Zehntes Kapitel

Theater, Konzert.

[51] Eine Dame soll im Theater weder zischen noch zu laut Beifall klatschen.

Sie darf keinen Herrn durchs Opernglas mustern.

Desgleichen soll sie es nicht bemerken, wenn sie von einem Herrn in auffälliger Weise durchs Opernglas angestarrt wird.

Sie soll, wenn zweideutige Stellen im dargestellten Stück vorkommen, keine Miene verziehen, auch nicht errötend die Augen senken.

Sie muß den Eindruck machen, als ob sie die diesbezügliche Stelle überhört hätte.

Allzu lautes burschikoses Lachen im Theater ist gegen den guten Ton.

Sich aufzustellen, um besser sehen zu können, ist ebenfalls unpassend, da man dadurchdiejenigen, die hinter einem sitzen, beeinträchtigt.

Man soll, wenn ein bekanntes Stück zur Aufführung gelangt, nicht etwa laut mitrezitieren oder[51] bekannte Melodien vor sich hinsummen. Es ist dies durchaus gegen den guten Ton, erstens, weil an und für sich jede auffallende Kundgebung an öffentlichen Plätzen geschmacklos ist, anderseits aber auch, weil man seine Nachbarn dadurch stört.

Auch Erklärungen seinen Nachbarn während der Vorstellung zu geben oder sie darum zu befragen, ist taktlos. Man warte bis zur Zwischenpause.

Man gebe seine Unzufriedenheit durch kühle Haltung kund.

Ebenso unpassend sind überaus laute Beifallsbezeugungen eines einzelnen, die im Publikum auffallen können. Sie sind gegen den guten Ton. Großen, sehr bedeutenden Künstlern wird ja oft ein besonders spontaner überlebhafter Beifall gezollt bei außergewöhnlichen Kunstleistungen. Einer Gesamtheit ist das gestattet, aber der einzelne darf sich hierbei nicht noch durch ganz besonders auffällige Zurufe hervortun.

Man kann ja, wenn man Künstlern gern einen besonderen Beifall spenden möchte, dies durch irgendeine persönliche Aufmerksamkeit (Blume usw.) tun.

Es ist gegen den guten Ton, ins Theater, in den Konzertsaal nach Beginn der Aufführungen zu kommen. War eine Verzögerung unvermeidlich, so begebe man sich ohne Aufsehen, geräuschlos[52] an seinen Platz, oder man warte, wenn dies mit großen Schwierigkeiten verknüpft ist, an einem zufällig leeren Seitenplatz bis zur Pause.

Besonders im Konzertsaal gehört solches Verhalten zum guten Ton.

Toilette hat man dem Theater, das man besucht, entsprechend zu machen.

Für kleinere Theater genügt Promenadenanzug, in großen Theatern ist Gesellschaftstoilette am Platz, da man großen Kunstleistungen mindestens soviel Weihe seiner äußeren Erscheinung entgegenzubringen hat wie rein gesellschaftlichen Zwecken.

In England, Frankreich, Italien hat sich diese vornehme Sitte bereits längst als Gewohnheit eingeführt. In Deutschland ist das Publikum in dieser Beziehung noch rückständig.

Neuerdings werden von den Intendanzen sogenannte Galaabende berücksichtigt, bei welchen dem Publikum vollkommene Gesellschaftstoilette nicht nur der gute Ton, sondern zwangsmäßige Vorschrift auferlegt.

Überflüssige Garderobe in Theatern und Konzerten draußen abzulegen, verlangt der gute Ton von jedem Gebildeten, da man durch solche leicht im Theater oder Konzertsaal seine Nachbarn belästigen kann.[53]

Mit Programm oder Theaterzettel soll jeder Besucher im Theater oder Konzertsaal versehen sein, wenn er nicht genau Besetzung und Reihenfolge der Darbietungen kennt.

Es ist gegen den guten Ton, seine Nachbarn viel mit derartigen Entlehnungen zu belästigen.

Auch ein Opernglas soll jeder, der dessen bedarf, ins Theater mitnehmen, da gerade dieses Objekt kein Nachbar gern dem andern leiht.

Es ist gegen den guten Ton, wenn eine Dame im Theater durch ihren hohen Hut dem Hintermann die Aussicht verdeckt.

Damen sollen sich im Theater nicht auffällig aufstellen, um das Publikum zu mustern.

In den Zwischenpausen ins Foyer zu gehen, dort eine Erfrischung zu nehmen oder sich abzukühlen, gestattet der gute Ton auch den Damen.

Im Theater oder Konzertsaal zu essen, verbietet der gute Ton.

Ein paar Konfitüren in den Pausen sind gestattet. Ein lautere Unterhaltung im Theater über andere Personen weg ist gegen den guten Ton.

Man plaudere im Theater, im Konzertsaal in den Pausen nur mit Leuten, die in unmittelbarer Nähe sitzen, oder man suche Bekannte als Herr direkt an ihren Plätzen auf. Eine Dame soll im Theatersaal nicht hin und her laufen.[54]

Während einer Vorstellung sich zu unterhalten, ist unstatthaft, selbst wenn man sich langweilt. Man kann hierdurch diejenigen stören, die den Gang einer Aufführung mit Aufmerksamkeit verfolgen.

Ein Herr darf im Theater eine Dame begrüßen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.

Er soll aber zu diesem Zweck nie die Loge einer anderen Dame aufsuchen, wenn er selbst der Begleiter einer Dame, diese in der Zeit sich selbst überlassen müßte.

Ein Herr kann unter Umständen im Theater einer Dame seiner Bekanntschaft seinen besseren Platz überlassen – es ist dies aber nicht unumgänglich Vorschrift des guten Tons.

Wird man im Theater, Konzertsaal usw. von einem Unfall, wie Nasenbluten, Herzklopfen, Übelkeit, befallen, so hat man sich ohne Aufsehen zu entfernen. Wird jemand im Theater, Konzert ernstlich unwohl (ohnmächtig), so haben seine Nachbarn ihm hilfreich beizuspringen, auch wenn der Betreffende ihnen völlig unbekannt ist. Ein Herr hat seiner Nachbarin Taschentuch, Theaterzettel aufzuheben, wenn diese Gegenstände herabgleiten.

Jüngere Damen haben älteren diese Höflichkeit ebenfalls zu erweisen.[55]

Ein wildes Stürzen und Drängen nach der Garderobe beim Verlassen des Konzert- oder Theatersaales, um der erste dort zu sein, ist durchaus gegen den guten Ton.

Wenn jeder in gemessener, anständiger Haltung solche öffentlichen Plätze verläßt, wird das weit eher zum erwünschten Ziele führen, als das wilde Durcheinanderhaften und Drängen, und mancher Unfall, manche Panik dadurch vermieden werden.

Ein Herr hat in der Garderobe vor der Dame zurückzutreten.

Herren haben für Abgabe und Zurückerlangung der Garderobe der Damen, die sie begleiten, Sorge zu tragen.

Zum Schluß dieses Kapitels noch eine kleine Randbemerkung.

Junge Damen sollen sich keine Stücke zweifelhaften Inhalts ansehen. Das gehört nicht nur zum guten Ton, sondern es kann auch im Gegenteil in höchst peinliche Situationen bringen.

Es gibt gewisse Sphären, in die eine Dame von gutem Ton, selber nicht einmal vom sicheren Theaterplatz aus, hineinblicken soll.

Leider bringt unsere heutige naturalistische Strömung gerade nach dieser Richtung hin wenig, was für Ohr und Auge einer wohlerzogenen jungen Dame von gutem Ton geeignet wäre.[56]

Es ist dies um so bedauerlicher, da das Theater doch eigentlich nicht nur eine Bildungsstätte für Leute reiferen Alters, sondern auch hauptsächlich für die Jugend, die Träger zukünftiger nationaler Größe, sein soll.

Gute klassische Stücke, seine Lustspiele, schöne edle Opernaufführungen sich anzusehen und anzuhören, gehört, sofern es die Verhältnisse gestatten, durchaus zum guten Ton, nicht nur für junge Damen, sondern auch junge Leute sollen derartige Aufführungen den stärker gewürzten der heutigen Richtung vorziehen.

Auch hierbei kommt es nur auf die Gewohnheit an.

Ein Geschmack ist leicht verdorben, leicht veredelt.[57]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 51-58.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon