Wie ruft man den Kellner?

[89] Auf diese der Aufklärung dringend bedürftige Frage antwortet ein Mitarbeiter der »Rheinisch-Westfälischen Zeitung« in folgender Plauderei: Wie schwer es ist, jeden dienstbaren Geist, der uns im Restaurant umschwirrt, zu bannen, ihn stilgerecht zu rufen, glaubt ein »Laie« gar nicht. Früher hieß der Herr eben einfach Kellner. Und man rief ohne weitere Komplimente Kellner. Danach wurde man höflicher. Einen der fürnehmen Gentlemen in großen Hotels gerade so zu zitieren, wie einen Bierträger, nein, das ging nicht. Man kam auf die Idee, Herr Oberkellner zu sagen. Allmählich schwanden die beiden letzten Silben ganz, es hieß einfach: Ober. Das wurde populär, jeder Pikkolo hieß Ober, und so war man wieder gezwungen, für die besten der Zunft eine Steigerung zu erdenken. Man kehrte zum alten Kellner zurück, und es gilt für sehr fein, geradezu für »schick«, im Sektrestaurant Kellner zu rufen. Daran also erkennt man den »Kavalier«. Er sagt: »Kellner, die Rechnung«; der Bürger, der noch anderesim Leben zu tun hat, als auf solches zu achten, spricht: »Herr Ober, ich möchte zahlen«. Man zahlt eben im eleganten Lokal nicht, sondern fordert die Rechnung; Pseudogents reden nun immer von der Rechnung, auch wenn sie nur einen Whisky für 75 Pfennig tranken, was sich sehr possierlich macht. – Jetzt gibt es aber noch zwei sehr feine Nuancen.


Wie ruft man den Kellner

Will man nämlich andeuten, daß man irgendwo wie zu Hause ist, ein Stammgast sozusagen – und es macht sich ja in Wirtshäusern, die man nicht unter 30 Mark Zeche verlassen kann, sehr gut –, dann ruft man den Kellner mit seinem Zunamen, in etwas intimen Restaurants wohl auch mit dem Vornamen. Jedenfalls ist der Zunamenruf sehr vornehm, er zeigt den Eingeweihten und drückt die Achtung vor dem Diener und zugleich das Bewußtsein des Herrn aus. Die letzte Feinheit indes in dieser wichtigen Angelegenheit bleibt den Snobs unbekannt, und wenn sie sie kennten, wäre sie bei ihnen nicht beliebt, weil man keinerlei Aufsehen damit erregen kann. In dem wirklich »erstklassigen« Restaurants, das geschulte Kellner hat, ruft man weder Ober, noch Herr Ober, noch Kellner, noch Gustav, klopft auch nicht mit dem Monokel auf den Tellerrand, sondern – man schaut ihn nur an, den Kellner, einerlei ob ins Gesicht oder in den Rücken, er hat solche Nerven, daß er einen Wunsch, einen Blick des Gastes fühlt und kommt. Das ist die letzte Vollkommenheit von Herr und Diener. Die lautlose Unterhaltung. Das erfühlte Gespräch, das Reden mit den Augen. Ein guter Gast und ein guter Kellner verstehen sich, wie einst Karl May und sein Freund Winnetou, einzig durch Blicke. Eine Kopfwendung: er räumt ab, bringt den neuen Gang. Ein Blick unter den Tisch: er holt schon eine neue Gabel. Ein äugelndes Suchen auf dem Tisch: bereits steht die O.-K.-Sauce da. Ein Griff nach der Geldbüchse in der Brusttasche: da liegt die Rechnung auf dem silbernen Teller.


Wie ruft man den Kellner

Eine kleine Rückenbewegung: schon schiebt er den Stuhl zurück, daß man aufstehen kann. Ein Blick nach dem Fenster: er rennt nach dem Auto. Diese Augensprache geht bis ins Unendliche, wenn der Gast sich »erstklassig« benimmt. Wer zum Fisch ein Messer verlangt oder Brötchen, um die Sauce aufzutunken – den allerdings versteht ohne Worte nicht der stumme Kellner. Man gibt es mir sicher zu, daß die schweigende die schönste ist, aber sie will gelernt und geübt sein. Ob Ober oder Kellner, wird dem ein müßiges Problem, der sich auf die dritte Lösung versteht.

Quelle:
Koebner, F. W.: Der Gentleman. Berlin 1913, [Nachdruck München 1976], S. 89-92.
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