Krankenpflege.

[87] Man sagt, wer Kranke pflegen wolle müsse ein offnes Auge, eine leichte Hand und ein warmes Herz haben, und darin liegt wohl etwas Wahres.

Ohne zu fragen, müssen wir wahrzunehmen suchen, was dem Kranken etwa mangelt an Bequemlichkeit, an Erleichterung seiner Leiden, wir müssen bemüht sein, seine Wünsche zu errathen, wir müssen verstehen ihm gleichsam von den Lippen abzulesen, den Blick des Auges zu deuten. Ruhe und Selbstbeherrschung sind unerläßliche Eigenschaften eines guten Krankenpflegers. Nie zeige er sich dem Leidenden gegenüber muthlos, immer stehe ihm ein beruhigendes, tröstendes Wort zu Gebote. Thränen soll er nie blicken lassen, wenn ihm die Qualen des Kranken auch noch so sehr in's Herz schneiden, theilnehmend sei er, aber nie durch Jammern und Klagen, sondern er zeige seine Theilnahme durch die That dadurch, daß er auf Abhilfe sinnt, den Patienten erheitert, unterhält, durch einen Scherz selbst zum Lächeln bringt. Nie aber erzähle man dem Pflegbefohlenen aufregende Dinge,[87] quäle ihn mit unsern eignen vielleicht traurigen Angelegenheiten, befrage ihn gar um seinen Rath, bitte ihn um seinen Beistand. – Dergleichen beschäftigt hinterher die Gedanken des Kranken auf unliebsame Weise, raubt ihm den Schlaf, ja kann unter Umständen wohl gar Fieber erzeugen. Ist die Entscheidung des Kranken unumgänglich nöthig, so überlege man vorher die Sache selbst und gebe ihm, zugleich mit der Bitte um seine Einwilligung, das Resultat unseres Nachdenkens. Ebensowohl wie man einem Kranken jede körperliche Anstrengung erspart, wie man ihn unterstützt und führt, wenn er sich aufrichtet, wenn er schwachen Schrittes von einem Platz zum andern wankt, so sei es noch mehr geistig.

Alles was wir ihm thun und für ihn thun, sei so leise, so sanft, so geräuschlos als möglich. Nicht dürfen wir mit der Tasse klappern, die wir ihm zum trinken reichen, noch aus dem Arzeneiglase verschütten, weil wir zu hastig sind.

Die Thüren sind leise zu öffnen und zu schließen, langsamen Schrittes nähere man sich dem Bette des Kranken, ruhig ihn ansprechend. Hat er die Augen geschlossen, warte man ab, ob er nicht etwa schläft.

Kommt man im Winter aus der freien Luft, sind durchkältete Sachen vor dem Eintritt ins Krankenzimmer abzulegen. Parfüm, und sei es auch von der feinsten Sorte, kann ein Kranker fast nie vertragen, meistens schon ist es ihm eine Qual, wenn ein tabakdurchräucherter Gegenstand, eine Zeitung, ein Buch in seine Nähe kommt.

Wenn man dem Patienten das Lager glättet, sei es langsam und vorsichtig. Weder darf man durch heftiges Hantiren mit der Bettdecke, noch durch Fortziehen und Klopfen der Kissen ihm Unbequemlichkeiten verursachen. Alles Waschen, Bürsten, Reiben soll mit leichter Hand geschehen. Eine Wunde nach Vorschrift des Arztes zu behandeln wird man mit Achtsamkeit bald erlernen. Sieht man, daß es dem Kranken schwer wird mit dem Arzt zu verkehren, so nehme man ihm die Beantwortung der Fragen ab. Man erinnere auch an das, was der Kranke hat fragen wollen und berathe mit dem Doctor, was in Hinsicht der Diät, der Behandlung[88] u.s.w. zu geschehen hat. Mit flüsternder Stimme darf dergleichen aber nie geschehen, denn es macht den Leidenden mißtrauisch und regt ihn auf. Will oder kann man etwas in seiner Gegenwart nicht sagen, so folge man unbemerkt dem Arzt und rede auf dem Corridor mit ihm, aber außer Hörweite des Patienten.

Außer der pflegenden Person hat sich jeder Andere beim Eintreten des Arztes aus dem Krankenzimmer zu entfernen, es sei denn, er werde besonders zum Bleiben aufgefordert.

Man rede den Kranken so wenig wie möglich an, sondern lasse ihn zuerst sprechen und uns dadurch zeigen, daß er Unterhaltung wünsche, namentlich frage man nicht beständig, ob es ihm besser gehe, ist solches der Fall, werden wir es gewiß auch ohnedem wahrnehmen können. Besonders ruhig ist bei einer Nachtwache zu verfahren, und wenn man dem Kranken etwas reicht, sei es ohne zu sprechen, auch beantworte man seine Fragen nur leise und kurz, da man immer hoffen kann, daß er bald wieder einschläft.

Hat man dem Kranken irgend etwas zu thun, was ihm Schmerzen bereitet, mache man alle Vorbereitungen dazu, ohne daß er es wahrnimmt, trete dann mit sanfter aber ernster Bitte zu ihm und verfahre darauf so rasch wie man es irgend kann, um seine Leiden nicht zu verlängern.

Mit Absicht wird gewiß Niemand in Gegenwart eines Kranken sich etwas gut schmecken lassen, was diesem verboten ist, aber aus Unachtsamkeit könnte es doch geschehen und darum sei es hier erwähnt.

Liest man dem Kranken vor, sei man vorsichtig in der Auswahl von dem, was man liest. Nichts nehme man was zum Nachdenken zwingt, was traurig, was unerquicklich berührt, oder grausige Bilder vor die Seele führt. Bemerkt man, daß der Patient nicht mehr zuhört, vielleicht gar die Augen schließt, hat man sofort die Lektüre zu unterbrechen.

Oft gewährt es einem Fiebernden große Beruhigung, wenn man ihm die Hand reicht und die seine festhält, ja von manchem Menschen geht eine wunderbar magnetische[89] Kraft aus. Versuchen wir es immerhin, ob es uns durch sanfte Berührung, auch durch leises Streichen nicht gelingt, die Pulse langsamer klopfen, das Blut weniger stürmisch fließen zu machen.

Nie dürfen wir einem Kranken zeigen, daß wir Ekel empfinden, oder wir sind zur Pflege untauglich. Bei einer Krankenpflege müssen wir absolut Alles anfassen können; der Gedanke an Wasser und Seife wird uns dabei helfen. Damit sei man nicht zu sparsam.

Sich die Liebe des Kranken zu erwerben, ist nicht schwer; fast jeden Augenblick haben wir Gelegenheit, ihm die unsrige zu zeigen. Die meisten Kranken sind dankbar, leicht zu erfreuen. Eine Blume, eine Frucht, ein Bild oder Buch lockt oft ein sonniges Lächeln auf ihr bleiches Gesicht und solch ein Lächeln ist der schönste Lohn, der treuer Pflege zu Theil wird.

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 87-90.
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