Das Benehmen auf dem Balle.

[43] Zu einem Balle, mag derselbe privater oder öffentlicher Natur sein, erscheint der Herr im feinsten Anzuge; Damen pflegen bei solchen Gelegenheiten den neuesten Moden zu huldigen und können ihren guten Geschmack au den Tag legen. Haudschuhe, Wäsche etc. müssen aufs sauberste sein. – Die ersten Tänze pflegen sogenannte Rücksichtstänze zu sein, – weil sie mit den Damen des Hauses, [43] wo man zu Gaste ist, den vornehmen und ausgezeichneten Damen gemacht werden und dem Geschmack und der Neigung des Tänzers nicht Rechnung getragen werden darf. Ohne einer Dame vorgestellt zu sein, darf man sie nicht zum Tanze engagieren. Die Zeremonie des Vorstellens auf dem Balle geschieht in der Weise, daß man sich in den Pausen durch einen Bekannten zur Dame hinführen läßt, und dieser nun etwa mit den Worten vorstellt: Gestatten Sie mir, Ihnen meinen Freund N.N. vorzustellen. – Bei der Auswahl der Tänzerin richte man sein Augenmerk nicht auffallend auf strahlende Schönheit und blendenden Putz; ein solches Verfahren muß den mittanzenden Herren und Damen gleich unangenehm sein. Man wähle die Dame, welche man zum Tanze auffordern will, aus der Ferne, und hüte sich vor dem Tanze die ganze Damenreihe auffällig zu mustern. Die Aufforderung zum Tanze geschieht mit dem Hute in der Hand, was freilich nicht überall üblich ist, weshalb man sich nach der Ortssitte zu richten hat. Man macht dann der Erwählten seine volle Verbeugung etwa mit den Worten: darf ich um den nächsten Tanz bitten? Kann ich die Ehre haben? Dürfte ich um die Ehre des nächsten Tanzes bitten? Wird uns eine abschlägige Antwort zu teil, weil die Dame bereits engagiert ist, so ist es der Artigkeit angemessen, dieselbe um einen späteren noch nicht zugesagten Tanz zu bitten; ebenso wird man es der Dame als Liebeswürdigkeit anrechnen, wenn sie sich dem Herrn zu einem andern freien Tanze erbietet. – Muß ein Herr zu einem [44] neuen Engagement schreiten, so ist es unziemlich, sich an eine Dame zu wenden, welche durch ihren nahen Platz Zeugin der ersten Bewerbung war, und so leicht das Gefühl haben könnte, der ersteren nachgesetzt zu sein. Er trete vielmehr in die Gesellschaft zurück und wende sich aufs neue an eine andere Dame. – Schlägt eine Dame einen Tanz ab, so darf sie auch nur mit dem Herrn tanzen, mit welchem sie vorher engagiert war. Sollte sie einen unangenehmen Tänzer zurückweisen, während sie frei ist, so darf sie den Tanz überhaupt nicht tanzen und muß auch einen passenden Entschuldigungsgrund angeben. Es ist nicht schicklich für Herren, ein und dieselbe Dame wiederholte Male zum Tanzen aufzufordern, es sei denn, daß es eine Anverwandte, oder eine Dame ist, welche wir zum Balle geführt haben. Bliebe diese ohne Tänzer, so verlangt es die Höflichkeit, sich selbst zum Tänzer anzubieten oder unbemerkt für einen Tänzer zu sorgen. Wo sogenannte Extratouren erlaubt sind, ist es als eine Artigkeit gegen eine Dame anzusehen, wenn sie um eine solche gebeten wird. In einem solchen Falle holt man zuerst die Einwilligung der Dame und dann die Erlaubnis des Herrn ein. Letzterer thut wohl daran, die Gewährung ganz von dem Willen der Dame abhängig zu machen und seine Einstimmung durch eine stumme Verbeugung anzuzeigen, gleichzeitig tritt derselbe etwas zurück, um der Dame zum Vortreten Platz zu machen. Beim Abschlagen einer Extratour braucht weder die Dame gar zu ängstlich, noch darf der Herr zu empfindlich sein. Wenn [45] eine recht beliebte Tänzerin gar zu häufig um Extratouren angegangen wird, darf ein Herr durchaus nichts Beleidigendes darin finden, wenn er einmal ein Körbchen erhält. Äußert sie den Wunsch abzutreten, so hat er diesem sofort zu willfahren. Überhaupt darf man bei einer Extratour nicht zu lange tanzen und das angetretene Paar um sein Vergnügen bringen wollen. Nach beendigter Tour führt man die Dame zu ihrem Herrn zurück und dankt ihr und dem Herrn durch eine stumme Verbeugung oder wenige freundliche Worte. – Bei dem Auffordern zum Tanze, beim Antreten mit der Dame und dem Herumführen derselben, so wie nach dem Schlusse des Tanzes bei der Zurückführung zu ihrem Sitze, muß alles Eckige und Steife, alles Unnatürliche und Zwangvolle, und nicht minder alles Süßthuende vermieden werden und darf sich auch während des Tanzes nicht zeigen. – In den Pausen oder bei solchen Tänzen, die das Sprechen gestatten, z.B. Quadrille u.a., hat der Herr für eine angenehme Unterhaltung der Dame zu sorgen; selbstverständlich können nur leichte Gespräche geführt werden und muß es auch das Bestreben der Dame sein, die Unterhaltung nach besten Kräften zu fördern. Über Anwesende, deren Toilette und Tanz etc. sich zu moquieren, ist unpassend und wird leicht verargt. Sich mit einer andern Dame oder einem Herrn unterhalten und die Tänzerin nicht mit in das Gespräch zu ziehen, ist ebenfalls eine sehr große Unhöflichkeit; während auf der andern Seite auch jede zu große Vertraulichkeit zu vermeiden ist. Mit vollem Recht muß man [46] verlangen, daß jeder Tanzende in seinen Bewegungen Takt halte und die Empfindungen der Musik auszudrücken und hervorzuheben habe. Die Arme dürfen an dem Körper nicht anliegen, aber auch nicht daran lose herumschlenkern, sondern sollen sich leicht und angenehm bewegen. Die Hände dürfen bei dem Halten keinen festen Druck ausüben, am wenigsten da, wo sich die tanzenden Paare näher aneinander anzuschließen haben, indem ein engeres Ansichdrücken von großer Unanständigkeit wäre. Bei sehr lebhaften, große Anstrengungen fordernden Tänze überschreite man nie das vernünftige Maß und setze die Lustbarkeit nicht bis zur Erschöpfung fort. Wer seine Kräfte in ungestümen Tanzen derart erschöpft, daß er die Direktion seiner Dame verliert, schweißtriefend und luftschnappend einherschwankt und ordentlich erst verschnaufen muß, ehe er sprechen kann, handelt nicht nur gesundheitswidrig, sondern verletzt auch das ästhetische Gefühl.

So sehr das schöne Geschlecht den Tanz liebt, so werden in neuerer Zeit vielfach Klagen laut, daß die Männerwelt es sich inbezug auf den Tanz rücksichtslos bequem mache. Wo jüngere Herren Einladungen zu einem Balle erhalten, ist es selbstverständlich, daß man auf sie als Tänzer ganz besonders gerechnet hat. Wer die Anstrengungen des Tanzes scheut oder aus Gesundheitsrücksichten unterlassen muß, der bleibe lieber vom Balle fern! – Einer bessern Beliebtheit bei den Damen wird sich dagegen der zu erfreuen haben, welcher die Fähigkeit besitzt, sich als Arrangeur und Vortänzer Verdienste um ein gutes Amusement zu erwerben. Es [47] kann wohl auf Bällen vorkommen, daß zwischen Herren Differenzen entstehen. Solche sind dann niemals in Gegenwart der Damen, sondern außerhalb des Saales auszugleichen. Sollte eine Dame beleidigt werden, was allerdings in einer guten Gesellschaft nicht vorkommen kann und darf, so dränge man sich nicht unberufener Weise zum Verteidiger auf, falls die Dame schon einen Verteidiger gefunden hat oder verwandte Herren anwesend sind. Würde man von einer Dame selbst darum ersucht, so verlangt es die Ritterlichkeit sie vor Insulten zu beschützen; jedoch suche man Störungen unter allen Umständen zu vermeiden.

Quelle:
Junker, Franz: Das feine Benehmen in Gesellschaften. Styrum, vorm. Oberhausen [1887], S. 43-49.
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