XV.

[124] Verschiedenemale gastierte ich am Hoftheater zu Altenburg. Eine freundliche Stadt! Wenn man vom Bahnhofe in die Stadt kommt, macht sie sogar einen imposanten Eindruck, d.h. nur die ersten Straßen, denn was dahinter liegt, ist fürchterlich; aber das hochgelegene, romantische Schloß, das wunderhübsche Hoftheater und vis-à-vis das prächtige, großstädtische Hotel »Weltiner Hof« – à la bonheur! dachte ich ganz überrascht, und ließ es mich auch nicht verdrießen, daß ich bei meinem ersten Ausgang in die Stadt gleich ein Paar Lackstiefeln opfern mußte. Droschken gibt's in Altenburg nicht, und wenn man nachts mit dem Schnellzuge von Leipzig ankommt, thut man besser, man kehrt wieder um und logiert in Leipzig. Der Weg vom Bahnhof zum Hotel ist weit, und Wagen oder Gepäckträger gibt's nachts dort nicht. Altenburg ist sehr bergig und das Pflaster – na, ich habe mir sagen lassen, daß kein Geschäft dort so floriert wie die Schuhmacherei, was sich auch sofort an meinen Lackstiefeln bewahrheitete.

Als ich meine Besuche »abgeklettert«, ging's auf die Probe.

Man sagt mir nach – ich weiß es ja nicht ob's wahr ist, daß auf den Proben manchmal mit mir nicht gut Kirschen essen sei. Gewöhnlich wird so ein Gast aber auch mit ziemlich ungastlichen Mienen empfangen, denn er kommt immer ungelegen. Die Schauspieler müssen infolge des Gastspiels mehr lernen, wie sonst, und der deutsche Schauspieler kann es nun mal nicht ertragen, dem Gast zuliebe nicht die erste Flöte zu blasen, obgleich es ja schließlich »unter Kameraden ganz egal« sein sollte, ob[125] ein engagiertes Mitglied oder der Gast den Abend eine Hauptrolle hat.

In Altenburg fand ich nun trotz des sehr hübsch geschulten Hoftheater-Ensembles die Zustände vor wie überall bei Gastspielen. Mein »lütte Pudel« in »Hanne Nüte« war krank, kam gar nicht zur Probe, der Tenorbuffo sang noch mit dem Notenblatt in der Hand die so wunderschöne Seifrizsche Musik zu Hanne Nüte herunter, nur wenige waren der Worte in ihren Rollen Herr, und es war mir nicht zu verdenken, wenn ich wieder meine »Mysogine« bekam. Ich muß es aber wohl besonders arg getrieben haben, denn eine Kollegin erzählte mir nachher, daß sie mich anfangs alle auf der Probe gehaßt, und es sich später ordentlich gegenseitig vorgeworfen hätten: »Ich hab's ja ganz deutlich gesehen, daß Sie gestern abend über diesen gräßlichen Menschen, den Junkermann, als ›Smid Sunt‹ die schlapplangen Thränen vergossen haben.«

Ich erfuhr auf diese Weise einen bezeichnenden Zug der Schauspieler. Morgens hätten sie mich »lynchen« mögen, abends, um mit meiner Kollegin zu reden, schlich sich einer nach dem andern aus der Kulisse, weil sich einer vor dem anderen genierte, etwa Rührung zu zeigen.

Ich hatte morgens auf der Probe auch ein kleines altes Herrchen bemerkt, das sich ungeniert an die erste Coulisse lehnte und dem etwas lauten Treiben zusah. Wie mit einem Zauberschlage verstummte der ärgste Krawall bei seinem Erscheinen, und sogar der Tenorbuffo heuchelte einiges Können seiner Rolle. Darauf hin sah ich mir das Herrchen mit der Sammetkappe näher an, ohne aus ihm klug zu werden. Bald aber bekam der alte Herr Leben und mischte sich in dies und das hinein. »I wo«, dachte ich, »neben dem dujour habenden Regisseur nun auch noch diese fragwürdige Gestalt?!« Aber es hatte alles Hand und Fuß, was der alte Herr sagte, daß ich begierig wurde, wer er sei. Das Rätsel löste sich bald, als der Regisseur in devoter Haltung zu ihm ging und sagte: »Guten Morgen, Exzellenz!« Nun wurde ich ihm[126] auch vorgestellt, es war: Freiherr Intendant von Lilienkron, den ich bei meinem Antrittsbesuche nicht zu Hause getroffen!

Der alte 80jährige Herr hatte trotz seines Alters noch ein paar lebensvolle Augen und einen ganz eminenten Scharfblick für alles, was Theaterwesen heißt. Ueber seine sonst wenig imponierende Persönlichkeit erzählt er selbst ganz allerliebste Anekdoten. So machte er z.B. immer sehr weite Spaziergänge, mit erwähnter Sammetkappe bekleidet, im Winter mit einer schier antidiluvianischen Pelzmütze. Auch erinnern sich die ältesten Bewohner des Städtchens nicht, ihn je anders als in einem grünlich-grauen Rock mit langen Schößen gesehen zu haben. In diesem Anzuge begegnete er einmal im freien Felde einer Altenburger Bäuerin.

»Na Alterchen, du gehst wohl spazieren,« redete sie ihn an.

»Ja, ja,« sagt Exzellenz in seiner bekannten, lakonischen Weise.

Die Altenburger »Bäuersche« hätte aber gern die Unterhaltung fortgesetzt. »Kommst wohl wenig heraus«, sagt sie mitleidig auf ihn herabsehend.

»Ja, ja,« murmelt Exzellenz.

»Man sieht's dir auch an«, meinte die Bäuersche, »daß du eine sitzende Lebensweise hast, du bist wohl ein Schneider?«

»Ja, ja, so etwas der Art«, sagt Exzellenz von Lilienkron und geht lachend seines Weges.

Die Altenburger Bäuerinnen sind übrigens eine Sehenswürdigkeit. Wenn so eine »Bäuersche« vor uns einen Berg hinausgeht – in ihrer mehr als knappen, zumal hinten eng anliegenden Tracht, kommt man nicht aus einem wohlgefälligen Schmunzeln heraus, und ich bin bereit, denjenigen für einen Verläumder zu erklären, der behauptet, das prächtige Rund der Waden der Altenburger Bäuerinnen sei falsch. Es ist die reinste Natur in ihrer außerordentlich entwickelten Gestalt.

Exzellenz von Lilienkron hatte ich dann Gelegenheit auch in seinem Familienkreise zu sehen. Im ersten Jahre meines[127] Gastspiels fand in seinem Hause eine Soiree statt, in welcher ich die Ehre hatte, vor dem Prinzen und der Prinzessin Moritz vorzulesen. Ich hatte nachher eine längere Unterhaltung mit den hohen Herrschaften, sie trugen mir Grüße an meinen hohen Gönner, den Prinzen Weimar in Stuttgart auf. Als ich dann später zum zweitenmal in Altenburg gastierte, brachte ich die Grüße des Prinzen zurück, der mir auch einen Brief an den Herzog anvertraut hatte.

Der Herzog erteilte mir Audienz und befahl für den folgenden Abend eine Reutervorlesung im Schlosse.

Die Frau Prinzessin Moritz empfing mich in ihrem Palais. Wirklich, wenn man von dem kunstsinnigen Hof zu Altenburg redet, so hat, neben dem alle Künste protegierenden Herzog, diese geistvolle, hohe Dame den meisten Anteil daran. Sie ist die Schwester des Herzogs von Sachsen-Meiningen und scheint dessen Interesse für die Bühne zu teilen. Auch Prinzessin Therese, die Schwester der Exkönigin von Hannover, nahm früher regen Anteil am Theater, doch hält eine traurige Ursache sie schon seit einigen Jahren vom Besuch des Theaters fern.

In dem Augenblick, da ich dies schreibe, trifft auch die Todesnachricht der Prinzessin Albrecht von S.-Altenburg ein. Ein harter Schlag für das Altenburger Fürstenhaus, welches ohnedies schon in tiefe Trauer gesenkt ist, da der regierende Herzog der Neffe unseres hochseligen Kaisers Wilhelm ist, dessen Tod er schmerzlich tief empfand.

Der Herzog ist ungemein leutselig. Zu besagter Vorlesung im Schloß waren Prinz Moritz, Minister v. Leipziger und sämtliche Herren der Hofgesellschaft geladen. Nach der Vorlesung wurde soupiert und Seine Hoheit bewegte sich zwanglos unter seinen Gästen, sich aufs liebenswürdigste mit mir unterhaltend. Anderen Tages begegnete mir der Herzog auf der Straße und rief mir, wie einem alten Bekannten, liebenswürdig zu: »Wir sehen uns heute abend noch!«

Er besuchte den Abend mein letztes Gastspiel und beehrte[128] mich dann mit der Verleihung der goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft.

In Altenburg nennen sie die Gäste des Hoftheaters: »Knopflochreisende«, es soll aber schon mancher Gast mit leerem Knopfloch abgezogen sein. Ich kann es nicht leugnen, daß es mir große Freude machte, als es bei meiner Abreise von Altenburg in meinem Knopfloche von neuem »bammelte«, und ich trage die Altenburger Medaille als ein mir liebes Symbol der Erinnerung an einen mir leutselig zugethanen Fürsten! – –

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 124-129.
Lizenz:

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon