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[26] Nach vier Jahren war ich aus Tomascheks strenger Schule als tüchtiger Klavierspieler und wohlbeschlagen in der musikalischen Theorie hervorgegangen, wie das von ihm sehr förmlich abgefaßte, mit Stempel und Siegel versehene Absolutorium mir bezeugt. Mein Vater, liberal und ein Feind des Zwanges in allem, stellte es mir völlig anheim, ob ich die Musik als Lebensberuf wählen wolle. Trotz meiner Liebe zur Musik konnte ich mich nicht dazu entschließen. Die Virtuosenlaufbahn widerstrebte mir entschieden, obwohl Tomaschek dazu riet. Noch weniger reizte es mich, Musiklehrer zu werden oder eine Stelle als Dirigent anzustreben. Blieb also nur – das Schönste, der Beruf des Komponisten. Daß ich aber diesem nur in einem sehr begrenzten, unbedeutenden Teil zu genügen vermöchte, war mir selbst vollkommen klar. Ich hatte einige kleine Klaviersächelchen und einen ansehnlichen Haufen Lieder komponiert, deren melodiöser Zug und ungesucht innige Empfindung meinen Freunden zu Herzen sprach. Mit solchen Kleinigkeiten, das fühlte ich deutlich, ist der Welt nicht gedient und füllt man kein Leben aus. Mir fehlte der Mut, etwas Größeres zu versuchen, ein Quartett, eine Ouvertüre oder Symphonie; ich traute mir musikalisch starke, triebkräftige Ideen nicht zu. Dreißig Jahre später stellte ich aus dieser Jugendzeit ein Heft Lieder zusammen, um sie meiner Frau, welche sie gern und sehr hübsch vortrug, zu widmen. Brahms war mir in der Auswahl der relativ gelungensten freundlichst behülflich und billigte die Veröffentlichung unter der Bedingung, daß ich durch den[26] Titel: »Lieder aus der Jugendzeit« die jetzt altmodisch gewordene Einfachheit dieser Melodien einigermaßen rechtfertigte. Sie sind bei Simrock in Berlin erschienen.

Wollte ich aber nicht Musiker werden, auch nicht Geistlicher noch Mediziner, was blieb mir zu jener Zeit anderes übrig, als Jus zu studieren? Die Beamtenkarriere war die weitaus vorherrschende im gebildeten Mittelstand. Nicht als ob sie eine schnelle oder glänzende Versorgung versprach – im Gegenteil; es gab in Prag talentvolle und fleißige junge Männer, die zehn, auch zwölf Jahre beim Gubernium (wie damals die Statthalterei hieß) »praktizierten«, das heißt unentgeltlich dienten, bis ein besoldeter Platz für sie frei wurde. Aber der kaiserliche Beamte hatte in dem absolutistischen Österreich eine vorzüglich geachtete und in der Regel ziemlich gesicherte Stellung; man avancierte nach der Anciennität, hatte also keine Nötigung, sich übermäßig anzustrengen oder auszuzeichnen. Sich der Pflege einer brotlosen Wissenschaft zu widmen, galt damals bei uns für etwas Abenteuerliches, Unerhörtes. Wenn man auf die Frage, was will der junge Mann werden? geantwortet hätte: er studiert Geschichte und Ästhetik der Musik, man würde ihn einfach unter die Schwärmer oder Tagediebe eingereiht haben. Mir speziell verhieß die Beamtenlaufbahn, mehr als jede andere, hinreichende Muße für meine musikalischen und literarischen Bestrebungen, denn nur diesen gehörte meine Neigung. Indem ich in unbefangener Beurteilung meiner eigenen Fähigkeiten diese selbst als ungenügend erkannte für eine erfolgreiche Künstlerlaufbahn, glaube ich, wenigstens einen Rechtfertigungsgrund mehr zu haben für den gleichen Rat, welchen ich so vielen jungen Leuten erteile, die sich bei mittelmäßigem Talent der Musik widmen wollen. Mehr als einer, der, über die erste Jugend hinaus, eine sichere Stellung oder Anwartschaft aufgab, und, Neigung mit Beruf verwechselnd, Musiker geworden ist, mag es bereut haben, meinem freundschaftlichen Abraten nicht gefolgt zu sein.

Von den juridischen Vorlesungen an der Prager Universität haben mich eigentlich nur zwei lebhaft interessiert, – »Naturrecht« (Rechtsphilosophie) und »Strafrecht«. Beide Kollegien wurden von demselben gebrechlichen, alten, höchst langweiligen Professor vorgetragen, an dem nur seine Gutmütigkeit zu loben war. Freilich, boshaft hätte der Einschläferer auch noch sein sollen! Dieser erste Jahrgang hätte manchen vom Weiterstudieren abschrecken[27] können und hat auch manchen abgeschreckt, z.B. meinen Freund Robert Zimmermann, der jetzt in Wien eine so ausgezeichnete Stellung als Professor der Philosophie und philosophischer Schriftsteller einnimmt. Lehrreich und interessant dagegen waren die Vorträge über Statistik durch den anregenden, eleganten Vortrag des Professors Nowak. Daß derselbe geistreiche Mann auch die österreichische Zoll- und Monopolsordnung und das Strafgesetz über Gefällsübertretungen – damals ein obligates Studium für alle Juristen! – durch zwei Semester explizieren mußte, war ihm selbst eine Qual und uns anderen noch mehr. Der Hauptgegenstand des dritten Jahrgangs war noch lieblicher: Handels- und Wechselrecht, dann Lehenrecht, – ein betrübendes Sammelsurium von alten Hofdekreten und Rechtsgewohnheiten. Vortragender war der gefürchtete und gehaßte Dr. Haimerl, ein Scharfrichter unter den Professoren. Wer nicht genau anzugeben wußte, wie unter Kaufleuten ein »Kellerwechsel« zu behandeln sei, oder welche Pflichten auf diesem oder jenem »Kunkellehen« haften, der wurde erbarmungslos »petschiert«. Eine spezielle Antipathie hatte Haimerl gegen die Beschäftigung mit Kunst und Literatur. Meinem Kollegen Carl Victor Hansgirg, der zeitweilig ein hübsches Gelegenheitsgedicht veröffentlicht hatte, warf er diese Untat bei der Prüfung noch vor Beantwortung der ersten Frage mit höhnender Ironie vor; mir natürlich die Musik. Kein Wunder, daß man von solchem Entgegenkommen völlig eingeschüchtert und verwirrt wurde. Im vierten Jahrgang war er noch gefürchteter; da hatte er die österreichische Gerichtsordnung vorzutragen, damals ein konfuser Haufen von Verordnungen, in welchen tatsächlich nur längere praktische Erfahrung Klarheit zu bringen vermochte. Haimerl examinierte aber nicht, als ob er Studenten, sondern in Tagsatzungen und Fideicommißprozessen ergraute Advokaten vor sich habe. Wer durch die ersten drei juridischen Jahrgänge gut durchgekommen war, stand also im vierten noch immer in Lebensgefahr. Dieser zu entgehen, war unser aller sehnlichster Wunsch, und wer nur immer die Mittel besaß oder sich eines Familienanhangs in Wien erfreute, der verließ Prag und absolvierte das vierte Jahr an der Wiener Universität. So taten zugleich mit mir der genannte Carl Victor Hansgirg (als Bezirkshauptmann in Joachimsthal verstorben), Wilhelm Wahlberg, nachmals Hofrat und Professor des Strafrechts in Wien u.a. Es hat keiner diesen Exodus zu bereuen gehabt.[28]

Mein Verkehr mit den Universitätskollegen in Prag brachte es mit sich, daß ich mehr literarischen als musikalischen Umgang hatte. Von letzterem soll übrigens noch die Rede sein. Ein uns überaus lieber Vereinigungspunkt war das Haus Rohrweck auf der Kleinseite. Vater Rohrweck, ein ernsthafter Mann von auffallend hoher Statur, ehemals Erzieher im gräflich Thunschen Hause, hielt eine Privaterziehungsanstalt für junge Adlige, die dort ein gemütliches Familienleben und sorgfältigste Vorbereitung für die öffentliche Prüfung fanden. Der älteste von den drei Söhnen Rohrwecks, Franz (jetzt Regierungsrat in der kaiserlichen Kabinettskanzlei), war mein Kollege als Jurist. Bei ihm fand sich an jedem Sonntag Abend ein vertrauter, anregender Kreis junger Freunde zusammen. Die schon genannten Poeten Hansgirg und Robert Zimmermann brachten Gedichte mit (viele davon setzte ich sofort in Musik). Außerdem hatten wir die Maler Karl Swoboda und Trenkwald (jetzt Akademiedirektor in Wien), den Architekten A. Barvitius (derzeit Museumsdirektor in Prag), den Mediziner Albert Duchek, der später zu den berühmtesten Ärzten Wiens gehörte, und noch andere zusammenstimmende Elemente. Es waren die anregendsten, fröhlichsten Abende, die meine Studienzeit erhellten. Bei reichlichem Tee – nicht bei Bier – wurde da lebhaft von Kunst und Wissenschaft gesprochen, auch über Politik, natürlich in dem ideal strebenden Sinne der aufgeweckten vormärzlichen Jugend. Georg Herwegh und Anastasius Grün, Robert Prutz und Hoffmann von Fallersleben, deren Gedichte R. Zimmermann mit feurigem Enthusiasmus rezitierte, waren die poetische Essenz unserer politischen Wünsche und Meinungen. Schon als Gymnasiast pflegte ich als meine drei höchsten Wünsche zu nennen: eine Konstitution für Österreich, ein einiges deutsches Reich mit Elsaß und Lothringen und das Aufhören der Papstherrschaft. Damals lag die Erfüllung dieser Ideale noch im Reich der Träume – dennoch habe ich alle drei Dinge erlebt! – Den jüngeren Zöglingen Rohrwecks zulieb wurde dieser studentische Kreis manchmal zu kleinen Tanzunterhaltungen erweitert. Rob. Zimmermann – man würde es heute seinem weißen Patriarchenbart nicht ansehen – war der rasendste Mazurkatänzer; ich selbst nicht minder unermüdlich im Walzer. Als Hansgirg und Rob. Zimmermann und bald darauf auch ich nach Wien übersiedelten, löste sich dieser schöne, uns allen unvergeßliche Kreis auf. –

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 26-29.
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