In Gesellschaft gehen.

[50] Beim Empfang einer Einladung muß ich mich möglichst bald entscheiden, ob ich sie annehmen will oder nicht. Bin ich durch irgend etwas verhindert, dieses zu thun, habe ich Sorge zu tragen, daß ein Bescheid nach kurzer Zeit dem Einladenden zu Theil wird. Es ist sehr unangenehm, durch unbestimmte Antworten in dem Arrangement einer Gesellschaft gehindert zu sein. Aus demselben Grunde habe ich auch eine schriftlich an mich ergangene und durch die Post gesandte Einladung, sobald als möglich anzunehmen oder abzulehnen, obgleich es von jedem Gastgeber höflicher ist, durch Schicken eines Dienstboten, der die Antwort zu empfangen hat, mir diese Mühe zu ersparen. Aber da doch manche unserer Bekannten vielleicht nicht über eigene Dienstboten verfügen und daher mit ihren Bestellungen genirt sind, müssen wir auf diesen Punkt schon Nachsicht üben.

Zu jeder Gesellschaft, die wir besuchen, haben wir die passende Kleidung zu wählen und wenn wir nicht wissen, ob z.B. die Herren im Frack und weißer Halsbinde oder im Oberrock, die Damen in heller Seide mit Blumen oder im dunklen Wollkleide zu erscheinen haben, thun wir gut uns vorher zu erkundigen. Nach der Anzahl der eingeladenen Gäste, nach der Art und Weise der Einladung, die dem Feste vorangeht, können wir schon beurtheilen, wie wir uns in diesem Punkte zu verhalten haben. Bei einer Gesellschaft eleganter als die übrigen Gäste gekleidet zu sein ist äußerst peinlich, weil man dadurch den Schein auf sich läd, als habe man mehr erwartet. Ebenso unangenehm ist es aber auch, durch zu einfache Kleidung aufzufallen.

Weiße Handschuhe tragen Herren nur, wenn sie den Frack anlegen, im Uebrigen sind hellfarbige zu wählen,[50] für Herren stets Glacees. Damen nehmen vielfach zu der Farbe des Kleides passende Seidenhandschuhe.

Handschuhe sind vor dem Eintritt in's Gesellschaftszimmer anzulegen, zuzuknöpfen, nicht etwa aber nur in die Hand, zu nehmen. Daß man dieselben vorläufig nicht ablegt, ist schon früher gesagt. Der Cylinder wird mit in's Zimmer genommen, seiner ist ein chapeau claque, den man unter dem Arme trägt.

Beim Eintritt in das Empfangzimmer wird der Kommende zuerst Wirth, Wirthin und die Töchter des Hauses durch eine Verbeugung begrüßen, dann aber auch die übrigen ihm bekannten Anwesenden, respective wird er sich ihnen vorstellen lassen.

Treten mehrere Personen aus einer Familie in eine Gesellschaft, hat die Mutter oder sonstige älteste Dame den Vortritt, ihr folgen die Töchter, Nichten etc. und dann erst macht der Vater oder Sohn den Schluß.

Folge ich einer Einladung zum Diner oder Souper, findet etwa eine Aufführung statt, bei der die Zeit des Anfangs der Einladung beigefügt ist, so habe ich mich pünktlich einzustellen. Ist mir dieses voraussichtlich nicht möglich, habe ich entweder auf das Vergnügen zu verzichten oder ich muß, um Entschuldigung bittend, die Gastgeber ersuchen, nicht auf mich zu warten. Komme ich dann später, während die Aufführung, der Vortrag bereits begonnen hat, werde ich mich still im Hintergrunde halten, um die übrige Gesellschaft nicht zu stören und auch meine Begrüßung bis zu einer Pause aufschieben.

Jeder, der eine Gesellschaft besucht, sei sie groß oder klein, ist verpflichtet, so viel in seinen Kräften steht, zur Belebung, zur Unterhaltung derselben beizutragen. Es ist damit nicht gesagt, daß er stets das Wort an sich reißen, oder sich gar zu Witz und heiterer Laune zwingen soll. Jüngeren Leuten steht es sogar wohl an, stets bescheiden zu sein und sich nicht zum Mittelpunkt der Unterhaltung aufzuspielen. Aber jedenfalls sind auch diejenigen, Alt oder Jung, zu verdammen, die still und verlegen auf ihrem Platz sitzen, da wo man sie gerade hingepflanzt hat, so viel essen und trinken, als es ihnen[51] möglich ist und für alles was gesprochen wird höchstens ein spöttisches Lächeln finden. Hinterher können solche Personen oft sehr viel reden, aber liebevolle Bemerkungen sind es gewöhnlich nicht, die aus ihrem Munde kommen.

Auch als Gast ist es meine Pflicht, für das Behagen der übrigen Gäste zu sorgen. Ich muß ein wenig beobachten, wo meine Dienste etwa gewünscht werden können. Hier bemerke ich, daß ein Stuhl fehlt und eile schnell einen solchen herzuholen. Das Pianino soll umgestellt werden, die jungen Herren der Gesellschaft werden gewiß herbeispringen. Dort die Dame hat ihre Theetasse geleert, man wird sie ihr abnehmen, jener anderen die Mantille umlegen, oder ihr beim Fortgehen behilflich sein einen Wagen zu bekommen. – Hier gilt es ein Spiel zu arrangiren, dort eine Erfrischung zu holen oder einen verlorenen Fächer zu suchen. Allerlei kleine Dienste sind stets zu verrichten, wodurch sich ein junger Mann, ein junges Mädchen, angenehm und beliebt machen kann. Ja, ich habe einen jungen Herrn gekannt, der die Fürsorge soweit trieb, daß er sogar Stecknadeln bei sich führte, um beim etwaigen Zerreißen eines Ballkleides damit den Schaden zu repariren. Eine solche Fürsorge geht nun allerdings über das Maß der einem Herrn obliegenden Höflichkeit.

Was den Verkehr der jungen Männer mit jungen Mädchen betrifft, so ist beiden Theilen zu rathen, fröhlich und unbefangen, aber niemals zu frei miteinander umzugehen.

Weder sollte ein Mädchen durch Koketterie oder herausforderndes Wesen einen Herrn dazu bringen, sich zu viel gegen sie zu erlauben, noch sollte ein Mann an solchem Wesen Gefallen finden, oder gar bei einer Dame Versuche anstellen, wie weit er in seinen Reden oder Neckereien gehen dürfe, ohne daß ein strafender Blick der Beleidigten ihn trifft.

Es ist darüber schwer etwas zu sagen, nur möchte ich jedem Manne anheimgeben, im Verkehr mit Damen sich stets in Gedanken seine Mutter oder Schwester zu vergegenwärtigen und das was er nicht möchte, daß[52] ihnen geschähe, auch einem anderen weiblichen Wesen nicht anzuthun. Jeder Mann, der seine Mutter von Herzen ehrt und achtet, wird ein Gleiches auch anderen Frauen erweisen, gleichviel ob sie alt oder jung, hübsch oder häßlich sind.

Zu den Scherzen, die die Jugend untereinander treibt, gehört auch das Theilen einer doppelten Nuß oder Mandel, das sogenannte »Vielliebchenessen«, wobei der verlierende Theil dem anderen ein Geschenk zu machen hat. Dergleichen ist nur unter guten Bekannten zu empfehlen, denn es ist nicht angenehm, von uns fernstehenden Menschen Gaben in Empfang zu nehmen. Ebenso verhält es sich mit den Wetten zwischen Herren und Damen. Jedenfalls sollte der Preis der Wette nie etwas Kostbares sein, sondern lieber eine Tafel Chocolade oder dergleichen mehr.

Es bleibt mir nun noch zu sagen, daß man einige Zeit später in dem Hause, in dem man eingeladen war, einen Besuch macht. Diese Form ist besonders zu beobachten, wenn man die Einladung nicht angenommen hat, in welchem Falle man, trifft man die Herrschaft zu Hause, sein Bedauern ausspricht, verhindert gewesen zu sein. Den Domestiken gegenüber ist dergleichen nicht nöthig.

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 50-53.
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