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[146] In Gutzkows Arbeitszimmer trat eines Tages ein orientalisch aussehendes Männchen, der Dichter des Schauspiels »Anne-Lise«, mit den Worten: »Ich heiße Hersch.« – »Das sehe ich,« erwiderte mit boshaftem Lächeln Gutzkow. Daran mußte ich denken, als sich eines Morgens ein kleiner, verwachsener, schwarzbrauner Kobold mir mit den Worten vorstellte: »Ich heiße Hirsch.« Das glaubte ich ihm auch aufs Wort und frug nach seinem Begehr. Julius Hirsch, übrigens ein im nationalökonomischen Fach sehr tüchtiger Journalist und durchaus ehrenwerter Charakter, war eine Art Sekretär des Herausgebers der »Presse«, des mächtigen August Zang. Von diesem überbrachte er mir die Einladung, als ständiger Musikreferent in die »Presse« einzutreten und betonte die Bedeutung dieses Blattes wiederholt mit dem sonderbaren Ausruf: »Wir sind kein Kreuzerblatt, wir kosten acht Gulden!« Unnötige Versicherung; die »Presse« war als die gelesenste und einflußreichste politische Zeitung Wiens anerkannt. Ich nahm den Vorschlag bereitwillig an; war mir doch der Abschied von dem ewig zensurierenden, bürokratisch ängstlichen Redakteur der »Kaiserlichen Wiener Zeitung« nicht schwer. In der »Presse« konnte ich zu einem viel größeren Leserkreis sprechen und mit vollständigster Unabhängigkeit. Die materiellen Vorteile waren nicht bedeutend. Als ein Beispiel, welcher Unterschied zwischen den Honoraren von damals und den heutigen bestand, sei erwähnt, daß mir die »Presse« keinerlei fixen Gehalt, sondern bloß[146] zwölf Gulden österreichischer Währung für jedes Feuilleton auszahlte. Und doch war diese Zeitung die wichtigste und einträglichste in Österreich. Freilich ihr Eigentümer war auch der geizigste von allen.

August Zang, ein offener Kopf und energischer Charakter, aber ohne gründliche literarische Vorbildung hatte früher in Paris eine Bäckerei nach Wiener Art (»Boulangerie Viennoise«) gegründet. Er benützte einen glücklichen Zeitpunkt in dem neu erwachenden politischen Leben Österreichs, um heimzukehren und statt des Bäckerladens eine Zeitung aufzumachen. Der außerordentliche Aufschwung seiner »Presse« bewies zur Genüge das seltene administrative und finanzielle Talent, die zielbewußte rastlose Arbeitskraft Zangs. Die politische Aufgabe des Blattes vertrat er mit unerschrockenem Mut, die finanzielle mit ebenso großem und erfolgreichem Talent. Dabei war er eine ganz realistische Natur; Kunst, Wissenschaft und schöne Literatur existierten nicht für ihn. Seine gänzliche Gleichgültigkeit gegen Musik und Theater hatte wenigstens die eine gute Folge, daß es ihm nicht beifiel, die Unbefangenheit seiner Kritiker, durch Protektion dieser oder jener Künstlerin, im mindesten zu beeinflussen. Das galt damals keineswegs von allen Wiener Journalen. Es gab hier eitle Zeitungspaschas, in deren Soireen die berühmtesten Künstler singen, spielen, deklamieren mußten. Taten sie es nicht, so hatten sie sehr ungnädige Rezensionen zu erwarten. Die Kritiker schrieben häufig unter dem moralischen Druck der persönlichen Gunst oder Ungunst, womit ihr Prinzipal den betreffenden Künstler beehrte. Solchen Dingen war man bei Zang nicht ausgesetzt. Es fiel ihm nicht ein, für Künstler Soireen zu geben; meines Wissens gab er überhaupt keine. Er war ganz Geschäft. Sein einziger Ehrgeiz, sein einziger Stolz war seine Zeitung, von deren Einfluß und Unentbehrlichkeit er eine großartige Vorstellung hatte. »Es muß noch dahin kommen, daß die Königin von England ihre Thronrede als Inserat in die ›Presse‹ gibt.« Das war ein Scherz, aber ein sehr charakteristischer.

Einmal ließ er mich zu einer wichtigen Unterredung bitten. Er finde es notwendig, daß alle Künstler, die in der »Presse« besprochen sein wollen, ihre Konzertanzeigen inserieren lassen. »Wer das nicht tut, über den wird nicht geschrieben. Wir sind nicht da, um die Geschäfte dieser Leute zu machen.« – Ich stellte ihm das Unpassende, ja Unmögliche einer solchen Maßregel vor. Während[147] man die Konzerte der kläglichsten Anfänger zu besprechen hätte, falls sie dieselben nur inserieren, mußte man über die größten Künstler, wie Joachim, Rubinstein, Clara Schumann, Jenny Lind konsequent schweigen, weil gerade diese keiner Zeitungsannoncen bedurften, um ein volles Konzert zu erzielen. Eigensinnig, wie er war, ließ aber Zang von seiner Idee nicht ab. »Es steht in Ihrer Macht,« erwiderte ich, »eine so merkwürdige Neuerung in Ihrem Blatt einzuführen, aber ich werde es nicht sein, der sie ausführt. Von heute an bitte ich, mich als ausgetreten zu betrachten.« Mit einem verdrießlichen Brummen entlassen, ging ich nebenan in die Redaktionszimmer und nahm Abschied von den mir persönlich bekannten Mitarbeitern Friedrich Uhl, Etienne und Max Friedlaender. Diese gaben mir recht, prophezeiten aber, Zang würde von seinem Vorhaben von selbst abstehen. So geschah es auch. »Ich heiße Hirsch« kam einige Tage später im Auftrage Zangs zu mir mit der Erklärung, es solle alles beim alten bleiben.

Ich hatte drei bis vier Jahre für Zang gearbeitet, als einige ihm näherstehende Herren seiner Redaktion ihm aus freiem Antrieb zuredeten, er möge mein doch gar zu armseliges Honorar erhöhen. Nach langem Sträuben entschloß er sich, mir anstatt zwölf Gulden, fünfzehn Gulden für das Feuilleton zu bewilligen. Über dieses Honorar bin ich während der neun Jahre meiner Tätigkeit bei der Presse nicht hinausgekommen. Zangs Geiz ist zuletzt sein Unglück geworden. Als er seinen beiden unersetzlichen Hauptmitarbeitern, Etienne und Friedländer, welche die Seele des Blattes waren, eine Erhöhung ihrer Bezüge verweigerte, traten sie, samt dem ausgezeichneten Chef der Administration, Adolf Werthner, aus und gründeten 1864 ein eigenes Blatt, die »Neue freie Presse«, welche bald die Zangsche alte »Presse« weit überflügelte. Friedlaenders Wunsch, ich möchte diesen Exodus mitmachen, habe ich mit Freuden sofort erfüllt. Es war keineswegs Zangs Knauserei, was mir den Mann geradezu widerwärtig machte, sondern seine ganze Natur, die keine Ideale kannte noch anerkannte und die Publizistik lediglich von der geschäftlichen Seite begriff. Er hatte ein hochfahrendes, trockenes, brüskes Wesen, das mich abstieß wie sein Äußeres. Die kleine aufgestülpte Nase mit den runden Nasenlöchern gab dem Kopf einen Ausdruck trotziger Gemeinheit; nie fiel aus den brillenbewehrten grauen Augen ein freundlicher Blick, nie von den sinnlich aufgeworfenen[148] Lippen ein gemütvolles Wort. Mir war der ganze Mann so antipathisch, daß ich es vermied, mit ihm zusammenzutreffen; ich habe ihn während der ganzen Jahre auch nur drei- bis viermal gesprochen. Zang hat sehr viel Geld und äußerst wenig Freunde hinterlassen.

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 146-149.
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