Sechsunddreißigstes Kapitel

Nachbarn.

[125] Es ist immer ratsam, sich mit seinen Nachbarn auf guten Fuß zu stellen.

Der gute Ton gebietet es, bei vorkommenden Fallen, wie Krankheiten, Gefahren oder dergleichen, Rücksichten gegen seine Nachbarn zu nehmen.

Ist im selben Hause über oder unter uns jemand schwer erkrankt, so hat man ohne erst direkt dazu aufgefordert zu werden, sobald man Kenntnis von dem gefährlichen Zustand genommen, in seiner Wohnung geräuschvolle Kundgebungen, wie Klavierspiel, Gesang, laute Abendunterhaltungen, Kinderlärm, möglichst zu unterdrücken.

Man hat sich in diesem Falle von Zeit zu Zeit nach dem Befinden des Patienten zu erkundigen. Unbemittelten Kranken, die im selben Hause wohnen, soll man Stärkungen zukommen lassen.

Man suche mit seinen Nachbarn Klatschereien und Ärger durch die Dienstboten zu vermeiden.

Bei vorkommenden Fällen gefällig gegen seine Hausnachbarn zu sein. gehört mit zum guten Ton.[125]

Eine zu intime Freundschaft in demselben Hause kann mit der Zeit lästig werden.

Jedenfalls muß man, wenn man mit jemand in ein und demselben Hause sehr intim verkehrt, auf gegenseitige Bequemlichkeit und Hausordnung Rücksicht nehmen. Das erfordert der Anstand.

Es ist gegen den guten Ton, bei seinen Dienstboten Erkundigungen über seine Hausnachbarn einzuziehen oder deren Angelegenheiten mit den Dienstboten zu besprechen.

Auch seinen Hausnachbarn in auffälliger neugieriger Weise in die Fenster zu schauen, ist gegen den guten Ton.

Man hüte sich, seinen Hausnachbarn durch überlaute Kundgebungen in seinen Räumen, wie Streit, Zänkereien mit den Dienstboten, ungebührliches Schreien usw., Anlaß zu scharfer Kritik zu geben.

Ein beredtes Zeugnis für den guten Ton einer Familie ist das diesbezügliche Urteil der Hausnachbarn.

Auch halte man seine Kinder an, die Treppe in gesitteter, geräuschloser Weise hinauf- und hinunterzugehen, in den Hausfluren, im Hof keinen ungebührlichen Lärm zu verursachen, die Hausnachbarn jederzeit artig und höflich zu grüßen, gleichwohl ob man mit ihnen verkehrt oder nicht.[126]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 125-127.
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