XXII.

[187] Am selben Abend besuchten Bötel und ich die Vorstellung von Blumenthals: »Ein Tropfen Gift«.

Schon beim Betreten des Theaters begegnete uns eine Deputation des plattdeutschen Volksfest-Vereins von New-York und Umgegend, welche uns zu einer Empfangsfestivität, die am nächsten Abende in der Beethoven-Männerchor-Halle in der fünften Straße stattfand, einluden.

Bötel hatte sich bereits in seine Loge begeben, ich zögerte noch längere Zeit, mit den Herren plaudernd.

Als ich nun mit meiner Frau in eine Prosceniumsloge trat – der erste Akt hatte bereits begonnen – sah ich gegenüber Bötel sitzen, ein Riesenporträt von ihm hing vor seiner Logenbrüstung, umkränzt von Blumen und Fahnen.

Ich wollte mich ruhig, um nicht zu stören, von Direktor Amberg geführt, mit meiner Frau in der Loge niedersetzen, als in die Ruhe des Lustspiels hinein ein schmetternder Tusch aus dem Orchester ertönte. Ich bog mich über die Logenbrüstung und gewahrte nun, daß dieselbe ebenfalls mit Blumen und Fahnen dekoriert und mit einem Riesenportrait von mir behangen war.

Die Schauspieler auf der Scene verstummten, das Publikum schrie Hurrah und schwenkte mit Tüchern, Fächern und Handschuhen. Ich sah mich mit fragendem Blick nach Amberg um, der hinter mir in der Loge stand, was das bedeute?

»Es gilt Ihnen«, sagte er.

Ich fühlte, wie mir das Blut ins Gesicht schoß, ich muß[188] krebsrot gewesen sein. Meine Frau verkroch sich in den Hintergrund der Loge. Auch ich wollte mich verkriechen, aber Amberg stuppte mich fortwährend in den Rücken und flüsterte mir ins Ohr: »Das nützt alles nichts, das muß in Amerika sein, Bötel hat's auch durchgemacht, verbeugen Sie sich nur!« und wie ein Taschenmesser, das man schließen will, drückte Amberg meinen Oberkörper über die Logenbrüstung.

Bötel saß mir gegenüber und grinste mich an, sich augenscheinlich an meiner Verlegenheit weidend. »Man tau, man[189] tau«, nickte er mir herüber, als wenn er sagen wollte: »ick hew't ook uthollen möten!«

Bötel hatte wenigstens einen Frack angezogen und eine weiße Binde um – ich war im einfachen Ueberrock; ich drückte mich also so weit herunter, daß man die Formen des Fracks nicht mehr zu sehr vermißte, und verbeugte mich nach dem Parquet und allen Rängen, hochbeglückte Mienen heuchelnd – in Wahrheit schämte ich mich aber wie ein begossener Pudel!

Ich setzte mich nach überstandener Qual nieder. Meine Frau konnte sich um alles nicht entschließen, neben mir Platz zu nehmen, und blieb mit Amberg im Hintergrunde der Loge.

Das Spiel auf der Bühne nahm nun wieder seinen Fortgang, und ich saß in meiner Loge im Kreuzfeuer der auf mich gerichteten Operngucker.

Aus meiner Kindheit erinnere ich mich, daß damals ein zum Tode Verurteilter in den letzten Augenblicken seines Lebens noch der Menge am Schandpfahle gezeigt wurde. So ungefähr kam ich mir vor!

Nach dem Theater wollten wir in ein Restaurant gehen, um uns nach den überstandenen Strapazen zu stärken, allein Direktor Amberg dirigierte uns nach Hause und litt absolut nicht, daß wir wo anders hingingen. Meinetwegen, dachte ich, die Qual ist noch nicht zu Ende, und richtig – kaum zu Hause angekommen, erglänzten Fackeln vor den Fenstern unserer Wohnung, Notenpulte wurden auf die Straße gestellt, das Orchester trat an und brachte uns ein Ständchen. Die Hausthüre öffnete sich, und der Männerchor des Thalia-Theaters brachte uns auch noch seine Sangesovation.

Am andern Morgen gehe ich zu Amberg und frage ihn, ob es denn nun genug sei des grausamen Spiels. »Nein«, sagte er, »die Hauptsache kommt morgen abend im Sacred-Konzert.«

»Nee«, seeg ick, »ick dhau nu nich mihr mit, de Minsch kann man en bestimmtes Maat von Qual uthollen, wat tau dull is – is tau dull!«[190]

In New-York darf Sonntags keine Theatervorstellung gegeben, wenigstens darf der Vorhang weder aufgezogen noch heruntergelassen werden, und Direktor Amberg arrangiert nun, der Würde des Sonntags entsprechend, in seinem Theater die sogenannten Sacred-Konzerte. In diesen geheiligten Konzerten werden nun die lustigsten Lieder, ja bedenkliche Kouplets gesungen, und allerlei tingeltangelartige Zerstreuung wird dem Publikum geboten, nur ein moralisch gutes Theaterstück darf nicht aufgeführt werden. Das ist amerikanisch und daher der Name Sacred-Konzerte.

Wir – Bötel und ich – wurden also wieder ins Theater dirigiert. Das Sacred-Konzert war auf dem Zettel als Bötel- und Junkermanns-Empfangsabend angekündigt. Nach der Ouverture mußten wir in unsere Loge treten, wir saßen da wie auf dem Präsentierteller und wurden angespeecht, angesungen und mit Blumen bombardiert, daß mir grün und gelb vor den Augen wurde.

Unsere Kollegin Hanne Schatz speechte Bötel, und Kollege Lube mich an. Das Publikum stimmte mit in den Jubel ein und erreichte seinen Zweck. Das amerikanische Publikum applaudiert bei solchen Gelegenheiten so lange, bis man Miene macht, auch einen Speech ans Publikum zu halten. Ich nickte Bötel zu: er möge nur anfangen.

Bötel stand auf und sagte: »Reden kann ich nicht, und was ich zu sagen habe, das will ich morgen abend, wo ich als Troubadour auftrete, singen!« »Bravo, Bravo!« gings wieder los. Alle Augen im Auditorium flogen nun von der linken Prosceniumsloge zu mir nach der rechten Seite herüber – und ich war das Opfer, das reden mußte.

Zum Glück bin ich Schlaraffe, und als Oberschlaraffe lernt man mit der Zeit das Reden. Ich schilderte also den mächtigen Eindruck, den alle Zeichen der Liebe des amerikanischen Publikums, namentlich am gestrigen Abende, wo ich schon zum erstenmale aufgetreten war, auf mich hervorgebracht, verhedderte mich aber einige Male derart dabei, daß meine Frau, die[191] wieder in den Hintergrund der Loge sich verkrochen hatte alle Zustände kriegte.

Ja du lieber Gott, ich war unschuldig dran, denn aus der Loge im Theater zu sprechen, das lernt man auch in Deutschland in der Schlaraffia nicht. Ich stammelte denn so einige übliche Phrasen von »unvorbereitet, wie ich bin – wachsen, blühen und gedeihen – Deutschland in Amerika wiedergefunden – Gunst noch mehr erwerben«, und setzte mich endlich unter dem frenetischen Jubel des Publikums nieder, worauf das Konzert seinen Anfang nahm.

Bötel und ich verschwanden bald, um in die Beethovenhalle zu dem Kommers des plattdeutschen Volksfest-Vereins von New-York zu fahren, wo neue Ovationsattaquen unser harrten.

Hier war nun aber alles freiwillig arrangiert, die Geschäftsreklame war aus dem Spiele, und es wurde wieder gemütlicher. Delegierte und Mitglieder aller Vereine hatten sich zahlreich eingestellt, selbst Brooklyn war durch eine Delegation vertreten. Gegen 10 Uhr trafen wir daselbst ein und wurden mit donnernden Hochs empfangen. Präsident John C. Hueser hielt die Begrüßungsrede, welche von uns erwiedert wurde. Dann begann unter der Leitung des Herrn Ernst der eigentliche Kommers, bei dem es an Liedervorträgen, Toasten, Reden u.s.w. nicht fehlte. Als Bötel gesungen und ich einige Reutersche Gedichte vorgetragen, wurden wir zu Ehrenmitgliedern ernannt, und bis spät in die Nacht hinein lernten wir das interessante amerikanische Bankettieren kennen.

Wie kurz erwähnt, war ich schon am vorhergehenden Abend, Samstag den 15. Oktober, erstmals als »Onkel Bräsig« aufgetreten. Das Haus war ausverkauft; das Publikum empfing mich mit Liebenswürdigkeiten und Ovationen, die mir unvergeßlich sind. Selbst darüber zu schreiben vermag ich nicht, ich lasse daher einige Auszüge aus den ersten New Yorker Journalen hier folgen. Wer sich für meine amerikanischen Erfolge nicht interessiert, überspringt sie leicht.

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 187-192.
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