Glanzes und literarischen Ruhmes.‹

Bei Graf Ficquelmont intervenierte ich mit nicht besserem Erfolg. Er fand nie den richtigen Zeitpunkt, mit Fürst Metternich darüber zu sprechen. Endlicher hatte sich bei Erzherzog Ludwig über den Grafen Sedlnitzky beklagt, der den Karren verfahren habe, und war dafür hart angefahren worden. Dem Fürsten Lobkowitz, der mit dem Fürsten gesprochen hatte, war geantwortet worden: ›Das ist nicht meine Sache!‹ Marschall Marmont gab alle Hoffnung auf und Graf St. Aulaire, der gerade Mitglied der Académie française geworden, und den ich bat, sich als neuer Akademiker auch unserer Akademie anzunehmen, war aus diplomatischen Gründen ebensowenig dafür zu haben wie der bayerische und der belgische Gesandte. Beide hätten die beste Gelegenheit gehabt, sich dafür zu verwenden, der bayerische als der Gesandte eines für Kunst und Wissenschaft begeisterten Königs und als Gesandter eines Familienhofes,[333] der in steter Berührung mit der Kaiserin-Mutter und der Erzherzogin Sophie war, der belgische durch die belgische Akademie, welche von der Kaiserin Maria Theresia gegründet worden war. Sie hatte – sonderbar genug – den Niederlanden gewährt, was in Österreich der Astronom Hell nicht durchzusetzen vermochte.

Die Montagsgesellschaften bei Endlicher hatten immer größeren Zulauf. Dort interessierten sich fast alle Besucher für das Zustandekommen der Akademie, aber keiner mit so regem Eifer wie der Hausherr. Dr. Jäger, der den Fürsten täglich sah und viel zur Erfüllung unserer Wünsche hätte beitragen können, war ebenso Gegner der Akademie wie Zedlitz und Gervay. Zu ihrer Ehre nehme ich an, daß dies eine Notwaffe war, die sie gegen meine wiederholten Bitten gebrauchten, um einer Betreibung beim Fürsten enthoben zu sein, dem sie ebensowenig wie Dr. Jäger etwas ihm Unangenehmes sagen wollten. Ich wandte mich wieder einmal an die drei Erzherzoge Johann, Ludwig und Franz Karl. Der erste sagte wiederum, es sei nicht an der Zeit, der zweite sagte, er habe sich bereits in der Konferenz dafür verwendet, was Kolowrat in Abrede stellte, der dritte erklärte, er könne nichts tun, wünsche aber allen Erfolg.

Ich war am Abend bei Graf Kolowrat und benützte die Gelegenheit, um die Frage wieder anzuschneiden. Graf Kolowrat sagte, er habe mit dem Fürsten wegen der Herausgabe der Akten gesprochen, dieser habe erklärt, daß er sie nicht finde. Darauf habe Kolowrat dem Staatsreferendar Gervay den Auftrag gegeben, alle Papiere zu durchsuchen, dieser habe versichert, die Akten befänden sich nicht darunter. Da sie auch seitdem nie mehr zum Vorschein kamen, so kann ich nur glauben, daß sie wahrscheinlich absichtlich von Clemens Hügel, der sie, wie mir Kaltenbäck erzählte, zum Referat erhalten hatte, vernichtet worden sind. Mit Frankl hatte ich eine lange Unterredung über die Akademie, er hielt sie für überflüssig, weil sich der Genius auch ohne sie Bahn bricht. Kaltenbäck hielt sich nun ganz an Clemens Hügel und hoffte durch ihn die Saat beim Fürsten zur Reife zu bringen. In der Osterwoche erschien in der ›Allgemeinen Zeitung‹ ein Artikel ›Spiegelbilder aus Wien‹, der die Akademie[334] versprach, ihre Errichtung aber nur von dem mächtigen Einfluß des Brüderpaares Hügel abhängig mache. Karl Hügel wurde als Julius Caesar, Klemens als Fabius Cunctator gepriesen. Man glaubte allgemein, daß Klemens Hügel diesen Artikel geschrieben habe und er machte ungeheures Aufsehen. Ich schrieb an den Grafen Kolowrat und machte ihn darauf aufmerksam. Mit Endlicher zerbrach ich mir den Kopf über den Verfasser und erfuhr erst nach einem Jahre, daß es Professor Martius aus München war, der von den beiden Hügel die Unterstützung Metternichs zur Herausgabe eines Prachtwerkes über Pflanzen erreichen wollte. Am 20. März fand eine glänzende Sitzung im Verein der Ärzte statt, alle Erzherzoge und hohen Staatsbeamten wohnten ihr bei, eigentlich war es eine öffentliche Sitzung einer medizinischen Akademie. Die höchsten und hohen Gäste waren mit den Vorträgen so wenig zufrieden, daß sie diesmal zum ersten und zum letztenmal im Verein der Ärzte erschienen waren.

Anfang Mai kam Graf Wickenburg nach Wien, um Fürst Metternichs Bewilligung für die Versammlung der Naturforscher, die nächstes Jahr in Graz stattfinden sollte, und des Kaisers Gegenwart für die Enthüllung des Standbildes Kaiser Franz' vor dem Theater zu erbitten. Der Fürst teilte ihm mit, daß der Kaiser dieser Enthüllung nicht beiwohne, weil in Wien dem Kaiser Franz noch keine Statue gesetzt sei, bewilligte aber die Versammlung der Naturforscher.

Ich hatte Karoline versprochen, durch eine Reise nach München unsere silberne Hochzeit zu feiern. Ich benachrichtigte Hormayr von diesem Plan und davon, daß ich bei der festlichen Sitzung der Münchener Akademie am Geburtstage des Königs eine Abhandlung lesen wolle. Ich schrieb eine solche ›Über die Erbfolge und Legitimität nach den Begriffen des moslemischen Staatsrechtes‹. Am 7. August reisten wir ab und fuhren die Nacht durch bis Melk. Unser weiterer Weg führte uns über Linz, St. Florian, die Krone aller österreichischen Stifte, Kremsmünster, zum Traunfall, nach Ischl, von da nach Salzburg und München. Dort besuchte ich sofort den Staatsrat Maurer und Professor[335] Thiersch. Bei dem Bankier Eichthal, einem Verwandten des Heniksteinschen Hauses, lernte ich Boisserée, den Wiederbeleber alter deutscher Kunst, und Klenze, den Michelangelo Münchens, kennen.

Ich hatte versprochen, daß meine Abhandlung über die moslemische Legitimität nicht mehr als eine halbe Stunde dauern würde. Dies sollte für alle akademischen Reden bei öffentlichen Sitzungen ein kanonisches Maß sein. Mein Vormann, der Leibarzt des Königs, Dr. Walter las den Nekrolog für Döllinger durch volle anderthalb Stunden. Er endete erst um zwei Uhr, zu der Zeit, als die ganze Versammlung schon beendet hätte sein sollen. Die Sitzung war keine glänzende, kein Prinz und kein Gesandter wohnte ihr bei, für mich war sie nur durch Lord Munsters und Olshausens Gegenwart wertvoll. Am folgenden Morgen reisten wir nach Berchtesgaden, wohin sich der König vor wenigen Tagen begeben hatte. Am folgenden Tage (Goethes Geburtstag) hatte ich eben ›Wahrheit und Dichtung‹ zu lesen begonnen, als ich vom Generaldjutanten des Königs für halbein Uhr en frac bestellt wurde. Der König empfing mich sehr gnädig, ich durfte neben ihm auf dem Sopha sitzen. Wir sprachen über Kunst und Literatur. Ich gab meiner Bewunderung für alle die Kunstwerke der Malerei, Bildhauerei und Baukunst Ausdruck, die ich in der Residenz gesehen. Ludwigs kunstliebender und kunstkennender Genius hatte seine Hauptstadt wirklich zu einem Athen Deutschlands umgeschaffen. Da der König die Gewohnheit hat, oft beim Sprechen die Augen zu schließen, konnte ich seinen Kopf in aller Muße betrachten. Eine hohe, in der Mitte eingeschnittene Stirn mit starken Buckeln des Gegensatzes und des Witzes. Ich sagte ihm, daß ich die Reise in der Hoffnung, in München alles vollendet zu finden, angetreten habe. Der König lachte: ›Sie können in ein paar Jahren wiederkommen. Sie werden immer wieder Neues sehen.‹ Sehr verbindlich sprach er über meine osmanische Geschichte, die zu lesen er aber noch immer keine Zeit gefunden habe. Ich sagte: ›Wenn Eure Majestät schon auf das Lesen eines meiner geschichtlichen Werke Ihre kostbare Zeit verwenden wollen, so bitte ich, diese Zeit der mongolischen Geschichte[336] zu widmen, die nur zwei Bände haben wird, während die osmanische viermal so groß ist, ich bitte Eure Majestät, diese zueignen zu dürfen.‹ Der König nahm die Zueignung an.

Wir reisten über Hallein, Werfen, Golling nach Altenmarkt und Radstatt. Von da über Schladming und Gröbming nach Irdning. In Admont wurden wir freundlichst aufgenommen, von dort fuhren wir durch das Gesäuse nach Hieflau und Eisenerz. Durch die Radmer ging es nach Vordernberg, wo ich den Erzherzog Johann zu treffen hoffte, aber nur die Baronin Brandhof fand, ihn traf ich erst zwei Tage später in Graz, wo ich der Versammlung der Landwirtschaftsgesellschaft beiwohnte.

In Hainfeld hatte ich Muße, mich mit meiner Selbstbiographie zu beschäftigen. Ich begann sie am 12. September 1841 und vollendete das erste Buch während meines Landaufenthaltes. Auf dem Rückwege nach Wien besah ich das Schloß Kalsdorf bei Ilz, welches ehemals den Grafen Wildenstein gehört hatte. In Neustadt sollten wir Isabella und Heinrich treffen, die uns von Schwadorf entgegenkamen; als wir eintrafen, waren sie noch nicht da, und Karoline wartete auf der Post, während ich mit Eveline zur Hauptkirche ging, um ihr den Denkstein der Hinrichtung Nadasdys, Zrinyis und Tattenbachs zu zeigen. In der Kirche interessierten mich die Grabmäler mehrerer Bischöfe. Mir fiel ein großes, von einer Büste gekröntes Grabmal auf, dessen Inschrift ich las. Es war das Kenotaph des Kardinals Khlesl, der mich schon beim Schreiben des vierten Bandes meiner osmanischen Geschichte sehr interessierte. Seit dem Erscheinen dieses Bandes waren vierzehn Jahre vergangen, ohne daß ein österreichischer Geschichtsschreiber den dort von mir geäußerten Wunsch der Biographie dieses merkwürdigen Staatsmannes erfüllt hätte. In diesem Augenblick beschloß ich, dies selbst zu tun, um auch für die Vaterländische Geschichte etwas zu leisten.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 328-337.
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