4.

[220] Als Mitglieder der Kgl. Oper fand ich folgende Künstler vor: Pauline Lucca, verwöhnt, schön und interessant. Schon bei meinem Antrittsbesuche sagte sie uns, daß sie 1872 bestimmt nach Amerika ginge, und wenn sie keinen Urlaub erhielte, durchzugehen beabsichtige.

Mathilde Mallinger, ein sehr starkes Bühnentalent, am Prager Konservatorium ausgebildet. Sie war eben von München gekommen, hatte stimmlich aber nach nur zweijähriger Tätigkeit schon schwer gelitten.

Wilma von Voggenhuber, eine sehr temperamentvolle dramatische Sängerin mit wunderschönem Mezzosopran, die nur leider – wie mir ein Musiker sagte – heute die Rolle spielte, die sie gestern gesungen hatte.

Marianne Brandt, Altistin, eine selten begabte, ernste Künstlerin.

Frau Harries-Wippern, die jungfräulichste Stimme, die ich je gehört habe. Sie war einst sehr gefeiert, und nur ungern sahen wir sie bald aus unserer Mitte scheiden, da sie krankheitshalber sich sehr früh schon pensionieren ließ.

Charlotte Grossi, eine hübsche, junge Wienerin mit recht hübscher Stimme und leidlich guter Koloratur. Protektionskind der Lucca, blutjunge Anfängerin, die aber seit einem Jahre schon engagiert, sich in manche Rolle und viel Arroganz hineingewachsen hatte, da das Fach der Koloratursängerin verwaist gewesen. Die Königin der Nacht z.B. wurde viele Jahre hindurch von einer Schauspielerin gesprochen!

Louise Horina, Sängerin für alles.

Marie Gey, Opernalte.

Unser führender Geist, nach dem sich alles richtete, war Albert Niemann. Wenn ich auch sagen muß, daß ich mich an seine[220] Stimme gewöhnen mußte, weil er sich immer erst im Laufe einer Oper freisang, so imponierte seine künstlerische Autorität sofort der Lernenden. Die geistige Auffassung, sein einzig überzeugender Ausdruck, gaben ihm immer größeren Wert in meinen Augen, je mehr ich die Hohlheit und Unzulänglichkeit anderer Sänger dagegen erkennen lernte. Hier waren Genie, Kraft und vollendete Künstlerschaft mit Autorität verbunden. Man wurde nicht geblendet, sondern überzeugt. Von da an wurde Niemann mein Maßstab für den singenden Künstler, das – wenn auch nicht alleinige – Vorbild meines Strebens.

Neben ihm stand der männliche, etwas steife, sich eben zum Meistersinger entfaltende

Franz Betz und

August Fricke, unser nobler Baß, der nebst allen ernsten, auch köstlich humoristische Rollen schuf.

Anton Woworsky, unser feinster Kollege, der seiner frühen Pensionierung entgegen harrte.

Otto Schelper, dem es in Berlin nicht behagte, und den man leider ziehen ließ.

Heinrich Salomon, Baßbuffo, sehr feiner Schauspieler, von dem sein zukünftiger Schwiegervater – als er ihn im Don Juan sah – behauptete, daß er nie ein Don Juan gewesen sei, und ihm blindlings seine Tochter anvertraute.

Mehrere Herren für kleinere Rollen, und daß ichs nicht vergesse:

Krüger (Pseudonym), der »Schmalzamor« genannte Tenorbuffo.

Ferner die drei Kapellmeister:

W. Taubert, dirigierte fast ausschließlich Hofkonzerte oder seine sehr schönen Opern »Macbeth« und »Cesario«.

Carl Eckert, alle großen Werke.

Robert Radecke, alle Spielopern.

Mit dem hier genannten Personal, das bei Abgang eines Mitgliedes durch ein anderes komplettiert wurde, gab man – bis auf 2–4 Ballette monatlich – tagtäglich Opern, und nur sehr selten kam es vor, daß eine Oper abgesetzt und eine andere dafür gegeben wurde. Heute ist das Personal zehnmal so groß und der Absagen[221] zehnmal so viele als damals. Für Woworsky trat nach ungefähr zwei Jahren der liebenswürdige Heinrich Ernst in das Fach des lyrischen Tenors und William Müller, der neben Niemann, oder wenn dieser beurlaubt war, Heldenrollen sang. Für Schelper kam Theodor Schmidt, und alle drei kamen – gleich den Schauspielern Richard Kahle und Georg Krause – von Leipzig. Nur wenige Mitglieder von bleibendem Wert traten im Laufe der nächsten 15 Jahre hinzu, unter denen Franz Krolop, Baß, hervorzuheben wäre.

Wenn ich bei manch einem Künstler ein wenig verweile, dessen sich, wie ich bestimmt annehmen darf, nur wenige auch nur dem Namen nach zu erinnern vermögen, so meine ich damit einer angenehmen Pflicht zu genügen, indem ich deren besonders guten Eigenschaften hervorhebe, die sie berechtigten, als Künstler bekannt und beliebt zu werden. Eigenschaften von besonderem Wert, die außer ihnen kein anderer Künstler besaß, die als schöne Erinnerung in mir weiterleben und meines Dankes darum nicht entbehren dürfen.

Als Gäste durften wir alljährlich in der Oper sowohl als im Schauspiel viele künstlerische Größen bewundern, die dem Repertoire Abwechslung und frisches Interesse zuführten, was mir anregende Arbeit bot, an der es mir freilich nie und nirgends fehlte.

Quelle:
Lehmann, Lilli: Mein Weg. Leipzig 1913, S. 220-222.
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