Theater, Concert.

[75] Indem ich auch hier, um mich nicht zu wiederholen, auf die Höflichkeitsregeln hinweise, die in den verschiedenen[75] Capiteln besprochen sind, füge ich nur wenig Spezielles hinzu.

Pünktlichkeit ist, wie überhaupt im Leben, auch dann besonders wünschenswerth, wenn mehrere Menschen versammelt sind, um sich an einer Vorstellung irgend welcher Art zu erfreuen, und wenn man, um zu seinem Platze zu gelangen, an andern Personen vorüber gehen muß! Wer hat es nicht schon erfahren, wie ärgerlich jede Störung ist, wenn die Vorstellung bereits begonnen, wir sehen und hören möchten. Nun kommt ein verspäteter Gast und drängt sich rücksichtslos an uns vorbei, wir müssen aufstehen, um ihn durchzulassen, er tritt uns auf die Füße und bittet nicht einmal um Entschuldigung, mit lautem Geräusch klappt er seinen Sitz nieder, zieht seinen Operngucker hervor, knittert mit dem Theaterzettel. Wir wünschen den plumpen Gesellen dahin, wo der Pfeffer wächst, für einen feinen Menschen werden wir ihn nicht halten.

Wohl aber würden wir dies bei Jenem thun, der bescheiden an der Thür stehend eine Pause erwartet, um, ohne Jemanden zu incommodiren, zu seinem Platz zu gelangen.

Rücksichtslos ist es ferner, während der Vorstellung sich zu unterhalten, leise die Melodien der Musik mitzusummen, den Tact zu treten oder gar seine Bemerkungen laut – wenn auch nur mit einzelnen Ausrufen – in das Publikum gelangen zu lassen.

Unser Urtheil haben wir nur unsern Nachbarn mitzutheilen, und ich rathe Jedem, darin etwas vorsichtig zu sein und nicht vorschnell etwas zu sagen, was man nicht begründen kann und nachher als große Dummheit erkennt. Schon aus diesem Grunde vermeide man auch in den Pausen das laute Sprechen. Sich als Kunstverständiger aufzuspielen, ist stets gefährlich. Wer wirklich etwas zu beurtheilen versteht, rühmt sich dessen nicht.

Anders ist es, wenn ich um mein Urtheil befragt werde. Da werde ich gern meine Ansicht äußern, aber stets eine Form wählen, die dem Tone einer gebildeten Unterhaltung entspricht.[76]

Steht mir Witz zu Gebote, so heißt es zu viel verlangt, denselben zu unterdrücken, aber man sei vorsichtig, Jemanden dadurch zu verletzen. Man colportire auch nicht seine eignen Witze, sondern überlasse dieses Andern.

Den Künstlern aber rufe ich zu: Rühmt Euch nicht selbst, zieht Eure Kollegen nicht herab, sucht bei Eurem Verkehr mit der bürgerlichen Gesellschaft nicht durch unverschämte Ansprüche zu imponiren, sondern bedenkt, daß wahres Talent nicht solch elender Mittel bedarf, um zur Geltung zu gelangen, daß wahres Verdienst stets auch bescheiden ist. Wer wirklich etwas leistet, besitzt nie die Selbstzufriedenheit, die manche untergeordnete Virtuosen, Schauspieler und Sänger uns zeigen.

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 75-77.
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