XIII.

[103] Herr v. Jendersky hielt sich leider zum Nachteile des Hoftheaters nicht lange auf der Höhe der Situation, er war für kleine Nebenverdienste nicht unzugänglich und verschaffte einem Sänger einen glänzenden Kontrakt, wofür ihm letzterer 600 Mark versprochen und auch zahlen mußte. Die Sache wurde von dem edlen Sänger weitererzählt, kam Herrn v. Gunzert zu Ohren und Jenderskys Stunden, da auch bei seiner Frau durch sogenannte »Küchengrüße« allerlei Bestechungsversuche gemacht wurden – waren gezählt.

Jendersky war ein ganz intelligenter Kopf, aber da Stuttgart damals in moralischer Beziehung einen sehr strengen Leiter hatte – denn dem guten Wehl, »kein Engel war so rein«, konnte man wahrhaftig in dieser Beziehung nichts nachsagen, was man nicht von jedem Intendanten behaupten könnte – so auch nicht von Herrn Jendersky. Es kamen Klagen über ihn über gewisse Vorgänge in seinem Bureau, zu welchem der Intendanzdiener jungen Damen schon stets mit verständnisinnigem Schmunzeln die Thür öffnete. –

Man nahm ihm zunächst die Rollenbesetzung aus der Hand und erneuerte seinen Kontrakt nicht wieder.

Mittlerweile waren auch meine Kontrakte zu Ende gegangen. Ich hatte erst einen dreijährigen, dann einen zweijährigen Kontrakt abgeschlossen, und als letzterer zu Ende war, erhielt ich den ominösen »definitiven Kontrakt«.

Ein definitiver Kontrakt der Stuttgarter Hofbühne läuft auf unbestimmte Zeit fort, kann aber von seiten der Intendanz[104] wie des Mitgliedes jeden Tag gekündigt werden, und zwar in den ersten 10 Jahren halbjährig und dann von seiten der Intendanz nur ganzjährig. Nach 20 Jahren tritt dann endlich Pensionsberechtigung ein, wenn man nicht noch nach 19 Jahren entlassen wird, wie das vorgekommen ist. Die vorangegangenen Zeitkontrakte werden nicht in Anrechnung dabei gebracht.

Ich hatte mich demnach, als ich den definitiven Kontrakt erhielt, um nichts verbessert. Meine Gage von 5000 Mark (inkl. Spielhonorar), welche ich in Stuttgart bezogen, blieb dieselbe, und ich bin im Laufe von fast 17 Jahren, die ich in Stuttgart engagiert war, nie um einen Pfennig im Gehalte verbessert worden. Um meine Familie erhalten zu können und nicht gezwungen zu werden, Schulden zu machen, drang ich stets nur auf Erweiterung meines Urlaubs. Vierzehn Tage Urlaub waren mir alljährlich, außer den allgemeinen Sommerferien, von der Hofkammer bewilligt. Auf mein dringendes Bitten erhielt ich noch einen vierzehntägigen Gnadenurlaub vom König. Daß einen längeren Urlaub zu geben nicht außerhalb der Möglichkeit lag, bewiesen andere abgeschlossene Verträge: Frau Wahlmann erhielt 6 Wochen, Frau Schröder-Hanfstängl Wochen alljährlichen Urlaub.

Was ich mir erworben habe, nahm ich stets auf meinen kurzen Gastspielreisen ein. Leider war ich gezwungen, einen großen Teil meines Gastspielertrages stets wieder in Stuttgart zuzusetzen. Die Art der Urlaubserteilung blieb immer für mich eine Quelle ewiger Angst und Nervosität. Ich mußte natürlich mit Konventionalstrafen meine auswärtigen Gastspielkontrakte abschließen, und blieb über die Erteilung des Urlaubs doch stets bis zum letzten Moment im Dunkeln. Wie oft erhielt ich erst am Tage vor der Abreise den erbetenen Urlaub. Mein Risiko war dabei nicht gering, und wehe mir, wenn ich eine Stunde über die Urlaubszeit ausblieb, wenn meine Anwesenheit auch nicht zu Proben oder Vorstellung erforderlich war! Mein Urlaub begann einmal mit dem ersten Ostertage. In[105] der Charwoche dürfen Proben und Vorstellungen in Stuttgart nicht stattfinden, ich hatte also nichts zu thun, und reiste schon am Mittwoch in der Charwoche zum Gastspiel nach Berlin. Ich wurde dafür mit 750 Mark Strafe belegt, woran mir die Gnade des Königs zwar einen Teil erließ, mehrere hundert Mark mußte ich dennoch bezahlen. Ich konnte ohne meine Gastspielerträge nun einmal nicht existieren. Wie manchen glänzenden Gastspielantrag mußte ich ablehnen, weil man mich, obgleich ich nicht im Repertoir in Stuttgart beschäftigt war, nicht fortließ. Es war sehr schmeichelhaft für mich, so unentbehrlich zu sein, aber ich bin manchmal Wochen lang spazierengegangen, in denen ich, unbeschadet der Hoftheaterkasse, so manchen Groschen hätte auswärts verdienen können. – –

Auch Novitäten wurden wenig angeschafft – die kosteten ja Geld. Honorarfreie Stücke von Benedix, Bauernfeld, Birch-Pfeiffer, einige klassische Sachen: als Räuber, Kabale und Liebe, Don Carlos, Kaufmann von Venedig, Nathan der Weise und etwa 15 Opern beherrschten im ewigen Kreislaufe das Repertoir.

Mir wurde die Sache »über«, zumal mich Maurice in Hamburg engagieren wollte, und um wenigstens einen Ersatz in einer sicheren Lebensstellung zu haben, wandte ich mich an Herrn v. Gunzert mit meiner ewigen und einzigen Bitte um eine lebenslängliche Anstellung mit einem alljährlichen sechswöchentlichen Urlaub zu Gastspielen. Herr von Gunzert erklärte mir darauf in einem Briefe vom 24. März 1881, daß von meinen Forderungen ein Teil erfüllt werden, ein anderer wohl später leicht in Erfüllung gehen, der sechswöchentliche Urlaub aber nicht von ihm, sondern nur von Sr. K. Majestät bewilligt, bei Höchstdemselben übrigens von seiner (Gunzerts) Seite nicht befürwortet werden könne. Das war ja deutlich genug, denn wenn's Herr von Gunzert nicht wollte, geschah's auch nicht. Ich kündigte meinen Vertrag.

Intendant v. Wehl redete mir zu, ich solle doch nicht so leichtsinnig handeln; auch Herrn v. Gunzert war meine Kündigung[106] nicht recht, eine lebenslängliche Anstellung sei mir ja mit der Zeit gewiß, meinten die Herren. Man glaubt ja so gern und leicht das, was man erhofft und wünscht, ich ließ mich also breitschlagen, nahm die Kündigung zurück – und blieb.

Leider war meine Hoffnungsseligkeit von kurzer Dauer. Es ist mir immer unbegreifllich geblieben, weshalb die Hofkammer sich nicht zu einem sechswöchentlichen Urlaub und zu einer lebenslänglichen Anstellung entschließen konnte. Ich war beim König und beim Publikum beliebt. Am 17. März 1884 feierte ich mein 30jähriges Künstlerjubiläum und wiederum gab mir das Stuttgarter Publikum deutlich zu erkennen, was es von mir hielt.

Ich lasse darüber den Bericht des »Neuen Tagblatt« folgen, welches schrieb:


K. Hoftheater.


Der gestrige Theaterabend gehörte dem Jubilar August Junkermann. Nur einem Liebling des Publikums werden solche Ehren zu teil, wie sie ihm gestern zuflossen. Schon das bis auf den letzten Platz gefüllte Haus – Hunderte von Billetverlangenden mußten abgewiesen werden – machte einen ungewohnt festlichen Eindruck und von der ersten Minute der Vorstellung an bis zur letzten herrschte jene innige und warme Wechselwirkung zwischen Zuschauern und Publikum, wie sie für beide Teile eine so unvergleichliche Freude ist.

Nicht erst am Abende durfte der Jubilar die Zeichen der Anerkennung und Zuneigung von allen Seiten hinnehmen. Schon am Tage vorher, dem eigentlichen Datum seines Bühnenanfangs, regnete es förmlich aus allen Teilen des deutschen Vaterlandes, Oesterreichs, ja selbst Rußlands Briefe, Telegramme und Pakete, teils dem gefeierten Darsteller, teils dem Oberschlaraffen der Gesellschaft Schlaraffia Stungardia gewidmet. Die hiesigen Vereine, in denen Junkermann als Vorleser gewirkt, zahlreiche Privatpersonen, welche das Bedürfnis empfanden, ihm eine Huldigung darzubringen, sandten ihm dieselbe, noch ehe er gestern die Bühne betrat, in seine Wohnung; dorthin liefen auch in den letzten Tagen die Telegraphenboten in ununterbrochener Reihenfolge, sodaß es keine geringe Mühe war, die Glückwünsche und Grüße von Freunden und Kollegen von überallher in Empfang zu nehmen.

[107] Als Junkermann am Abend in die Garderobe trat, fand er das hiesige Schauspielpersonal vollständig versammelt. Er wurde mit einem dreimaligen Hoch empfangen und der Intendant Herr v. Wehl hielt eine Ansprache, worin er der Verdienste des Jubilars um seine Kunst, um die Stutt garter Hofbühne gedachte. Hierauf überreichte Fräulein Brand Herrn Junkermann einen silbernen Lorbeerkranz, ein schönes Angebinde aller seiner Kollegen vom Schauspiel. Als nach dem »Müller Voß« eine Spende von prachtvollen Lorbeerkränzen und Bouquets, wie man sie eben nur an Jubeltagen in den Hallen unseres Musentempels erlebt, niederging, wurde in Junkermanns Garderobe all dies in geschmackvoller Weise aufgebaut und so gewann man jetzt erst einen Ueberblick, welch herzlichen Anteil in Stuttgart wie an auswärtigen Bühnen das dreißigjährige Künstlerjubiläum unseres Reuter-Interpreten gefunden hat. Es waren da Kränze und Bouquets u.a. von Offizieren des hiesigen Grenadier-Regiments, vom Bürgermeister von Lübeck, von den Hoftheatern zu Weimar und zu Mannheim, vom Karltheater in Wien, einer von Breslau, vom Norddeutschen Klub, vom Schwäbischen Frauenverein, von Mitgliedern der Hofgesellschaft, denen Junkermann derzeit die Wohlthätigkeitsvorstellungen einstudiert, und noch viele, viele andere, alle mit vielfarbigen Schleifen und entsprechenden Inschriften; sodann ein prächtiger Azaleen-Stock vom hiesigen Blumenklub, eine mit Blumen gefüllte Metallschale, von einzelnen Verehrern gestiftet, nicht zu vergessen die schön eingerahmten Photographien von Friedrich Haase, Frau Hinstorff (der Witwe von Reuters Verleger in Rostock) und Fritz Reuters Witwe selbst, welche ihr Bild mit folgendem Sendschreiben begleitete:

»Eine, die am heutigen Festtage nicht fehlen möchte unter der Zahl Derer, welche dem unübertrefflichen Darsteller des ›Onkel Bräsig‹ zu seinem dreißigjährigen Künstlerjubiläum die herzlichsten Glückwünsche darbringen, bittet freundlichst, die ihrigen nebst Photographie annehmen zu wollen.

Luise Reuter, geb. Kuntze.

Z.Z. in Wiesbaden, Taunusstraße 41,

15. März 1884.«


Daß viele hiesige Kollegen Junkermanns ihren Pegasus sattelten und den Jubilar in allen möglichen und unmöglichen Versmaßen besangen, versteht sich von selbst.

[108] Was die Vorstellung betrifft, so war dieselbe so recht geeignet, denen, welche bisher Junkermann nur par renomée als Reuter-Darsteller kannten, den berechtigten Grund dieses Renommees klar zu machen. In vier grundverschiedenen Partien trat er auf: als Bräsig in »Onkel Bräsigs letzte Stunden«, als Müller Voß, als Schuster Hank in »Du drögst de Pann weg« und als Jochen Päsel dem »großen Esel«. Mau konnte bei jeder neuen Rolle zu Anfang zweifeln, ob dies derselbe Künstler sei, der die vorangegangene geschaffen, so meisterhaft verstand es Junkermann, diese Gestalten zu individualisieren, ja, was mehr sagen will, sie als Typen hinzustellen. In den ernsteren von diesen Stücken schlug überall die urgesunde Lebenskraft, das echt deutsche Gemüt, der tiefinnerliche Humor Fritz Reuters durch. Es ist schwer, zu entscheiden, in welcher Leistung Junkermann die größte Wirkung erzielte; unseres Erachtens aber ist sein Müller Voß, der hartgeprüfte düstere Mann, in dem trotz aller Versuchung doch die Ehrlichkeit siegt, ein wahres Kabinetsstück der Schauspielkunst, charakteristisch in jedem Zug, hinabgreifend in alle Tiefen der Menschenseele. Der derbe Spaß kommt in den beiden, nach Reuterschen Gedichten bearbeiteten Schwänken zu Wort und Krischan Hank hat ebenso anhaltende Lustigkeit erregt wie die Blume aller tölpelhaften Offiziersburschen, der wackere Jochen Päsel. Daß der Beifall an diesem Abend besonders reichlich strömte, daß auch des Jubilars Kollegen daran teilnahmen, welche ihn nach Kräften in ihren einzelnen Aufgaben unterstützten, sei ebenfalls mit Freuden verzeichnet.

So verlief einer der schönsten, stimmungsvollsten Theaterabende, die wir in Jahrzehnten hier erlebt, zu allgemeinem Genügen, und es schloß sich noch eine Feier intimen Charakters an. Freunde und Kollegen Junkermanns gaben ihm und seiner Gemahlin, Frau Rosa Junkermann, ein Souper im Restaurant Bertrand und hier sprach er denn auch gerührt und tiefbewegt die Gefühle des Dankes aus, die alle die vielen ihm von nah und fern zuteil gewordenen Beweise der Wertung und Anhänglichkeit in ihm wachgerufen. Zündende Toaste jagten sich in dieser heiteren, von Damen und Herren reich besetzten Tafelrunde, in welcher noch einmal und in verstärktem Grade die Eindrücke des Tages wiederklangen. Einen Einblick in diese Stimmung gewinnt der Leser durch einige Proben aus den gereimten Trinksprüchen, von denen der erste, von Theodor Souchay verfaßt, folgendermaßen lautet:
[109]

Groß ist das Reich der Kunst, es öffnet weit

Die Grenzen, so der Freude wie dem Leid.

Nicht seichte Lust und schales Gaukelspiel

Ist ihrer Jünger, ihrer Meister Ziel,

Es ist der heil'ge Ernst des Ewigschönen,

Den wir vor allem in der Kunst bekrönen.


Heiß glüht die Jugend für das Ideal,

Das ihrem Aug', beglänzt vom Zauberstrahl

Des ersten Frühlingstraums, so nah erscheint,

Und doch so Vielen seine Gunst verneint,

Die oft mit treuem Fleiße darnach ringen, –

Die Palme winkt, es scheitert das Gelingen.


Schwer ist die Kunst, schwer ist ihr höchster Preis,

Wer ihn errang, dies wohl am besten weiß,

Denn ohne Arbeit wand selbst dem Genie

Der Lorbeer sich um Stirn und Locke nie.

Wer ihn verdient nach Sorgen, Freud' und Leiden,

Der ist ein Held, den Schlechte nur beneiden.


Ein solcher Held, mein lieber Junkermann,

Ein ganzer Künstler und ein ganzer Mann

Bist du uns allen, und nicht uns allein

In diesem engern Freundeskreis, o nein,

Im ganzen Vaterland errangst du Ehren,

Wie höher sie wohl keiner mag begehren.


Wenn du erscheinst, da zwingt dein Ernst, dein Scherz

Zu Thränen und zum Jubel jedes Herz,

Dir wird Natur zur Kunst, Kunst zur Natur,

Nur Echtes, Ganzes zeitigt deine Flur.

So schaffst du uns aus herrlichem Gemüte

Wahrhaftiger Gestalten reichste Blüte.


Glück auf! Heil deiner fernern Künstlerbahn!

Der Musen Huld mög' lange dich umfahn;

In der Genossen Namen ruf' ich aus:

Glück auf, o Freund, dir, deinem ganzen Haus![110]

Erstrebt hast du das Ziel des Edlen, Schönen,

Das heute wir in dir, dem Meister, krönen!


Die scherzhaften Saiten schlug des Jubilars Kollege, Herr Hermann Trotz, an, indem er nach bekannter Melodie folgende Couplets vortrug:


Heil unserm lieben Junkermann!

Vor dreißig Jahren fing er an.

Manasse van der Straaten,

In Trier gab er die erste Roll',

Sie ist ihm arg mißraten.


Man zog ihm gleich ein Drittel ab,

Wollt' nehmen schon den Wanderstab.

Doch August faßte Mut sich:

»Voulez-vous komisch?« fragte er.

»Für Weihrauch ich? – Das thut sich!« ...


»Pechschulze« ward gar oft gespielt

Und viel Erfolg damit erzielt.

Zum Liebling aufgeschwungen

Hat sich alsbald der Jubilar

Und Sieg auf Sieg errungen.


Fritz Reuters großer Interpret

Mit Urlaub viel auf Gastspiel geht;

Spielt vor dem deutschen Kaiser,

Kriegt Perlen und Manschettenknöpf –

Ein Orden wäre weiser.


In Wien, der schönen Kaiserstadt,

Das größte sich ereignet hat,

Als Bräsig dort gastierte,

Mit dem famosen Müller Voß

Den Wienern imponierte.


In »Hanne Nüt« den Vater Snut

Spielt Junkermann doch auch sehr gut.[112]

Und erst den Jochen Päsel!

Ja, wer nicht »Onkel Bräsig« kennt,

Das ist fürwahr ein Esel!


Den Schuster Weigelt, Hasemann,

Lubowsky, Hypochonder dann,

Spielt er mit warmem Blute,

Jedoch mit kaltem, wie Ihr wißt,

Den Wächter dort am Hute.


Im Gasthaus ist der Bräsig stumm,

Sieht sich gleich nach der Speiskart' um,

Nimmt Natron, raucht Cigarren,

Natürlich importierte nur,

Die andern sind ihm Schmarren.


Wie anders in Schlaraffia!

Groß wie ein Held dort spricht er – ja! –

Begeistert ganze Stunden,

Und wenn er Misogyne hat,

Im Reich muß er gesunden.


Glückselig ist die Bräsiga

Seitdem ihr Jüngster »Fritz« ist da.

Nun, freut euch, nach zwölf Jahren

Ein prächtig Mädel wird getauft.

Wir werdens schon erfahren.


»Du drögst de Pann weg« sah'n wir heut'.

Vor Lachen platten schier die Leut'.

Es war ein schöner Abend,

Nicht nur für unsern Jubilar,

Nein – für uns alle labend!


Durch Thränen lächle dein Humor

»Entspekter Bräsig« immerdor!

Der Tag dir Glück bedeute!

Ihr Freunde nehmt das Glas zur Hand:

Noch dreißig Jahr wie heute!


[113] Beim gestrigen Junkermann-Jubiläum hat das in diesem Punkte so viel geschmähte Stuttgart gezeigt, daß es doch auch manchmal in überwältigender Weise einen seiner Künstler auszuzeichnen und zu ehren versteht.

A.P.


Jahrelang habe ich dem Hoftheater durch meine Reuterschen Stücke bedeutende Einnahmen gemacht, ein Blick auf die Kassenrapporte hätte wahrlich genügt, um mich endlich eines Avancements teilhaftig werden zu lassen. Ich verlangte als Gegenleistung nicht etwa höhere Gage, nein, nur eine lebenslängliche Anstellung mit einem Urlaub, den andere auch hatten. Das war doch gewiß kein unbilliges Verlangen von mir. Lange Jahre schon war ich in Stuttgart mit kleinem Gehalte angestellt, meine beste Zeit und Kraft hatte ich dem Stuttgarter Hoftheater gewidmet, und doch konnte ich nicht die geringste Verbesserung meiner Lage erreichen. Der kleinste Beamte erhält ja nach 8–10 Jahren Pensionsberechtigung. An den meisten Stadttheatern, die einen Pensionsfond besitzen, wird man nach sechs- bis zehnjähriger Dienstzeit pensionsberechtigt.

Es existieren ja in Stuttgart lebenslängliche Anstellungen, weshalb machte man mit mir, mit meinem Fache, das ich ja spielen konnte bis mir der Kopf wackelt, eine Ausnahme? Ich glaube, wenn ich nicht meinen gesunden Menschenverstand verloren habe, daß ich es ohne Selbstüberschätzung sagen kann, daß ich um das Stuttgarter Hoftheater eine lebenslängliche Anstellung verdient hatte. –

Durch meine Gastspielreisen bin ich in den weitesten Kreisen bekannt geworden, man kennt mich genugsam als Darsteller, ich halte es deshalb für meine Pflicht, dem Publikum die Gründe zu unterbreiten, weshalb ich von Stuttgart fortgegangen bin. Es geschah sicher nicht aus Leichtsinn oder aus mangelnder Beliebtheit bei Publikum und Presse, nur die feste Ueberzeugung mußte ich gewinnen, daß ich einstmals ein oder zwei Jahre vor meiner Pensionsberechtigung, die jetzt, nach fast siebzehnjähriger Dienstzeit, noch zehn Jahre gedauert hätte, entlassen worden wäre.

[114] Und was dann??

Daß diese Furcht nicht unbegründet war, wird später noch anschaulicher werden.

Das Regime wechselte. Herr v. Gunzert nahm aus Ursachen, die nicht hierher gehören, seine Entlassung. Mit ihm fiel auch Wehl, der acht Tage nach Gunzerts Entlassung, ohne nach fünfzehnjähriger Thätigkeit einen Pensionsbezug zu erhalten, sein Amt niederlegen mußte. Wehl wollte mit mir das Beste – ich danke ihm heute noch für manches – aber es auszuführen fehlte ihm die Macht, Herr v. Gunzert hielt einen sechswöchentlichen Urlaub und eine lebenslängliche Anstellung für etwas zu Ungeheuerliches für mich.

Wir erhielten nach Herrn v. Gunzerts und v. Wehls Austritt neue Vorgesetzte. An Stelle des Hrn. v. Gunzert trat Herr v. Tscherning und in des Herrn v. Wehl Stelle Herr Hofrat Werther von Mannheim ein.

Der neue Intendant befahl das ganze Personal zur allgemeinen Vorstellung in das Foyer des Theaters. Wir erschienen sämtlich im Oberrock, nur ein Charakterspieler, wahrscheinlich als der intimste Freund des in Ungnade gefallenen Intendanten v. Wehl, erschien im Frack und weißer Binde. Er hatte ihm so oft ins Gesicht gesagt, daß es keinen tüchtigeren Bühnenleiter gäbe; stundenlang redete er in Wehl hinein, wie er bemüht sei, seines Herrn Ruhm in alle Welt hinaus zu posaunen, keinen jour fix bei Wehls hatte er versäumt, er hätte sein Leben für ihn gelassen – so lange er noch Intendant war; vermutlich wollte er nun seinem Schmerze über Wehls Abgang durch den Frack Ausdruck verleihen, denn ich kann mir nicht denken, daß so ein treuer Freund dachte: Le roi est mort, vive le roi!

Presse und Publikum nahmen sich Werthers aufs wärmste an. Als Werther mich bei der Vorstellung sah, kam er auf mich zu: »Sieh da, Freund Junkermann!« und drückte mir herzlich die Hand. Ich hatte früher in Mannheim bei ihm gastiert, als er dort das Hoftheater leitete.

Mit Werther änderte sich das gute, alte, im Kreislauf sich[115] drehende Repertoir und »neues Leben blühte aus den Ruinen«! Herr Werther, welcher die Intendanz des Hoftheaters nur unter der Bedingung übernommen hatte, selbständig die Leitung zu führen, um nicht wie seine Vorgänger unter dem Befehle der Hofkammer zu stehen, reformierte das Theater gründlich. Der alte Schlendrian wurde abgeschafft. Die unter Wehl verpönten französischen Komödien erschienen auf dem Repertoir. Die Klassiker wurden großartig inszeniert. »Julius Cäsar« wurde so brillant ausgestattet und einstudiert, daß das Stück 6–8 mal bei ausverkauftem Hause gegeben wurde. Neuanschaffungen in Dekorationen und Kostümen wurden in unbeschränktestem Maße gemacht. Herr Werther hatte direkten Vortrag beim Könige und wußte alles, was er zur künstlerischen Hebung des Hoftheaters für nötig hielt, durchzuführen. Die scenischen Arrangements auf der Bühne waren aufsehenerregend, wunderbar geschmackvoll.

Man mag über Werther sagen, was man will, er ist ein Fachmann und versteht seine Sache. Die erlernte Praxis der Bühne, die Technik des Bühnenapparates ist ihm eigen wie selten jemandem. Werther engagierte Frl. Kathi Frank, mit welcher »Hüttenbesitzer«, »Feodora«, »Cyprienne« und andere französische Dramen auf dem Repertoir erschienen und die bedeutendsten Einnahmen machten. Weidlich ergötzte sich das Stuttgarter Publikum an den bisher vorenthaltenen französischen Ehebruchsdramen. Die Shakespeareschen Königsdramen wurden aufgeführt, die Operetten kultiviert. Das Publikum war entzückt und strömte eine Zeitlang ins Theater. Herr Werther wurde vergöttert, in alle Adels- und Hofkreise gezogen, nach Verlauf eines Jahres durch Verleihung des Kronenordens in den persönlichen Adelsstand gehoben. Dann erhielt er einen Kontrakt mit bedeutendem Gehalt und bei etwaiger Entlassung eine hohe Pension. Gewiß das Höchste, was ein Mensch innerhalb Jahresfrist erreichen kann. Herr v. Werther sorgte für sich – wer kanns ihm verdenken – aber zu seiner Ehre muß ich gestehen, er ließ auch mir was zukommen. Manche Einnahme an auswärtigen[116] Theatern verdanke ich ihm. Wenn ich nicht im Repertoir in Stuttgart beschäftigt war, ließ er mich draußen verdienen und rechnete mir dienstfreie Tage nie als Urlaub an. Ich bin ihm dafür zu großem Danke verpflichtet. Meine Schaffensfreude wuchs natürlich unter solchen Verhältnissen ganz bedeutend und ich fühlte mich glücklich.

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 103-117.
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