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[354] Im Juli 1882 zog mich die erste Aufführung des »Parsifal« abermals nach Bayreuth. Gegen die Qualen des Nibelungenjahres 1876 war dieser Aufenthalt ein Paradies. Ich bewohnte mit meiner Frau ein geräumiges Zimmer in der »Fantaisie«, eine halbe Stunde von der Stadt entfernt. Die »Fantaisie«, ehemals ein markgräfliches Lustschloß, liegt auf einer mäßigen Anhöhe, zu deren Füßen sich ein prachtvoller, romantisch verwilderter Park ausdehnt. Welche Stille zwischen diesen uralten Baumgruppen, Wiesenplänen und Teichen, auf denen ein paar melancholische Schwäne[354] majestätisch ruderten! Ein Nebengebäude des eigentlichen Schlosses war einem Wirte verpachtet, welcher für seine Gäste eine nach bayrischem Maßstab anständige Table d'hôte hielt. Die kleine, durchaus angenehme Tischgesellschaft bildeten Deutsche aller Länder, verständige und teilnahmsvolle Parsifal-Reisende, keine »Pilger« oder tanzende Wagner-Derwische. Neben den ständigen, im Hause wohnenden Parteien fluteten unausgesetzt Gäste aus Bayreuth, die entweder oben ihr Mittagsmahl oder ihren Nachmittagskaffee auf der Terrasse nahmen: die Sänger Winkelmann, Gudehus, Kindermann, Scaria, die Materna und die Brandt, die Theaterdirektoren August Förster, Angelo Neumann u.a. So saßen wir denn, unberührt von dem Lärm der wagnerisch aufgeregten Stadt, fern von Wahnfried und Angermann in einer traulichen Idylle, auf einem der freundlichsten Punkte des Frankenlandes. Auch auf dem »Weihfestspielhaus« lastete nicht der unerträgliche Druck des Jahres 1876. Während der »Nibelungenring« vier Abende nacheinander spielte – eine Nervenaufregung, wie ich keine zweite erlebt habe – begnügte sich »Parsifal« mit einem Abend. Ich habe zwei Aufführungen besucht; die erste, in welcher die Materna und Winkelmann als Kundry und Parsifal auftraten, die zweite mit Marianne Brandt und Gudehus in diesen Rollen. Als theatralische Vorstellung voll dekorativer Wunder gehört Parsifal zu den größten Merkwürdigkeiten. Von der Musik waren die einen mehr, die andern weniger erbaut; jedenfalls war darüber – wie durch stillschweigende Übereinkunft – eigentlicher Streit vermieden in dem friedlichen, heiteren Gartenschloß unserer »Fantaisie«.

Ein einziges Mal versuchte es einer der Gäste, mich mit apostolischem Eifer zu Wagner »bekehren« zu wollen. Ich antwortete ihm mit einer kleinen Geschichte, die ich kurz vorher in Pontresina erlebt.

Ein aggressiv bigotter Engländer, der freiere Anschauungen in mir merkte, öffnete alle Schleusen seiner Missionsberedsamkeit, um mich zu überzeugen, daß man ohne blinden Glauben und religiöse Übungen in dieser und jener Welt nicht selig werden könne. Als er bemerkte, daß ich ungeduldig von dem Thema abzulenken versuchte, schloß er mit der eindringlichen Frage: »Sagen Sie selbst: ist es denn nicht meine Pflicht, daß ich, wenn ich auf der Brücke stehe, dem unten Ertrinkenden die Hand zur Rettung reiche?« – »Ja, wer sagt Ihnen denn,« antwortete ich, »daß Sie auf[355] der Brücke stehen und wir Andern im Wasser zappeln? Es könnte wohl auch das Umgekehrte der Fall sein!« Ich habe keinen Grund, mich Wagnerschen Bekehrungsversuchen preiszugeben, da ich selbst nie welche unternehme in entgegengesetzter Richtung. Ich vermeide jeden Disput mit Wagnerenthusiasten als etwas völlig Unfruchtbares. Die lebendige Schönheit eines Kunstwerks läßt sich nicht wie eine wissenschaftliche Thesis beweisen und das Gefühl für diese Schönheit niemandem andemonstrieren. Ebensowenig kann man jemandem das Unnatürliche, Geschmacklose, Häßliche einer Musik beweisen, für die er schwärmt. »Sie predigen tauben Ohren!« warnte mich ein Freund anläßlich einer meiner Kritiken. »Nein, mein Lieber, ich predige gar nicht. Ich plaudre nicht einmal über Wagner. Meinem Beruf als Kritiker folge ich, indem ich meine Meinung über Wagners Musik niederschreibe, ohne die Anmaßung, unfehlbar, aber mit dem Mut, aufrichtig zu sein. So oft meine Gegner es unbegreiflich finden, daß ich im ›Tristan‹, im ›Nibelungenring‹, im ›Parsifal‹ nicht das Höchste und Vollendetste erkenne, muß ich an Friedrich Vischer denken, welcher den Anbetern des zweiten Teils von Goethes Faust zuruft: ›Ja, Ihr habt Recht: mir ist nicht zu helfen! Es muß in der Natur sitzen, und die läßt nichts mit sich anfangen. In Wahrheit, es handelt sich um ein Geschmacksurteil; brauchen wir nur statt Diagnose das gute alte Wort. Ihr sagt: Du hast keinen Geschmack! So darf ich sagen: Ihr habt keinen Geschmack!‹«

Nebenbei bemerkt: es fehlt nicht an wunderlichen Analogien zwischen Parsifal und dem zweiten Teil des Faust, mag auch jener so weit von diesem abstehen wie Richard Wagner von Goethe. Wie der zweite Teil des Faust so besteht auch Parsifal aus einer Reihe von Allegorien, d.h. die Personen und Begebenheiten des Dramas haben etwas Anderes zu bedeuten, als was wir sinnenfällig vor uns sehen. Und wenn es uns befremdet, Goethes hohen, freien Geist sich hier in katholische Mystik verirren zu sehen, so bietet uns Wagners Bekehrung zum christlichen Wunderglauben ein noch kläglicheres Schauspiel. Man erinnere sich nur an zahlreiche Aussprüche des freisinnigen jungen Wagner und an die ganze Lebensführung und Weltanschauung des Komponisten von »Tristan und Isolde«. Und zuletzt dieses fromme Kriechen zum Kreuz! Das christlich-religiöse Element im Parsifal wurde eigentlich in Bayreuth am lebhaftesten besprochen. Die[356] Wagnerianer, welche den Schöpfer der »Nibelungen« bereits als größten Komponisten, als größten Dichter, als größten Philosophen gefeiert, erhoben ihn nach dem »Parsifal« ohne weiteres unter die erhabensten Moralisten und Religionsstifter! Die »Bayreuther Blätter« nahmen eine süßlich frömmelnde Miene an, und Herr von Wolzogen, der in Wien »Erinnerungen an Wagner« vorlas, sprach fast nur von dem reinen Christusglauben und der Gottinnigkeit desselben Mannes, welcher doch früher gegen die »beklagenswerte Einwirkung des Christentums« so heftig angekämpft hatte. Nun war Richard Wagner an der Schwelle seines siebzigsten Jahres mystisch-fromm geworden, und alle Mannschaft seiner Heilsarmee verdrehte die Augen. »Religiosität ist die Weingärung des sich bildenden und die faule Gärung des sich zersetzenden Geistes.« (Grillparzer)

Der Antisemitismus, seit Wagners »Judentum in der Musik« eines der zehn Gebote für seine Anhänger, verbreitete sich nach dem »Parsifal« natürlich noch heftiger und allgemeiner. Einige Wagnerianer fanden es unbegreiflich, wie der Meister sein christliches Weihespiel von einem Juden, Herrn Levi, konnte dirigieren lassen. Daß dieser ein unübertrefflicher Dirigent ist, war ihnen ganz Nebensache.

Im ganzen habe ich von Bayreuth 1882 eine viel freundlichere Erinnerung heimgebracht als vom Nibelungenjahr 1876. Der eine »Parsifal«-Abend ist nicht so lang und schon darum weniger abspannend als die Tetralogie. Mit den Höhepunkten der letzteren jedoch läßt sich kaum eine Szene im »Parsifal« musikalisch auf gleiche Stufe stellen, höchstens der Chor der Blumenmädchen. In diesem sprudelt noch die musikalische Frische und Sinnlichkeit des früheren Wagner, während alles Übrige zwar durch eminent theatralischen Effekt wirkt, aber nur selten durch Kraft und Neuheit der Erfindung.

Sowohl meine Kritik der Nibelungen als des Parsifal haben heftige Angriffe erfahren. Eine ruhige, sachgemäße Entgegnung ist mir nicht zugekommen; meist nur gehässige, höhnende Worte. Die Wagnerianer haben mir den Beinamen »Beckmesser« aufgebracht und damit bewiesen, daß sie ihren Meister und dessen verständlichste Figur nicht verstehen. Der Stadtschreiber Beckmesser in den »Meistersingern« ist der Typus eines an lauter Kleinlichkeiten und Nebensachen hängenden Pedanten, ein Philister ohne Schönheitssinn und geistigen Horizont, ein bornierter[357] Silbenstecher, der jede falsche Betonung, jede von der »Regel« abweichende Note als ein Verbrechen an der Kunst ankreidet und mit der Addition dieser einzelnen Fehler den Sänger vernichtet zu haben glaubt. Ich habe Wagner nie um Kleinigkeiten willen angegriffen, niemals einzelne Regelwidrigkeiten in seinen Werken aufgespürt – meine seit vierzig Jahren vorliegenden Musikkritiken beweisen hinlänglich, daß mir an dergleichen Schulfuchsereien gar nichts liegt. An eine bedeutende Erscheinung mit dem Maßstabe formeller Korrektheit, mit orthographischen und grammatikalischen Bemängelungen heranzutreten, liegt mir gänzlich fern. Ich habe gegen Wagners Musikdramen immer nur große Gesichtspunkte, nur fundamentale Forderungen der Tonkunst geltend gemacht. Was ich ihm vorwarf, ist die Vergewaltigung der Musik unter das Wort, die Unnatur und Übertreibung des Ausdrucks, die Vernichtung des Sängers und der Gesangskunst durch stimmwidrigen Satz und orchestrales Getöse, die Verdrängung der Gesangsmelodie durch deklamatorisches Rezitieren, die lähmende Monotonie und maßlose Ausdehnung, endlich den unnatürlichen Stelzengang seiner, jedes feinere Sprachgefühl verletzenden Diktion. Wenn ich Details hervorhob, so geschah es im Gegenteil meistens in lobendem, nicht in bemängelndem Sinne. Solche Kritik ist, wie ich glaube, alles andere eher als Beckmesserisch. Hingegen scheinen mir gerade die Wagnerianer viel Ähnlichkeit mit Beckmesser zu haben. Es gibt auch Adorations-Beckmesser. Sie gönnen sich keine Ruhe, bevor sie nicht die unbedeutendste Note, die allergewöhnlichste Phrase, die unschuldigste Sechszehntelpause hervorgestöbert und als unerreichbares Geniewerk verherrlicht haben. Dieses Beckmessertum in der Wagnerliteratur ist gegenwärtig noch im Anwachsen. Denn, nachdem die großen Gesichtspunkte, aus welchen Wagner zu preisen ist, alle längst abgegrast sind, müssen die Bewunderungs-Beckmesser sich auf die Maulwurfs- und Ameisenarbeit legen. Mit ihren Resultaten könnte man bereits Bände füllen. Herr Edmund von Hagen schrieb einen ganzen Oktavband über die Dichtung (!) der ersten Szene (!) des »Rheingold«. Derselbe Verfasser erörtert »Die Bedeutung des Morgenweckrufs im Parsifal« auf zweiundsechzig Oktavseiten und entschuldigt im Vorwort noch die Knappheit seiner Darstellung als »das Resultat eines überreichen geistigen Gehalts!« Ist das nicht Beckmesserei? Und ist es nicht Beckmesserei ärgster Sorte, wenn Hans von Wolzogen[358] in seinem »Leitfaden« neunzig verschiedene Leitmotive der »Nibelungen« und in seiner »Poetischen Laut-Symbolik« die psychische Wirkung jedes einzelnen von Wagner irgendwo verwendeten Konsonanten und Stabreims expliziert? Von einem andern Adorations-Beckmesser, Herrn Moriz Wirth, haben wir eine eigene Broschüre über den König Marke, worin bewiesen wird, daß dieser traurige Ehemann eigentlich die Hauptperson in »Tristan und Isolde« sei. Über das Alter dieses Marke haben sich die verschiedenen Beckmesser in polemischen Aufsätzen herumgestritten; der eine gibt ihm fünfzig, der andere siebzig Jahre. Es gibt Bücher und Abhandlungen über den »Charakter der Eva«, über »Das Verhältnis Eriks zum fliegenden Holländer und zur Senta«, eine ganze Streitschriften-Sammlung über die Bedeutung des Liebestranks der Brangäne usw. Man sollte glauben, daß diese Fluten unnützen und langweiligen Geschwätzes sich von der Hochwasserhöhe Anno 1876 endlich zu verlaufen beginnen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die Auslegungs- und Verhimmelungs-Beckmesser sterben nicht aus. Es ist ein wahrhaft klägliches Schauspiel, wie jeden Augenblick ein paar neue Wagner-Detektives gelaufen kommen, von denen jeder einen noch versteckten Tiefsinn irgendwo aufgeschnüffelt hat. Was ich Adorations-Beckmesserei nenne, ist in Wien auch plastisch, handgreiflich zu sehen. Da existiert ein »Richard-Wagner-Museum«, für welches ein opferfreudiger Wagnerianer seine ganzen Ersparnisse und an zwanzig Jahre Arbeit gewendet hat. Zwei riesige Bände in Lexikonformat enthalten das (noch immer nicht vollständige) Verzeichnis der Schätze dieses Museums. Darunter befinden sich unter anderen angeführt »eine Stahlfeder R. Wagners«, »eine Visitenkarte R. Wagners«, »Eintrittskarte auf den Perron des Bahnhofes zur Ankunft R. Wagners«, Abbildungen sämtlicher Hotels, in welchen R. Wagner zeitweilig gewohnt usw., usw.

Ich glaube wirklich, Wagners Kunst müßte den größten Vorteil davon haben, wenn jetzt zehn Jahre lang keine Bücher darüber geschrieben würden. Glaubt man wirklich, daß ein Musikdrama von starker, ehrlicher Wirkung diesen Wust von philosophischen Kommentaren brauche? Fortwährend werden aber neue (oder die nämlichen alten) Tiefsinnigkeiten über jeden Vers, jedes Motiv Wagners gedruckt. Erscheint aber einmal ein musikwissenschaftliches Buch, das uns aus dieser unerträglich gewordenen Überflutung auf eine ruhige, fruchtbare Insel rettet, ein Buch wie [359] Spittas sechzehn Aufsätze »Zur Musik«, so wird es sofort vom Leipziger »Musikalischen Wochenblatt« »recht sehr langweilig« genannt, »weil der Name R. Wagner in dem ganzen Band nur vier oder fünfmal kurz gestreift wird!« Kein Zweifel, daß diese Sorte von Derwischen der Sache ihres Meisters mehr geschadet hat als die gegnerischen Kritiken gebildeter Männer. Sie trieben es schließlich dem »Meister« selbst zu toll, der doch eine starke Wolke Weihrauchs vertragen konnte. Übrigens fehlt es bereits nicht an Beispielen entschiedenen Abfalls von geistreichen Leuten aus dem Wagnerlager. Ich will ganz absehen von Nietzsche, dessen merkwürdiges Buch »Der Fall Wagner« freilich von der Partei als Zeichen beginnender Geistesverwirrung denunziert wurde, obgleich es viel klarer, vernünftiger und überzeugender geschrieben ist als die Wagner-Hymnen aus Nietzsches früherer Periode. Aber auch Bülow, der mehr als irgendein anderer für Wagner gewirkt hat, schrieb mir im Januar 1891, er freue sich »seines späten, aber nicht allzuspäten Häutungsprozesses« und sei geheilt von seiner früheren »Nibelungensucht«. Einige Bemerkungen über Glucks »Armida« (in demselben Briefe) schließt Bülow mit den Worten: »Die Zauberinnen sind ja ausgestorben, und für den Rekurs an Signor Klingsohr, uns eine Kundry als Armidagespenst aufhängen zu sollen, bedanke ich mich mit Ihnen unisono.« An den neueren Aufsätzen von Wilhelm Tappert und Ludwig Hartmann (jetzt dem eifrigsten Missionar für Smetanas Opern) wird man gleichfalls eine starke Abkühlung ihrer früheren Wagnerhitze konstatieren. Wenn sich noch die Betbruderschaft vom heiligen Richard mit dem Preise seiner Musik begnügen wollte! Aber Wagner für einen der größten Dichter auszugeben, für einen Ebenbürtigen Goethes und Shakespeares, das geht doch über den Spaß. Wer eine Ahnung von wahrer Poesie hat, kann die Textbücher Wagners unmöglich dazu zählen. In diesem Punkte wird man hoffentlich Männern wie Hebbel, Gottfried Keller, Gregorovius, G. Freytag, Laube, Hopfen, W. Scherer, Spielhagen, Hillebrandt, Otto Ludwig ein Urteil zugestehen. In den Tagebüchern der drei erstgenannten, den zerstreuten Aufsätzen der andern wird man sie gleicher Meinung mit mir finden.

Es ist nur zu begreiflich, daß der exaltierte Götzendienst der Wagnerianer und deren höhnisch herausfordernder Ton nicht ohne Eindruck auf die Angegriffenen bleiben konnte. Wahrscheinlich würden ich und manche meiner Gesinnungsgenossen in ruhigerem[360] Ton über Wagner geschrieben haben, wenn nicht die maßlosen, ans Lächerliche grenzenden Übertreibungen der Gegner unsern Puls beschleunigt hätten. Das Gefühl, in der Minorität zu sein, verbittert leicht das ehrlichste Gemüt und spitzt die Worte. Ich will gerne zugestehen, daß mir das zeitweilig passiert sein mag. Protestieren muß ich jedoch gegen eine Äußerung in Max Nordaus Buch »Entartung« (dieser grausamsten Hinrichtung der gesamten Wagnerei). »Hanslick sei sehr lange absprechend geblieben, bis er schließlich vor dem übermächtigen Fanatismus der wagnertollen Hysteriker die Flagge strich.« Ich weiß nicht, auf welche Tatsachen Nordau diese gänzlich falsche Behauptung stützt. Meine letzten Besprechungen Wagnerscher Kompositionen und neuester Wagnerschriften zeugen doch für das Gegenteil. Nachdem ich durch vier Dezennien mich über Wagner sattsam ausgesprochen hatte, war meine Aufgabe beendet. Neues ist über Wagner kaum mehr zu sagen. Es hieße, dieselbe Geschmacklosigkeit begehen wie die Wagnerianer selbst, wollte ich etwa jede einzelne Aufführung des »Tristan« oder der »Nibelungen« dazu benützen, von neuem die Wagnerfrage aufzurollen. Die »Graphomanie«, die Schreibwut, ist ja nach Nordaus richtiger Bemerkung ein charakteristisches Krankheitssymptom Wagners und der Wagnerianer. Ich selbst leide weder an Graphomanie noch an Feigheit. Allerdings habe ich das Bewußtsein, eine nur kleine Minorität zu vertreten und weiß, daß ich eine Wendung dieser Geschmacksrichtung nicht erleben werde. Jüngere werden es. Wie lange Wagners Musik noch den Enthusiasmus des Publikums in Beschlag halten dürfte, darüber wage ich eine Vermutung nicht auszusprechen. Aber daran zweifle ich keinen Augenblick, daß man in fünfzig Jahren die Schriften der Wagnerianer als Monumente einer geistigen Epidemie anstaunen wird. –

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 354-361.
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