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[94] Die Einnahme Wiens durch die kaiserlichen Truppen am 30. Oktober 1848 nahm zwar einen Alp von den Gemütern der Bevölkerung, legte aber einen anderen, recht andauernden auf dieselben:[94] die Militärherrschaft und unverhüllte Reaktion. Die zahlreichen Hinrichtungen, darunter Robert Blums, Bechers, Dr. Jellinecks, Massenhausers, das unausgesetzte Aufspüren »Verdächtiger«, das oft in Übermut ausbrechende Selbstbewußtsein des Militärs, das alles lastete wie eine schwere, schwarze Decke auf unserem Haupte. Ich erinnere mich eines Balles im Fasching 1849 bei dem früher erwähnten höheren Militärbeamten und musikalischen Fuchsliedvertilger, wo ungefähr die Hälfte der Tänzer aus Offizieren bestand. Kein Wort wurde zwischen uns Zivilisten und den Offizieren gewechselt, keiner von uns wollte in der Quadrille einem Offizier vis-à-vis tanzen oder dessen Soupernachbar sein. Ein Herzenstrost in diesem düsteren, schweren Jahre war mir der Umgang mit einigen lieben alten Freunden aus der Prager Zeit, dem Professor Karl Schiller, dem Historiker Adam Wolf, dem nachmaligen Hofrat und Professor Dr. Wilhelm Wahlberg, vor allem mit Robert Zimmermann, damals Littrows Assistenten auf der Sternwarte. Er schrieb nicht mehr Freiheitsgedichte wie in Prag, sondern eine Abhandlung über Leibniz' Monadenlehre. Wir hatten zusammen zwei nett möblierte Zimmer im vierten Stock eines Hauses in der Wollzeil gemietet, für den Gesamtmonatszins von zehn Gulden! So billig lebte man auch noch damals. Wenn wir an freien Abenden es uns recht gemütlich machen wollten, so ließen wir uns ein bescheidenes Nachtmahl aufs Zimmer bringen – in der Regel ein »Paar Frankfurter« und ein Glas Bier – und waren in trautem Gespräch über Politik, Literatur und Herzensangelegenheiten seelenvergnügt.

Von den »Errungenschaften« des Jahres 48 war mir die teuerste und jedenfalls die einzige, der man nichts anhaben konnte, das Freundschaftsbündnis mit Eduard Schön. Er war aus Engelsberg in Österreichisch-Schlesien gebürtig, dem Städtchen, das er sich zum Pseudonym auf seinen Kompositionen gewählt hat. Im Vorzimmer von Professor Hye, bei dem wir uns wegen unseres bevorstehenden Rigorosums Rats erholten, traf ich zum erstenmal mit Schön zusammen, dessen jugendlich blühendes Gesicht mit den treuherzigen Augen schnell alle Sympathien eroberte. Mehr noch als unsere gemeinsamen juridischen Leiden schloß uns die Liebe zur Musik aneinander. Ich ließ ihm nicht Ruhe, bis er einige seiner reizenden Lieder und Männerchöre im »akademischen Gesangverein« zur Aufführung gebracht und veröffentlich hatte, wozu er in fast schüchterner Bescheidenheit nur pseudonym sich[95] verstehen wollte. Wir sahen uns oft, und als ich später sein Büronachbar im Finanzministerium wurde, waren wir geradezu unzertrennlich. Ich werde später noch von ihm zu erzählen haben; hier drängt es mich nur, den Anfang eines Freundschaftsbündnisses zu notieren, das mich dreißig Jahre lang beglückt hat und in ungestörter Harmonie bis zu Schöns leider frühem Tode dauerte.

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 94-96.
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