Einleitung

[4] Der Herr von Welt, mit den Manieren und dem Taschentuch in der äußeren Brusttasche, pflegt meistens vom Himmel zu fallen. Er ist, oder er ist nicht, niemals aber entwickelt er sich. Neidische Menschen sagen über ihn: eine Angelegenheit englischer Stoffe und der Maniküre. Doch diese Leute lügen, weil ein Gentleman keine Holzpuppe ist und kein Bewohner des Panoptikums – man zieht ihn nicht an, sondern er zieht sich an, und man knetet ihm nicht die Bewegungen, sondern er erfindet sie selbst. Er wirkt in allen Situationen selbstverständlich, als gehöre er zum vertrauten Inventar jedes Ortes und jeder Gelegenheit.

Eine vollendete Anpassung übt er als außerordentliche Kunst. Nichts sind seine Attribute, er ist alles. Den gleichen Cutaway macht er zum legeren Anzug für den nachmittaglichen Bummel auf dem Korso oder im Salon, zum ernsten offiziellen Kostüm voll bedeutsamer Wucht, wenn er am grünen Tisch einer wichtigen Konferenz mit dem goldenen Crayon auf das Tuch schlägt, weil ihm der Herr am anderen Ende nicht zuhört, und derselbe Cutaway wird auf seinen Schultern zum bewußt dekorativen Kleide beim Empfang der ministeriellen Exzellenz. Der Herr von Welt ist der erste Diener aller Dinge von äußerer Kultur. Er beherrscht sie bis zum letzten Atem ihres Bluts, unterwirft sie sich seiner Art, daß ihre Seele von dannen fährt – die Seele der Schneider und Masseure – und sie sich nach dem Takt erfüllen, den er ihnen gibt. Und wiederum dient er ihnen, eifrig und mit Hingabe, als ein geschickter Puppenspieler, der es zu schätzen weiß, wenn er sich hinter allgemeinen und anerkannten und landesüblichen Dekorationen des Lebens verbergen kann.[4]

Sokrates und Oskar Wilde hatten die gleiche Meinung vom Gentleman. Leider hat man in den Jahren, die zwischen diesen beiden liegen, allerlei Torheiten erfunden. Daß es nicht auf den – Verzeihung – Gummikragen ankäme, sondern auf die Gedanken, die zwischen Vollbart und Stirnlocken sich bereiten. Daß ein seidener Strumpf dem Intellekt schade und Kalbleder allein geistiges Niveau verbürge. Daß gute Manieren den Hochstapler verraten und ein sensibler Geschmack Verrat an der Nation bedeutet.

Allmählich ist es wieder Tag geworden. Der Herr von Welt geht als eine selbstverständliche Erscheinung unter und die Kulissen des äußeren Lebens, die erblaßt waren und verstaubt, kriegen neue Farben und ein vergnügtes Gesicht. In diesem Buch, daß Sie im Begriffe sind zu durchblättern, sehen Sie den Versuch, dem Gentleman unserer Zeit die seelische Silhouette zu schneiden. Sie werden überall die Tugend der äußerlichen Geste gewahrt finden, denn der Geschmack verbietet es, sich in die persönlichen Angelegenheiten eines Herrn von Welt zu mischen. Lesen Sie diese Darstellungen in dem Stil, in dem sie geschrieben wurden: Mit viel Sensibilität für die Schönheit oder Eigenheit einer Linie und empfänglichem Gehör für den reinen Klang einer wohl abgestimmten Vollendung.


Der Herausgeber.[5]

Quelle:
Koebner, F. W.: Der Gentleman. Berlin 1913, [Nachdruck München 1976], S. 4-7.
Lizenz:
Kategorien: