3

[66] Das juridische Studium in Wien beschränkte nicht allzu grausam meine musikalischen Passionen. Zuerst drängte es mich, den starken Eindruck, welchen mir Wagners »Tannhäuser« in Dresden gemacht, in meinem Gedächtnis aufzufrischen und eine Analyse dieser Oper zu schreiben. Wagner war damals in Wien, ich glaube in ganz Österreich, völlig unbekannt. Ich konnte freilich nicht hoffen, daß meine junge Stimme durchdringen würde mit der Anpreisung des »Tannhäuser«, – er wurde erst dreizehn Jahre später, im Herbst 1859, im Hofoperntheater aufgeführt, – aber wenigstens wollte ich dem engeren Kreis der Musiker eine Schilderung dieses hochinteressanten Werkes geben. Mit Erlaubnis Liszts durfte ich die ihm gehörige Partitur des »Tannhäuser«, die er bei Mechetti deponiert hatte, bei der Abfassung eines langen, mit vielen Notenbeispielen gespickten Aufsatzes benützen, der sich durch elf Nummern der »Wiener Musikzeitung« fortschleppte. Dieser Artikel trug mir den geistvollen und inhaltreichen Brief R. Wagners vom 1. Januar 1847 ein, welchen ich in meinen »Musikalischen Stationen« mitgeteilt habe.

Der Redakteur der »Wiener Musikzeitung« hieß Dr. August Schmidt. Er war Beamter, – natürlich, möchte man hinzusetzen. Im vormärzlichen Österreich war jedermann Beamter, den die Liebe zu künstlerischem Schaffen verzehrte, während er selbst nichts zu verzehren gehabt hätte ohne ein nebenbei betriebenes, gemütliches Staatsamt. Unsere Dichter: Collin, Grillparzer, Friedrich Halm, Mosenthal, J.N. Vogl, Tschabuschnigg, Franz v. Braunau, Otto Prechtler etc., alle waren Beamte, die Musikschriftsteller Kiesewetter, Mosel, Anton Schmid (der Biograph Glucks), Ambros, – Beamte. Dr. August Schmidt arbeitete den ganzen Vormittag angestrengt in der Staatsschuldenkasse; am Nachmittag und Abend redigierte er seine Musikzeitung, schrieb für dieselbe zahlreiche Artikel, korrigierte bis in die späte Nacht. Außer der Begründung und tüchtigen Führung dieses Blattes hat er das Verdienst, den ersten Männergesangverein in Wien ins Leben gerufen zu haben, unter unsäglichen Schwierigkeiten und Vexationen von Seiten der argwöhnischen Behörden. A. Schmidt war ein bescheidener und liebenswürdiger Mann, der aus echter Kunst- und Vaterlandsliebe für die musikalische Förderung Wiens nach seinen Kräften wirkte. Von einem nennenswerten Ertrag seines Unternehmens[67] konnte ohnehin nicht die Rede sein. Die größten Musikverleger Frankreichs und Italiens haben es mir bestätigt, daß eine Musikzeitung nur mittelbar sich rentieren könne, indem sie als Eigentum einer großen Firma eine fortlaufende Reklame für deren Verlagsartikel bildet. Diese Voraussetzung fehlte in Wien. – Als stillschweigende Bedingung galt bei Schmidts Musikzeitung der Verzicht auf Honorar, genau wie bei dem früher erwähnten Prager Blatt »Ost und West«. Gern hätte ich trotzdem die größeren Konzerte oder Opernnovitäten besprochen, schon des freien Eintritts wegen; aber dieses Ressort war in festen Händen, ich will nicht sagen in den besten. Nur hin und wieder ersuchte mich Schmidt um eine Notiz über irgendein kleineres Privat- oder Wohltätigkeitskonzert, und ich Esel freute mich noch darüber, in entlegener Vorstadt einige Lieder und Klavierstücke gratis hören und kritisieren zu dürfen. Wie haben die Zeiten sich verändert!

Weit größeren Reiz und Wert hatte es für mich, hin und wieder einen Aufsatz in Frankls »Sonntagsblätter« zu schreiben. Dieses Blatt war unter den vormärzlichen Journalen Wiens weitaus das literarisch gediegenste und geschmackvollste. Dem oberflächlichen Neuigkeitskram und Theaterklatsch der übrigen Blätter stand es durch seine Bevorzugung der Poesie und bildenden Künste, durch seine ernste Haltung und gewählte Sprache vornehm gegenüber. Ludwig August Frankl, dessen poetisches und journalistisches Talent durch die ruhige Anmut seines Verkehrs noch an Reiz und Einfluß gewann, bildete in Wien eine Art literarischer Gesandtschaft, bei welcher kein schreibender oder schreiblustiger Ankömmling sich vorzustellen unterließ. Er kannte meine Prager Versuche und forderte mich auf, über besonders wichtige musikalische Vorkommnisse ausnahmsweise neben seinem stabilen Musikreferenten das Wort zu ergreifen. Da war es mir gleich eine Herzensangelegenheit, in den »Sonntagsblättern« die Ankunft Robert Schumanns zu feiern, welchen das Wiener Publikum fast nur dem Namen nach, und zwar als »Mann der Clara Wieck«, kannte. Prag war, wie schon früher erwähnt, der Residenz in diesem und anderen musikalischen Punkten bedeutend voraus. In Wien dürfte ich der erste gewesen sein, welcher die hohe Bedeutung Robert Schumanns dem Publikum zu erklären versuchte, wie ich auch der erste war, der hier für Richard Wagner und seinen »Tannhäuser« eintrat. Andere Aufsätze[68] von mir behandelten die erste Aufführung von Meyerbeers »Vielka« im Wiedener Theater, Mendelssohns Oratorium »Elias«, ein großes Konzert des Komponisten Dr. Alfred Becher, den Tod Mendelssohn u.s.w. Meinen Artikel über Schumann mußte ich Frankl im Manuskript vorlesen; er fand eine Stelle darin unklar; ich suchte sie zu erklären und zu verteidigen, traf es aber nicht zu seiner Zufriedenheit. Nach einer Weile sagte Frankl: »Wenn zwei gebildete Menschen eine volle Viertelstunde über einen Satz, einen Ausdruck disputieren und sich nicht verständigen können, so muß vonseiten des Autors ein Fehler vorliegen.« Er hatte recht. Ich nahm das Blatt wieder nach Hause, überlegte und änderte. Es ist seither ein halbes Jahrhundert verflossen, aber den Ausspruch Frankls habe ich nie vergessen; er stellt sich mir augenblicklich ein, sooft ein unklarer, mißverständlicher Satz meiner Feder entschlüpfen will.

Ich hatte eine Reihe längerer Aufsätze in den Jahren 46 und 47 für die »Sonntagsblätter« geschrieben, ohne an ein Honorar zu denken, so erwünscht es mir gekommen wäre. In diesem Punkt war ich gut erzogen. Da macht mich einmal ein Mitarbeiter Frankls aufmerksam, daß dieser sich nicht weigere, ein Honorar zu zahlen, wenn man ihn ausdrücklich darum angehe. Ich fasse Mut und trage Frankl meinen Wunsch bescheiden vor. »Setzen Sie sich ein wenig; ich will gleich Ihr Guthaben zusammrechnen.« – Und nun zählt er die Zeilen und berechnet und addiert und überreicht mir endlich die Rechnung, die für meine sämtlichen Artikel zusammen etwas über – acht Gulden ausmachte. »Erlaube mir jedoch,« schrieb er unter die Summe, »Ihnen zwei kaiserliche Dukaten zu offerieren.« Er überreicht mir aus einem Pillenschächtelchen zwei Dukaten, und ich Neuling – glaubte Wunder was zu haben! Es war mein erstes Schriftstellerhonorar, und ich bedankte mich mit Überschwänglichkeit. Zum Geschäftsmann war ich offenbar nicht geboren. Indessen verdankte ich den »Sonntagsblättern« mehr und Wertvolleres, als diese zwei Goldstücke. Ich war durch Frankls Blatt bekannt geworden und empfing davon auch bald einen reellen Beweis. Mit dem ersten Januar 1848 erhielt die kaiserliche »Wiener Zeitung«, welche bisher nur durch ihre amtlichen Publikationen wichtig, sonst aber kläglich bestellt war, eine größere Form und eine neue vielversprechende Leitung. Drei Professoren der Rechte, anerkannt tüchtige Männer von moderner Bildung, wurden gemeinschaftlich[69] mit der Redaktion betraut: Eduard Tomaschek, Moritz Heyßler und M. von Stubenrauch. Man schien in den höheren Regionen doch etwas zu wittern von dem herannahenden frischeren Luftzug, der sich bald zu dem Gewitter der Märzrevolution steigern sollte und fand die lächerlich philiströse Rolle, in welcher die »Wiener Zeitung« förmlich versteinert war, nicht mehr zeitgemäß. Durch die genannten drei Männer erhielt das offizielle Blatt auch in seinem literarischen Teil Wert und Bedeutung. Professor Tomaschek, selbst ein großer Musikfreund, hatte an meinen Aufsätzen in den »Sonntagsblättern« Gefallen gefunden und trug mir das Musikreferat in der »Wiener Zeitung« an. Mit Freuden schlug ich ein und hatte die Empfindung eines reich dotierten Mannes, als mir ein Monatsgehalt von 25 fl. zugestanden wurde. Dafür hatte ich Konzerte und Opernvorstellungen regelmäßig zu besprechen. Das ging bis zur Märzrevolution und darüber hinaus ganz gut; als aber der politische Sturm Opern und Konzerte für Monate hinwegfegte, wollten die Eigentümer des Blattes, die Ghelenschen Erben, meinen Posten ohne weiteres streichen. Sie hatten sehr viel eingebüßt an dem, bis zum März bestandenen, sonderbaren Monopol der »Wiener Zeitung«, Inserate aufzunehmen. Eine Flut neuer Zeitungen entstand nach der Märzrevolution, und sie alle kehrten sich nicht an das Privilegium der »Kaiserlichen Wiener Zeitung«, sondern nahmen Inserate auf, soviel sie nur bekamen. Durch eine stürmische Intervention Dr. Heyßlers wurde ich trotzdem in meinen mir zugesicherten Ansprüchen geschützt.

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 66-70.
Lizenz:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gedichte. Ausgabe 1892

Gedichte. Ausgabe 1892

Während seine Prosa längst eigenständig ist, findet C.F. Meyers lyrisches Werk erst mit dieser späten Ausgabe zu seinem eigentümlichen Stil, der den deutschen Symbolismus einleitet.

200 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon