11.

[35] Nachdem meine Mutter von ihrem Mann befreit war, brachte sie etwa dreiviertel Jahr[35] in der Glückseligkeit eines freien Zustandes in Glogau zu. Sie dichtete zwar noch um Brod, aber der sanfte Frieden um sie her, den sie noch nie genossen, ließ sie alle Kraft, welche sie sonst in Sorgen und Unterdrückung ausseufzen mußte, nun auf die Poesie übertragen. Alles, was sie dichtete, athmete diesen Frieden und wurde zum Lobgesang. – Eines Tages kam ein Diener, mit einem Gruß von dem Baron von Kottwitz, der ihr ein beschriebenes Kartenblatt überreichte. Dies Blatt kam von der Frau Generalin von Wreech aus Berlin, welche den Baron ersucht: »daß er sich doch nach der Dichterin in Glogau erkundigen mögte, indem sie gar nicht wüßte, wie es zugienge, daß sie in sieben Monaten keinen Brief von ihr erhalten hätte.« Die Dichterin, beschämt von der zuvorkommenden Güte der Generalin, setzte sich in Gegenwart des Dieners[36] hin, und schrieb, ihrer Gewohnheit nach, sogleich einen Brief in Versen und ein poetisches Billet an den ihr ganz fremden Baron. Der Diener, welcher ihr voll Verwunderung zugesehen, wie schnell sie schrieb, bringt das Paket seinem Herrn, und ist ganz Erstaunen über die seltsame Frau. Sein Herr, welcher Lektüre und poetischen Geschmack hatte, fand den Bericht des Dieners, durch das Schreiben der Dichterin, bestätigt, und wurde neugierig, sie kennen zu lernen. Am andern Morgen ließ er sie zu sich rufen; sie erschien in ihrer gewöhnlichen Bürgertracht mit einer zwar freundlichen, aber fast einfältigen Blödigkeit. Seine Augen ließen ihn zweifeln, ob es die Frau wäre, welche eine so seltne Gabe besäße? Allein ihre Antwort auf seine erste Frage überzeugte ihn bald, denn sie erwiederte sie in einem recht artigen Verse. Sie[37] bat hierauf um Schreibzeug, und setzte während einer halben Stunde ein angenehmes Gedicht an den Baron auf. Als man sie beurlaubte, wurde sie eingeladen, am andern Tage wieder zu kommen, wo der Baron sie einigen seiner Freunde vorstellen wollte. Kaum war sie ein paar Stunden wieder zu Hause, als der Bediente des Barons kam, und ihr im Namen seines Herrn einen bessern Kopfputz und einige andere feine Kleidungsstücke brachte; mit der Bitte, am folgenden Tage darin zu erscheinen. Es ist unmöglich, daß der Zarin Peters des Ersten die Krone mehr süßen Stolz gegeben hat, als die Dichterin über diese geschenkten Kleidungsstücke empfand; jedes war ihr ein Zeichen, daß sie wirklich geehrt wurde, und jedes machte sie für Freude trunken. So, durch seine Hand geschmückt, gieng sie zu ihrem gütigen Baron; hier fand sie die[38] Fremden schon anwesend, und die Freude, welche sie begeisterte, gab allem, was sie sagte, etwas Blendendes. Als sie sich wieder entfernte, beschenkte sie der Baron mit einer schönen emaillirten Dose, nach damaliger neuesten Mode; noch nie hatte man ihr so artig begegnet; sie fühlte in dem angenehmen Geschenk das Edle des Gebers; er dünkte ihr mehr als andere Menschen zu seyn. Sie eilte damit nach Hause, und zeigte dieselbe sogleich ihrer Nachbarin. Diese, nachdem sie die Dose besehen und bewundert, macht den Deckel auf und sagt: Hierin ist schöner Taback! Karschin, nehmen sie doch eine Prise! der Taback ist mit Gold vermengt. Die schön erschrockene Dichterin findet es wirklich so, wie die Frau sagte, und es waren sechs Augustd'ore unter den Taback gemischt. Sie glühete ihren Dank in Gesängen aus; der Baron ward[39] davon bezaubert, und stellte ihr frei, daß sie von ihm etwas bitten sollte, was zu ihrem Glücke beitragen könnte. Sie, welche noch immer die Zurückkunft ihres Mannes fürchtete, besann sich augenblicklich und bat, daß er sie mit nach Berlin (wohin dieser Herr auf einer Reise begriffen war, um sich daselbst zu verheirathen) nehmen mögte, wo sie vor der Verfolgung ihres Mannes sicher zu seyn gedächte. Nichts dünkte dem gütigen Herrn leichter als das, und in Zeit von vierzehn Tagen war die Sache beschlossen und gethan.

Welchen seligen Taumel verbreitete diese Aussicht in dem Herzen der Dichterin! Ganz Glogau wurde von Lobliedern für ihren Wohlthäter erfüllt; Alles ward ihn zu bewundern und zu verehren aufgefordert; als hätte sie mit der vorhabenden Reise einen unversiegbaren Schatz in Empfang zu nehmen,[40] so wohl war ihr. Sie schenkte alles weg, was sie an Meublen und Hausgeräth besaß, und behielt nichts als ihre Kleider und ihre zwei Kinder. Im Erwarten der Dinge, die da kommen sollten, ward in der Nacht zum letzten Morgen in Glogau nicht geschlafen, sondern auf ihren Knieen dichtete sie Danklieder, bis endlich der Wächter die letzte ihrer Kummernächte abrief: da kam der Wagen des Barons, worauf sich die Dichterin mit ihren beiden Kindern setzte. – O Gott! wer nicht elend, nicht bedrängt gewesen ist, der kann das nicht empfinden, was hier so unaussprechlich empfunden ward! Dieser Wagen, welcher nicht Ueberwundene, sondern Ueberwinder jedes Leidens führte, war gewiß vor den Morgensternen glänzender, als irgend ein Triumphwagen der stolzen Sieger zu Rom. – –

Quelle:
[Klencke, Karoline von]: Leben und Romantische Dichtungen der Tochter der Karschin. Als Denkmal kindlicher Liebe herausgegeben von Helmina, Frankfurt a. M. 1805, S. 35-41.
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