Achtzehntes Kapitel

Pünktlichkeit.

[77] »Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige.« Hochgestellte Leute halten im allgemeinen auf die Minute Verabredungen und Zusammenkünfte ein, und an diesem Beispiel könnte sich unbeschadet jeder, auch der Kleinste ein Beispiel nehmen. Es gibt bei gewissen Gelegenheiten keine größere Ungezogenheit, als Unpünktlichkeit. Zuvörderst muß im Interesse der Hausfrau die Hausordnung von jedem Angehörigen eines Hausstandes pünktlich eingehalten werden.

Hierbei soll besonders der Hausherr, soviel es seine geschäftliche Tätigkeit gestattet, mit gutem Beispiel vorausgehen.

Vor allen Dingen aber darf sich die Hausfrau, die Pünktlichkeit von ihrer Umgebung verlangt, selbst keine Unpünktlichkeit zuschulden kommen lassen.

Wenn die Hausfrau selbst des öfteren eine halbe Stunde später, als es die Hausordnung[77] vorschreibt, beim Mittagbrot und Abendbrot erscheint, dann darf sie den Ihren über diesbezügliche Verzögerungen und Nachlässigkeiten keine Vorwürfe machen.

Pünktlichkeit ist das erste, was der gute Ton von einem wohlgeordneten Hausstand fordert. Deshalb beeifere sich jedes Mitglied einer Familie zur Aufrechterhaltung dieses guten Tons im Hause, den jeder einzelne durch Unpünktlichkeit beeinträchtigen kann, beizutragen.

Aber nicht nur in unserem eigenen Hause sollen wir pünktlich sein, auch anderen Leuten gegenüber wird uns diese Pflicht vom guten Ton auferlegt.

Es ist unhöflich und taktlos, zu einem Diner nicht pünktlich die auf der Einladung vermerkte Stunde innezuhalten.

Bei Soireen, Bällen ist ja nach dieser Richtung hin keine so enge Grenze gezogen, wie bei Diners, aber es ist auch bei dieser Gelegenheit ein übertriebenes Spätkommen ebenfalls eine Unhöflichkeit, gegen die Gastgeber, die entweder dadurch ihre Dispositionen durchkreuzt sehen oder zu der Annahme veranlaßt sind, daß der betreffende Gast geflissentlich die in ihrem Hause zuzubringenden Stunden abkürze.

Vor allen Dingen aber hat man dienstlich und geschäftlich pünktlich zu sein. Dies fordert nicht allein der gute Ton, sondern auch das persönliche[78] Interesse, da dienstliche und geschäftliche Unpünktlichkeiten unter Umständen verhängnisvoll werden können. Zuweilen ist schon an Unpünktlichkeit das Lebensglück eines Menschen gescheitert.

Auch bei seinen Dienstboten und sonstigen Angestellten soll man auf strengste Pünktlichkeit in erster Reihe halten. In einem wohlgeordneten Haushalt, in einem gut organisierten Handelshaus muß zur Herstellung der allgemeinen Ordnung jeder Einzelbefugte systematisch eingreifen in das Triebwerk der ganzen Herstellungsmaschine mit peinlicher Pünktlichkeit. Pünktlichkeit ist die Basis, auf der die Tüchtigkeit, der Verstand, der Fleiß bauen muß. Ohne diese Basis der Ordnung und Pünktlichkeit ist der emsigste Fleiß, die größte Tüchtigkeit nicht ausreichend.[79]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 77-80.
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